T 0017/81 (Nimodipin) 30-05-1983
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Sachverhalt und Anträge
I. Die am 30. März 1979 angemeldete und am 17. Oktober 1979 mit der Veröffentlichungsnummer 0 004 650 veröffentlichte europäische Patentanmeldung, für welche die Priorität der Voranmeldung (DE 28 15 578) vom 11. April 1978 in Anspruch genommen wird, wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 20. März 1981 zurückgewiesen.
II. Dieser Entscheidung lagen vier auch derzeit geltende Patentansprüche zugrunde, von denen der erste (derzeit ebenfalls der erste, doch Nr. 7) gerichtet ist auf die Verwendung von 1,4 - Dihydro - 2,6 - dimethyl - 4 - (3' - nitrophenyl) - pyridin - 3 - ß - methoxyäthylester - 5 - isopropylester als cerebrales Mittel.
III. Die sich daran anschließenden Ansprüche (derzeit 8 mit 10) sind Ansprüche gleicher Art, in welchen die cerebrale Indikation näher präzisiert wird. In der Beschreibungseinleitung der Patentanmeldung ist u.a. ausgeführt, daß die obengenannte Verbindung bereits in einer britischen Patentschrift (GB-A-1 358 951) als coronar wirksame Verbindung beschrieben ist.
IV. Als Kurzbezeichnung für die oben im Patentanspruch gemäß der chemischen Nomenklatur bezeichnete Verbindung soll in dieser Entscheidung die Bezeichnung "Nimodipin" verwendet werden. Dabei handelt es sich um den in der pharmakologischen Literatur verwendeten internationalen Freinamen (generic name) für diese Verbindung.
V. Die Zurückweisung der Patentanmeldung mit diesen Ansprüchen wurde in der Entscheidung vom 20. März 1981 im wesentlichen damit begründet, daß durch die geltende Formulierung der Ansprüche eine therapeutische Behandlung des menschlichen Körpers beansprucht werde. Eine solche Behandlung sei gewerblich nicht anwendbar und gem. Artikel 52(4) und 54(5) EPÜ nicht patentfähig.
VI. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin mit Schreiben vom 13. Mai 1981, eingegangen am 20. Mai 1981, unter Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein und begründete diese zugleich.
VII. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens ließ die Beschwerdekammer in vorläufigen Bescheiden erkennen, daß sie gegen die Gewährbarkeit von Verwendungsansprüchen der genannten Art Bedenken hat. Die Beschwerdeführerin legte ihrerseits in mehreren Schriftsätzen eine gegensätzliche Meinung dar. Mit Schreiben vom 29. November 1982 (Bl. 171 d.A.) stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, gem. Artikel 112(1) EPÜ die Große Beschwerdekammer mit der Rechtsfrage zu befassen, ob Erfindungen der "zweiten Indikation" patentierbar seien. Hierbei handle es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die sich aus dem Übereinkommen nicht in zweifelsfreier Weise ableiten lasse. Aus der nationalen Rechtsprechung und aus dem Schrifttum seien Rechtsauffassungen bekannt, die die bisher von der Beschwerdekammer zum Ausdruck gebrachten Auffassungen in Frage stellen könnten.
VIII. Die von der Beschwerdeführerin beantragten Ansprüche wurden im Laufe des Beschwerdeverfahrens geändert und sind derzeit nicht fortlaufend numeriert. Sie stellen sich gegenwärtig wie folgt dar:
Verwendungsansprüche (vier Ansprüche, derzeit 7 bis 10, vgl. Bl. 21 u. 317 d.A): Verwendung von "Nimodipin"
- (7) als cerebrales Mittel;
- (8) bei der Bekämpfung von pathologisch verminderten cerebralen Funktionen und Leistungsschwäche;
- (9) bei der Bekämpfung von cerebraler
Insuffizienz;
- (10) bei der Bekämpfung von cerebralen Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen. Außerdem gelten noch zwei auf galenische Formulierungen gerichtete Erzeugnisansprüche (derzeit 14 und 15, vgl. Bl. 317 sowie 435 u. 436 dA.). Die bisherigen Ansprüche 1 bis 6 sowie 11 bis 13 werden nicht mehr beantragt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; die ist daher zulässig.
2. Mit den genannten Patentansprüchen 7 bis 10 beantragt die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Patents mit Patentansprüchen, die auf die Verwendung einer chemischen Substanz zu einem therapeutischen Zweck gerichtet sind. In der Gestalt dieser Ansprüche erscheint die Erfindung als "Verfahren zur ... therapeutischen Behandlung ..." gem. Artikel 52(4) Satz 1 EPÜ. Als solches wäre sie nicht gewerblich anwendbar und daher gem. Artikel 52(1) EPÜ nicht patentfähig.
3. Die Frage der Zulässigkeit von Ansprüchen, die auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zu einem der in Artikel 52(4) Satz 1 EPÜ genannten Zwecke gerichtet sind, ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i. S.v. Artikel 112(1) EPÜ. Dies ergibt sich schon allein aus folgendem Grund: Verwendungsansprüche sind eine nach dem Übereinkommen (vgl. R. 30 a) EPÜ) grundsätzlich mögliche Anspruchskategorie. In der Biochemie sind sie oft die dem Erfindungstyp besonders entsprechende Kategorie, da hier Erfindungen ihren Schwerpunkt häufig in der Lehre haben, mit einem bestimmten Stoff eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Verwendungsansprüche erscheinen jedoch auf dem Gebiet der Therapie im Hinblick auf Artikel 52(4) Satz 1 EPÜ als nicht gewährbar. Dies gilt um so mehr, als durch Artikel 52(4) Satz 2 EPÜ nicht Verwendungen, sondern Erzeugnisse patentfähig sind, und als durch Artikel 54(5) EPÜ für an sich bekannte Stoffe oder Stoffgemische die Patentkategorie des Erzeugnisses vorgesehen ist - vorausgesetzt, daß die Verwendung der Stoffe oder Stoffgemische zu einem der in Artikel 52(4) genannten Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört.
4. Die Frage der Zulässigkeit von Verwendungsansprüchen auf dem genannten Gebiet ist von großer Bedeutung, vor allem für die Patentierung pharmazeutischer Erfindungen. Über die Beantwortung der Frage hat sich in der Öffentlichkeit eine kontroverse Diskussion entwickelt. Da es sich außerdem um eine reine Rechtsfrage handelt, hält die Kammer eine Entscheidung zu dieser Frage durch die Große Beschwerdekammer für erforderlich i.S.v. Artikel 112(1) a)EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird gem. Artikel 112(1) a) EPÜ i.V.m. Artikel 17 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 1983, 7) folgende Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt:
Kann für die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers ein Patent mit auf die Verwendung gerichteten Patentansprüchen erteilt werden?