J 0020/89 (Rechtsmittelinstanz (PCT-Fälle)) 27-11-1989
EPA nur als IPEA tätig
Zuständigkeit der Beschwerdekammern als Rechtsmittelinstanz in der internationalen Phase
I. Am 19. Mai 1988 reichte die beschwerdeführende Gesellschaft eine internationale Anmeldung nach dem PCT ein, in der die Priorität einer am 21. Mai 1987 eingereichten US-Patentanmeldung in Anspruch genommen und lediglich Australien und Japan bestimmt wurden. Das EPA war weder Anmeldeamt noch Bestimmungsamt, noch ausgewähltes Amt, sondern wurde gemäß einer Vereinbarung mit dem USPTO als Internationale Recherchenbehörde (ISA) tätig.
II. Der internationale Recherchenbericht wurde am 11. August 1988 an die Beschwerdeführerin gesandt.
III. Am 16. Dezember 1988 schickte der beim Europäischen Patentamt zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin dem EPA per Telekopie einen im Namen der Beschwerdeführerin unterzeichneten Antrag auf internationale vorläufige Prüfung nach Kapitel II PCT und ein Begleitschreiben mit Anweisungen hinsichtlich der Zahlung der anfallenden Gebühren.
IV. Am 20. Dezember 1988 unterzeichnete der bevollmächtigte Vertreter das Original des Begleitschreibens und schickte es zusammen mit dem Original des Antrags auf EPA-Form 1037 ab. Der Versand erfolgte nicht per Einschreiben. Diese Originale zur Bestätigung der Telekopie wurden nicht mehr aufgefunden und scheinen auf dem Postweg verlorengegangen zu sein.
V. Die in Artikel 39 (1) PCT vorgesehene Frist von 19 Monaten endete am 21. Dezember 1988.
VI. Der 23. Januar 1989 war der letzte Tag, an dem unter Wahrung der 20monatigen Frist nach Kapitel I PCT in Japan Handlungen vorgenommen werden konnten.
VII. Mit einem am 6. März 1989 eingegangenen Schreiben beantragte der Vertreter:
a) Weiterbehandlung nach Artikel 121 EPÜ
b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ
c) Anwendung von Artikel 48 (2) a) und b) PCT
VIII. In einem vom 31. März 1989 datierten Schriftstück mit der Überschrift "Notification" (Mitteilung) bestätigte das EPA als mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde (IPEA), daß:
a) der Antrag auf internationale vorläufige Prüfung vom vom 16. Dezember 1988 gemäß Regel 92.4 PCT als nicht erfolgt gelte
b) Artikel 39 (1) PCT nicht anwendbar sei, da vor dem Ablauf von 19 Monaten seit dem Prioritätsdatum kein Vertragsstaat ausgewählt worden sei Alle Anträge auf Behebung der Mängel wurden zurückgewiesen, da Regel 82.1 a) PCT nicht anwendbar und das EPA anderweitig weder zuständig, noch befugt sei, die überschrittene Frist als eingehalten gelten zu lassen.
IX. Am 8. April 1989 legte der Vertreter Beschwerde gegen die Mitteilung vom 31. März 1989 ein und beantragte:
a) die Zulassung der Beschwerde
b) die Zulassung des Antrags auf internationale vorläufige Prüfung mit Datum vom 16. Dezember 1988
c) in deren Folge die Zulassung der Auswahlerklärung hinsichtlich Japans und Australiens
X. Eine Beschwerdegebühr wurde am 8. April 1989 entrichtet.
XI. In der Begründung seiner Beschwerdeschrift brachte der bevollmächtigte Vertreter
a) hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde vor, daß:
- die Mitteilung effektiv eine Entscheidung sei, durch die Beschwerdeführerin beschwert sei und von der Eingangsstelle (Receiving Section) (sic) im Namen des EPA als der mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragten Behörde getroffen worden sei
- die Beschwerde auch aus Gründen der allgemeinen Billigkeit zulässig sei, da ohne einen solchen Rechtsbehelf keinerlei Möglichkeit bestünde, selbst eine eindeutig fehlerhafte Entscheidung der Formalprüfungsstelle des als ISA oder IPEA tätigen EPA zu überprüfen
b) und führte in der Sache Argumente an, die er bereits in einem vom 28. Februar 1989 datierten und am 6. März 1989 eingegangenen Schreiben vorgebracht hatte; er beantragte erneut die Weiterbehandlung (Artikel 121 EPÜ) und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Artikel 122 EPÜ). Er beantragte eine mündliche Verhandlung für den Fall, daß die Kammer nicht bereit sei, die Beschwerde zuzulassen. Eine solche Verhandlung wurde angesetzt.
XII. Vor der mündlichen Verhandlung wurde die Anmelderin aufgefordert, sich zu der Frage zu äußern, ob die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts in der internationalen Phase einer PCT-Anmeldung für eine Entscheidung zuständig seien, die in einer solchen Sache vom Europäischen Patentamt als IPEA getroffen wurde.
XIII. Mit Schreiben vom 15. Juni 1989 brachte der Vertreter vor, daß in Ermangelung eines Beschwerdeverfahrens im PCT die Bestimmungen des EPÜ (Artikel 106, Artikel 150 (2), Artikel 150 (3), Artikel 125) dahingehend ausgelegt werden sollten, daß die Zuständigkeit der Beschwerdekammern gegeben sei.
XIV. In der mündlichen Verhandlung hielt der Vertreter seine frühere Argumentation und seine Anträge aufrecht. Er machte geltend, daß weder der PCT noch das EPÜ Bestimmungen enthielten, die gegen die Zuständigkeit der Kammer sprechen, und daß es keine andere Möglichkeit gebe, die Entscheidung der IPEA zu überprüfen.
1. Bevor die Juristische Beschwerdekammer über die vorliegende Sache befindet, muß sie darüber entscheiden, ob sie in der internationalen Phase einer PCT-Anmeldung für die Überprüfung von Entscheidungen zuständig ist, die das Europäische Patentamt in seiner Funktion als mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde (IPEA) im Sinn des Kapitels II des Zusammenarbeitsvertrags (vgl. Artikel 150, 155 EPÜ) getroffen hat.
2. Es ist darauf hinzuweisen, daß abgesehen von den in Regel 40.2 c) und Regel 68.3 c) PCT vorgesehenen Möglichkeiten weder im Vertrag selbst noch in dessen Ausführungsordnung eine Beschwerde in der internationalen Phase des Verfahrens vor der als internationale Recherchenbehörde (ISA) oder als IPEA tätigen Behörde vorgesehen ist: dies ist auch in der Fachliteratur herausgestellt worden (vgl. Kurt Haertel in "Zehn Jahre Bundespatentgericht", Heymanns, 1971, Seite 60, zitiert in Ulrich C. Hallmann "PCT-Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens", 2. Auflage, Heymanns, 1981), wobei der Akzent gleichermaßen auf dem bewußten Fortlassen des Beschwerdeverfahrens und auf dem Fehlen von Organen zur Entgegennahme von Beschwerden liegt. Darüber hinaus hat das im Namen der Beschwerdeführerin zu Rate gezogene Internationale Büro der WIPO in einem Schreiben vom 30. Juni 1989 betreffend den Gegenstand dieses Verfahrens im Auftrag von Herrn Bartels (dem Leiter der PCT-Rechtsabteilung) bestätigt, daß der PCT keine Möglichkeit für Beschwerden oder Eingaben in der internationalen Phase vorsieht, damit das Verfahren nicht erschwert und die im PCT festgelegten kurzen Fristen gewahrt werden. Er wies darauf hin, daß Anmelder in der internationalen Phase dennoch nicht gänzlich auf Rechtsschutz verzichten müßten und daß alle PCT- Behörden einen Antrag auf nochmalige Überprüfung einer früheren, während der internationalen Phase ergangenen Entscheidung entgegennehmen und gebührend prüfen würden, auch wenn dies nicht ausdrücklich im PCT vorgesehen sei. Ein ausgewähltes Amt könne eine Entscheidung einer IPEA überprüfen.
3. Da der PCT in der vorliegenden Sache keine Beschwerdemöglichkeit vorsieht, gilt es darüber zu befinden, ob - wie dies von der Beschwerdeführerin gewünscht und vorgetragen wird - in der internationalen Phase die beschwerderelevanten Bestimmungen des EPÜ herangezogen werden dürfen.
4. Wird das EPA in einer Sache als ISA tätig, so kann es faktisch auch als Bestimmungsamt tätig werden; wird es in einer Sache als IPEA tätig, so kann es faktisch auch als ausgewähltes Amt tätig werden. Handelt es als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt, hat es dieselben Befugnisse wie ein Amt eines PCT-Vertragsstaats (vgl. Artikel 2 x) und 2 xii) PCT). Darüber hinaus besagt Artikel 150 (3) EPÜ, daß eine internationale Anmeldung, für die das EPA als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt tätig wird, als europäische Patentanmeldung gilt. Infolgedessen steht der Inanspruchnahme des im EPÜ vorgesehenen Beschwerdeverfahrens in Ergänzung der Bestimmungen des PCT (vgl. Artikel 150 (2) EPÜ) in solchen Fällen nichts entgegen. Ist das EPA jedoch wie im vorliegenden Fall weder Anmeldeamt noch Bestimmungsamt, noch ausgewähltes Amt, sondern lediglich gemäß einer Vereinbarung mit einem nationalen Amt in der internationalen Phase als ISA oder IPEA tätig, so muß festgestellt werden, ob es nicht schlicht namens und im Auftrag des nationalen Amts tätig wird und folglich die Bestimmungen des PCT strikt einhalten muß. Die Artikel 17 (1) und 34 (1) PCT sehen vor, daß sich das Verfahren in der internationalen Phase nach dem PCT, dessen Ausführungsordnung und der Vereinbarung mit der betreffenden ISA oder IPEA richtet. Nach der Vereinbarung zwischen der WIPO und dem EPA (ABl. EPA 1987, 515 ff.) ist das EPA verpflichtet, die Verwaltungsrichtlinien und die Richtlinien für die internationale Recherche und die internationale vorläufige Prüfung einzuhalten. Daraus folgt, daß hier die Ausführungsordnung und die Richtlinien zum PCT Vorrang vor den EPÜ-Bestimmungen haben müssen. Daher muß sich die Anwendung des Artikels 150 (2) EPÜ, was das Beschwerdeverfahren betrifft, darauf beschränken, die eng gefaßten Bestimmungen der Regeln 40.2 c) und 68.3 c) PCT zu ergänzen, die sich lediglich auf die Prüfung von Widersprüchen gegen die Zahlung zusätzlicher Gebühren beziehen, die Ausschüsse oder andere besondere Instanzen von ISAs oder IPEAs angeordnet haben.
5. Da der PCT ein Beschwerdeverfahren in der internationalen Phase vor der IPEA nicht vorsieht, machte der Beschwerdeführer geltend, ein Anmelder habe, wenn er von dem im EPÜ vorgesehenen Beschwerdeverfahren nicht Gebrauch machen könne, keinerlei Rechtsschutz im Falle fehlerhafter Entscheidungen des als IPEA tätigen EPA. Die Juristische Beschwerdekammer vermag dem nicht zuzustimmen. Wie Herr Bartels von der WIPO in dem oben erwähnten Briefwechsel mit dem Vertreter der Anmelderin deutlich gemacht hat, können Entscheidungen, die in der internationalen Phase getroffen wurden,in der nachfolgenden nationalen Phase von den Bestimmungsämtern oder ausgewählten Ämtern überprüft werden, was in der Praxis auch geschieht. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß es einem Anmelder, dessen Antrag auf internationale vorläufige Prüfung als nicht gestellt gilt, noch freisteht, gemäß Kapitel I PCT in die nationale Phase einzutreten, selbst wenn er es versäumt, von der Möglichkeit des Verfahrens nach Kapitel II PCT Gebrauch zu machen. Nach Artikel 39 (3) PCT kann jedes ausgewählte Amt einen aus Artikel 39 (1) a) oder b) PCT resultierenden Rechtsverlust verhindern. Darüber hinaus schreibt Artikel 48 (2) PCT vor, daß jeder PCT-Vertragsstaat, soweit er betroffen ist, eine Fristüberschreitung als entschuldigt ansieht, wenn Gründe vorliegen, die nach seinem nationalen Recht zugelassen sind, und stellt es einem solchen Staat frei, soweit er betroffen ist, Fristüberschreitungen auch aus anderen Gründen als entschuldigt anzusehen. Schließlich ist es, wie Herr Bartels hervorhob, einem PCT-Vertragsstaat freigestellt, die Bestimmungen von Artikel 48 (1) PCT und Regel 82 PCT bei auf dem Postweg verlorengegangenen Schriftstücken auch dann als erfüllt zu betrachten, wenn die betreffende IPEA eine andere Auffassung vertreten hat.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Kammer ist für die Prüfung der vorliegenden Beschwerde nicht zuständig.