J 0016/91 (Stichtag für die Einreichung einer Teilanmeldung) 05-08-1992
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1. Eine europäische Teilanmeldung zu einer anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung kann auch nach dem Zeitpunkt noch wirksam eingereicht werden, zu dem der Anmelder gemäß Regel 51 (4) EPÜ sein Einverständnis mit der Fassung erklärt hat, in der das europäische Patent auf die frühere Anmeldung erteilt werden soll (in Abweichung von Regel 25 (1) EPÜ). Eine solche verspätete Einreichung einer Teilanmeldung darf jedoch weder die genehmigte Fassung des auf die frühere Anmeldung erteilten europäischen Patents berühren noch den Abschluß des Erteilungsverfahrens zu dieser Anmeldung verzögern.
2. Sind das EPA und der Anmelder erst einmal an die gemäß Artikel 97 (2) EPÜ getroffene Entscheidung über die Erteilung des europäischen Patents auf die frühere Anmeldung gebunden, so ist die Einreichung einer europäischen Teilanmeldung nicht mehr möglich.
3. Eine Wiedereinsetzung in das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung nach Artikel 122 EPÜ ist nicht möglich, wenn die Teilanmeldung nach Ergehen der Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents auf die frühere Anmeldung eingereicht wird.
4. Die gemäß Regel 25 (2) EPÜ für eine Teilanmeldung entrichteten Gebühren werden zurückerstattet, wenn die Anmeldung nicht als Teilanmeldung zugelassen wird, d. h., wenn ihr der Anmelde- und gegebenenfalls der Prioritätstag der früheren Anmeldung nicht zuerkannt werden.
Einreichung einer Teilanmeldung bis zur Erteilung des Stammpatents möglich
Wiedereinsetzung in das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung abgelehnt
Sachverhalt und Anträge
1. In den Fällen J 11/91 und J 16/91, die mit Zustimmung der Beschwerdeführerin miteinander verbunden wurden, geht es jeweils um den Versuch zur Einreichung einer Teilanmeldung zu der am 5. August 1986 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 5. August 1985 eingereichten Stammanmeldung Nr. 86 906 040.0 (nachstehend "Stammanmeldung" genannt).
Die Stammanmeldung führte zu einem europäischen Patent; für die beiden vorliegenden Beschwerden sind folgende im Zusammenhang mit dem Patenterteilungsverfahren stehende Daten von Bedeutung. Am 14. März 1990 teilte das EPA der Anmelderin gemäß Regel 51 (4) EPÜ die Fassung mit, in der die Prüfungsabteilung das europäische Patent zu erteilen beabsichtigte. Am 19. Juli 1990 erklärte die Anmelderin ihr Einverständnis mit dieser Fassung. Am 3. August 1990 forderte das EPA dann die Anmelderin gemäß Regel 51 (6) EPÜ zur Entrichtung der Erteilungs- und der Druckkostengebühr und zur Einreichung von Übersetzungen der Ansprüche auf. Am 6. November 1990 wurden die Gebühren entrichtet und die Übersetzungen eingereicht.
Mit einem vom 21. Dezember 1990 datierten und an diesem Tag zur Post gegebenen Bescheid teilte das EPA der Anmelderin die Entscheidung über die Erteilung des Patents mit. In dem Bescheid hieß es, daß das europäische Patent "hiermit erteilt wird" und daß "diese Entscheidung an dem Tag wirksam wird, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen worden ist (Artikel 97 (4) und (5) EPÜ)". Der Hinweis auf die Erteilung sollte am 30. Januar 1991 im Europäischen Patentblatt 91/05 bekanntgemacht werden.
Am 11. Januar 1991 ersuchte die Anmelderin das EPA, "von seinem Ermessen Gebrauch zu machen" und die Einreichung einer Teilanmeldung zur Stammanmeldung zuzulassen.
Am 30. Januar 1991 wurde entsprechend Artikel 97 (4) EPÜ im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 231 373 auf die Stammanmeldung hingewiesen.
II. Am 29. Januar 1991 reichte die Anmelderin die europäische Patentanmeldung Nr. 91 101 158.3 als Teilanmeldung zur Stammanmeldung ein und entrichtete die erforderlichen Gebühren.
III. Am 22. Februar 1991 teilte die Eingangsstelle des EPA der Anmelderin gemäß Regel 69 (1) EPÜ mit, daß sie die Anmeldung nicht als europäische Teilanmeldung behandeln werde, weil nach Regel 25 (1) EPÜ Teilanmeldungen nach dem Zeitpunkt, zu dem der Anmelder gemäß Regel 51 (4) EPÜ sein Einverständnis mit der Fassung des künftigen Patents erklärt habe, nicht mehr eingereicht werden könnten.
Am 15. März 1991 beantragte die Anmelderin gemäß Regel 69 (2) EPÜ eine Entscheidung. Am 19. April 1991 entschied die Eingangsstelle unter Berufung auf Regel 25 (1) EPÜ, daß die Anmeldung nicht als Teilanmeldung zur Stammanmeldung zugelassen wird. Die Entscheidung wurde wie folgt begründet:
(1) Eine Teilanmeldung könne nicht mehr eingereicht werden, wenn das Verfahren zur Stammanmeldung bereits zu einem Patent geführt habe (s. Prüfungsrichtlinien A-IV, 1.1.2 und C-VI, 9.3). Nach Auffassung der Eingangsstelle sei das Verfahren zu diesem Fall am 19. Juli 1990, dem Tag, an dem die Anmelderin gemäß Regel 51 (4) EPÜ ihr Einverständnis mit der Fassung der Stammanmeldung erklärt habe, abgeschlossen worden.
(2) Das EPA sei nicht befugt, nach der Einverständniserklärung eine Teilanmeldung zuzulassen (R. 25 (1) EPÜ).
IV. Am 17. Juni 1991 legte der Vertreter der Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein (Aktenzeichen J 11/91). Die Beschwerdebegründung wurde am 4. August 1991 eingereicht.
In ihrer Beschwerdebegründung legte die Beschwerdeführerin dar, wie es zur Einreichung einer Teilanmeldung zu ihrer Stammanmeldung gekommen sei. Die Stammanmeldung sei ursprünglich im Namen der Firma Commtech International am 5. August 1986 eingereicht worden. Sie sei später als Teil eines größeren Patent- und Patentanmeldungspakets an die Beschwerdeführerin übertragen worden. Vereinbarungsgemäß habe die Beschwerdeführerin die Weiterverfolgung und Aufrechterhaltung der übertragenen Patentanmeldungen und Patente übernommen. Es habe mehrere Monate gedauert, bis man sich über die Einzelheiten zu jedem dieser Dokumente klar geworden sei. So habe ein Angestellter der Beschwerdeführerin erst am 17. oder 18. Dezember 1990 erstmals erkannt, daß die Offenbarung der Stammanmeldung und die Ansprüche einer anderen von der Beschwerdeführerin am 27. Mai 1987 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 27. Mai 1986 eingereichten europäischen Patentanmeldung möglicherweise kollidierten. Die Einreichung einer Teilanmeldung zur Stammanmeldung sei die einzige Möglichkeit gewesen, für den beiden Anmeldungen gemeinsamen Gegenstand ein europäisches Patent zu erlangen. Die daran anschließenden Vorgänge seien bereits beschrieben worden.
Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß die Regel 25 (1) EPÜ - wie immer die erklärte Absicht des Verwaltungsrats der EPO lauten möge, die der am 1. Oktober 1988 in Kraft getretenen Änderung dieser Regel zugrunde liege - die Einreichung einer Teilanmeldung nach der gemäß Regel 51 (4) EPÜ abgegebenen Einverständniserklärung nicht ausschließe. Die Formulierung "may file" in der englischen Fassung der Regel 25 (1) (bzw. "peut" und "kann" in der französischen und in der deutschen Fassung) schließe die Einreichung einer Teilanmeldung zu einem anderen Zeitpunkt nicht aus. Eine Kann-Bestimmung in der Form, daß der Anmelder unter bestimmten Umständen etwas tun dürfe, sage nichts darüber aus, was unter anderen Umständen möglicherweise erlaubt sei. Hilfsweise argumentierte die Beschwerdeführerin, es liege im Ermessen des EPA, in ganz außergewöhnlichen Fällen wie dem hier vorliegenden die Einreichung einer Teilanmeldung außerhalb der in Regel 25 (1) EPÜ genannten Frist, aber noch vor der Erteilung zuzulassen. Die Einreichung einer solchen Teilanmeldung würde für die Öffentlichkeit keinen Nachteil bedeuten und entspräche auch dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden.
Die Beschwerdeführerin verwies ferner auf die vor 1988 geltende Fassung der Regel 25 EPÜ, in der es konkret geheißen habe, daß eine Teilanmeldung jederzeit eingereicht werden könne, sofern die Prüfungsabteilung die Einreichung für sachdienlich halte. Die Frist, während deren eine Teilanmeldung von Rechts wegen habe eingereicht werden können, sei streng begrenzt gewesen. Durch die Änderung der Regel sei das Erfordernis, wonach die Prüfungsabteilung der Einreichung einer Teilanmeldung zustimmen müsse, weggefallen. Das bedeute jedoch nicht, daß damit dem EPA jeglicher Ermessensspielraum genommen sei. Die Eingangsstelle habe angegeben, durch die Einreichung einer Teilanmeldung nach der in der geänderten Fassung der Regel 25 (1) EPÜ genannten Frist würde der Zweck der Änderung umgangen. Die Beschwerdeführerin behauptete, nur der Wortlaut der Regel sei ausschlaggebend, nicht aber ein erklärter oder angenommener Zweck. Der Wegfall eines Ermessensspielraums widerspräche dem eindeutigen Bestreben des EPA, dem natürlichen Rechtsempfinden Rechnung zu tragen, wenn die Rechte Dritter dadurch nicht beeinträchtigt würden.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 4. Februar 1991 gemäß Artikel 122 EPÜ die Wiedereinsetzung in das ihr nach Artikel 76 EPÜ zustehende Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung zur Stammanmeldung und entrichtete die erforderliche Gebühr.
Der Wiedereinsetzungsantrag wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung (Hauptformalsachbearbeiter) vom 6. Mai 1991 zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde wie folgt begründet:
Eine Wiedereinsetzung sei nur möglich, wenn der Anmelder eine Frist gegenüber dem EPA versäumt habe. Die Regel 25 (1) EPÜ lege keine Frist fest. Sie nenne lediglich einen Zeitpunkt im Erteilungsverfahren, ab dem eine Teilanmeldung nicht mehr eingereicht werden dürfe. Dieser Zeitpunkt werde vom Anmelder bestimmt, indem er gemäß Regel 51 (4) EPÜ sein Einverständnis erkläre. Da keine Frist gegeben sei, die es einzuhalten gelte, sei auch eine Wiedereinsetzung nicht möglich. Außerdem sei es nach Regel 25 (1) EPÜ nicht in das Ermessen des EPA gestellt, nach Erklärung des Einverständnisses mit der zur Erteilung vorgesehenen Fassung die Einreichung einer Teilanmeldung zuzulassen. Die Regel gebe einen Zeitpunkt im Erteilungsverfahren an, bis zu dem eine Teilanmeldung eingereicht werden könne. Folglich könne eine solche Anmeldung danach nicht mehr eingereicht werden. Der am 1. Oktober 1988 in Kraft getretenen Änderung der Regel 25 EPÜ liege die Absicht zugrunde, das Erteilungsverfahren diesbezüglich durch Angabe eines eindeutigen, für den Anmelder von vornherein erkennbaren Zeitpunkts zu vereinfachen, zu dem Einigkeit über den Gegenstand des Schutzbegehrens bestehe.
VI. Mit Schreiben vom 17. Juni 1991, das beim EPA noch am selben Tag per Telekopie einging, legte der Vertreter der Beschwerdeführerin unter Entrichtung der Beschwerdegebühr gegen diese Entscheidung Beschwerde ein (Aktenzeichen J 16/91). Die Beschwerdebegründung wurde am 4. August 1991 eingereicht.
In ihrer Beschwerdebegründung gab die Beschwerdeführerin den bereits in der Sache J 11/91 dargelegten Sachverhalt an und argumentierte, daß trotz Beachtung aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die erforderliche Teilanmeldung nicht vor Erklärung des Einverständnisses mit der Fassung der Stammanmeldung habe eingereicht werden können; somit hätten auch die Erfordernisse der Regel 25 (1) EPÜ nicht erfüllt werden können. Als unmittelbare Folge habe die Beschwerdeführerin das ihr nach Artikel 76 zustehende Recht zur Einreichung der Teilanmeldung verloren. Daher, so ihr Argument, sei nach Artikel 122 EPÜ eine Wiedereinsetzung in dieses Recht möglich. Artikel 122 EPÜ solle sicherstellen, daß in entsprechenden Fällen ein Verfahrensfehler oder ein Versehen nicht zum Verlust eines wesentlichen Rechts führe. Daß das der Beschwerdeführerin nunmehr entstandene Problem nicht schon früher bemerkt worden sei, sei auf die durchaus ungewöhnliche Vorgeschichte der Stammanmeldung zurückzuführen, auf die die Beschwerdeführerin keinen Einfluß gehabt habe. Sobald das Problem erkannt worden sei, habe sie unverzüglich gehandelt, um die Situation zu retten.
Zu der angefochtenen Entscheidung brachte die Beschwerdeführerin vor, es sei nicht richtig, daß die Prüfungsabteilung nach Erteilung des Patents für einen Antrag nach Artikel 122 nicht zuständig sei. Artikel 122 gehe davon aus, daß ein Rechtsverlust entstanden sei. Im Normalfall sei eine Anmeldung beim EPA nicht anhängig, weil sie ja als zurückgenommen gelte. Im vorliegenden Fall habe jedoch zum maßgebenden Zeitpunkt eine anhängige Anmeldung vorgelegen. Sie brachte ferner vor, daß die Regel 25 (1) EPÜ sehr wohl eine Frist festlege. Diese Frist laufe spätestens bei Ablauf der Frist nach Regel 51 (4) EPÜ ab, könne aber auch schon eher ablaufen, wenn der Anmelder sein Einverständnis mit der vorgeschlagenen Fassung erkläre.
VII. Der Präsident des EPA wurde auf eigenen Antrag gemäß Artikel 12a der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (ABl. EPA 1989, 361) aufgefordert, sich zu äußern. Seine Stellungnahme läßt sich wie folgt zusammenfassen: In der Beschwerdesache J 11/91 könne die Anmeldung nicht als Teilanmeldung behandelt werden, weil sie nicht rechtzeitig eingereicht worden sei. Gemäß Regel 25 (1) EPÜ könne der Anmelder nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er gemäß Regel 51 (4) EPÜ sein Einverständnis mit der Fassung erkläre, in der das europäische Patent erteilt werden solle, eine Teilanmeldung zu der anhängigen früheren Patentanmeldung einreichen. Diese Vorschrift sei bindend. Es liege auch nicht im Ermessen des EPA, nach der Einverständniserklärung eine Teilanmeldung zuzulassen. Mit dem Wort "may" in der englischen Fassung der Regel 25 (1) EPÜ und den Wörtern "peut" und "kann" in der französischen bzw. in der deutschen Fassung solle lediglich verdeutlicht werden, daß die Einreichung einer Teilanmeldung freiwillig und nicht obligatorisch sei. Gemäß Artikel 76 (3) EPÜ würden das Verfahren und die besonderen Erfordernisse einer Teilanmeldung in der Ausführungsordnung geregelt. In Regel 25 (1) EPÜ werde ein wichtiger Punkt dieses Verfahrens festgelegt, nämlich der späteste Zeitpunkt für die Einreichung einer Teilanmeldung; daraus folge im Umkehrschluß, daß nach diesem Zeitpunkt eine Einreichung nicht mehr möglich sei.
Der Änderung der Regel 25 (1) EPÜ im Jahr 1988 habe die Absicht zugrunde gelegen, daß eine Teilanmeldung nach der Einverständniserklärung nicht mehr zugelassen werden sollte. In der früheren Fassung der Regel 25 EPÜ sei zwischen einer freiwilligen Teilung (für die die Zustimmung der Prüfungsabteilung erforderlich gewesen sei) und einer von der Prüfungsabteilung verlangten obligatorischen Teilung unterschieden worden. Um das Verfahren zu vereinfachen und der Prüfungsabteilung die Arbeit zu erleichtern, habe man auf diese Unterscheidung verzichtet und einen eindeutigen Zeitpunkt eingeführt, bis zu dem der Anmelder eine Teilanmeldung einreichen sollte. In diesem Punkt einen Ermessensspielraum einzuräumen, hieße die wirkliche Absicht des Gesetzgebers umgehen.
In der Beschwerdesache J 16/91 sei eine Wiedereinsetzung nicht möglich, da das EPA nach Erteilung des Patents nicht mehr zuständig sei. Jede weitere Entscheidung über bereits entschiedene Sachverhalte würde den Grundsatz der res judicata verletzen. Die in Regel 25 (1) EPÜ vorgesehene zeitliche Beschränkung sei keine Frist im Sinne des Artikels 122 EPÜ. Auch sei Artikel 122 EPÜ nicht als Instrument gedacht, um einem Beteiligten die Durchsetzung eines Sinneswechsels zu ermöglichen.
VIII. Am 19. März 1992 nahm die Beschwerdeführerin zur schriftlichen Äußerung des Präsidenten des EPA (s. VII) Stellung. Sie brachte vor, daß weder das Europäische Patentübereinkommen noch die Ausführungsordnung in der 1973 verabschiedeten ursprünglichen oder in der 1988 geänderten Fassung dahingehend ausgelegt werden könne, daß die Einreichung einer Teilanmeldung schon vor dem Zeitpunkt ausgeschlossen sei, zu dem das Patent auf die Stammanmeldung erteilt werde. Sei hingegen die Auslegung des Präsidenten richtig, so sei ihres Erachtens die Änderung der Regel 25 (1) EPÜ von 1988 in Überschreitung der Befugnisse (ultra vires) erfolgt. Zur Stützung dieses Standpunkts führte die Beschwerdeführerin an, daß weder im Übereinkommen noch in der Ausführungsordnung in der ursprünglichen Fassung ein Verbot zur Einreichung einer Teilanmeldung vor Erteilung des Patents enthalten oder eine Befugnis zur Einführung eines solchen Verbots vorgesehen sei. Artikel 76 (3) EPÜ gliedere sich in die folgenden drei Teile:
a) das Verfahren für die Einreichung europäischer Teilanmeldungen;
b) die besonderen Erfordernisse, denen diese Anmeldungen entsprechen müßten;
c) die Fristen für die Zahlung bestimmter Gebühren.
Zum besseren Verständnis der Bedeutung der "besonderen Erfordernisse" müsse Artikel 76 (3) EPÜ Artikel 78 (3) EPÜ gegenübergestellt werden. Letzterer beziehe sich auf die Erfordernisse für die Einreichung normaler europäischer Patentanmeldungen. Diese Erfordernisse beträfen den Inhalt der Anmeldung als solcher und nicht deren Einreichung. Artikel 76 (3) EPÜ könne nicht dahingehend verstanden werden, daß zu den "besonderen Erfordernissen" auch eine neue Rechtsvorschrift gehöre, wonach ab einem bestimmten Verfahrensstadium das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung erlösche. Eine solche Rechtsvorschrift sei kein Erfordernis, das die Anmeldung erfüllen müsse. Bis 1988 sei gemäß Regel 25 EPÜ jederzeit eine freiwillige Teilung der Anmeldung möglich gewesen, sofern die Prüfungsabteilung dies für sachdienlich erachtet habe. Die Übereinkommensparteien hätten nicht daran gedacht, die Einreichung einer Teilanmeldung vor Erteilung des Patents zu beschränken.
Die Befugnisse des Verwaltungsrats nach Artikel 33 EPÜ unterlägen zwei wichtigen Einschränkungen:
(1) Die Ausführungsordnung diene nicht dem Zweck, materiellrechtliche Vorschriften einzuführen, sondern dazu, die Durchführung des Übereinkommens sicherzustellen.
(2) Artikel 33 EPÜ unterliege Artikel 164 (2) EPÜ, wo es heiße, daß im Falle mangelnder Übereinstimmung zwischen Vorschriften des Übereinkommens und Vorschriften der Ausführungsordnung die Vorschriften des Übereinkommens vorgingen. Somit sei der Verwaltungsrat nicht befugt, die Ausführungsordnung in einer Weise zu ändern, die mit dem Übereinkommen nicht vereinbar sei. Bei der Regel 25 (1) EPÜ gehe es nicht nur um eine Verfahrensfrage; die Einführung einer neuen, unumstößlichen zeitlichen Beschränkung falle unter das materielle Recht.
Die Folgen der Einverständniserklärung seien nicht unter allen Umständen als unwiderruflich anzusehen. Die Prüfungsabteilung könne beschließen, einen Fall wiederaufzunehmen, wenn sie dies für angezeigt halte. Der Präsident räume ein, daß unter diesen Umständen eine Teilanmeldung eingereicht werden könne. So behaupte er, daß sich zwar in einem solchen Fall eventuell das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung ergeben könnte, daß es aber unter den hier gegebenen Umständen nicht im Ermessen des Amts liege, eine Teilanmeldung zuzulassen.
Der Präsident beziehe sich in seiner Stellungnahme auf eine Textstelle in den Materialien zu der 1988 vorgenommenen Änderung der Regel 25 (1) EPÜ, in der es folgendermaßen heiße: "An dieser Stelle sei betont, daß die Einreichung einer Teilanmeldung unter keinen Umständen mehr zulässig ist, sobald der Anmelder .. sein Einverständnis mit der Fassung erklärt hat". Da jedoch eingeräumt worden sei, daß es Umstände gebe, unter denen die Einreichung einer Teilanmeldung zulässig sei, könne man sich auf diese Passage nicht berufen. Es sei außerdem festzuhalten, daß die Regel 25 (1) EPÜ nach den Materialien darauf abziele, "unnötige und hinderliche Restriktionen zu beseitigen und im Interesse der Anmelder ... mehr Flexibilität zu gewährleisten" (CA/29/88, Zusammenfassung, 2. Absatz).
Im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung über die Erteilung des Patents wirksam werde, behaupte der Präsident, daß der Gegenstand der Stammanmeldung nach Ergehen dieser Entscheidung nicht mehr als anhängig gelten könne. Diese Auslegung widerspreche Artikel 97 (4) EPÜ, wo es konkret heiße: "Die Entscheidung über die Erteilung des europäischen Patents wird erst an dem Tag wirksam, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen worden ist."
Zu den Ausführungen des Präsidenten in der Frage der Wiedereinsetzung brachte die Beschwerdeführerin vor, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versuch zur Einreichung der Teilanmeldung unternommen worden sei, die Frist nach Regel 25 (1) EPÜ bereits abgelaufen und das EPA deshalb befugt gewesen sei, die Beschwerdeführerin in das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung wiedereinzusetzen. Der Präsident behaupte ferner, daß in Regel 25 (1) EPÜ keine Frist festgelegt werde, obwohl er selbst in seiner Stellungnahme in diesem Zusammenhang wiederholt von einer Frist spreche (siehe z. B. Absätze 2, 9 und 10 seines Schreibens).
Zusammenfassend machte die Beschwerdeführerin geltend, daß die vom Präsidenten vertretene Auslegung der Regel 25 (1) EPÜ mit dem Zweck der Ausführungsordnung nicht vereinbar sei und im Widerspruch zum Übereinkommen stehe. Deshalb solle das Übereinkommen vorgehen und dem Ermessen Raum gegeben werden, damit auch nach erfolgter Einverständniserklärung eine Teilanmeldung eingereicht werden könne. Sie behauptete ferner, daß auch die Wiedereinsetzung Ermessensache sei.
IX. Auf Antrag der Beschwerdeführerin fand am 25. März 1992 eine mündliche Verhandlung statt, bei der sowohl die Beschwerdeführerin als auch der Präsident des Amts vertreten waren.
Der Vertreter der Beschwerdeführerin berief sich dabei auf folgendes weiteres Argument.
Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem eine Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Erteilung des Patents wirksam werde, behauptete er, daß dies erst eintrete, wenn im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen worden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Anmeldung noch anhängig. Die Anhängigkeit der Anmeldung werde dadurch erhärtet, daß bis zu diesem Zeitpunkt das EPA eine Übertragung des Eigentums an einer Anmeldung eintrage und für die Anmeldung Jahresgebühren anfielen.
Am Ende der mündlichen Verhandlung stellte die Beschwerdeführerin folgende Anträge:
Ihr Hauptantrag betraf die Beschwerdesache J 11/91 und zielte auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Eingangsstelle vom 19. April 1991 sowie darauf ab, daß die europäische Patentanmeldung Nr. 91 101 158.3 als Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung Nr. 86 906 040.0 weitergeführt werden darf.
Ein Hilfsantrag betraf die Beschwerdesache J 16/91 und war auf die Aufhebung der Entscheidung der Prüfungsabteilung (Hauptformalsachbearbeiter) vom 6. Mai 1991 und die Wiedereinsetzung der Beschwerdeführerin in das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung zur europäischen Patentanmeldung Nr. 86 906 040.0 gerichtet.
Die Kammer behielt sich eine Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
1. Die miteinander verbundenen Beschwerden J 11/91 und J 16/91 sind zulässig.
2. Beschwerdesache J 11/91
2.1 Hintergrund zu den einschlägigen Rechtsvorschriften
2.1.1 Gemäß Artikel 76 (1) EPÜ können europäische Teilanmeldungen für einen Gegenstand eingereicht werden, der nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht; soweit diesem Erfordernis entsprochen wird, gilt die Teilanmeldung als an dem Anmeldetag der früheren Anmeldung eingereicht und genießt deren Prioritätsrecht. Nach Artikel 76 (3) EPÜ sind das Verfahren zur Durchführung des Absatzes 1, die besonderen Erfordernisse der europäischen Teilanmeldung und die Frist zur Zahlung der Anmeldegebühr, der Recherchengebühr und der Benennungsgebühren in der Ausführungsordnung vorgeschrieben.
2.1.2 Die Regel 25 EPÜ, die die Durchführungsvorschriften für die Einreichung europäischer Teilanmeldungen enthält, sieht vor, daß eine Teilanmeldung zur anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung "bis zu dem Zeitpunkt, zu dem [der Anmelder] gemäß Regel 51 Absatz 4 sein Einverständnis mit der Fassung erklärt, in der das europäische Patent erteilt werden soll", eingereicht werden kann.
2.1.3 Bis 1988 enthielt die Regel 25 EPÜ keine Beschränkung hinsichtlich des Zeitpunkts, bis zu dem eine solche Anmeldung eingereicht werden mußte, so daß dies in der Praxis jederzeit bis zur Erteilung des Patents möglich war. Die frühere Regel 25 Absätze 1 und 2 EPÜ, die später zweimal geändert wurde, lautete wie folgt:
"(1) Eine europäische Teilanmeldung kann eingereicht werden:
a) jederzeit, nachdem die frühere europäische Patentanmeldung dem Europäischen Patentamt zugegangen ist; nach Erhalt des ersten Bescheids der Prüfungsabteilung jedoch nur, wenn die Teilanmeldung innerhalb der in diesem Bescheid festgesetzten Frist eingereicht wird oder wenn nach Ablauf dieser Frist die Prüfungsabteilung die Einreichung einer Teilanmeldung für sachdienlich hält;
b) innerhalb von zwei Monaten nach der auf Aufforderung durch die Prüfungsabteilung erfolgten Beschränkung der früheren europäischen Patentanmeldung, wenn diese nicht Artikel 82 entspricht.
(2) Die Beschreibung und die Zeichnungen der früheren europäischen Patentanmeldung und einer europäischen Teilanmeldung sollen sich nach Möglichkeit nur auf den Gegenstand beziehen, für den in der betreffenden Anmeldung Schutz begehrt wird. Ist es erforderlich, in einer Anmeldung einen Gegenstand zu beschreiben, für den in einer anderen Anmeldung Schutz begehrt wird, so ist auf diese zu verweisen."
2.1.4 Damals wurde in Absatz 1 unterschieden zwischen einer obligatorischen Teilung wegen mangelnder Einheitlichkeit (1) b) und einer freiwilligen Teilung durch den Anmelder (1) a). Zur letzteren Möglichkeit gab es drei Alternativen hinsichtlich des Einreichungszeitpunkts:
a) jederzeit vor Stellung des Prüfungsantrags nach Artikel 94,
b) nach Erhalt des ersten Prüfungsbescheids nach Artikel 96 (2) innerhalb der für die Erwiderung auf diesen Bescheid festgesetzten Frist,
c) nach Ablauf dieser Frist, wenn der Prüfer die Einreichung einer Teilanmeldung für sachdienlich hielt.
Nach der ursprünglichen Fassung der Regel 25 EPÜ war also die Einreichung einer Teilanmeldung nach der in Regel 51 (4) EPÜ vorgesehenen Erklärung des Einverständnisses mit der zur Erteilung vorgesehenen Fassung nicht ausgeschlossen.
2.1.5 Zum Verfahren schrieben die Richtlinien, C-VI, 9.4 einen Vergleich der Teilanmeldung mit der früheren Anmeldung vor, um insbesondere sicherzustellen, daß in jeder Anmeldung nur Gegenstände beschrieben sind, die unter den Schutzumfang ihrer Ansprüche fallen. Dies bedeutete eine Verzögerung des Prüfungsverfahrens zu der früheren Anmeldung, weil in den meisten Fällen die Stammanmeldung geändert werden mußte. Außerdem mußte das Eintreffen der Teilanmeldung aus der Eingangsstelle in Den Haag abgewartet werden, wo die Teilanmeldung zuerst auf die Formerfordernisse geprüft wurde. In Fällen, in denen der Anmelder nach Erklärung seines Einverständnisses mit der Fassung der Stammanmeldung eine Teilanmeldung einreichte, ohne gleichzeitig eine Änderung der Stammanmeldung zu beantragen, wurde die Einreichung der Teilanmeldung als sachdienlich erachtet, weil die Stammanmeldung dadurch in keiner Weise berührt wurde (s. T 229/86 vom 28. September 1988, unveröffentlicht).
2.1.6 In der Folgezeit hielt man das Verfahren für zu umständlich und zeitraubend und die Zustimmung der Prüfungsabteilung bei freiwilliger Teilung nicht mehr für notwendig.
2.1.7 Infolgedessen wurde durch Beschluß des Verwaltungsrats vom 10. Juni 1988 (in Kraft seit 1. Oktober 1988, ABl. EPA 1988, 290) Regel 25 Absatz 1 EPÜ geändert und die derzeitige vereinfachte Fassung eingeführt, die für alle Teilanmeldungen nur noch einen Stichtag vorsieht. Die Verfahrensunterschiede zwischen freiwilliger und obligatorischer Teilung wurden aufgehoben.
2.1.8 Auch die Richtlinien wurden geändert. Ein Vergleich der Teilanmeldung mit der Stammanmeldung wurde nicht mehr verlangt. Stattdessen wurde vorgeschrieben, daß eine Änderung der Beschreibung nur verlangt werden sollte, wenn dies unbedingt erforderlich ist. Die Wiederholung von Gegenständen der Stammanmeldung in einer Teilanmeldung braucht nur beanstandet zu werden, wenn diese Gegenstände mit der in der Teilanmeldung beanspruchten Erfindung in keinem Zusammenhang stehen oder unvereinbar sind.
2.1.9 Als die Möglichkeit zur Einreichung einer Teilanmeldung bis zum Zeitpunkt der Erklärung des Einverständnisses mit der Fassung der Stammanmeldung befristet wurde, wurden offensichtlich die in der oben genannten Entscheidung T 229/86 ausgeführten Überlegungen und Gründe, aus denen eine Teilanmeldung auch nach diesem Zeitpunkt zugelassen werden kann, sofern an dem Einverständnis mit der Fassung der Stammanmeldung festgehalten wird, übersehen oder außer acht gelassen.
2.1.10 Die zweite, seit 1. Juni 1991 in Kraft befindliche Änderung (ABl. EPA 1991, 4) bestand in der Streichung des Absatzes 2, der überflüssig geworden war, weil sich überschneidende Beschreibungen der Stamm- und der Teilanmeldung generell akzeptiert wurden.
2.2 Zu entscheidende Fragen
Als erstes ist die Frage zu klären, ob die Eingangsstelle zu Recht entschieden hat, daß nach Regel 25 (1) EPÜ der Anmelder unter keinen Umständen nach dem Zeitpunkt, zu dem er gemäß Regel 51 (4) EPÜ seine Zustimmung zur Fassung der Stammanmeldung erklärt hat, eine Teilanmeldung einreichen darf. Ist dies nicht der Fall, so stellt sich die Frage, in welchem Stadium des Erteilungsverfahrens die Möglichkeit zur Einreichung einer europäischen Teilanmeldung erlischt. Zwei alternative Zeitpunkte sind hier in Betracht zu ziehen: der Zeitpunkt, zu dem die Prüfungsabteilung die Erteilung des europäischen Patents beschließt (Art. 97 (2) EPÜ), oder der Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung über die Erteilung gemäß Artikel 97 (4) EPÜ mit der Bekanntmachung im Europäischen Patentblatt wirksam wird. Diese drei Zeitpunkte werden im folgenden als Zeitpunkt nach Regel 25 (1), als Zeitpunkt nach Artikel 97 (2) und als Zeitpunkt nach Artikel 97 (4) bezeichnet.
2.3 Zeitpunkt nach Regel 25 (1)
2.3.1 In ihrer Entscheidung zugunsten des Zeitpunkts nach Regel 25 (1) EPÜ erklärte die Eingangsstelle, daß der Änderung der Regel 25 (1) EPÜ in Verbindung mit Regel 51 (4) EPÜ die Absicht zugrunde gelegen habe, das Erteilungsverfahren durch die Angabe eines für den Anmelder von vornherein erkennbaren, eindeutigen Zeitpunkts zu vereinfachen, zu dem Einigkeit über den Gegenstand des Schutzbegehrens bestehe.
2.3.2 Es wird in diesem Zusammenhang nicht bestritten, daß die Prüfungsabteilung auch nach Erklärung des Einverständnisses des Anmelders mit der Fassung, in der das Patent erteilt werden soll, einen Fall wiederaufnehmen kann, wenn sie einen einschlägigen Stand der Technik ermittelt hat. Es wird auch nicht bestritten, daß der Anmelder nach Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Prüfungsabteilung eine Teilanmeldung einreichen kann. In Anbetracht dessen muß die Regel 25 (1) EPÜ eng ausgelegt und gleichzeitig der Absicht des Gesetzgebers Rechnung getragen werden. Diese Absicht bestand darin, die dem EPA und dem Anmelder durch die alte Regel 25 EPÜ entstandenen Schwierigkeiten auszuräumen und das Verfahren zu vereinfachen. Ferner wollte man erreichen, daß an der genehmigten Fassung der Stammanmeldung nicht mehr gerüttelt und daß das Erteilungsverfahren zur Stammanmeldung nicht verzögert wird.
2.3.3 Nach Auffassung der Kammer ist die zeitliche Beschränkung in Regel 25 (1) EPÜ nicht gerechtfertigt; sie ist unbillig, weil bis zum Ende der Anhängigkeit der Anmeldung, d. h. bis zur Erteilung eines Patents auf die Stammanmeldung (dem Zeitpunkt also, ab dem das EPA an seine Entscheidung gebunden ist) mehrere Monate vergehen. Die Festlegung eines derart frühen Fristablaufs ist weder aus der Sicht des EPA noch aus der des Anmelders vonnöten. Außerdem kann nach Auffassung der Kammer Artikel 76 (3) EPÜ nicht dahingehend ausgelegt werden, daß er das Amt dazu ermächtigt, Teilanmeldungen zu einem Zeitpunkt zu untersagen, zu dem der Gegenstand, der aus der Stammanmeldung ausgeschieden worden ist, noch beim EPA anhängig ist. Gemäß Artikel 69 (2) Satz 2 EPÜ "bestimmt das europäische Patent in seiner erteilten Fassung rückwirkend den Schutzbereich der Anmeldung". Erst mit der Erteilung ist über den Gegenstand des Patents rechtskräftig entschieden, da mit der Erteilung endgültig feststeht, was zum Schutzbereich des Patents gehört und was nicht. Deshalb ist die Einverständniserklärung gemäß Regel 51 (4) EPÜ kein unwiderruflich vollzogener Schritt im Verfahren zur Stammanmeldung. Außerdem kann die Prüfungsabteilung gegebenenfalls - wenn sie dazu bereit ist - das Prüfungsverfahren auch nach der Einverständniserklärung wiederaufnehmen. In diesem Fall ist der Anmelder zweifellos berechtigt, eine Teilanmeldung einzureichen.
2.3.4 Es stellt sich die Frage, ob die Regel 25 (1) EPÜ in der 1988 geänderten Fassung mit Artikel 4G der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums sowie mit Artikel 76 EPÜ vereinbar ist. Die Pariser Verbandsübereinkunft gesteht dem Anmelder das Recht zur Teilung einer Patentanmeldung zu. Die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts - einschließlich der Frist, innerhalb deren dies zu geschehen hat - bleiben dem nationalen Recht überlassen (vgl. Bodenhausen, Guide to the Paris Convention, BIRPI, 1968, S. 57). Somit besteht kein Zweifel darüber, daß das EPÜ eine Frist setzen darf, innerhalb deren der Anmelder eine Teilanmeldung einreichen muß. Diese Frist sollte jedoch nicht willkürlich gewählt werden; es ist zweifelhaft, ob die Pariser Verbandsübereinkunft als Rechtfertigung dafür herangezogen werden kann, daß die Möglichkeit zur Einreichung einer Teilanmeldung schon mehrere Monate, bevor die Stammanmeldung zu einem rechtskräftigen Patent führt, entzogen wird. Es gibt keinen triftigen Grund, den Zeitpunkt derart früh anzusetzen. Artikel 76 (3) EPÜ, in dem das Verfahren für die Einreichung einer Teilanmeldung festgelegt ist, sieht vor, daß in der Ausführungsordnung erstens die "besonderen Erfordernisse der europäischen Teilanmeldung" und zweitens die Fristen zur Zahlung bestimmter Gebühren vorgeschrieben werden. Es ist fraglich, ob Artikel 76 EPÜ eine Grundlage für die Festsetzung einer Frist für Teilanmeldungen bietet, solange die Stammanmeldung noch anhängig ist. In diesem Artikel wird zwischen besonderen Erfordernissen, unter denen wohl die Erfordernisse zu verstehen sind, die die Anmeldung erfüllen muß, und der Festsetzung bestimmter Fristen unterschieden. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß die von den Vertragsstaaten gleichzeitig mit dem EPÜ angenommene Ausführungsordnung in der ursprünglichen Fassung keine konkrete Frist vorsah, innerhalb deren eine Teilanmeldung eingereicht werden mußte. Die Befugnis des Verwaltungsrats zur Änderung der Ausführungsordnung hinsichtlich Teilanmeldungen läßt sich nur aus Artikel 76 EPÜ ableiten. In der Ausführungsordnung dürfen nur Verfahrensfragen, nicht jedoch materiellrechtliche Fragen geregelt werden. Es stellt sich die Frage, ob die mit Regel 25 (1) EPÜ eingeführte neue Frist verfahrens- oder materiellrechtlichen Charakter hat. Dies läßt sich anhand folgender Frage feststellen: "Werden die Rechte des Anmelders durch die neue Regelung entscheidend beschnitten?" Die Einführung einer Frist vor dem tatsächlichen Abschluß des Verfahrens stellt nach dem Dafürhalten der Kammer eine erhebliche Beschneidung dieses Grundrechts des Anmelders dar, die - wie gesagt - nicht gerechtfertigt ist. Nachdem die ursprüngliche Anmeldung noch anhängig ist, würde die spätere Einreichung einer Teilanmeldung weder die zur Erteilung vorgesehene Fassung der Stammanmeldung berühren noch das dazulaufende Patenterteilungsverfahren vor dem EPA beeinträchtigen.
2.3.5 Wie oben dargelegt, stellt die Erklärung des Einverständnisses mit der Fassung einer Anmeldung keinen unwiderruflich vollzogenen Schritt im Prüfungsverfahren vor dem EPA dar. Der Zeitpunkt der Einverständniserklärung ist kein endgültiger Zeitpunkt, da die Sache wiederaufgenommen werden kann. Auch später kann es noch Gelegenheiten zur Einreichung einer Teilanmeldung geben; so kann z. B. im Falle der Zurückweisung der Patentanmeldung Beschwerde eingelegt und in deren Zug eine Teilanmeldung eingereicht werden. Es läßt sich nur schwerlich rechtfertigen, daß ein unabänderlicher Rechtsverlust an einen reversiblen Vorgang geknüpft und dem EPA die Rückgängigmachung dieses Vorgangs gestattet, dem Anmelder hingegen verweigert wird.
2.3.6 Aus diesen Gründen vertritt die Kammer die Auffassung, daß die Regel 25 (1) EPÜ gegen Artikel 76 EPÜ verstößt und nicht den Zeitpunkt bezeichnet, zu dem eine Teilanmeldung zu einer noch anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung spätestens eingereicht werden muß.
2.4 Zeitpunkt nach Artikel 97 (2)
Das EPA und der Anmelder sind an die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Erteilung des Patents gebunden. Die Entscheidung kann danach vom EPA nicht mehr überprüft werden. Sie wird rechtskräftig; nur sprachliche Fehler, Schreibfehler und offenbare Unrichtigkeiten können gemäß Regel 89 EPÜ berichtigt werden. Im schriftlichen Verfahren ist der Zeitpunkt, zu dem die Beteiligten an die Entscheidung über die Erteilung gebunden sind, das Datum der Postaufgabe. Nach diesem Tag kann die Prüfungsabteilung das Verfahren auch mit Zustimmung des Anmelders nicht wieder aufnehmen (s. auch Richtlinien C-VI, 4.10 und G. Gall in GRUR Int. 1983, 11).
2.5 Zeitpunkt nach Artikel 97 (4)
2.5.1 Gemäß Artikel 97 (4) EPÜ wird die in Artikel 97 (2) EPÜ genannte Entscheidung über die Erteilung erst an dem Tag wirksam, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen worden ist.
2.5.2 Mit der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung im Europäischen Patentblatt werden dem Patentinhaber Rechte in den Vertragsstaaten verliehen. Die Bekanntmachung setzt auch die Frist in Lauf, innerhalb deren Einspruch gegen das Patent eingelegt werden muß. Somit ist die Bekanntmachung der Patenterteilung der Zeitpunkt, zu dem der Schutz aus dem Patent gegenüber Dritten wirksam wird. Die Beschwerdeführerin behauptet, daß die Entscheidung über die Erteilung bis zum Bekanntmachungstag auch für den Anmelder wirkungslos sei und daß die Anmeldung bis zu diesem Zeitpunkt anhängig sei. Zur Stützung dieses Arguments weist sie darauf hin, daß die Anmeldung in diesem Stadium vom EPA insofern noch wie eine anhängige Anmeldung behandelt werde, als zum Beispiel bis zu diesem Zeitpunkt Übertragungen des Eigentums an der Anmeldung vom EPA eingetragen würden und Jahresgebühren für die Anmeldung zu entrichten seien.
2.6 Die Kammer bestreitet nicht, daß bestimmte Wirkungen der Entscheidung über die Erteilung von deren Bekanntmachung gemäß Artikel 97 (4) EPÜ abhängen. Sie ist allerdings der Auffassung, daß der Tag, an dem die Erteilung gemäß Artikel 97 (2) EPÜ beschlossen wird, der maßgebende Zeitpunkt für das Verhältnis zwischen dem EPA und dem Anmelder ist. Das EPA ist nach diesem Zeitpunkt hinsichtlich der zur Erteilung vorgesehenen Fassung der Ansprüche, der Beschreibung und der Zeichnungen an seine Entscheidung gebunden; der Gegenstand der Patentfassung wird zu diesem Zeitpunkt rechtskräftig. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz wird von allen Gerichten und in allen Rechtsverfahren angewandt; ihm liegt der Gedanke zugrunde, daß jeder Rechtsstreit ein Ende haben muß. Er bedeutet, daß die Rechte und Pflichten der Beteiligten durch die betreffende Entscheidung festgelegt worden sind und die Beteiligten die Streitfragen nicht wiederaufnehmen können. Daß die Wirkung der Entscheidung gegenüber Dritten nicht zum selben Zeitpunkt eintritt, ändert für die an der Entscheidung Beteiligten (hier der Anmelder und das EPA) nichts an dieser Sachlage.
3. Beschwerdesache J 16/91
3.1 Nach Artikel 122 EPÜ wird der Anmelder, der trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden ist, gegenüber dem EPA eine Frist einzuhalten, wieder in den vorigen Stand eingesetzt, wenn die Versäumung der betreffenden Frist einen Rechtsverlust zur Folge hat.
3.2 In diesem Fall hat es die Anmelderin nicht nur bis zu dem in Regel 25 (1) EPÜ festgesetzten Zeitpunkt, sondern auch bis zur Entscheidung über die Erteilung gemäß Artikel 97 (2) EPÜ unterlassen, eine Teilanmeldung einzureichen. Tatsächlich wurde die Anmeldung am Tag vor der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung im Europäischen Patentblatt eingereicht. Damit eine Wiedereinsetzung möglich ist, muß gegenüber dem EPA eine Frist versäumt worden sein, d. h. eine dem Anmelder durch das EPÜ oder durch einen Beamten des Amts konkret gesetzte Frist, innerhalb deren er eine bestimmte Handlung vornehmen muß. Die letzte Frist, die der Anmelderin in diesem Falle vom EPA gesetzt wurde, stand in der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ, in der sie aufgefordert wurde, ihr Einverständnis mit der Fassung zu erklären, in der die Prüfungsabteilung das Patent zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erteilen beabsichtigte. Diese Frist hat die Anmelderin gewahrt und das verlangte Einverständnis erteilt.
3.3 Eine andere Frist im Sinne des Artikels 122 EPÜ ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Tag der Entscheidung über die Erteilung ist nicht das Ende einer Frist, deren Beachtung von der Anmelderin im Laufe des Prüfungsverfahrens vom EPA verlangt worden wäre. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in bezug auf eine Entscheidung kennt das EPÜ nicht. Das dort vorgesehene Rechtsmittel bei Entscheidungen, durch die ein Beteiligter beschwert wird, ist die Beschwerde gemäß Artikel 108 EPÜ.
3.4 Aus diesen Gründen kann der Anmelder nicht gemäß Artikel 122 EPÜ wieder in das Recht zur Einreichung einer Teilanmeldung eingesetzt werden, wenn die Teilanmeldung nach der Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents auf die frühere Anmeldung (Stammanmeldung) eingereicht wird.
4. Gebührenrückzahlung
4.1 Da die Beschwerde in der Sache J 11/91 zurückzuweisen ist, stellt sich die Frage, ob die für die Teilanmeldung entrichteten Gebühren, nämlich hier die Anmeldegebühr, die Recherchengebühr, die Benennungsgebühren, die Jahresgebühren, die Prüfungsgebühr und die Anspruchsgebühr, zurückzuzahlen sind.
4.2 Hier ist Artikel 90 (2) EPÜ heranzuziehen. Er sieht folgendes vor: "Kann ein Anmeldetag nicht zuerkannt werden, ... so wird die Anmeldung nicht als europäische Patentanmeldung behandelt." Die Gebühren für eine europäische Patentanmeldung werden umsonst entrichtet, wenn der Anmeldung nach Gebührenzahlung kein Anmeldetag zuerkannt wird. Die Gebühren sind deshalb zurückzuzahlen (Münchner Gemeinschaftsktr., Art. 90, Rdn. 81). Der Begriff "Anmeldetag" in Artikel 90 (2) EPÜ wirft Probleme auf, weil einer Teilanmeldung auch ein Anmeldetag zuerkannt werden kann, der nicht der Anmeldetag der Stammanmeldung ist. Andererseits hat die Anmelderin ausdrücklich beantragt, eine Teilanmeldung im Sinne des Artikels 76 EPÜ einreichen zu dürfen. Gemäß Absatz 1 dieses Artikels "gilt die Teilanmeldung als an dem Anmeldetag der früheren Anmeldung eingereicht und genießt deren Prioritätsrecht". Eine andere Anmeldung wäre für die Anmelderin uninteressant, weil die Stammanmeldung sonst für die später eingereichte Teilanmeldung neuheitsschädlich wäre. Deshalb kommen nur der Anmelde- und (gegebenenfalls) der Prioritätstag der früheren Anmeldung in Frage. Werden der Anmeldung diese Tage nicht zuerkannt, so kann es nicht zu einer Teilanmeldung kommen. Dieser Fall ist vergleichbar mit dem in Artikel 90 (2) EPÜ behandelten, so daß eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung gerechtfertigt ist. Der Fall, daß eine Anmeldung nicht als Teilanmeldung eingereicht werden darf, was implizit bedeutet, daß der Anmelder nicht in den Genuß des Anmelde- und des Prioritätstags der Stammanmeldung kommt, ist von denjenigen Fällen zu unterscheiden, in denen die Teilanmeldung wegen materiellrechtlicher Mängel zurückgewiesen wird. In diesen Fällen ist natürlich keine Gebührenrückzahlung möglich. Nur wenn die Teilanmeldung nicht zulässig ist, weil ihr nicht der maßgebliche Anmelde- bzw. Prioritätstag der Stammanmeldung zuerkannt werden kann, können die bereits entrichteten Gebühren zurückgezahlt werden.
4.3 Die Regelung nach Artikel 79 (3) Satz 3 EPÜ, wonach die Benennungsgebühren nicht zurückgezahlt werden, kommt nicht zur Anwendung, weil sie eine anhängige Anmeldung voraussetzt, was hier nicht der Fall ist (s. auch Art. 77 (5) Satz 2 EPÜ).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
2. Die Rückzahlung folgender Gebühren wird angeordnet: Anmeldegebühr, Recherchengebühr, Benennungsgebühren, Jahresgebühren, Prüfungsgebühr und Anspruchsgebühren.