T 0868/06 (Thermocycler-Deckel/APPLERA) 07-08-2007
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Thermocyclervorrichtung
Eppendorf AG
Beitretende:
Clemens GmbH
Analytik Jena AG
Peqlab Biotechnologie GmbH
SensoQuest GmbH
Neuheit: nein (Hauptantrag)
Klarheit: nein (Hilfsanträge 1 und 2)
Zulässigkeit unter Artikel 123 (2) EPÜ: nein (Hilfsantrag 3)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den gegen das Europäische Patent Nr. 1 013 342 eingelegten Einspruch zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung gelangte in ihrer Entscheidung zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents im Hinblick auf den von der Einsprechenden angezogenen Stand der Technik neu und erfinderisch sei.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) machte in ihrer Beschwerdebegründung unter anderem mangelnde Neuheit geltend. Sie berief sich insbesondere auf den vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents erfolgten Vertrieb von Thermocycler-Vorrichtungen des Typs "PTC-200 DNA Engine" mit "Power Bonnet" der Firma MJ Research und stütze sich diesbezüglich auf die folgenden Dokumente:
D4: "The MJ Research Notebook", Volume VII, No. 2, Spring 1997
D4a: Vergrößerung der Abbildung links oben in D4
D4b: Werbebroschüre der Firm MJ Research "Peltier Thermal Cycler - The PTC-200 DNA Engine" mit dem Referenzcode "SSDE-961025".
IV. In ihrem Antwortschreiben hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) Anspruch 1 des erteilten Patents einer Merkmalsanalyse unterworfen und dessen Wortlaut wie folgt gegliedert (Nummerierung der Beschwerdegegnerin):
1. Thermocyclervorrichtung zur Durchführung chemischer und/oder biologischer Reaktionen, mit
2. einem Basiskörper (2), an dem
2.1 zum Aufnehmen eines oder mehrerer nach oben offener Reaktionsgefäße (5)
2.2 ein Aufnahmebereich (3) ausgebildet ist,
3. einem Deckel (6)
3.1 zum Schließen des Aufnahmebereichs (3) des Basiskörpers (2),
4. einem Schließmechanismus (23, 24)
4.1 zum Fixieren des Deckels (6) auf dem Basiskörper (2),
gekennzeichnet durch
5. ein elektrisch ansteuerbares Stellglied (20),
5.1 das derart angeordnet ist, daß
5.1.1 nach dem Fixieren des Deckels (6) auf dem Basiskörper (2)
5.1.2 der Deckel (6) und das bzw. die Reaktionsgefäße (5) durch das Stellglied (20) aneinander gedrückt werden können.
Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Vorrichtungen des in D4 bis D4b beschriebenen Typs "DNA Engine" mit "Power Bonnet" nicht neuheitsschädlich seien. Zur Stützung ihres Vorbringens reichte sie (als "Anlage 1) folgendes Dokument ein:
D9: "Power Bonnet User's Manual", "Suppl.2 to DNA Engine Operations Manual V1.0 (July 1996)", der Firma MJ Research
V. Mit ihren jeweiligen Schreiben vom 4. Dezember 2006 beziehungsweise 15. Dezember 2006 haben die Firmen Clemens GmbH (Beitretende 1), Analytik Jena AG (Beitretende 2) und Peqlab Biotechnologie GmbH (Beitretende 3) unter Gebührenzahlung und Einreichung von Kopien der jeweiligen Klageschrift der Beschwerdegegnerin ihren Beitritt zum vorliegenden Verfahren gemäß Artikel 105 EPÜ erklärt. In ihren Beitrittserklärungen machten die Beitretenden 1 und 3 unter anderem mangelnde Neuheit im Hinblick auf D9 selbst und auf die ebenfalls geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung der in D9 angesprochenen bzw. beschriebenen Geräten des Typs "PTC-200 DNA Engine" und "Power Bonnet" der Firma MJ Research geltend, zu deren Nachweis sie weitere Dokumente vorlegten.
VI. Die Beitretende 2 machte in ihrer Beitrittserklärung unter anderem mangelnde Neuheit der beanspruchten Vorrichtung geltend, unter anderem im Hinblick auf Verkäufe bestimmter Thermocycler-Vorrichtungen mit "Power Bonnet". Im Zusammenhang mit der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung bezog sie sich unter anderem auf folgende Dokumente:
D20: Eidesstattliche Versicherung des Herrn Prechel
D22: Belege zum Verkauf von "Multicycler PTC 200" bzw. in Verbindung mit "Power Bonnet" durch die Firma Biozym Diagnostic GmbH
D23: Prospekt der Firma Biozym Diagnostik GmbH "MULTI . MAXI . MINI CYCLER", Ausgabe 7/97
VII. In ihrer Erwiderung auf die Beitritte 1 bis 3 bestritt die Beschwerdegegnerin weiterhin die Neuheitsschädlichkeit der D9 und der in D4 bis D4b beschriebenen Geräte. Der Prospekt D23 dokumentiere augenscheinlich nichts anderes als D4 bis D4b.
VIII. Mit ihrem Schreiben vom 24. April 2007 hat die Firma SensoQuest GmbH (Beitretende 4) unter Gebührenzahlung und Einreichung einer Kopie der Klageschrift der Beschwerdegegnerin ihren Beitritt zum vorliegenden Verfahren gemäß Artikel 105 EPÜ erklärt. Die Beitretende 4 machte ebenfalls mangelnde Neuheit geltend, unter anderem auf Basis der bereits von den Beitretenden 1 und 3 vorgebrachten Fakten und Argumente.
IX. In Vorbereitung der anberaumten mündlichen Verhandlung kommentierte die Kammer in Mitteilung vom 6. Juni 2006 die bis dahin eingereichten Anträge und Beweismittelmittel und setzte eine Frist zur Einreichung eventueller weiterer Schriftsätze, Anträge oder Beweismittel.
X. Mit einem am 9. Juli 2007 eingegangenen Schreiben hat die Beschwerdegegnerin zwei geänderte Anspruchssätze als Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des erteilten Patents dadurch, dass nach dem Satzteil "elektrisch ansteuerbares Stellglied (20)," der Relativsatz "durch das eine Andrückkraft über einen großen Bereich frei variierbar ist und" eingefügt ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des erteilten Patents dadurch, dass an derselben Stelle der Relativsatz "durch das eine Andrückkraft über einen großen Bereich frei variierbar und exakt dosierbar ist und" eingefügt ist.
XI. Die Beitretende 2 hat mit ihrem Schreiben vom 9. Juli 2007 unter anderem folgendes zusätzliche Dokument eingereicht:
D20A: Zweite eidesstattliche Versicherung des Herrn Prechel
XII. In ihrem am 10. Juli 2007 eingegangenen Schreiben hat die Beschwerdegegnerin zum Vorbringen der Beitretenden 4 Stellung genommen. Sie bestritt darin explizit die geltend gemachte öffentliche Vorbenutzung der in D9 beschriebenen Vorrichtung, da diese durch die weiteren von den Beitretenden vorgelegten Dokumente nicht bewiesen sei.
XIII. Mit ihrer Eingabe vom 10. Juli 2007 hat die Beschwerdeführerin unter anderem die folgenden zusätzlichen Dokumente eingereicht:
D26: Rechnung bezüglich des Verkaufs eines "Thermoblocks 96 VM"
D27: Stellungnahme von Prof. Feldhusen zur Vorbenutzung Power Bonnet "PTC-200 DNA Engine"
D28: Technischer Bericht der Fa. Eppendorf zur Funktionsweise des "Power Bonnet"
XIV. Vor Beginn der mündlichen Verhandlung am 7. August 2007 hat die Beitretende 2 per Telefax ihren Beitritt zurückgenommen.
In Verlauf der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin, im Anschluss an die Diskussion der Hilfsanträge 1 und 2, einen weiteren geänderten Anspruchssatz als Hilfsantrag 3 eingereicht.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des erteilten Patents dadurch, dass nach dem Satzteil "elektrisch ansteuerbares Stellglied (20)," der Relativsatz "durch das eine Andrückkraft im Bereich von 150 bis 800 N ausgeübt werden kann und" eingefügt ist.
XV. Die entscheidungserheblichen Ausführungen der Parteien können wie folgt zusammengefasst werden:
Hauptantrag
Die Beschwerdeführerin machte die offenkundige Vorbenutzung von Thermocyclern des Typs "PTC-200 DNA Engine" mit "Power Bonnet" der Firma MJ Research geltend, welche unter anderem durch D4/D4a/D4b, D20, D22, D23 und D26 belegt sei. Aus D4/D4a/D4b, D20, D20A, D23, D27 und D28 gehe hervor, dass die vorbenutzten Vorrichtungen alle Merkmale von Anspruch 1 des Streitpatents aufweisen. Dessen Gegenstand sei demnach nicht neu. Eine enge Auslegung des Anspruchswortlauts im Hinblick auf in der Beschreibung offenbarte bevorzugte Ausführungsformen sei nicht angebracht. Die Beitretenden haben sich der Argumentation der Beschwerdeführerin angeschlossen und zusätzlich mangelnde Neuheit im Hinblick auf D9 geltend gemacht.
Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung die offenkundige Vorbenutzung von Thermocyclern des Typs "PCT-200 DNA Engine" mit "Power Bonnet" durch vor dem Prioritätstag erfolgte Verkäufe nicht bestritten. Das Patent sei aber im Lichte der Beschreibung auszulegen, und mit der Bereitschaft, es zu verstehen (wörtlich: "with a mind willing to understand"). Im Hinblick auf die Beschreibung sei der "Schliessmechanismus zum Fixieren des Deckels" gemäß Anspruch 1 als Widerlager für die beim Aneinander-Drücken des Deckels und der Reaktionsgefäße wirkenden Kräfte auszulegen. Ferner sei Anspruch 1 im Hinblick auf die Beschreibung (Aufgabe in Abschnitt [0006] und Abschnitt [0038]) dahingehend auszulegen, dass verschieden hohe Kräfte ausgeübt werden können sollen, beispielsweise durch Ansteuerung der Laufzeit des verwendeten Motors. Der durch das elektrisch ansteuerbare Stellglied auszuübende Druck müsse individuell einstellbar und variierbar sein, und zwar nach dem Fixieren des Deckels. Eine derartige Vorrichtung werde weder durch die geltend gemachte Vorbenutzung noch durch D9 offenbart. Insbesondere werde kein klassischer, ein Widerlager bildender Schließmechanismus zum Fixieren des Deckels offenbart. In der vorbenutzten Vorrichtung werde lediglich der Deckel durch einen Motor geschlossen, von einer Fixierung des Deckels im Sinne von Anspruch 1 könne - wenn überhaupt - erst bei Erreichen der Endposition der Deckelbewegung die Rede sein. Nach diesem Zeitpunkt sei jedoch eine Änderung des aufgebrachten Drucks nicht mehr möglich. Zudem werde die Kraft, mit der das innere Deckelsegment auf die Reaktionsgefäße drückt, per Daumenrad manuell voreingestellt, sie sei also konstruktiv vorgegeben. Demnach weise besagte Vorrichtung kein elektrisch ansteuerbares Stellglied im Sinne von Anspruch 1 auf.
Hilfsanträge 1 und 2
Die Beschwerdeführerin und die Beitretenden 1, 3 und 4 beanstandeten in der mündlichen Verhandlung die im jeweiligen Anspruch 1 beider Anträge vorgenommenen Änderungen sowohl unter Artikel 123 (2) als auch unter Artikel 84 EPÜ. Insbesondere sei die freie oder beliebige Variierbarkeit der Andrückkraft lediglich im Zusammenhang mit jenen speziellen Ausführungsformen der Vorrichtung offenbart worden, welche einen elektrochemischen Linearmotor als Stellglied enthielten. Andererseits sei nicht klar, was unter den relativen Begriffen "großer Bereich" und "frei variierbar" zu verstehen sei.
Die Beschwerdegegnerin verwies bezüglich der wörtlichen Offenbarung der zusätzlichen Merkmale auf Spalte 8, Zeilen 37 und 38 des Streitpatents. Ihrer Auffassung nach bestünde kein enger oder untrennbarer Zusammenhang zwischen den besagten Merkmalen und dem Einsatz eines elektrochemischen Linearmotors. Der Fachmann würde vielmehr verstehen, dass der elektrochemische Linearmotor zwar bevorzugt sei, aber jeweils nur stellvertretend oder symbolisch für alle anderen in Frage kommenden Stellglieder beschrieben sei, welche die gleichen Funktionen erfüllen könnten. Die beiden relativen Begriffe seien im Hinblick auf die Beschreibung (Abschnitte [0006], [0010], [0029] und [0038]) klar. Die ausgeübte Andrückkraft sei individuell, beliebig bzw. frei variierbar und an die Anzahl der in der Vorrichtung befindlichen Reaktionsgefäße anpassbar. Bezüglich des Begriffs "großer Bereich" argumentierte sie, dass die Kraft je nachdem, ob sich ein oder mehrere Reaktionsgefäße in der Vorrichtung befänden, variiert werden könne. Bezüglich der dafür erforderlichen Kraft verwies sie auf Spalte 6, Zeilen 47 bis 52 des Streitpatents, wo Werte von 150 N bis 800 N erwähnt seien.
Hilfsantrag 3
Die Beschwerdeführerin und die Beitretenden 1, 3 und 4 waren der Auffassung, dass Hilfsantrag 3 wegen seiner späten Einreichung nicht zuzulassen sei. Die Beitretenden 1, 3 und 4 verwiesen diesbezüglich auch auf den Inhalt der Mitteilung der Kammer in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Die Beschwerdegegnerin habe ausreichend Zeit gehabt, Hilfsanträge zu einem früheren Zeitpunkt einzureichen. Zusätzlich wurde von der Beschwerdeführerin betont, dass in der mündlichen Verhandlung keine nach Ablauf der durch die Kammer gesetzten Frist vorgebrachten Tatsachen diskutiert worden sind, und dass die gegen die Hilfsanträge 1 und 2 vorgebrachten Einwände nicht als überraschend angesehen werden könnten. Ferner verwies sie auf das Buch "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 5. Auflage 2006, Abschnitt VII.D.14.2, wo insbesondere in dem die Seiten 737 und 738 verbindenden Satz das Kriterium der eindeutigen Zulässigkeit von Änderungen in den Ansprüchen angesprochen wird.
Die Beschwerdegegnerin machte diesbezüglich unter anderem geltend, dass die Einwände gegen die Hilfsanträge 1 und 2 erstmals in der mündlichen Verhandlung erhoben wurden. Sie habe demnach ein berechtigtes Interesse an der Einreichung eines Hilfsantrags, welches sich aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung heraus ergeben habe.
Im Rahmen der Diskussion der Zulässigkeit des Antrags ist von allen Parteien erschöpfend zur Zulässigkeit der Änderung von Anspruch 1 im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ vorgetragen worden. Dies wurde von den Parteien ausdrücklich bestätigt.
Als Stütze für den geänderten Anspruch 1 gab die Beschwerdegegnerin folgende Passagen des Streitpatents an, welche auch in der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung (in der Folge mit "Anmeldung" bezeichnet) zu finden seien: Spalte 6, Zeilen 50 bis 52 und Anspruch 8 in Verbindung mit Spalte 8, Zeilen 41 bis 51. Sie war der Auffassung, dass in Anspruch 1 klar jener Bereich zum Ausdruck gebracht sei, innerhalb dessen die Andrückkraft ausgeübt werden soll. Das in der Beschreibung angegebene Merkmal "maximal" sei implizit durch die Obergrenze des nunmehr beanspruchten Bereichs wiedergegeben. In Anspruch 1 sei nicht vom Stellglied per se die Rede, sondern von der Andrückkraft, welche das Stellglied ausüben könne. Der Fachmann würde im Hinblick auf die Passage in Spalte 8 verstehen, dass der Linearmotor nur beispielhaft angegeben sei. Es sei klar, dass jedes Stellglied den gewünschten Druck einstellen können müsse, wozu eine Kraft im Bereich von 150 bis 800 N erforderlich sei.
Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, dass der Bereich von 150 N bis 800 N nicht allgemein, sondern lediglich im Zusammenhang mit den bevorzugten elektrochemischen Linearmotoren offenbart sei. Das Isolieren des Wertebereichs aus dem Kontext der Beschreibung sei demnach unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig. Die Beitretenden 1, 3 und 4 haben diesbezüglich auch noch auf die unterschiedliche Formulierungen in Anspruch 8 und Spalte 6 hingewiesen, und beanstandet, dass das Wort "maximal" in den geänderten Anspruch 1 nicht mit aufgenommen wurde.
XVI. Die Beschwerdeführerin und die Beitretenden 1, 3 und 4 beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und der Einsprüche der Beitretenden, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2, beide eingegangen am 9. Juli 2007, oder gemäß Hilfsantrag 3, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig, und die Beitritte 1, 3 und 4 erfüllen die Bedingungen des Artikels 105 EPÜ. Dies wurde nicht bestritten.
Hauptantrag
2. Neuheit
2.1 Aus dem Prospekt D23 ist ersichtlich, dass Geräte des Typs "PTC-200 DNA Engine" der Firma MJ Research von der Firma Biozym Diagnostik GmbH vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents als "Multicycler PTC 200" zumindest ab 1997 zum Verkauf angeboten wurden, wahlweise auch zusammen mit dem "Power Bonnet" der Firma MJ Research, siehe Seite 1 (unten), die Zuordnung der Warenzeichen "DNA Engine" und "Power Bonnet" zur Firma MJ Research sowie den Vermerk "Ausgabe 7/97", Seite 2, linke und mittlere Spalten und Seite 10, oberste Tabelle. Auf Seite 2 ist die Abbildung eines "MultiCycler PTC 200" zu sehen, der die Aufdrucke "MJ Research", "PTC-200" und "DNA Engine" trägt und dem Augenschein nach dem in dem Dokument D4/D4a (ebenfalls aus 1997) gezeigten Gerät entspricht. Aus den Belegen D26 und D22 in Verbindung mit D20 und D23 geht hervor, dass sowohl "MultiCycler PTC 200" als auch "Power Bonnets" samt den erforderlichen "Thermoblocks" zur Aufnahme der Reaktionsgefäße auch tatsächlich vor dem Prioritätsdatum von der Firma Biozym Diagnostik GmbH verkauft wurden, siehe insbesondere die angegebenen Artikelnummern und -bezeichnungen sowie die Rechnungsdaten). Die Kammer sieht es demnach als erwiesen an, dass Geräte des Typs "PTC-200 DNA Engine" mit "Power Bonnet" der Firma MJ Research (in der Folge mit "MJR-Vorrichtung" bezeichnet) vor dem Prioritätstag durch Verkauf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und als Stand der Technik in Betracht zu ziehen sind. Dies wurde seitens der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten.
2.2 Bei der MJR-Vorrichtung handelt es sich, was unstreitig war und beispielsweise aus D4 (rechte Spalte) und D23 (Deckblatt, Seiten 1 und 2) ersichtlich ist, um eine Thermocyclervorrichtung zur Durchführung biologischer Reaktionen, insbesondere zur Durchführung von PCR-Prozessen. Die Vorrichtung weist einen Basiskörper mit einem Aufnahmebereich für ein oder mehrere nach oben offene Reaktionsgefäße auf, wobei der Aufnahmebereich durch einen motorbetriebenen automatisierbaren, auch per PC ansteuerbaren und um ein Scharnier verschwenkbaren Deckel ("lid in D9") verschlossen wird, siehe z.B. D4a, D4b (Seiten 1 und 2, Angaben zu "Power Bonnet"), D23 (Seiten 2 und 4, Abbildungen und Angaben zu "Power Bonnet") und D9 (Seite 2, "Description of Power Bonnet", Seite 3, "Adjusting Lid Pressure", Seite 6, 3. Absatz: "lid's hinge"). Die Reaktionsgefäße werden im Betrieb durch ein inneres Deckelsegment ("inner lid" in D9), das Teil des Deckels ist, dicht verschlossen. In D9 ist ferner ausdrücklich angegeben, dass die Abdichtung der Gefäße nach oben durch eine Dichtplatte ("sealing pad") - im Gegensatz zu Verschlusskappen ("caps") - erfolgen kann (siehe Seite 2, 1. Absatz und Seite 4, 2. Absatz).
2.3 Der Aufbau und die Funktionsweise der MJR-Vorrichtung gehen aus den eidesstattlichen Versicherungen D20 und D20A sowie den Dokumenten D27 und D28 noch detaillierter als aus D9 hervor. Der im Bericht D28 (siehe Seite 1) beschriebene und laut D27 (siehe Seite 1) begutachtete Gegenstand umfasst ein "Power Bonnet" mit der Seriennummer "PB 0166", welches laut einem der Belege D22 am 10. April 1997 verkauft wurde, einen Thermoblock mit der Seriennummer AL 018460 und eine "PTC-200 DNA Engine" der Firma MJ Research. Die Detailbilder in D28 stammen von einem baugleichen "Power Bonnet" mit der niedrigeren Seriennummer "PB-0096", welches für die Untersuchung herangezogen und zerlegt wurde (D28, Seite 1). Die Kammer hat keine Veranlassung, diese Angaben anzuzweifeln und die Beschwerdegegnerin hat auch nicht bestritten, dass die offenkundig vorbenutzte MJR-Vorrichtung die in D27 und D28 beschriebene mechanische Funktionsweise hat.
2.4 Aus D9 (Seite 2, erster Absatz und Abbildung, Seite 3) D20 (Brückenabsatz Seiten 2 und 3), D20A (vierter bis siebenter Absatz), D27 (Punkte 2. bis 2.16) und D28 (Bilder 5 bis 11 und 14 bis 23 und zugehöriger Text) geht hervor, dass das "Power Bonnet" durch einen Elektromotor angetrieben wird, welcher mittels eines Tasters in Gang gesetzt wird (siehe D9, "manual control button" in der Abbildung auf Seite 2, Seite 3, Zeilen 1 bis 4; D28, Bilder 2 und 12, Seite 7, 2. Absatz; D27, Absätze 2.9 und 2.17). Der bewegliche Deckel des "Power Bonnet" umfasst, wie auch die bevorzugte Ausführungsform gemäß Streitpatent (siehe Figur 1 und die entsprechenden Beschreibungspassagen), einen äußeren Deckelgrundkörper und eine inneres Deckelsegment (siehe z.B. D28, Bilder 1 und 9 bis 11). Die Betriebsweise des "Power Bonnet" ist in D9, D20, D20A, D27 und D28 genauer beschrieben. Insbesondere aus D20A, D27 und D28 gehen unmittelbar und eindeutig folgende Bewegungsphasen des Deckels hervor. In einer ersten Bewegungsphase wird der zweiteilige Deckel durch den elektrischen Antrieb mittels eines Getriebes und einer Kurvenscheibe so lange um ein Scharnier geschwenkt, bis der Deckelgrundkörper auf dem Basiskörper des Geräts dicht aufsitzt und derart den Aufnahmebereich schließt (D28, Seite 7). Der Elektromotor läuft jedoch noch weiter, wobei in dieser zweiten Bewegungsphase die Drehung der Kurvenscheibe ein weiteres Absenken des inneren Deckelsegments bewirken kann, wodurch dieses gegen die Reaktionsgefäße gedrückt werden kann. Ab dem Moment seines Aufsitzens auf dem Basiskörper wird der äußere Deckelgrundkörper über Wellfedern gegen den Basiskörper gedrückt (D28, Bild 11 und Text auf Seite 4; D27, Punkte 2.4.1, 2.4.2 und 2.11; D20A, den die Seiten 1 und 2 verbindenden Absatz). Die Kraft mit der das innere Deckelsegment beaufschlagt wird, hängt von der Art der Gefäße und von einer manuell mittels eines blauen Einstellrads ("thumb wheel" in D9) vorzunehmenden Voreinstellung ab (D27, Punkte 2.6 und 2.13; D9, Seite 2 "Adjusting Lid Pressure"). Die von der mittels der motorgetriebenen Kurvenscheibe auf das Deckelsegment ausgeübte voreingestellte Kraft bewegt sich typischerweise unterhalb von 350 N (siehe D27, Punkt 2.12), und kann beispielsweise 320 N betragen (D28, Bild 22 und Seite 7, vorletzter Absatz). Die Bewegungsphasen der Kurvenscheibe sind stets die gleichen, und der Elektromotor wird bei Erreichen der Endposition der Kurvenscheibe mittels eines durch eine mitlaufende Stellscheibe betätigten Schalters abgeschaltet (D27, Punkt 2.13 und D28, Seite 7, letzter Absatz und Bild 22). In diesem "Endzustand" ist der Deckel durch die Mechanik des Antriebs arretiert und lässt sich auch durch Umdrehen der Vorrichtung nicht öffnen (siehe D20A, Seite 1, vorletzter Absatz).
2.5 Die MJR-Vorrichtung offenbart also eine erste Phase, in deren Verlauf der Aufnahmebereich durch den Grundkörper des zweiteiligen Deckels im Sinne von Merkmalgruppe 3 (siehe Merkmalsanalyse unter vorstehendem Punkt IV) geschlossen wird. Der Deckel ist bereits ab dem Moment, wo der Deckelgrundköper auf dem Basiskörper dichtend aufsitzt, in dieser Lage am Basiskörper fixiert, und nicht erst bei Erreichen der Endposition der Kurvenscheiben-Bewegung, denn das Scharnier und der Anschlag am Basiskörper einerseits, und die über die Wellfedern übertragene Kraft andererseits verhindern ein Weiter- oder Zurückbewegen dieses Deckelteils, bzw. dessen willkürliches Öffnen, und zwar bereits ab dem Zeitpunkt des Aufsitzens. Die Mechanik des "Power Bonnet" bewirkt also nicht nur das Verschwenken des Deckels und das "Schließen des Aufnahmebereichs" im Sinne von Merkmalgruppe 3, sondern sie ist auch ein "Schließmechanismus" im Sinne von Merkmalgruppe 4, welcher ein "Fixieren des Deckels auf dem Basiskörper" bewirken soll. Ferner stellt der Elektromotor in Verbindung mit der Kraftübertragungsmechanik inklusive Kurvenscheibe ein per Ein- bzw. End-Schalter elektrisch angesteuertes Stellglied im Sinne der Merkmalsgruppe 5 dar, durch das der Deckel gegen die Reaktionsgefäße gedrückt werden kann. Die Kraft mit der das innere Deckelsegment und die Reaktionsgefäße aneinander gedrückt werden sollen, kann zudem vorab durch manuelles Betätigen des blauen Einstellrads variiert werden.
2.6 Der Auffassung der Patentinhaberin betreffend die Auslegung der Merkmalgruppen 4 und 5 kann die Kammer aus folgenden Gründen nicht folgen.
2.6.1 Die in Anspruch 1 verwendeten Ausdrücke "Schließmechanismus", "Fixieren" und "elektrisch ansteuerbares Stellglied" haben zwar jeweils eine relativ breite Bedeutung, ihr objektiver Sinngehalt ist jedoch nicht unklar. Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert, dass diese Ausdrücke jeweils auf spezielle Weise zu verstehen wären, allerdings lediglich unter Hinweis auf die Beschreibung und ohne geltend zu machen, dass diese speziellen Bedeutungen auf dem technischen Gebiet des Streitpatents allgemein anerkannt wären.
2.6.2 Eine derartige einschränkende Auslegung des breiten, aber verständlichen Anspruchs 1 unter Bezugnahme auf lediglich in der Beschreibung offenbarte, spezifischere Ausführungsformen mit im unabhängigen Anspruch 1 nicht wiedergegebenen technischen Merkmalen ist gemäß Artikel 69 (1) EPÜ und dem Protokoll über dessen Auslegung nicht vorgesehen. Die Kammer ist vielmehr der Auffassung, dass bei der Beurteilung der Neuheit des beanspruchten Gegenstands die im Anspruch 1 verwendeten Begriffe zwar mit der Bereitschaft sie zu verstehen auszulegen sind, jedoch im Rahmen des technisch Sinnvollen im Umfang ihrer vollen Wortbedeutung, und dass sich alle technischen Merkmale, durch die sich der beanspruchte Gegenstand vom Stand der Technik unterscheiden soll, im Anspruch 1 selbst befinden müssen, siehe hierzu beispielsweise die Entscheidungen T 0175/98 vom 20. Oktober 2000, Punkt 1.1 der Gründe und T 0223/05 vom 24. April 2007, Punkt 3.5, 3. Absatz, der Gründe (beide nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Die Beschreibung und die Zeichnungen können zwar herangezogen werden, um Unklarheiten im Anspruch durch Auslegung zu beseitigen. Solche Unklarheiten enthält der vorliegende Anspruch 1 jedoch nicht.
2.6.3 Betreffend die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich vorgebrachten Argumente stellt die Kammer Folgendes fest. Anspruch 1 schreibt keineswegs die Verwendung eines wie auch immer gearteten "klassischen" Schließmechanismus vor, oder eines Schließmechanismus, der bei Verwendung eines um ein Scharnier schwenkbaren Deckels aus einem Schließelement 23 und einer Schließausnehmung 24 der in der Figur des Streitpatents gezeigten Art zu bestehen hat. Anspruch 1 verlangt auch nicht, dass der Schließmechanismus zum Fixieren des Deckels am Basiskörper auch als Widerlager für die durch das Stellglied ausgeübten Andrückkräfte zu wirken hat. Die Beschwerdegegnerin hat unter Hinweis auf Spalte 4, Zeilen 14 bis 20 des Streitpatents auch argumentiert, dass der Fachmann der Beschreibung entnehmen könne, dass ein eventuell vorhandener, motorbetriebener Mechanismus zum Schwenken des Deckels und zum Schließen des Aufnahmebereichs ein Aliud zum Schließmechanismus zum Fixieren des Deckels gemäß Merkmalgruppe 4 wäre. Auch dies kommt jedoch in Anspruch 1 nicht zum Ausdruck. Das Stellglied muss laut Anspruch 1 lediglich elektrisch ansteuerbar sein und geeignet sein, nach dem Fixieren des Deckels auf dem Basiskörper den Deckel und die Reaktionsgefäße gegeneinander zu drücken. Das bedeutet nicht zwingend, dass mittels des Stellglieds unterschiedliche Kräfte erzeugbar sein sollen, geschweige denn, dass die aufgebrachte Kraft durch eine entsprechende elektrische Ansteuerung des Stellglieds variierbar sein soll.
2.7 Unter Zugrundelegung der bei der Beurteilung der Neuheit in Betracht zu ziehenden, vom Wortlaut vorgegebenen breiteren Auslegung des Anspruchs 1 (siehe obigen Punkt 2.5) besteht zwischen dem beanspruchten Thermocycler und der offenkundig vorbenutzten Vorrichtung der Firma MJ Research, bestehend aus der "PTC-200 DNA Engine" mit Reaktionsblock und "PowerBonnet", kein Unterschied.
2.8 Folglich kann dem Hauptantrag mangels Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 nicht stattgegeben werden.
Hilfsanträge 1 und 2
3. Klarheit - Artikel 84 EPÜ
3.1 Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 enthält jeweils die zusätzlichen, das elektrische ansteuerbare Stellglied betreffenden Merkmale "durch das eine Andrückkraft über einen großen Bereich frei variierbar ist".
3.2 Änderungen der Ansprüche eines Patents, die im Beschwerdeverfahren vorgenommen werden, sind in vollem Umfang auf die Erfüllung der Erfordernisse des EPÜ zu prüfen, siehe G 0009/91 (Abl. 1993, 408), Punkt 19. der Gründe. Dabei sind auf Artikel 84 EPÜ gestützte Einwände zu berücksichtigen, welche auf diese Änderungen zurückzuführen sind bzw. durch sie bedingt sind, siehe z.B. T 0301 /87 (Abl. 1990, 335), Punkte 3.6 bis 3.8 der Gründe). Letzteres trifft im vorliegenden Fall zu, da die Änderungen in der Hinzufügung von Merkmalen bestehen, welche der Beschreibung (Spalte 8, Zeilen 37 bis 38 des Streitpatents) entnommen wurden.
3.3 Die Angaben "über einen großen Bereich frei variierbar" (Hervorhebung durch die Kammer) sind relativer Natur. Die Beschwerdegegnerin hat sich nicht auf im vorliegenden Fachgebiet allgemein anerkannte und genaue Bedeutungen dieser Angaben berufen, und auch der Kammer sind keine bekannt.
3.4 Einen Unterschied zwischen den Ausdrücken "variierbar" und "frei variierbar" im Zusammenhang mit der beanspruchten Vorrichtung hat die Beschwerdegegnerin auch auf Befragen durch die Kammer nicht dargelegt. Ein möglicher Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken konnte also nicht geklärt werden, und dies obwohl der beanspruchte Gegenstand mittels dieses Merkmals vom Stand der Technik abgegrenzt werden soll.
3.5 Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Passagen der Beschreibung des Streitpatents hingewiesen, aus denen entnehmbar sei, dass der Druck auf die Reaktionsgefäße je nach Anzahl der Reaktionsgefäße individuell einstellbar sein soll (siehe Abschnitt [0004], letzter Satz, in Verbindung mit Abschnitt [0006], Abschnitt [0029], letzter Satz, und Abschnitt [0038]. Ferner hat sie auf die in Spalte 6, Zeilen 47 bis 50, im Zusammenhang mit bevorzugten Ausführungsformen mit Linearmotoren angegebenen numerischen Kraft-Werte bzw. -Wertebereiche hingewiesen. Allerdings sind weder die besagten numerischen Werte bzw. Wertebereiche noch eine Abhängigkeit des Drucks von der Anzahl der Reaktionsgefäße als Merkmale in Anspruch 1 enthalten.
3.6 Nun hat aber gemäß Rechtssprechung die Bedeutung der in einem geänderten unabhängigen Anspruch enthaltenen Merkmale, die zur Definition der Erfindung erforderlich sind, also auch zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik, für den Fachmann klar aus dem Wortlaut des Anspruchs allein hervorzugehen, siehe z.B. G 0001/04,
OJ 2006, 334, Punkt 6.2 der Gründe. Wie zudem in den Prüfungsrichtlinien C-III, 4.5 betont wird, kann ein Anspruch einen relativen Begriff enthalten, sofern dieser auf dem betreffenden Fachgebiet eine allgemein anerkannte Bedeutung hat. Ein relativer Begriff, der diese Bedingung nicht erfüllt, und demnach als unklar anzusehen ist, kann jedoch nicht zur Abgrenzung gegen den Stand der Technik benutzt werden. Gemäß der Entscheidung T 0728/98 (Abl 2001, 319), Leitsatz I) kann ein unklares Merkmal, für das auf dem betreffenden Fachgebiet keine allgemein anerkannte Bedeutung existiert, nicht als deutlich im Sinn des Artikels 84 EPÜ gelten. Die Anwendung dieser Prinzipien auf den jeweiligen Anspruch 1 beider Anträge führt zu dem Schluss, dass in beiden Fällen die Bedingung der Deutlichkeit des Anspruchs gemäß Artikel 84 EPÜ nicht erfüllt ist.
3.7 Den Hilfsanträgen 1 und 2 kann schon allein aus diesem Grund nicht stattgegeben werden. Daher erübrigt sich an dieser Stelle ein Eingehen auf die Frage, ob die betreffenden Änderungen die Bedingung des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllen.
Hilfsantrag 3
4. Zulässigkeit des Antrags
4.1 In der Mitteilung der Kammer in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wurde den Parteien unter Hinweis auf Artikel 10b(1) und (3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern und auf die Entscheidung T 0070/04 vom 25. August 2006 (nicht im Amtsblatt veröffentlicht) eine Frist zur Einreichung von weiteren Schriftsätzen, Anträgen oder Beweismitteln gesetzt. Nur die Hilfsanträge 1 und 2 der Patentinhaberin wurden innerhalb dieser Frist eingereicht.
4.2 Mit den von den anderen Parteien unter Artikel 123 (2) und 84 EPÜ gegen die Hilfsanträge 1 und 2 erhobenen Einwänden wurde die Beschwerdegegnerin allerdings erstmals in der mündlichen Verhandlung konfrontiert. Schon allein durch diese Tatsache unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, welcher der Entscheidung
T 0070/04 (siehe dort Punkt 3.1 der Gründe, erster Satz) zugrunde lag. Die in besagter Mitteilung der Kammer gesetzte Frist zur Einreichung weiterer Schriftsätze bedeutet nicht, dass, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde, schriftliche Stellungnahmen zu den neuen, gegen Ende der Frist eingereichten geänderten Anspruchssätzen nicht zulässig oder nicht möglich gewesen wären. Die Einreichung des weiteren Hilfsantrags 3 zielte auf die Überwindung der Einwände gegen die Hilfsanträge 1 und 2 und erfolgte daher verfahrensbedingt erst in der mündlichen Verhandlung. Weder die Beschwerdeführerin noch die Beitretenden 1, 3 und 4 haben geltend gemacht, dass Hilfsantrag 3 besonders komplexe Fragen aufwerfe, deren Behandlung ihnen ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten gewesen wäre (siehe diesbezüglich Artikel 10b(1)(3) der VerfOBK).
4.3 Unter diesen Umständen hielt es die Kammer für angebracht, der Patentinhaberin eine weitere Gelegenheit einzuräumen, ihr Patent gegen die erst in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände zu verteidigen, und in Ausübung ihres Ermessens den zusätzlichen Hilfsantrag 3 zuzulassen.
5. Zulässigkeit der Änderungen - Artikel 123 (2) EPC
5.1 Die von der Beschwerdegegnerin als Stütze für die vorgenommene Änderung angegebenen Textstellen der Patentschrift finden sich auch in der Anmeldung wieder, siehe Seite 7, Zeilen 34 bis 35, Seite 10, Anspruch 8.
5.2 Zunächst ist aber festzuhalten, dass der genaue Wortlaut des zusätzlich eingefügten Merkmals, welches das elektrisch ansteuerbare Stellglied betrifft, in der Anmeldung nicht zu finden ist. Vielmehr wird der numerische Bereich "150 N bis 800 N" dort ausschließlich im Zusammenhang mit den vorzugsweise zum Einsatz kommenden Linearmotoren (Seite 7, Zeilen 34 bis 35) bzw. elektrochemischen Linearmotoren (Anspruch 8) erwähnt. Ferner handelt es sich bei besagtem Wertebereich in der Anmeldung ausdrücklich um den Bereich der maximalen Kraft des Linearmotors (Seite 7, Zeilen 34 bis 35) bzw. um den Bereich der maximalen Kraft, die der elektrochemische Linearmotor ausüben kann (Anspruch 8). Dies bedeutet, dass diese maximal mögliche Kraft jeweils im besagten Wertebereich liegen muss.
5.3 Im Gegensatz zu den von der Beschwerdegegnerin als Stütze angezogenen Passagen, schreibt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 vor, dass durch das elektrisch ansteuerbare Stellglied "eine Andrückkraft von 150 N bis 800 N ausgeübt werden kann". Anspruch 1 verlangt also nicht, dass ein Linearmotor bzw. ein elektrochemischer Linearmotor als Stellglied eingesetzt wird. Anspruch 1 bezieht sich auch nicht auf einen Bereich der maximalen Kraft, die durch das Stellglied ausgeübt werden kann. Er ist daher auch nicht auf jene Thermocycler-vorrichtungen beschränkt, deren elektrisch ansteuerbares Stellglied maximal eine Andrückkraft im Bereich von 150 N bis 800 N ausüben kann. Die zusätzliche Kennzeichnung des Stellglieds in Form des neu aufgenommenen Merkmals lässt vielmehr auch Stellglieder zu, mit denen maximale Andrückkräfte von mehr als 800 N ausgeübt werden können.
5.4 Das Vorsehen derartiger Stellglieder, egal welchen Typs, ist in der Anmeldung jedoch nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
5.4.1 Linearmotoren mit einer maximalen Kraft von mehr als 800 oder elektrochemische Linearmotoren, die eine maximale Kraft von mehr als 800 N ausüben können, werden in der Anmeldung nicht erwähnt.
5.4.2 Abschnitt [0038] des erteilten Streitpatents (Seite 10 der Anmeldung) kann entnommen werden, dass es im Rahmen der Erfindung auch möglich sein soll, andere Arten von elektrisch ansteuerbaren Stellgliedern vorzusehen als die elektrochemischen Linearmotoren, von denen in den vorangehenden Beschreibungspassagen die Rede ist. Als alternative Stellglieder, "mit denen automatisch der gewünscht Druck erzeugt werden kann", werden beispielsweise "ein über einen Elektromotor und eine Spindel angetriebener Kniehebel, ein von einem Elektromotor angetriebener Excenter oder ein von einem Elektromotor angetriebener Keilmechanismus" genannt. Diese Beschreibungspassage gibt jedoch keinerlei Zahlenwerte für die Kraft an, welche durch das Stellglied ausgeübt werden können soll. Selbst wenn im Sinne der Beschwerdegegnerin davon ausgegangen wird, dass der Fachmann diese Angaben in Verbindung mit den Angaben auf Werte-Angaben auf Seite 7, Zeilen 34 bis 35 der Anmeldung lesen würde, ergäbe sich dadurch lediglich eine Offenbarung von Thermocyclern mit beliebigen elektrisch ansteuerbaren Stellgliedern, mit denen automatisch ein gewünschter Druck erzeugt werden kann, wobei jedoch die maximale, durch das jeweilige Stellglied ausübbare Kraft wiederum im Bereich von 150 bis 800 N läge.
5.5 Da eine Verwendung von Stellgliedern, durch die eine Andrückkraft von mehr als 800 N ausübbar ist, der Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden kann, stellt die Aufnahme des die ausübbare Andrückkraft betreffenden Wertebereichs "von 150 bis 800 N" - ohne gleichzeitige Aufnahme des präzisierenden Terms "maximale" - eine nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässige Erweiterung dar.
5.6 Folglich kann auch dem Hilfsantrag 3 nicht stattgegeben werden und ist das Patent zu widerrufen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.