T 2086/16 (Zahncreme / Henkel) 19-09-2019
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Feinschaumige Zahncreme mit verbessertem Mundgefühl
Klarheit der Ansprüche (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Verletzung des rechtlichen Gehörs (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde der Anmelderin
(Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die
Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische
Patentanmeldung Nr. 13 188 214.4 zurückzuweisen.
II. Grundlage für die angefochtene Entscheidung war als einziger Antrag die Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung mit 10 Ansprüchen (nachfolgend "Patentanmeldung").
Anspruch 1 lautete wie folgt:
"1. Mund- und Zahnpflege- und -reinigungsmittel, enthaltend - bezogen auf sein Gewicht -
a) 0,5 bis 2,0 Gew.-% anionische(s) Tensid(e),
b) 0,01 bis 1,0 amphotere(s) Tensid(e),
c) 0,1 bis 1,0 Gew.-% Natriumbenzoat
d) 0,001 bis 0,25 Gew.-% mindestens eines Salzes aus der Gruppe der Zink- und/oder Mangansalze,
e) mindestens eine Verbindung aus der Gruppe Panthenol und/oder Panthothensäure und/oder Pantholacton;
f) mindestens einen Kamillenextrakt."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 bezogen sich auf bevorzugte Ausführungsformen der Mund- und Zahnpflege- und -reinigungsmittel nach Anspruch 1. Die Ansprüche 9 und 10 waren auf die Verwendung dieser Mittel zur Zahnreinigung gerichtet.
III. In ihrer Entscheidung kam die Prüfungsabteilung zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche 1 bis 10 aufgrund des Merkmals des Kamillenextrakts nicht den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügten.
IV. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Fassung zu erteilen.
Ferner stellte die Beschwerdeführerin Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr aufgrund wesentlicher Verfahrensmängel. Hilfsweise stellte sie Antrag auf eine mündliche Verhandlung.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer mit, dass ein Klarheitsmangel nicht gegeben sei, dass nach ihrer Auffassung ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliege und dass sie deshalb beabsichtige, die Angelegenheit zur Fortsetzung des Verfahrens an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
VI. Daraufhin nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
VII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Artikel 84 EPÜ:
Dem Fachmann, einem auf dem Gebiet der Kosmetik tätiger Produktentwickler, seien Begriffe seines und der angrenzenden Fachgebiete hinreichend bekannt. Entsprechend kenne er die Definition des Begriffs "Extrakt" gemäß Europäischem Arzneibuch und gemäß Römpps Chemie Lexikon. Beiden Definitionen sei gemein, dass dieser Begriff unabhängig von der Wahl des Extraktionsmittels und der Art und Konzentration etwaiger Inhaltsstoffe definiert sei. Folglich liege kein Klarheitsmangel hinsichtlich des Merkmals des Kamillenextrakts vor.
b) Rückzahlung der Beschwerdegebühr:
Die Entscheidung der Prüfungsabteilung sei nicht begründet, denn die Argumente der Beschwerdeführerin zum allgemeinen Fachwissen, belegt durch das Europäische Arzneibuch und Römpps Chemie Lexikon, seien nicht zur Kenntnis genommen worden, mindestens aber sei hierzu nicht Stellung bezogen worden. Aus diesem Grund liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
Entscheidungsgründe
1. Artikel 84 EPÜ
1.1 Der beanspruchte Gegenstand ist auf Mund- und Zahnpflege- und -reinigungsmittel gerichtet, die mindestens einen Kamillenextrakt enthalten.
1.2 Dieser Extrakt wird in den Ansprüchen nicht näher bestimmt. Die Beschreibung der Patentanmeldung gibt auf Seite 10, Absatz 5 an, dass der anspruchsgemäße Kamillenextrakt ein wesentlicher Inhaltsstoff der erfindungsgemäßen Mittel ist. Zudem enthält der darauffolgende Absatz eine allgemeine Definition dieses Begriffes, während die ersten drei Absätze der Seite 11 genauere Angaben zu Extraktionsmitteln, Extraktionstemperatur und den zu wählenden Pflanzenbestandteilen machen.
1.3 In ihrer Entscheidung befand die Prüfungsabteilung, dass das Merkmal des Kamillenextrakts wesentlich für die beanspruchte Erfindung sei, wie insbesondere die Vergleichsversuche der Anmelderin vom 5. Dezember 2015 zeigten. Jedoch mangele es der Patentanmeldung an einer hinreichenden Definition dieses Extrakts. Insbesondere schweige sie zu Lösungsmittel, Temperatur, Extraktions- und Reinigungsverfahren, Wesen und Konzentration der Aktivstoffe. Entsprechend sei unklar, welche Ausführungsformen von dem anspruchsgemäßen Merkmal "Kamillenextrakt" umfasst seien.
1.4 Die Kammer stimmt mit der Prüfungsabteilung dahingehend überein, dass der anspruchsgemäße Begriff "Kamillenextrakt" in Ermangelung jeglicher weiterer Angaben in den Ansprüchen zu diesem Merkmal äußerst breit gefasst ist und folglich eine hohe Anzahl verschiedener Ausführungsformen umfasst.
1.5 Gleichwohl begründet diese Tatsache keinen Klarheitsmangel.
1.5.1 Anspruch 1 ist unstreitig im Fachgebiet der Kosmetik angesiedelt. Einem auf diesem Gebiet tätigen Fachmann ist allgemein bekannt, dass Extrakte Stoffe sind, die durch Extraktion und teilweises oder völliges Eindampfen der Extraktionslösung gewonnen werden (siehe Römpps Chemie Lexikon und Seite 10, letzter Absatz der Patentanmeldung). Zudem kennt der Fachmann die im Europäischen Arzneibuch angegebene Definition von Extrakten, da die Pharmazie ein angrenzendes Fachgebiet der Kosmetik ist. Nach dieser Definition sind Extrakte Zubereitungen von flüssiger, halbfester oder fester Beschaffenheit, die aus üblicherweise getrockneten pflanzlichen Drogen oder tierischen Materialien hergestellt werden. Beide Definitionen sind sehr allgemein gehalten und geben weder die Extraktionsmodalitäten noch die Art und Konzentration der Inhaltsstoffe wider. Demzufolge würde der auf dem Gebiet der Kosmetik tätige Fachmann unter dem anspruchsgemäßen Merkmal des Kamillenextrakts jegliche Zubereitung verstehen, die entweder aus der gesamten Kamillenpflanze oder aus einem Teil dieser unter Verwendung unterschiedlichster Verfahrensparameter gewonnen wird mit der Maßgabe, dass sie für die Verwendung in der Mund- und Zahnpflege bzw. Mund- und Zahnreinigung geeignet sein muss. Dementsprechend umfasst der anspruchsgemäße Kamillenextrakt Zubereitungen, die sich in Art und Konzentration der Inhaltsstoffe gänzlich voneinander unterscheiden. Somit ist der anspruchsgemäße Kamillenextrakt als ein sehr weit gefasstes Merkmal anzusehen, gleichwohl ist diese breite Definition für den Fachmann hinreichend klar.
1.5.2 Auch die Tatsache, dass die Ansprüche nicht die für den beabsichtigen Zweck benötigte Konzentration an Aktivstoffen angibt, vermag im vorliegenden Fall keinen Klarheitsmangel zu begründen. Vielmehr bewirkt das Fehlen dieser Angaben in den Ansprüchen, dass diese sämtliche Kamillenextrakte mit Aktivstoffen unterschiedlichster Art und Menge umfassen. Ob die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Merkmal des Kamillenextrakts geltend gemachte Wirkung über die gesamte Breite der Ansprüche glaubhaft ist, ist im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands zu erörtern.
1.6 In Anbetracht der obigen Ausführungen kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass das anspruchsgemäße Merkmal des Kamillenextrakts klar ist und stellt dementsprechend fest, dass die Ansprüche 1 bis 10 den Erfordernissen des Artikel 84 EPÜ genügen.
2. Zurückverweisung
Da die Prüfungsabteilung sich nur mit der Frage der Klarheit der Ansprüche befasst hat, nicht aber mit den übrigen Erfordernissen des EPÜ inklusive der erfinderischen Tätigkeit, verweist die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurück.
3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
3.1 Gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr zurückerstattet, wenn die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht. Ein wesentlicher Verfahrensfehler liegt in der Versagung rechtlichen Gehörs. Artikel 113 (1) EPÜ bestimmt insoweit, dass Entscheidungen des Amtes nur auf Gründe gestützt werden dürfen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist dem nur Rechnung getragen, wenn eingegangene Äußerungen auch zur Kenntnis genommen und berücksichtigt werden. Daher müssen Entscheidungen des Amtes eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Argumenten der Parteien erkennen lassen (J 0007/82, T 0740/93, T 0177/98, T 0763/04, T 0740/94, T 2352/13).
3.2 Die Prüfungsabteilung hat ihren Einwand der mangelnden Klarheit erstmals in ihrem Erstbescheid vom 23. Januar 2015 erhoben. Diesen Einwand erhielt sie im Wesentlichen mit denselben Argumenten in ihrem weiteren Bescheid vom 10. November 2015 aufrecht. Die Beschwerdeführerin verwies in ihrer Antwort hierauf auf die allgemeine Definition des Begriffs "Extrakt" nach dem Europäischen Arzneibuch und nach Römpps Chemie Lexikon. Sie argumentierte, dass diese Definition dem auf dem Gebiet der Kosmetik tätigen Fachmann geläufig sei. Ferner sei beiden Definitionen gemein, dass sie weder das Extraktionsmittel noch die Art und Konzentration etwaiger Inhaltsstoffe angäben. Dies stellt die zentrale Argumentation der Beschwerdeführerin dar, die die Kammer auch als überzeugend ansah.
3.3 Mit diesen Argumenten hat sich die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung in keinster Weise auseinandergesetzt. In Abschnitt 5 des 1. Teils "Sachverhalt und Anträge" der angefochtenen Entscheidung führte die Prüfungsabteilung aus, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Antwort auf den Bescheid vom 10. November 2015 lediglich ihre bereits zuvor vorgetragenen Argumente wiederholt habe. Ferner gab die Prüfungsabteilung in Abschnitt 8 und 9 ihrer Entscheidung an, dass sie der Beschwerdeführerin wiederholt ihre Sicht bezüglich Artikel 84 EPÜ im Zusammenhang mit dem Begriff "Kamillenextrakt" mitgeteilt habe, diese jedoch keine substantiellen Bemühungen unternommen habe, einen Vorschlag zu unterbreiten, welcher zur Klarstellung dieses Merkmals diene. Dies zeigt, dass die Prüfungsabteilung die weiteren Argumente der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genommen hat.
3.4 Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer deshalb zu dem Schluss, dass die Prüfungsabteilung das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Bescheidserwiderung vom 5. Dezember 2015 zur Klarheit des Begriffs "Kamillenextrakt" nicht zur Kenntnis genommen hat, geschweige denn sich damit auseinandergesetzt hat. Damit hat sie der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör versagt, so dass im vorliegenden Fall ein wesentlicher Verfahrensmangel zu bejahen ist. Entsprechend ordnet die Kammer der Billigkeit wegen die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1) a) an.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.