T 1270/20 (Vergabe von Zugriffsrechten/IPCOM) 23-07-2021
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Verfahren zur Vergabe von Zugriffsrechten auf einen Telekommunikationskanal an Teilnehmerstationen eines Telekommunikationsnetzes und Teilnehmerstation
Apple Inc.
Vodafone GmbH
Telefonaktiebolaget L M Ericsson (publ)
HTC CORPORATION
Unzulässige Erweiterung - (ja): Zwischenverallgemeinerung - abweichend vom Urteil EWCA Civ 567 des UK Court of Appeal
Res iudicata bezüglich Entscheidung zur früheren Anmeldung - (nein): nicht-identische Tatfragen
Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 25%
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Beschwerdegegner (ja): Rücknahme der Beschwerde
Rückzahlung der vollen Beschwerdegebühr - Beschwerdeführer II und IV (nein): kein erstinstanzlicher Verfahrensfehler
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Einsprechenden 1 bis 3 richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das vorliegende europäische Patent auf der Grundlage eines in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten "Hilfsantrags 4" aufrechtzuerhalten.
II. Nach Erlass einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 7. Mai 2021 wurde die von der Patentinhaberin eingelegte Beschwerde mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021 zurückgenommen.
III. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 23. Juli 2021 statt.
- Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden 1 bis 3) beantragten, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Die Einsprechende 4 schloss sich diesen Anträgen an. Die Einsprechenden 2 und 3 beantragten zudem die Rückzahlung der jeweiligen Beschwerdegebühren.
- Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag, die Beschwerden zurückzuweisen (d.h. die angefochtene Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des "Hilfsantrags 4" zu bestätigen), hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines Hilfsantrags B.6 aufrechtzuerhalten. Zudem beantragte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 25%.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags ("Hilfsantrag 4") lautet wie folgt (Gliederung von der Kammer hinzugefügt):
a) "Verfahren zum Ermitteln einer Zugriffsberechtigung auf einen Telekommunikationskanal (30) eines Telekommunikationsnetzes durch eine Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20),
b) wobei durch eine Basisstation (100) versendete Informationssignale mit Zugriffsschwellwert- und Zugriffsklasseninformationen als Zugriffsberechtigungsdaten (55) von einer
Sende-/Empfangseinheit (65) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) empfangen werden, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten (55) als ein Bitmuster (55) übertragen werden, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten (55) sowohl Zugriffsklassenbits (Z0, Z1, Z2, Z3) als auch Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) umfassen, wobei jedes Zugriffsklassenbit für je eine Nutzerklasse steht und wobei jeder der Nutzerklassen ein Zugriffsklassenbit zugeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass
c) in einer Auswerteeinheit (60) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) geprüft wird (280), ob auf einer Zugangsberechtigungs-karte (75) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer bevorrechtigten Nutzerklasse (35, 40) oder eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer normalprivilegierten Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist, dadurch, dass geprüft wird, ob auf der Zugangsberechtigungskarte (75) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist und ob die Nutzerklasse eine normalprivilegierte Nutzerklasse oder eine bevorrechtigte Nutzerklasse ist,
d) ist auf der Zugangsberechtigungskarte (75) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer bevorrechtigten Nutzerklasse (35, 40) gespeichert, prüft (285) die Auswerteeinheit (60) anhand des Zugriffsklassenbits, (Z0, Z1, Z2, Z3), das für die bevorrechtigte Nutzerklasse steht, ob die für die Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) ermittelte bevorrechtigte Nutzerklasse (35, 40) für den Zugriff auf den Telekommunikationskanal (30) unabhängig von einer Zugriffsschwellwertauswertung berechtigt ist,
e) ist dies nicht der Fall, weil auf der Zugangsberechtigungskarte (75) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer bevorrechtigten Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist, aber die ermittelte bevorrechtigte Nutzerklasse (35, 40) für den Zugriff auf den Telekommunikationskanal (30) unabhängig von einer Zugriffsschwellwertauswertung nicht berechtigt ist, oder ist an der Zugangsberechtigungskarte (75) keine Zugehörigkeit zu einer bevorrechtigten Nutzerklasse (35, 40) gespeichert, weil auf der Zugangsberechtigungskarte (75) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer normalprivilegierten Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist oder weil auf der Zugangsberechtigungskarte (75) keine Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist,
f) führt die Auswerteeinheit (60) die Zugriffsschwellwertauswertung mit folgenden Schritten durch:
(i) ermittelt die Auswerteeinheit (60) aus den
Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) der
Zugriffsberechtigungsdaten (55) einen
Zugriffsschwellwert (S),
(ii) zieht eine Zufalls- oder Pseudozufalls-
zahl (R),
(iii) vergleicht den Zugriffsschwellwert (S) mit
der Zufalls- oder Pseudozufallszahl (R), und
(iv) teilt ein Zugriffsrecht auf den
Telekommunikationskanal (30) der
Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) in
Abhängigkeit des Vergleichsergebnisses zu,
g) wobei der Telekommunikationskanal ein wahlfreier Zugriffskanal ist."
V. Anspruch 1 des Hilfsantrages B.6 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass Merkmal c) wie folgt lautet (hinzugefügter Wortlaut von der Kammer unterstrichen):
"in einer Auswerteeinheit (60) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) bei Empfang der Informationssignale geprüft wird, ob die Zugriffsberechtigungsdaten (55) Zugriffsschwellwert- und Zugriffsklasseninformationen umfassen, und geprüft wird (280), ob auf einer Zugangsberechtigungskarte (75) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer bevorrechtigten Nutzerklasse (35, 40) oder eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer normalprivilegierten Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist, dadurch, dass geprüft wird, ob auf der Zugangsberechtigungskarte (75) der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) eine Zugehörigkeit der Teilnehmerstation (5, 10, 15, 20) zu einer Nutzerklasse (35, 40) gespeichert ist und ob die Nutzerklasse eine normalprivilegierte Nutzerklasse oder eine bevorrechtigte Nutzerklasse ist,".
Entscheidungsgründe
1. Vorbemerkung zur Patentfamilie
Die dem Streitpatent zugrunde liegende Anmeldung ist die dritte Teilanmeldung einer Kette von Teilanmeldungen, die auf eine Stammanmeldung mit der Anmeldenummer 00916749.5 (veröffentlicht als WO 00/54534 A1) zurückgeht.
Betreffend die erste auf die vorgenannte Stammanmeldung zurückgehenden Teilanmeldung mit der Veröffentlichungsnummer EP 1 841 268 A2 ist im Beschwerdeverfahren T 1282/12 eine Entscheidung dieser Kammer (in vollständig anderer Besetzung) ergangen.
2. Technischer Hintergrund des Patents
Das Streitpatent betrifft die Steuerung des Zugriffs von mehreren Teilnehmerstationen auf einen zu einer Basisstation aufgebauten Telekommunikationskanal (RACH: "Random Access Channel"). Um einer Überlastung des Telekommunikationskanals vorzubeugen, sendet erfindungsgemäß die Basisstation Zugriffsberechtigungsdaten an die Teilnehmerstationen, anhand derer die Teilnehmerstationen ermitteln, ob sie für den Zugriff berechtigt sind.
Die Zugriffsberechtigungsdaten umfassen Informationen zu einem Zugriffsschwellwert S und zu Zugriffsklassen Z. Der Zugriffsschwellwert wird mit einer in der jeweiligen Teilnehmerstation erzeugten Zufallszahl R und die Zugriffsklasseninformation mit einer in jeder Teilnehmerstation hinterlegten Nutzerklasse verglichen.
3. Hauptantrag - unzulässige Erweiterung
(Artikel 123 (2) EPÜ)
3.1 Anspruch 1 richtet sich auf ein Verfahren zum Ermitteln von Zugriffsrechten durch eine Teilnehmerstation, bei dem unter anderem die erhaltenen Zugriffsberechtigungs-daten sowohl Zugriffsschwellwert- als auch Zugriffsklasseninformationen enthalten und geprüft wird, ob auf einer Zugriffsberechtigungskarte der Teilnehmerstation deren Zugehörigkeit zu einer normalprivilegierten oder einer bevorrechtigten Nutzerklasse gespeichert ist.
Diese Merkmale waren in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen der dem Streitpatent zugrunde liegenden Anmeldung nicht enthalten. Eine Grundlage für den vorliegenden Anspruch 1 ist daher in der Beschreibung und den Figuren zu suchen, in denen allein der Ablaufplan gemäß den Figuren 4a bis 4c mit der zugehörigen Beschreibung in Absatz [0032] hierfür in Frage kommt.
3.2 Das in der ursprünglichen Anmeldung offenbarte Verfahren beruht darauf, dass die Basisstation Informationssignale (d.h. "Bitmuster") an die Mobilstationen sendet, die anhand der empfangenen Signale sodann bestimmen, ob sie berechtigt sind oder nicht, auf den RACH zuzugreifen.
Für die Informationssignale der Basisstation sind in der Anmeldung drei Varianten gemäß den Abbildungen Fig. 3a bis 3c offenbart. Fig. 3a und 3b ("erstes Ausführungsbeispiel") zeigen die 10-Bit-Signale 45 und 50, die entweder Zugriffsschwellwertbits oder Zugriffsklassenbits enthalten (vgl. Absätze [0020] und [0022] der ursprünglich eingereichten Beschreibung). Fig. 3c ("zweites Ausführungsbeispiel") zeigt hingegen ein 13-Bit-Signal 55, das beide Arten von Bits umfasst (vgl. Absätze [0029] und [0030]). Die beiden Ausführungsbeispiele zeigen also verschiedene Beispiele für die an die Mobilstationen übertragenen Bitmuster.
3.3 Auf Seiten der Mobilstationen werden nun die Informa-tionssignale anhand eines einzigen erfindungsgemäßen Ablaufplans gemäß den Abbildungen Fig. 4a bis 4c verarbeitet (vgl. Absatz [0032]). Die Teilabschnitte des erfindungsgemäßen Verfahrens gemäß Fig. 4a bis 4c verzweigen hierbei wechselseitig zueinander, wie an den Verknüpfungspunkten A bis E zu sehen ist, und werden in der ursprünglichen Beschreibung als "ein Ablaufplan" bezeichnet (vgl. Seite 12, Zeile 27). Es wird somit nur ein einziges von den Mobilstationen durchgeführtes, spezifisches Verfahren offenbart, mit dem allerdings alle drei Varianten der Informationssignale (vgl. Fig. 3a bis 3c) der Basisstation verarbeitet werden. Dies zeigt sich auch darin, dass die Beschreibung dieses Ablaufplans keine verschiedenen "Ausführungsbeispiele" des Ablaufplans angibt, sondern nur die verschiedenen Bearbeitungswege der verschiedenen Bitmuster aufzeigt (vgl. Absatz [0032]).
Dazu muss jedoch zwingend die Unterscheidung erfolgen, zu welcher der drei Varianten das empfangene Bitmuster tatsächlich gehört. Die Bitlängenprüfung in Schritt 200 gemäß Fig. 4a ist hierbei integraler Bestandteil dieser Unterscheidung, ohne die der Ablaufplan nicht zu den Schritten gemäß Fig. 4c gelangen könnte. Diese Bitlängenprüfung gemäß Schritt 200 wird in Fig. 4a des Streitpatents folgendermaßen dargestellt:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Demnach wird bei Erkennen eines 10-Bit-Bitmusters der Schritt 205 ausgeführt, während andernfalls, d.h bei Erkennen eines 13-Bit-Bitmusters, zum Verknüpfungspunkt D verzweigt wird. Bevor also überhaupt die in Anspruch 1 beanspruchten Schritte ausgeführt werden können, muss eindeutig vorab bei den Mobilstationen die Bitlänge (hier beispielhaft 10 Bits oder 13 Bits) des empfangenen Bitmusters überprüft werden (vgl. auch Seite 12, Zeilen 28-31 i.V.m. Fig. 4a, Schritt 200, rechter Pfad). Nur wenn mithin die größere Bitlänge (hier: 13 Bits; vgl. Fig. 3c) des beanspruchten Bitmusters bei der entsprechenden Mobilstation detektiert wird, erfolgt überhaupt die Fallunterscheidung zwischen den beanspruchten "bevorrechtigten" bzw. "normalprivilegierten" Nutzerklassen gemäß Merkmal c) des vorliegenden Anspruchs 1 bzw. Seite 13, Zeile 27 bis Seite 14, Zeile 6 i.V.m. Fig. 4c der ursprünglichen Anmeldung.
3.4 Die ursprüngliche Beschreibung offenbart auch keine Alternative zur obigen Bitlängenprüfung, um zu bestimmen, wie das empfangene Bitmuster durch die Mobilstationen zu interpretieren ist. Die Bitlängenprüfung ist folglich mit den weiteren Schritten des beanspruchten Verfahrens untrennbar verknüpft, so dass ihr Weglassen zwangsläufig zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung im Sinne von T 1067/97 (Gründe 2.1.3) führt.
3.5 In der angefochtenen Entscheidung wird zwar festgehalten, dass sich der vorliegende Anspruch 1 ausdrücklich auf das "13-Bit-Muster" gemäß Fig. 3c bezieht (vgl. Abschnitt I.5.2 der Entscheidungsgründe), aber ohne daraus die zutreffenden Konsequenzen für die Beurteilung der unzulässigen Erweiterung zu ziehen.
3.6 Die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin überzeugen nicht:
3.6.1 Die Beschwerdegegnerin führt ins Treffen, dass Schritt 200 nicht wesentlich sei und er nicht weggelassen, sondern vielmehr nicht hinzugefügt worden sei. Der Schritt leiste keinen Beitrag zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe, die darin zu sehen sei, den Zugriff auf den RACH besser zu steuern (vgl. Absatz [0009]). Die den Zugriff steuernden Informationssignale würden aber auf dem BCCH (Broadcast Control Channel) übertragen werden (vgl. Absatz [0018], Zeilen 1 bis 5). Da der BCCH ohnehin immer voll ausgelastet sei, sei klar, dass es hier um den RACH ginge. Der Schritt 200 diene nur der Unterscheidung der 10- und der 13-Bit-Variante, leiste selbst aber keinen Beitrag zur bestmöglichen Nutzung des RACH-Kanals (vgl. Seite 14, Zeilen 10 bis 27).
3.6.2 Das "zweite Ausführungsbeispiel", das sich auf die
13-Bit-Variante richte, würde nicht nur das Bitmuster als solches, sondern auch den dazugehörigen Ablaufplan beschreiben, so dass auch das Ablaufschema der 13-Bit-Variante in der ursprünglichen Beschreibung enthalten sei (vgl. Seite 11, Zeile 20 bis Seite 12, Zeile 13).
3.6.3 Die Wahl der angewendeten Variante, d.h. 10-Bit oder 13-Bit-Variante, würde außerdem dem jeweiligen Telekommunikationsanbieter obliegen, so dass eine Fachperson anhand der Beschreibung der 13-Bit-Variante verstehen würde, dass der Schritt 200 optional sei und keine wesentliche Vorverarbeitung darstelle. Die Mobilstationen würden nur mit einer Situation konfrontiert, nämlich der vom Anbieter ausgewählten (vgl. Seite 2, Zeilen 11 bis 14).
3.6.4 Dass die Unterscheidung in Schritt 200 kein wesentlicher Bestandteil des Ablaufplans sei, ginge für die Fachperson auch daraus hervor, dass die Unterscheidung in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen nicht enthalten sei. Die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 zusammen beträfen die 13-Bit-Variante ohne Bitlängenprüfung, so dass der Schritt 200 eindeutig nicht erforderlich sei. Das beanspruchte Verfahren ohne einen Schritt zur Unterscheidung der
10- bzw. 13-Bit-Variante (Schritt 200) stelle daher keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
3.7 Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
3.7.1 Zur Wesentlichkeit des im vorliegenden Anspruch 1 weggelassenen Schritts 200 schickt die Kammer voraus, dass nach der jüngeren Rechtsprechung der Beschwerdekammern der sog. "Gold-Standard" (vgl. G 2/10, Gründe 4.3) als Richtschnur für die Beurteilung der Zulässigkeit von Anspruchsänderungen angewandt wird und nicht der sog. "Wesentlichkeitstest" (siehe z.B. T 1852/13, Gründe 2.2; T 1472/15, Gründe 2.3). Nichtsdestotrotz ist Folgendes zur Wesentlichkeit des Schritts 200 im Zusammenhang mit dem erfindungsgemäßen Verfahren anzuführen:
Auch wenn mittels der Informationssignale der Zugriff auf den RACH gesteuert wird, nennt die dem Streitpatent zugrunde liegende Anmeldung als Vorteil der Erfindung auch die Einsparung von Übertragungskapazität für die den RACH-Zugriff steuernden Informationssignale (Seite 3, Zeilen 7 bis 13). Der mögliche Beitrag des Schritts 200 zur Verringerung der zu übertragenden Daten mag gering sein (3 Bit), kann aber nicht vollständig verneint werden. Somit kann auch nicht auf der Grundlage der ursprünglichen Lehre eindeutig und unmittelbar erkannt werden, dass der Schritt 200 ein verzichtbarer Teil des Verfahrens sein könnte. Einen weiteren Hinweis auf die essenzielle Bedeutung des Schritts 200 liefert auch die Tatsache, dass bei veränderter Auslastung des RACH ein verändertes Bitmuster an die Mobilstationen übertragen wird und in Folge der Ablauf des Verfahrens von vorne, d.h. einschließlich der Bitlängenprüfung, erfolgt (Seite 14, Zeilen 24 bis 27).
3.7.2 Die Beschreibung des zweiten Ausführungsbeispiels des Bitmusters auf den Seiten 11 und 12 richtet sich nur auf das Bitmuster selbst und enthält bezüglich der Mobilstationen nur Hinweise auf die sich aus dem Bitmuster ergebenden Berechtigungen der verschiedenen Mobilstationen (siehe insbesondere Seite 11, Zeile 28 bis Seite 12, Zeile 6). Ein Ablaufplan ist hierbei aber nicht beschrieben. Selbst wenn ein Telekommunikations-anbieter sich auf nur eine Variante, d.h. die 10-Bit oder 13-Bit-Variante, festlegen könnte, wäre es für die Fachperson fernliegend, Mobilstationen auf die Variante dieses einen Anbieters einzuschränken. Vielmehr würde die Fachperson selbstredend die Mobilstation so universell wie möglich gestalten, um die Verwendung mit möglichst vielen Telekommunikationsanbietern zu ermöglichen.
3.7.3 Gemäß den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 2 wird geprüft, ob die Zugriffsberechtigungsdaten einen Zugriffsschwellwert bzw. Zugriffsklasseninformationen enthalten. Diese Optionalität des Zugriffsschwellwerts und der Zugriffsklasseninformationen und die zugehörige Prüfung, welche Informationen vorliegen, sind mithin Elemente der in diesen Ansprüchen beanspruchten Verfahren. Diese Ansprüche betreffen also offenbar sowohl die 10-Bit- als auch die 13-Bit-Variante.
Mit der in Anspruch 1 vorgenommenen Änderung umfassen nun die von der Basisstation versendeten Informationen sowohl Zugriffsschwellwert- als auch Zugriffsklasseninformationen. Somit basiert der vorliegende Gegenstand augenscheinlich auf dem sog. "zweiten Ausführungsbeispiel" bezüglich des zu verwendenden Bitmusters (vgl. Seite 11, Zeile 20) gemäß Fig. 4c i.V.m. Fig. 3c (Blöcke 280, 285 mit der anschließenden Ausführung der Blöcke 210 und 215). Dies stellt wiederum eine weitere Einschränkung des ursprünglich beanspruchten Schutzgegenstands auf eine bestimmte erfindungsgemäße Ausführungsform (d.h. die "13-Bit-Variante") dar, ohne hierbei die in der ursprünglichen Beschreibung zwingend vorgeschriebene Bitlängenprüfung, d.h. Schritt 200, aufzunehmen. Dies entspricht wiederum dem typischen Fall einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung. Schritt 200 ist eben ein integraler Bestandteil des erfindungsgemäßen Verfahrens. Die ursprünglichen Ansprüche können daher nicht als Beleg dafür dienen, dass die ursprünglich eingereichten Unterlagen eine Basis für das Verfahren nach Anspruch 1 ohne eine Bitlängenprüfung gemäß Schritt 200 darstellen.
3.7.4 Hinsichtlich des von der Beschwerdegegnerin zitierten Urteils des England and Wales Court of Appeal vom 10. Dezember 2012 ([2012] EWCA Civ 567) über das gegenständliche Streitpatent kann sich die Kammer folglich nicht der dortigen Schlussfolgerung anschließen, wonach die Fachperson der ursprünglichen Lehre entnehmen könne, dass die "13-Bit-Variante" isoliert verwendet werden kann (siehe Punkte 65 und 71 des Urteils). Es geht nämlich bei der von der Kammer zu entscheidenden Frage der Zwischenverallgemeinerung nicht darum, ob die 13-Bit-Variante unabhängig von der 10-Bit-Variante verwendet werden könnte, sondern darum, ob die Fachperson der ursprünglichen Offenbarung tatsächlich entnehmen würde, dass unter bestimmten Umständen auf eine vorgelagerte Bitlängenprüfung (gemäß Schritt 200) verzichtet werden kann. Aus den oben erläuterten Gründen ist dies aber nicht der Fall.
3.8 Res iudicata
3.8.1 Die Beschwerdegegnerin argumentierte ferner, dass laut der Entscheidung dieser Kammer im Beschwerdeverfahren T 1282/12 die Bitlängenprüfung nicht untrennbar mit dem Ablaufplan verbunden sei. Nach dem Grundsatz der res iudicata sei diese Sichtweise auch für die hier zuständige Kammer in diesem Beschwerdeverfahren bindend. Dazu wurde auf die nachfolgend wiedergegebene Passage dieser Entscheidung verwiesen (Seite 9, letzter Absatz):
"Die Kammer stellt jedoch fest, dass der vorliegende Anspruch nunmehr auf eine Zugriffsberechtigung abstellt, in der die als ein Bitmuster empfangenen Zugriffsberechtigungsdaten sowohl Zugriffsschwellwertbits als auch Zugriffsklassenbits aufweisen. Nach Auffassung der Kammer geht, wie in Figur 3c beispielhaft dargestellt, aus der ursprünglichen Anmeldung unmittelbar hervor, dass eine Prüfung, ob ein Bitmuster nach einer der Figuren 3a (10-Bitmuster), 3b (10-Bitmuster) und 3c (13-Bitmuster) vorliegt, sich in diesem Fall erübrigt."
Als Stütze zu dieser Argumentation wurde die Entscheidung T 51/08 zitiert, der zufolge Gegenstände, über die eine Beschwerdekammer in der Stammanmeldung rechtskräftig entschieden hat, zur res iudicata würden.
3.8.2 Schon aus den folgenden Gründen kann im vorliegenden Fall die frühere Entscheidung T 1282/12 keine Bindungswirkung im Sinne einer res iudicata und damit keine materielle Rechtskraft für dieses Verfahren entfalten:
Unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine res iudicata hinsichtlich einer Stammanmeldung und weiteren Teilanmeldungen nach dem EPÜ vorliegen kann (siehe z.B. T 2084/11, Gründe 1.3; T 1666/14, Gründe 2; T 1870/16, Gründe 4.2), erfordert der Grundsatz der res iudicata jedenfalls eine Identität der Tatfragen (vgl. T 167/93, Gründe 2.5(d)).
Die unabhängigen Ansprüche des Streitpatents, das der Entscheidung T 1282/12 zugrunde lag, betreffen jedoch eine "Mobilstation zum Betrieb in einem UMTS Mobilfunknetz" bzw. ein entsprechendes Verfahren. In den unabhängigen Ansprüchen im vorliegenden Verfahren fehlt hingegen das Merkmal "zum Betrieb in einem UMTS Mobilfunknetz", so dass bereits schon aus diesem Grund keine Identität der Tatfragen vorliegt.
Der von der Beschwerdegegnerin angesprochenen Entscheidung T 51/08 lagen dagegen identische Ansprüche zugrunde, die unter anderem die Frage aufwarfen, ob ein Gegenstand aus einer Stammanmeldung, über den negativ entschieden worden war, in einer Teilanmeldung weiterverfolgt werden kann, und welchen Anforderungen eine Beschwerde gegen die Zurückweisung der Teilanmeldung zu genügen hat. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden daher nicht vergleichbar und daraus nichts für den vorliegenden Fall zu gewinnen.
3.9 Der Hauptantrag ist somit nicht nach Artikel 123 (2) EPÜ gewährbar.
4. Hilfsantrag B.6 - unzulässige Erweiterung
(Artikel 123 (2) EPÜ)
4.1 In Anspruch 1 des Hilfsantrags B.6 wurde ein Schritt aufgenommen, bei dem bei Empfang der Informationssignale das Vorliegen von Zugriffsschwellwert- bzw. Zugriffsklasseninformationen geprüft wird, ohne allerdings weiter zu präzisieren, wie diese Prüfung durchgeführt wird, und insbesondere ohne Bitlängenprüfung.
4.2 Als Stütze für diese Änderung wurde auf vier Textstellen verwiesen (Seite 2, Zeilen 5 bis 8; Seite 11, Zeilen 3, 4 und 9 bis 11; Seite 12, Zeilen 15 bis 17).
4.3 Keine der oben angegebenen Stellen offenbart die hinzugefügte Prüfung ohne Bitlängenprüfung als Teil des Ausführungsbeispiels, das in den Figuren 4a bis 4c dargestellt und in Absatz [0033] beschrieben ist. Da jedoch dieses Ausführungsbeispiel die einzige mögliche Grundlage für Anspruch 1 darstellt, bieten die ursprünglich eingereichten Unterlagen auch keine Stütze für Anspruch 1 des Hilfsantrags B.6. Zusätzlich findet sich in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Basis für den Zusatz "bei Empfang der Informationssignale" im Zusammenhang mit der hinzugefügten Prüfung.
4.4 Anspruch 1 des Hilfsantrags B.6 erfüllt somit auch nicht das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ.
5. Rückzahlung der Beschwerdegebühren der Beschwerdeführerinnen II und IV (Regel 103 (1) a) EPÜ)
5.1 Die Beschwerdeführerinnen II und IV bemängeln, die angefochtene Entscheidung wäre in Teilen nicht begründet und ihr Recht auf rechtliches Gehör wäre verletzt worden, womit wesentliche Verfahrensmängel vorlägen, die die Rückzahlung der Beschwerdegebühren rechtfertigten.
5.2 Dazu ist festzuhalten, dass die Einspruchsabteilung nicht verpflichtet ist, jedes vorgebrachte Argument explizit zu entkräften, solange die Begründung der angefochtenen Entscheidung insgesamt nachvollziehbar ist und sich mit dem maßgeblichen Vorbringen der Beteiligten auseinandersetzt. Dies ist hier der Fall, so dass kein Begründungsmangel vorliegt, der einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von
Regel 103 (1) a) EPÜ begründen könnte.
5.3 Bezüglich des Einwands, am Ende der angefochtenen Entscheidung würde die Ausführbarkeit bejaht, obwohl zuvor diese in der Entscheidung in Bezug auf den Hilfsantrag 4 nicht behandelt worden sei, ist außerdem zu konstatieren, dass laut den Punkten 81 bis 98 der Niederschrift der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung dieser Einspruchsgrund gegen den Hilfsantrag 4 nicht erhoben wurde.
5.4 Der weitere Einwand der Beschwerdeführerin II, es wäre nicht genug Zeit zur Verfügung gestanden, um zum unerwarteten Inhalt des Hilfsantrags Stellung zu nehmen, überzeugt ebenfalls nicht, da der Hilfsantrag 4 am Vorabend des letzten Verhandlungstags eingereicht wurde und dieser von 9:30 bis 18:40 gedauert hatte (vgl. Punkte 81 und 121 der Niederschrift). Der Inhalt dieses Antrags war aufgrund der vorher besprochenen Anträge daher nicht als "unerwartet" anzusehen.
5.5 Der Einwand, die angefochtene Entscheidung würde sich auf Gründe stützen, die nicht Gegenstand des Verfahrens waren, ist nicht spezifiziert und daher keiner inhaltlichen Erwiderung zugänglich. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von den Beschwerdeführerinnen II und IV angesprochene Zulassung von Hilfsanträgen in das Einspruchsverfahren grundsätzlich eine Frage der Ermessensausübung ist und nicht primär eine solche des rechtlichen Gehörs. Auch insoweit ist daher kein wesentlicher Verfahrensmangel zu erkennen.
5.6 Aus den obigen Gründen kann den Anträgen auf Rückzahlung der vollen Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ nicht stattgegeben werden.
6. Teilweise Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Beschwerdegegnerin (Regel 103 (4) a) EPÜ)
6.1 Die Beschwerdegegnerin hat mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021, d.h. vor Verkündung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung, ihre Beschwerde zurückgenommen.
6.2 Die von der Beschwerdegegnerin entrichtete Beschwerdegebühr ist somit im beantragten Umfang von 25% zurückzuzahlen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die Anträge der Einsprechenden 2 und 3 auf Rückzahlung der Beschwerdegebühren werden zurückgewiesen.
4. Die Beschwerdegebühr für die Beschwerde der Patentinhaberin wird im Umfang von 25% zurückgezahlt.