1.2. Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung: Teile der Anmeldung, die für die Offenbarung der Erfindung maßgebend sind
In T 6/84 (ABl. 1985, 238) war die Kammer der Auffassung, strukturelle Merkmale eines Mittels zur Ausführung eines chemischen Verfahrens (hier des Katalysators Offretit), die nicht in den Anmeldungsunterlagen selbst, sondern in einem in Bezug genommenen Dokument (hier einer kanadischen Patentschrift) genannt seien, könnten in den Patentanspruch aufgenommen werden, wenn sie eindeutig zur Erfindung gehörten, für die Schutz begehrt werde (s. auch T 590/94). Aus einer Mehrzahl in dieser Weise offenbarter Merkmale dürfe jedoch nicht willkürlich ein einzelnes herausgegriffen werden (hier das Siliciumdioxid/Aluminiumoxid-Verhältnis), wenn der Nachweis fehle, dass dieses Merkmal allein zur Kennzeichnung ausreiche. Vielmehr müssten alle anderen in der Druckschrift ursprünglich offenbarten und definierten und zusammengehörenden wesentlichen Strukturbestandteile und Beugungsdiagramme mit aufgenommen werden.
In T 689/90 (ABl. 1993, 616) entschied die Beschwerdekammer, dass Merkmale, die nur in einem in der Beschreibung in der eingereichten Fassung in Bezug genommenen Dokument offenbart seien, prima facie nicht vom "Inhalt der ursprünglichen Unterlagen" umfasst seien. Nur unter bestimmten Umständen könnten sie ohne Verstoß gegen Art. 123 (2) EPÜ 1973 in einen Anspruch der streitigen Anmeldung aufgenommen werden: (a) Wenn aus der Beschreibung der Erfindung für den Fachmann zweifelsfrei erkennbar sei, dass für diese Merkmale Schutz begehrt werde; (b) dass sie zum technischen Ziel der Erfindung und somit zur Lösung der der beanspruchten Erfindung zugrunde liegenden technischen Aufgabe beitrügen; (c) dass sie eindeutig implizit zur Beschreibung der in der Anmeldung in der eingereichten Fassung enthaltenen Erfindung (Art. 78 (1) b) EPÜ 1973) und damit zum Offenbarungsgehalt dieser Anmeldung gehörten (Art. 123(2) EPÜ 1973); und (d) dass sie in dem gesamten technischen Informationsgehalt des Bezugsdokuments genau definiert und identifizierbar seien. In dem hier vorliegenden Fall waren diese Erfordernisse nicht erfüllt. S. auch T 196/92, T 558/03, T 1497/06, T 1415/07, T 1378/08, T 664/11, T 1451/12, T 2498/12, T 672/14; s. auch T 474/05, wo in der Anmeldung innerhalb eines spezifischen Kontexts auf eine Druckschrift Bezug genommen worden war und da die darauf gestützte Änderung über diesen Kontext hinausging und daher nicht zulässig war; s. auch T 2477/12, wo T 689/90 im Zusammenhang mit Art. 76 (1) EPÜ auf den Fall angewandt wurde, dass eine Sequenzprotokolle enthaltende Prioritätsanmeldung durch Verweis in die Stammanmeldung einbezogen worden war.
In T 1125/17 betonte die Kammer, dass das Erfordernis (a) aus T 689/90 sehr streng sei. Unter Verweis auf T 1415/07 stellte sie klar, dass es für den Fachmann eindeutig ableitbar sein müsse, welche Merkmale der Anmeldung aus dem Bezugsdokument zu entnehmen seien. Die bloße Erwähnung eines Dokuments aus dem Stand der Technik als "Beispiel" sei in der Regel nicht ausreichend, um festzustellen, welche Merkmale oder Gruppen von Merkmalen für die anführende Anmeldung besonders relevant seien.
In T 737/90 befand die Kammer, dass ein angeführtes Dokument nur berücksichtigt werden könne, wenn die relevanten Adressaten der den Verweis enthaltenden Anmeldung ohne Weiteres Zugang zu diesem Dokument hätten (das EPA vor der Veröffentlichung der Anmeldung und die Öffentlichkeit danach).
Zur Einbeziehung durch Verweis im Kontext der Neuheit s. oben in Kapitel I.C.4.2.