5.11.4 Einseitiges Beschwerdeverfahren
In T 902/10 stellte die Kammer fest, dass es ständige Rechtsprechung ist, dass die Beschwerdekammern Anträge nicht zulassen, die im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens zurückgenommen wurden (T 922/08); würde die Kammer einen solchen Antrag zulassen, würde dies dem Hauptzweck des primär auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung abgestellten Ex-parte-Beschwerdeverfahrens widersprechen (vgl. G 10/93, ABl. 1995, 172), das der beschwerten Partei (dem Anmelder) Gelegenheit geben soll, die Entscheidung sachlich anzufechten und eine gerichtliche Entscheidung dazu zu erwirken, ob die erstinstanzliche Entscheidung richtig war (s. auch T 2278/08, T 1306/10, T 1311/11, T 2489/11, T 1818/16).
In T 922/08 war Anspruch 1 des zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags mit Anspruch 1 des Antrages identisch, der als erster Hilfsantrag vor der Prüfungsabteilung eingereicht worden war. Während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung hatte der Anmelder diesen Antrag von sich aus zurückgenommen. Die Kammer stellte fest: Selbst wenn man dem Vorbringen des Beschwerdeführers folge und in der Rücknahme des Hauptantrags keinen Verzicht auf diesen Antrag für das anschließende Beschwerdeverfahren sehe, habe diese Rücknahme im erstinstanzlichen Verfahren eine begründete Entscheidung in der Sache durch die Prüfungsabteilung verhindert. Ein Wiederaufgreifen dieses Antrags im Beschwerdeverfahren würde die Kammer zwingen, entweder erstmals über kritische Punkte zu entscheiden, was dem Zweck einer zweitinstanzlichen Entscheidung zuwiderliefe, oder die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen, was der Verfahrensökonomie klar widerspreche (s. auch T 1156/09, T 1231/09, T 902/10, T 184/13, T 2508/13).
In T 675/13 war die im Anspruch 1 beanspruchte Ausführungsform bereits im erstinstanzlichen Verfahren verfolgt, dann aber fallen gelassen worden, weshalb die Prüfungsabteilung über diesen Aspekt der Erfindung nicht in der Sache entscheiden konnte. Die Kammer befand, dass ihre Wiedereinführung eine Art unzulässiges "Forum-Shopping" (s. z. B. T 2017/14) ermöglicht hätte.
In T 435/11 entsprach Anspruch 1 des Antrags im Wesentlichen einem Anspruch, dem die Prüfungsabteilung die Neuheit abgesprochen hatte und der daraufhin zugunsten enger gefasster Ansprüche zurückgenommen worden war. Die Kammer berücksichtigte die besonderen Umstände des Falls. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte der Beschwerdeführer Beschränkungen vorgenommen, gegen die die Prüfungsabteilung Einwände nach Art. 123 (2) EPÜ erhoben hatte. Diese Einwände ließen sich nicht durch eine weitere Änderung ausräumen. Um dem Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren überhaupt einen Ausweg aus dieser Situation zu eröffnen, musste ihm gestattet werden, auf einen Anspruch zurückzugreifen, in dem die beanstandeten Merkmale gestrichen waren. Deswegen ließ die Kammer den Hauptantrag zum Verfahren zu.