4. Besorgnis der Befangenheit von Mitgliedern der erstinstanzlichen Organe
In T 261/88 vom 16.2.1993 date: 1993-02-16 stellte die Kammer fest, dass eine den Ausschluss rechtfertigende Befangenheit voraussetzt, dass eine an der Entscheidung mitwirkende Person einem Beteiligten gegenüber voreingenommen ist. Bei der Prüfung des Vorwurfs der Parteilichkeit (der in diesem Fall vor allem darauf beruhte, dass der Prüfer ein früherer Mitarbeiter des Einsprechenden war) ist der besonderen Sachlage im Einzelfall Rechnung zu tragen (vgl. G 5/91). Die Tatsache, dass die Ansichten des Prüfers von denen des Beteiligten abweichen, rechtfertigt für sich genommen den Ausschluss noch nicht. Die Kammer stellte fest, dass eine den Ausschluss rechtfertigende Befangenheit nur dann gegeben ist, wenn das Votum einer Person, deren Entscheidungen die Rechte der Beteiligten berühren, durch ihre Einstellung zu einem Beteiligten beeinflusst wird.
In T 900/02 stellte die Kammer fest, dass Besorgnis der Befangenheit unweigerlich entsteht, wenn ein Mitglied einer Einspruchsabteilung oder eines anderen erstinstanzlichen Organs sich zunächst bei einer Firma, bei der ein Partner oder sonstiger Angestellter einen vor diesem Mitglied anhängigen Fall bearbeitet, um eine Tätigkeit bewirbt und sie dann annimmt. Um über jeden Verdacht der Voreingenommenheit erhaben zu sein, muss jedes Mitglied derartige Situationen im Verfahren jederzeit vermeiden. Niemand kann von beiden Beteiligten als unabhängig angesehen werden, wenn er bei einem von ihnen beschäftigt ist. Die Beschäftigung des Zweitprüfers durch die Firma des Vertreters des Beschwerdegegners stellte sowohl einen wesentlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß Art. 10 VOBK 1980 als auch einen wesentlichen Verfahrensfehler gemäß R. 67 EPÜ 1973 dar.
In T 1055/05 entschied die Beschwerdekammer, dass eine Weigerung der Prüfungsabteilung, in der mündlichen Verhandlung Ausführungen eines Parteienvertreters zu Protokoll zu nehmen, weder das rechtliche Gehör verletzt noch Befangenheit begründet.
In T 710/15 hatte die Einspruchsabteilung ein neues Argument nach Art. 114 (2) EPÜ zurückgewiesen, auf dessen Grundlage aber nur neue Tatsachen oder Beweismittel unberücksichtigt bleiben dürfen. Die Kammer befand, dass eine solche Fehleinschätzung kein Beweis für die Befangenheit des Vorsitzenden oder der Einspruchsabteilung ist.
In T 568/17 hatte die Mitteilung des Prüfers gravierende Fehleinschätzungen enthalten, doch reichte dies allein nach Auffassung der Kammer nicht aus, um eine Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Mit Verweis auf G 1/05 vom 7. Dezember 2006 date: 2006-12-07 (ABl. 2007, 362) stellte die Kammer fest, dass die Befangenheit nicht tatsächlich nachgewiesen werden muss, damit eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit Erfolg hat. Die Besorgnis der Befangenheit muss jedoch bei objektiver Betrachtung und von der Kammer überprüfbar gerechtfertigt sein. Die bloße Behauptung unspezifischer und unbelegter "negativer Äußerungen" reicht nicht aus.