3.1. Pflanzen und Pflanzensorten
In T 49/83 (ABl. 1984, 112) wurde erstmals der Begriff "Pflanzensorten" als Vielzahl von Pflanzen definiert, die in ihren Merkmalen weitgehend gleich sind und nach jedem Vermehrungszyklus innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen gleich bleiben. In der Sache T 320/87 (ABl. 1990, 71) entschied die Kammer dann, dass Hybridsamen und -pflanzen, bei denen eine gesamte Generationspopulation in einem Merkmal nicht beständig ist, nicht als Pflanzensorten im Sinne des Art. 53 b) EPÜ 1973 bezeichnet werden können (s. hierzu auch T 788/07). In T 356/93 (ABl. 1995, 545) stellte die Kammer fest, dass Pflanzenzellen als solche, die sich dank der modernen Technik fast wie Bakterien und Hefen kultivieren ließen, nicht unter der Definition einer Pflanze oder Pflanzensorte subsumiert werden konnten. Dies wurde durch die Stellungnahme G 1/98 bestätigt, wonach Pflanzenzellen wie Mikroorganismen zu behandeln sind.
In R. 26 (4) EPÜ wird der Begriff "Pflanzensorte" in Übereinstimmung mit der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen definiert. Eine Pflanzensorte ist demnach "jede pflanzliche Gesamtheit innerhalb eines einzigen botanischen Taxons der untersten bekannten Rangstufe, die unabhängig davon, ob die Bedingungen für die Erteilung des Sortenschutzes vollständig erfüllt sind,
a) durch die sich aus einem bestimmten Genotyp oder einer bestimmten Kombination von Genotypen ergebende Ausprägung der Merkmale definiert,
b) zumindest durch die Ausprägung eines der erwähnten Merkmale von jeder anderen pflanzlichen Gesamtheit unterschieden und
c) in Anbetracht ihrer Eignung, unverändert vermehrt zu werden, als Einheit angesehen werden kann."
Der Verweis in R. 26 (4) a) EPÜ auf die Ausprägung der Merkmale, die sich aus einem bestimmten Genotyp oder einer bestimmten Kombination von Genotypen ergibt, bezieht sich auf die vollständige Struktur einer Pflanze oder eines Satzes genetischer Informationen. Demgegenüber ist eine Pflanze, die durch einzelne rekombinante DNA-Sequenzen definiert ist, keine individuelle pflanzliche Gesamtheit mit einer vollständigen Struktur im Sinne dieser Definition. Hier handelt es sich nicht um ein konkretes Lebewesen oder um eine Gesamtheit konkreter Lebewesen, sondern um eine abstrakte und offene Definition, die eine unbestimmte Vielzahl von Einzelindividuen umfasst, die durch einen Teil ihres Genotyps oder durch eine Eigenschaft definiert sind, die ihr durch diesen Teil verliehen wird (G 1/98, T 189/09, T 547/10).
In T 1208/12 stellte die Kammer fest, dass ein Anspruch auf einen hybriden Pflanzensamen, der durch Kreuzung zweier Brassica-Pflanzenarten erzeugt wurde, auf eine ausgeschlossene Pflanzensorte gerichtet war. Die dem gegebenen Sachverhalt zugrunde liegende technische Situation sei anders als in G 1/98, und die Ansprüche seien nicht auf einen Samen oder eine Pflanze gerichtet, der bzw. die lediglich durch die Präsenz einer einzelnen rekombinanten DNA-Sequenz definiert sei. Die Definition des beanspruchten Gegenstands passe daher nicht zu dem in G 1/98 dargelegten Konzept "eine[r] abstrakte[n] und offene[n] Definition, die eine unbestimmte Vielzahl von Einzelindividuen umfasst, die durch einen Teil ihres Genotyps oder durch eine Eigenschaft definiert sind, die ihr durch diesen Teil verliehen wird". Im vorliegenden Fall definiere der Gegenstand einen Samen oder eine Pflanze, der bzw. die zwangsläufig zu einer bestimmten pflanzlichen Gesamtheit gemäß der Definition einer Pflanzensorte in R. 26 (4) EPÜ gehöre, d. h. es werde ausschließlich Bezug genommen auf eine individuelle pflanzliche Gesamtheit mit einer vollständigen Struktur.