T 0094/84 (Malgrund) 20-06-1986
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Erfinderische Tätigkeit
Offensichtliche Alternative
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Nichtberücksichtigung der Begründung des Einsprechenden
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 20. August 1979 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 79 400 579.3, für die die Priorität einer französischen Voranmeldung vom 29. August 1978 in Anspruch genommen wird, wurde am 9. September 1981 das europäische Patent Nr. 0 010 007 auf der Grundlage von acht Patentansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 8 lauteten wie folgt:
1. Verfahren zur Isolierung eines Malgrundes, insbesondere zum Zweck des Auftrags von neuen Farbschichten, dadurch gekennzeichnet, daß man auf den zu isolierenden Malgrund eine Sperrschicht aus einer filmbildenden Zusammensetzung aufbringt, die aus einem Polyamidharz auf Dicarbonsäure-Diaminbasis in alkoholischer oder wäßrig-alkoholischer Lösung besteht, und die auf diese Weise erhaltene Schutzschicht trocknen läßt.
8. Anwendung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 zur Ausbesserung eines Malgrundes, insbesondere auf Fahrzeugkarosserien, dadurch gekennzeichnet, daß man auf den auszubessernden Malgrund eine Schicht der flüssigen filmbildenden Zusammensetzung aufträgt, die entstandene Schutzschicht trocknen läßt und dann den Reparaturlack auf diese aufträgt.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte am 19. Mai 1982 gegen das europäische Patent Einspruch ein und beantragte seinen Widerruf wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit. Die Einspruchsgründe stützten sich auf einen neuen Stand der Technik, nämlich
1. die Druckschrift DE-A-25 19 559
2.1. das Referat Nr. 01236 U-AG, veröffentlicht am 22. Februar 1973 in Central Patents Index, Basic Abstracts Journal Section A - Plasdoc, Derwent Publication Ltd., London, England
2.2. die diesem Referat zugrunde liegende japanische Patentschrift
3. das Merkblatt "Ultramid 1 C" der Firma BASF Badische Anilin-und Soda-Fabriken AG, Ludwigshafen am Rhein, Bundesrepublik Deutschland, veröffentlicht im April 1965
III. In der mündlichen Verhandlung am 12. April 1983 legte die Beschwerdeführerin eine deutsche Übersetzung der japanischen Patentschrift 51563/72 (Entgegenhaltung 2b) vor, die in Verbindung mit dem zusammen mit der Einspruchsschrift eingereichten Referat (Entgegenhaltung 2a) genannt worden war. Die Einspruchsabteilung lehnte es unter Berufung auf Artikel 114 (2) EPÜ ab, die japanische Patentschrift oder ihre Übersetzung in Betracht zu ziehen. Am Schluß der mündlichen Verhandlung teilte die Einspruchsabteilung die Absicht mit, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage eines einzigen unabhängigen Patentanspruchs aufrechtzuerhalten, in dem die früheren Patentansprüche 8 und 1 zusammengefaßt sind.
IV. Nach Ablauf der Frist nach Regel 58 (4) EPÜ, innerhalb deren die Beschwerdeführerin ihr Nichteinverständnis mitgeteilt und eine beglaubigte Übersetzung der japanischen Patentschrift (2b) in die englische Sprache eingereicht hatte, wies die Einspruchsabteilung den Einspruch mit Zwischenentscheidung vom 28. Februar 1984 zurück. Als Begründung machte sie geltend, daß das beanspruchte Verfahren in keiner der Entgegenhaltungen beschrieben sei und daß es von ihnen weder einzeln noch in Verbindung miteinander nahegelegt werde.
V. Am 18. April 1984 legte die Beschwerdeführerin unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Die fernschriftlich eingereichte Beschwerdebegründung wurde mit einem am 28. Juni 1984 eingegangenen Schreiben bestätigt.
VI. In dem Schriftwechsel machte die Beschwerdeführerin geltend, die Entgegenhaltung 2b sei so rechtzeitig genannt worden, daß sie von der Einspruchsabteilung hätte in Betracht gezogen werden können. Wenn diese eine Übersetzung für zweckmäßig gehalten hätte, hätte sie sie anfordern müssen. Wenn die Beschwerdeführerin die Übersetzung einer in der Einspruchsschrift ausdrücklich erwähnten Entgegenhaltung in der mündlichen Verhandlung von sich aus vorgelegt habe, könne diese wohl kaum als nicht rechtzeitig vorgelegtes Beweismittel eingestuft werden. Ihres Erachtens nehme diese Entgegenhaltung in Verbindung mit den Druckschriften 1 und 3 den Gegenstand der Patentansprüche des angefochtenen Patents vorweg.
VII. In einem Bescheid äußerte die Kammer Bedenken bezüglich der Patentierbarkeit des Gegenstands der Patentansprüche. Sie wies insbesondere auf die Entgegenhaltung 2b hin, die ihres Erachtens dem angefochtenen Patent am nächsten steht und bei der Ermittlung der anmeldungsgemäßen Aufgabe zugrunde gelegt werden muß. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) habe sich allem Anschein nach lediglich die Aufgabe gestellt, eine Alternative zu dem in der Entgegenhaltung 2b beschriebenen Verfahren anzugeben. Außerdem wies die Kammer darauf hin, daß in der Akte konkrete Angaben fehlen, die einen objektiven Vergleich mit dem einschlägigen Stand der Technik ermöglichen könnten. Sie führte schließlich das
"Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen", Band IV, 1976 (Entgegenhaltung 4) in das Verfahren ein, dem ein allgemeiner Trend zum Verzicht auf Naturharze zu entnehmen ist (S. 105).
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) wies die Auslegung zurück, die die Beschwerdeführerin dem japanischen Patent (2b) gegeben hat. Ihres Erachtens lehre diese Entgegenhaltung, daß die vorgeschlagenen Lösungen mindestens 50 % Schellack enthalten müßten, und lege damit ganz und gar nicht nahe, daß dieser auch weggelassen werden könne. Unter diesen Umständen könne die Entgegenhaltung 2b auch in Verbindung mit den Druckschriften 1 und 3 den Fachmann nicht zu der in dem angefochtenen Patent beanspruchten Lösung führen, ohne daß eine erfinderische Tätigkeit notwendig sei.
In ihrer Erwiderung auf den Bescheid der Kammer wies die Beschwerdegegnerin darauf hin, daß die Verbesserung der Alterungsbeständigkeit Teil der patentgemäßen Aufgabe sei. Sie legte Ergebnisse von Versuchen zur Witterungsbeständigkeit vor, die sie mit Reparaturlacken durchgeführt hatte, die mit der Zusammensetzung nach Beispiel 2 isoliert worden waren (am 10. April 1986 eingegangenes Schreiben).
IX. Die Beschwerdeführerin beantragt den Widerruf des angefochtenen Patents und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents im bisherigen Umfang, wobei der einzige unabhängige Anspruch wie folgt lauten soll: Verfahren zur Ausbesserung eines Malgrundes, insbesondere auf Fahrzeugkarosserien, dadurch gekennzeichnet, daß man auf den auszubessernden Malgrund eine Schicht der flüssigen filmbildenden Zusammensetzung aufträgt, die aus einem Polyamidharz auf Di-carbonsäure-Diaminbasis in alkoholischer oder wäßrig-alkoholischer Lösung besteht, die entstandene Schutzschicht trocknen läßt und dann den Reparaturlack auf diese aufträgt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Der Gegenstand der Ansprüche geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
3. Das angefochtene europäische Patent betrifft die Ausbesserung von Malgründen, insbesondere auf Fahrzeugkarosserien. Nächster Stand der Technik, insbesondere hinsichtlich des Gegenstands, ist das japanische Patent Nr. 51 563/72 (2b). (Wenn im folgenden auf die Entgegenhaltung 2b Bezug genommen wird, so ist damit die beglaubigte Übersetzung der japanischen Patentschrift gemeint, die in der Akte vorliegt.) Wie das angefochtene Patent, so hat auch die Entgegenhaltung 2b die Ausbesserung von Farbüberzügen auf Untergründen, z. B. Kraftfahrzeugteilen, zum Gegenstand. Gemäß dieser Entgegenhaltung führt die direkte Aufbringung von Farbe auf die alte Farbschicht häufig zum Schrumpfen und Reißen der neuen Schicht, weil das darin enthaltene Lösungsmittel in die alte Schicht eindringt und sie ablöst. Außerdem sollen die Farbpigmente der unteren Schichten bei Neuauftrag eines Lackes in die obere Schicht wandern (s. Beschreibung von 2b, S. 1 und S. 2, Zeilen 1 - 6). In der Entgegenhaltung 2b wird zur Abhilfe dieser Mängel vorgeschlagen, daß die alte Schicht durch einen für das Lösungsmittel der neuen Schicht undurchdringlichen Zwischenfilm von der neuen Schicht isoliert wird. Für diesen Zwischenfilm schlägt die Entgegenhaltung 2b u. a. eine Mischung aus N-methoxymethyliertem Nylon und Schellack (S. 6) vor. Diese Mischung ist in Alkohol oder Alkohol-Wasser-Gemischen löslich, in anderen Lösungsmitteln jedoch unlöslich (s. S. 2, letzter Absatz). Gemäß allen Beispielen der Entgegenhaltung 2b wird die Zwischenschicht vor Aufbringen der äußeren Schichtgetrocknet.
4. Die Beschwerdegegnerin bestreitet zwar nicht, daß die Gegenstände des angefochtenen Patents und der Entgegenhaltung 2b einander sehr nahe liegen, weist jedoch darauf hin, daß bei letzterer (2b) zur Ausbesserung von Kraftfahrzeugkarosserien nicht Polyamidharz, sondern eine Mischung aus Schellack und Polyamid verwendet wird. Sie hat aber festgestellt, daß alkohollösliche Isoliermittel auf Schellackbasis zwar wirksam sind und rasch trocknen, aber den Nachteil aufweisen, daß sie nicht alterungsbeständig sind, sondern mit der Zeit Risse bilden und abblättern.
5. Angesichts dieser Überlegungen müßte die Aufgabe darin bestehen, ein Isoliermittel zu finden, das nicht so schnell altert.
Trotz Aufforderung der Kammer, ihre Behauptungen hinsichtlich der verbesserten Alterungsbeständigkeit konkret zu belegen, hat die Beschwerdegegnerin nur die - anscheinend befriedigenden - Ergebnisse von Versuchen mit dem pigmentierten Isoliermittel aus Beispiel 2 vorgelegt. Zum nächsten Stand der Technik hat sie lediglich die Vermutung geäußert, daß die Zusammensetzungen auf Schellackbasis unter denselben Bedingungen nach drei bis sechs Monaten Bewitterung Risse bilden und sich ablösen würden (s. das am 10. April 1986 eingegangene Schreiben, S. 3, Abs. 2 und 3). Die Kammer hält diese Erklärung für rein spekulativ. Ihrer Ansicht nach hat die Beschwerdegegnerin keine konkreten Anhaltspunkte vorgelegt, die einen objektiven Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik ermöglichen (s. Entscheidung T 20/81, Shell-Aryloxybenzaldehyd, ABl. EPA 1982, 217, insbesondere 221, Abs. 2).
Die Aufgabe beschränkt sich somit darauf, eine Alternative zum bekannten Isoliermittel zu finden. Damit entspricht sie der in der Entgegenhaltung 2b gestellten Aufgabe.
6. Die von der Patentinhaberin vorgeschlagene Problemlösung besteht in der Verwendung eines Polyamidharzes auf Dicarbonsäure-Diaminbasis in alkoholischer oder wäßrig-alkoholischer Lösung. In der Beschreibung hat die Patentinhaberin sieben Beispiele für Zusammensetzungen angegeben, mit denen das gewünschte Ergebnis erzielt werden kann. Alle diese Zusammensetzungen sind frei von Schellack und entsprechen der Definition des Anspruches; überhaupt zeigt die gesamte Offenbarung, daß die vorgeschlagene Lösung durchaus der Aufgabenstellung entspricht, was auch nicht bezweifelt worden ist.
7. Die Neuheit des Gegenstands des Anspruches 1 wird nicht bestritten. In keiner der im Laufe des Verfahrens angezogenen Druckschriften ist der Gegenstand dieses Anspruchs offenbart.
8. Es stellt sich nun die Frage, ob der Fachmann, der der Aufgabenstellung entsprechend um eine Alternative zu dem in der Entgegenhaltung 2b beschriebenen Isoliermittel bemüht war, in Anbetracht des Stands der Technik und insbesondere dieser Entgegenhaltung 2b erfinderisch tätig werden mußte, um zum Ausbessern eines Malgrundes ein Polyamidharz auf Dicarbonsäure-Diaminbasis zu verwenden.
Um der Aufgabenstellung zu entsprechen, durfte das alternative Isoliermittel - wie schon das aus der Entgegenhaltung 2b bekannte - nicht die Mängel aufweisen, die bei direkter Aufbringung einer neuen Farbschicht auf eine alte Schicht (Malgrund) auftreten.
8.1. Unter den bekannten Erzeugnissen, die hierfür in Frage kamen, stand dem Fachmann das in dem Merkblatt "Ultramid 1C" BASF Ludwigshafen - April 1965 (Entgegenhaltung 3) beschriebene Copolyamid zur Verfügung. Gemäß dieser Entgegenhaltung ist Ultramid 1C ein Mischpolyamid aus drei Komponenten auf der Grundlage von Caprolactam, Hexamethylendiamin/Adipinsäure und p,p'-Diaminodicyclohexylmethan/Adipinsäure. Dieses Polyamid, das für Beschichtungen geeignet ist, ist in Alkohol und Alkohol-Wasser-Gemischen löslich, gegen die meisten Lösungsmittel wie Benzol, Ketone, Ether und Ester jedoch beständig (s. Merkblatt (3), S. 1, Überschrift und Abs. 1 und 2 sowie S. 2, vorletzter Abs.).
Dem Merkblatt zufolge ist Ultramid 1C für die Herstellung von Lacken geeignet. Die Ultramid-1C-Filme sind gegenüber vielen Lösungsmitteln beständig und haften auf zahlreichen Untergründen, unter anderem auch auf Metallen und Kunststoffen (s. Merkblatt (3), S. 5 unten und S. 6 oben).
Aus dem Merkblatt (3) geht eindeutig hervor, daß das dort vorgestellte Erzeugnis praktisch die Eigenschaften aufweist, die in der Entgegenhaltung 2b gesucht werden, so daß es ganz offensichtlich geeignet ist, auch die hier bestehende Aufgabe zu lösen. Diese Alternative mußte sich dem Fachmann aufdrängen. Er brauchte also nur noch einen Versuch durchzuführen, um festzustellen, ob ein Copolyamid-Film zwischen einer alten und einer neuen Farbschicht isolierend wirkt.
8.2. In der deutschen Patentanmeldung DE-A 2 519 559 (1) werden nun aus mehreren Schichten bestehende Farbüberzüge auf metallischen oder nichtchtmetallischen Untergründen beschrieben. Zwischen dem Deckanstrich und der Grundierung wird eine Zwischenschicht aus unvernetztem Polyamid aufgebracht, so daß die Deckschicht erneuert werden kann, ohne daß die Grundierung angegriffen wird. In diesem Falle wird die Deckschicht entfernt, ohne daß auch die Zwischenschicht entfernt zu werden braucht.
Die Zwischenschicht ist gegenüber Lösungsmitteln beständig, mit denen die Deckschicht abgebeizt werden kann, und schützt somit die Grundierung (Entgegenhaltung 1, S. 2, Abs. 2 und 3; S. 3 oben und Abs. 3 und 7).
8.3. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Problemlösung, bei der anstelle der in der Entgegenhaltung 2b beschriebenen Zwischenschicht ein Polyamidharz auf Dicarbonsäure-Diaminbasis in alkoholischer oder wäßrig-alkoholischer Lösung zur Ausbesserung von Malgründen verwendet wird, eindeutig durch den Stand der Technik nahegelegt wird. Diese Lösung folgt im übrigen dem allgemeinen Trend zum Verzicht auf Naturharze (s. z. B. Entgegenhaltung 4, S. 105, Abs. 4.2.2.1.4, Satz 1).
9. Da alle Ansprüche des angefochtenen Patents den Bedingungen des Übereinkommens entsprechen müssen, braucht die Gewährbarkeit der übrigen Patentansprüche nicht geprüft zu werden, zumal ansonsten keine erfinderischen Merkmale erkennbar oder glaubhaft gemacht worden sind.
10. Die Beschwerdeführerin beantragt die Rückzahlung der Beschwerdegebühr mit der Begründung, daß die Einspruchsabteilung die in der Einspruchsschrift genannte japanische Patentschrift nicht berücksichtigt habe.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr kann nur aufgrund der Regel 67 EPÜ angeordnet werden. Es ist daher zu prüfen, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt.
10.1. Nach Artikel 113 (1) EPÜ dürfen die Entscheidungen des Europäischen Patentamts nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Da es sich hier um eine Entscheidung auf Zurückweisung eines Einspruchs handelt, müssen selbstverständlich die Einspruchsgründe sowie die zu ihrer Stützung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel in vollem Umfang von der Einspruchsabteilung in Betracht gezogen werden. Erst wenn diese nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß kommt, daß keiner der Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht, weist sie den Einspruch zurück.
10.2. Im vorliegenden Fall hat es die Einspruchsabteilung abgelehnt, die japanische Patentschrift (Entgegenhaltung 2b) oder - wie von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vorgeschlagen - ihre deutsche Übersetzung in Betracht zu ziehen. Wenn man von der Behauptung absieht, daß diese Schriftstücke erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden sind, finden sich weder in der Entscheidung noch in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung Gründe, weshalb die Einspruchsabteilung den Inhalt dieser Schriftstücke nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Die Kammer weist darauf hin, daß die japanische Patentschrift entgegen der von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung aufgestellten Behauptung (s. Kap. I, S. 2, Abs. 3) in der Einspruchsschrift genannt ist (s. Einspruchsschrift, S. 2, Entgegenhaltung 2, die beiden letzten Zeilen).
10.3. Die Kammer räumt ein, daß man auch bei einer möglicherweise falschen Bewertung des Stands der Technik nicht von einer Verletzung der Verfahrensnormen sprechen kann. Sie hat bereits früher die Ansicht geäußert, daß die objektive Beurteilung der Relevanz aller Schriftstücke des Stands der Technik zu den normalen Aufgaben im Rahmen des Prüfungsverfahrens gehört und keinesfalls einen Verfahrensmangel darstellen kann (s. Entscheidung T 28/81 vom 11. Juni 1985, Nr. 11 der Entscheidungsgründe).
Dies trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, da die Einspruchsabteilung den Inhalt der Entgegenhaltung 2b nicht einmal zur Kenntnis genommen, sondern sich mit der unvollständigen Aussage des Referats begnügt hat (Entgegenhaltung 2a). Dies alles erweckt den Eindruck, als habe die Einspruchsabteilung die Einsprechende absichtlich daran hindern wollen, ihre Beweisführung voll auf einem nicht unwesentlichen Einspruchselement aufzubauen; schließlich handelte es sich hierbei um einen der vier zur Begründung des Einspruchs genannten Texte. Dieser Verstoß gegen Artikel 113 (1) reicht allein schon aus, um auf einen wesentlichen Verfahrensmangel zu erkennen.
10.4. Bei ihrer Weigerung, die Entgegenhaltung 2b in Betracht zu ziehen, bezieht sich die Einspruchsabteilung außerdem auf Artikel 114 (2) EPÜ. In diesem Artikel steht aber auch, daß das Europäische Patentamt in den Verfahren vor dem Amt den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt (Art. 114 (1) EPÜ). Die Kammer hat in ihrer Rechtsprechung eingeräumt, daß die Nachsicht bei der Zulassung von nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichten Schriftstücken zu Mißbräuchen führen kann, die nur schwer zu kontrollieren sind. Sie hat auch eingeräumt, daß mit der Zulassung solcher Schriftstücke ein Nachteil verbunden ist, der aber gegen die Verpflichtung zur Ermittlung von Amts wegen abzuwägen ist, wenn diese Schriftstücke zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen können (s. Entscheidung T 273/84, Nr. 6, die beiden letzten Absätze der Entscheidungsgründe). Selbst wenn die japanische Druckschrift (Entgegenhaltung 2b) in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal genannt worden wäre (was nicht der Fall ist), wäre es angezeigt gewesen, sie rasch durchzusehen, um sich über ihre Relevanz Klarheit zu verschaffen. Da gleichzeitig eine Übersetzung in eine der Amtssprachen vorgelegt worden war, wäre dies auch möglich gewesen. Der Einspruchsakte ist jedoch nichts zu entnehmen, was darauf schließen läßt, daß dies geschehen ist. Aus den obigen Ausführungen geht jedoch klar hervor, daß die Entgegenhaltung 2b der nächstliegende Stand der Technik ist und bei Berücksichtigung die angefochtene Entscheidung in Frage stellt (s. Nr. 3 und 4). Dies läßt den Schluß zu, daß Artikel 114 EPÜ in seiner Gesamtheit nicht eingehalten worden ist.
10.5. Die Einspruchsabteilung hätte sich nicht darauf berufen dürfen, daß sich die Einsprechende in ihrer Einspruchsschrift mehr auf das Derwent-Referat (2a) als auf die diesem Referat zugrunde liegende japanische Patentschrift (2b) gestützt hat. Es ist nicht zu leugnen, daß die Einspruchsschrift eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Basisdokument (2b) enthält: "... sowie die diesem Referat zugrunde liegende japanische Patentveröffentlichung". Aufgrund der Regeln 59 und 1 (2) EPÜ hätte die Einspruchsabteilung die Möglichkeit gehabt, die japanische Patentschrift und ihre Übersetzung anzufordern.
Es sollte hier vielleicht auch hinzugefügt werden, daß das Referat (Entgegenhaltung 2a) keineswegs darauf schließen läßt, daß es der zugrunde liegenden Patentschrift an Relevanz mangelt.
10.6. Der gesamte Sachverhalt zwingt dazu, auf einen wesentlichen Verfahrensmangel zu erkennen und dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr stattzugeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.