4. Technische Aufgabe
4.1. Allgemeines zur Ermittlung der objektiven technischen Aufgabe
Gemäß dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz sind bei der Ermittlung der technischen Aufgabe objektive Kriterien maßgebend (s. z. B. T 1/80, ABl. 1981, 206, T 24/81, ABl. 1983, 133, T 39/93, ABl. 1997, 134), d. h., es ist die Aufgabe zu ermitteln, die vor dem Hintergrund des nächstliegenden Stands der Technik, der sich von dem dem Erfinder zugänglichen Stand der Technik unterscheiden kann, als tatsächlich gelöst gelten kann (T 576/95, T 420/14, T 1148/15). Dazu muss die technische Wirkung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beurteilt werden (T 148/05, T 1422/12, T 141/16).
Beim Vergleich der Aufgabenstellung in der Anmeldung und in einer Entgegenhaltung sind zu weit gehende Abstraktionen zu vermeiden, die vom konkreten Denken des Fachmanns wegführen (T 5/81, ABl. 1982, 249; T 150/89; T 417/94; T 177/98; T 263/99; T 1093/04).
Künstliche und technisch unrealistische Aufgaben zu definieren soll vermieden werden (s. T 495/91, T 741/91, T 334/92, T 708/96, T 257/98, T 1967/08, T 98/16).
Für die Zwecke des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes muss es sich bei der Aufgabe um eine technische Aufgabe handeln, die einem Fachmann des betreffenden technischen Gebiets am relevanten Prioritätstag zur Lösung angetragen werden könnte (s. z. B. G 1/19, ABl. 2021, A77; T 385/89; T 641/00, ABl. 2003, 352; T 154/04, ABl. 2008, 46). Bei der Ermittlung der Aufgabe dürfen keine Kenntnisse berücksichtigt werden, die erst nach dem Prioritäts- bzw. Anmeldetag erlangt wurden (T 268/89, ABl. 1994, 50; T 365/89). S. jedoch in diesem Kapitel I.D.4.3.3 "Nachträglich veröffentlichte Beweisstücke".
Bei der Definition der objektiven technischen Aufgabe kann eine Wirkung nicht berücksichtigt werden, wenn nicht glaubhaft ist, dass sich das versprochene Ergebnis im gesamten Schutzbereich des Anspruchs erzielen lässt (T 626/90; T 583/93, ABl. 1996, 496; T 25/99; T 71/09; T 824/07; T 447/10; T 1837/13; T 340/13). In T 939/92 (ABl. 1996, 309) schloss die Kammer, dass sich die Auswahl der beanspruchten Verbindungen im vorliegenden Fall nur dann mit einer technischen Wirkung rechtfertigen lässt, wenn diese bei im Wesentlichen allen ausgewählten Verbindungen erwartet werden darf (s. auch T 489/14 vom 22. Februar 2019 date: 2019-02-22, ABl. 2019, A86; T 41/16).
In T 161/18 unterschied sich das beanspruchte Verfahren vom Stand der Technik nur durch ein künstliches neuronales Netz. Allerdings war dessen Training nicht im Detail offenbart. Die Kammer war nicht davon überzeugt, dass der vorgetragene Effekt in dem beanspruchten Verfahren über den gesamten beanspruchten Bereich erzielt wurde. Dieser Effekt konnte daher nicht im Sinne einer Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden.
In T 1639/07 urteilte die Kammer, dass die objektive technische Aufgabe sich aus physikalischen, chemischen oder sonstigen Wirkungen ergeben muss, die unmittelbar und kausal mit den technischen Merkmalen der beanspruchten Erfindung zusammenhängen (s. auch T 2297/10, T 1199/16, T 1341/16). Eine Wirkung kann nicht wirksam für die Formulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, wenn hinsichtlich dieser Wirkung zusätzliche Informationen benötigt werden, die dem Fachmann selbst bei Berücksichtigung des Inhalts der betreffenden Anmeldung nicht zur Verfügung stehen. S. auch T 584/10.
In T 377/14 befand die Kammer unter Bezugnahme auf T 344/89, dass die Aufgabe in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung nicht ausdrücklich offenbart sein muss; es reicht aus, dass sie angedeutet wurde (s. auch T 478/17).
In T 1841/11 befand die Kammer, dass eine Aufgabe, die in der Anmeldung in Bezug auf das beanspruchte Merkmal nicht genannt ist und die sich weder für den gesamten beanspruchten Bereich noch für die in der Anmeldung im Einzelnen dargelegten Ausführungsformen stellen würde, nicht als geeignete Wahl betrachtet werden kann.
In T 943/13 gelangte die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Kausalzusammenhang zwischen dem Stoff oder Stoffgemisch auf der einen Seite und der erzielten therapeutischen Wirkung auf der anderen entscheidend bei der Beurteilung ist, ob ein Anspruch auf eine weitere medizinische Indikation erfinderisch ist. Dieser Kausalzusammenhang stellt den Beitrag des Anspruchs zum Stand der Technik dar. Dementsprechend hängt der erfinderische Charakter eines solchen Anspruchs von der Frage ab, ob dieser Kausalzusammenhang – und nicht nur der Stoff oder das Stoffgemisch, wie sie im Anspruch definiert sind – naheliegend ist. Daher war die Kammer im vorliegenden Fall der Auffassung, dass die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung der beanspruchten therapeutischen Wirkung durch andere Mittel zu sehen ist.
- T 2622/19
Catchword:
As to the application of the problem-solution approach, in particular the determination of the objective technical problem and the choice of the "second document", see points 6.3.2 and 6.3.4 of the Reasons.