4.3. Lösung einer technischen Aufgabe
Bereits in T 35/85 hatte die Kammer ausgeführt, dass ein Anmelder oder Patentinhaber seiner Beweispflicht dadurch nachkommen könne, dass er freiwillig Vergleichsversuche mit nachgestellten Varianten des nächstliegenden Stands der Technik durchführt, bei denen die mit der Erfindung gemeinsamen Merkmale soweit identisch gemacht sind, dass eine der Erfindung näher kommende Variante vorliegt, sodass die auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführende vorteilhafte Wirkung deutlicher nachgewiesen werden kann (T 40/89, T 191/97, T 496/02, T 765/15, T 1323/17).
Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein mittels Vergleichsversuch demonstrierter unerwarteter Effekt (vorteilhafte Wirkungen oder günstige Eigenschaften) als Anzeichen für die erfinderische Tätigkeit gewertet werden (T 181/82, ABl. 1984, 401). In T 197/86 (ABl. 1989, 371) ergänzte die Beschwerdekammer die in T 181/82 aufgestellten Grundsätze, wonach sich Vergleichsversuche, die als Beweismittel für einen überraschenden Effekt vorgelegt werden, – bei vergleichbarem Anwendungsgebiet – auf Vergleichsverbindungen größtmöglicher Strukturnähe zum Erfindungsgegenstand beziehen müssen. Die Kammer stellte Folgendes fest: Wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, muss der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden (T 234/03, T 568/11, T 1457/13, T 1521/13, T 1401/14, T 710/16, T 990/17, T 2406/18, T 816/16).
Hierfür kann es erforderlich sein, die Vergleichselemente so abzuwandeln, dass sie nur in diesem Unterscheidungsmerkmal von der Erfindung abweichen (s. z. B. T 197/86, T 292/92, T 819/96, T 369/02, T 2043/09, T 183/12, T 710/16, T 990/17).
Ein Vergleichsversuch ist nur dann für den Nachweis relevant, dass eine technische Verbesserung gegenüber dem nächsten Stand der Technik erzielt wurde, wenn er sich anhand der gegebenen Informationen wiederholen lässt, sodass die Versuchsergebnisse unmittelbar nachprüfbar sind (T 494/99, T 234/03, T 236/09, T 1962/12, T 383/13). Dies setzt insbesondere voraus, dass das Verfahren zur Durchführung des Versuchs anhand von quantitativen Informationen beschrieben wird, die den Fachmann in die Lage versetzen, es zuverlässig und tauglich zu wiederholen (T 234/03, T 236/09, T 383/13, T 1962/12, T 532/14, T 795/14). Vage und ungenaue Versuchsanleitungen machen den Test unbrauchbar und damit irrelevant (T 234/03, T 236/09, T 383/13, T 1962/12, T 795/14).
In T 2579/11 erklärte der Patentinhaber, dass er aus kommerziellen Gründen keine Einzelheiten des Protokolls preisgegeben habe, das den in A13 beschriebenen Versuchen zugrunde lag. Schließlich entschied die Kammer, dass die in A13 beschriebenen Versuchsergebnisse weder glaubwürdig noch nachprüfbar waren und somit nicht als Beleg dafür ausreichten, dass die technische Aufgabe der Verbesserung der biologischen Abbaubarkeit erfolgreich gelöst wurde.
In T 702/99 befand die Kammer, dass es im Falle von Erzeugnissen wie Kosmetik, wo Anmelder oder Patentinhaber nachzuweisen versuchen, dass sich ihre Erfindungen gegenüber dem Stand der Technik besser "anfühlen", oder Einsprechende dies zu widerlegen versuchen, üblich ist, dass ein oder mehrere Beteiligte Nachweise in Form von Vergleichsversuchen vorlegen, die von mehreren Personen durchgeführt wurden. Dabei ist es unbedingt erforderlich, dass solche Versuche unter Bedingungen ablaufen, die eine maximale Objektivität der Versuchsteilnehmer gewährleisten, die später unter Umständen in einem Verfahren aussagen müssen. Es ist wünschenswert, dass solche Versuche nachweislich "blind" und unter strengsten Bedingungen vorgenommen wurden und die Versuchspersonen nicht an der Herstellung der beanspruchten Erfindung, an Forschungen, die zur Erfindung geführt haben, oder am Patentverfahren beteiligt waren. S. auch T 275/11, T 1962/12, T 165/14, T 2304/16.
In T 172/90 waren die vorgelegten Vergleichsversuche nicht als Beleg einer erfinderischen Tätigkeit geeignet. Die Beschwerdekammer stellte fest, dass die für den Vergleich herangezogenen Produkte lediglich handelsübliche Erzeugnisse waren, die offenbar willkürlich ausgewählt worden waren. Eine gegenüber solchen Produkten geltend gemachte technische Überlegenheit im Sinne eines technischen Fortschritts könne jedoch kein Ersatz sein für den Nachweis einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik (mit Verweis auf T 164/83, ABl. 1987, 149). S. auch T 730/96.
In T 390/88 stellte die Kammer fest, in Fällen, in denen eine angebliche Erfindung im Hinblick auf den Stand der Technik prima facie naheliegend sei, sei es jedoch manchmal möglich, mit Vergleichsversuchen, die eine deutliche Verbesserung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik aufzeigen, eine erfinderische Tätigkeit nachzuweisen. Solche Fälle stünden im Gegensatz zu anderen Fällen, in denen es nicht prima facie naheliegend sei, die beanspruchten Verbindungen überhaupt herzustellen, sodass Vergleichsversuche für den Nachweis der erfinderischen Tätigkeit nicht wesentlich seien. S. auch T 656/91, T 60/95, T 930/99.
In T 2319/14 konnte die Kammer dem Argument des Beschwerdergegners, dass Vergleichsversuche immer mit dem nächsten Stand der Technik erfolgen müssen, und dass intrinsische Vergleichsversuche nicht erlaubt seien, nicht zustimmen. Es sei richtig, dass gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern Vergleichsversuche mit dem Stand der Technik dergestalt ausgeführt werden müssen, dass ein Effekt auf das unterscheidende Merkmal zurückgeführt werden kann. Allerdings war es dazu ebenfalls erlaubt und konnte sogar geboten sein, Ausführungsformen aus dem Stand der Technik so an die Erfindung anzunähern, dass sie sich nur durch das den Anspruch abgrenzende Merkmal unterscheiden.
In T 1323/17 war nach Auffassung der Kammer nicht nur maßgeblich, ob im Rahmen eines vom Anmelder oder Patentinhaber eingereichten Vergleichsversuchs ein Kausalzusammenhang zwischen einem Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik und einer Wirkung demonstriert wurde. Maßgeblich war auch, ob die Variante des nächstliegenden Stands der Technik, die als Referenz- bzw. Vergleichsbeispiel für den Vergleichsversuch gewählt wurde, für den nächstliegenden Stand der Technik insofern repräsentativ ist, als davon ausgegangen werden kann, dass die im Kontext des Vergleichsversuchs nachweislich durch das Unterscheidungsmerkmal herbeigeführte Wirkung auch im Rahmen des nächstliegenden Stands der Technik erzielt wird, obwohl Unterschiede gegenüber dem Referenzbeispiel des Vergleichsversuchs bestehen.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”