5.2. In der Rechtsprechung zur VOBK 2007 entwickelte Grundsätze zum verspäteten Vorbringen
Etliche Entscheidungen zur VOBK 2007 – und auch zur VOBK 2020 – verweisen im Zusammenhang mit nachträglichen Änderungen auf die von der Großen Beschwerdekammer entwickelten Grundsätze zum im EPÜ vorgesehenen zweiseitigen Beschwerdeverfahren, wonach dieses Beschwerdeverfahren vorwiegend dem Recht der Beteiligten auf Überprüfung der Entscheidung der ersten Instanz in einem gerichtsähnlichen Verfahren dient (s. z. B. T 2102/08, T 2054/10, T 1370/15, T 343/16, T 2117/17, T 482/18). Es wurde insbesondere in G 9/91 und G 10/91 (ABl. 1993, 408, 420) festgestellt, dass der Hauptzweck des zweiseitigen Beschwerdeverfahrens darin besteht, die Entscheidung der Vorinstanz letztinstanzlich zu überprüfen, wodurch dem Unterlegenen die Möglichkeit gegeben wird, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken. Somit ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend.
Die Parteien sind nach der Rechtsprechung zur VOBK 2007 in ihrer Verfahrensführung gewissen Grenzen unterworfen, die sich im zweiseitigen Verfahren namentlich aus dem Prinzip der Fairness gegenüber der anderen Partei sowie generell aus den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Verfahren ergeben. Insbesondere trifft die Parteien im zweiseitigen Verfahren auch eine Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung. Dazu gehört es, alle relevanten Tatsachen, Beweismittel, Argumente und Anträge so früh und vollständig wie möglich vorzulegen (T 1685/07, T 2102/08, T 253/10, T 1364/12; s. auch T 369/15, in der hervorgehoben wird, dass für den Beschwerdeführer-Einsprechenden zwar keine rechtliche Verpflichtung bestand, zu eingereichten Hilfsanträgen Stellung zu nehmen, wohl aber eine Obliegenheit). Die Zulassung nachträglicher Änderungen des Vorbringens einer Partei darf nicht dazu führen, dass die Gegenseite in ihrem Recht auf Stellungnahme (Art. 13 (2) VOBK 2007) benachteiligt ist, etwa weil sie dieses Recht in der zur Verfügung stehenden Zeit nur unzureichend wahrnehmen kann (T 253/10, T 1466/12).