1.3. Nationales Verletzungsverfahren
In T 195/93 vertrat die Kammer die Auffassung, dass die bloße Tatsache, dass der Patentinhaber eine rechtmäßige schriftliche Warnung verschickt habe, in der er den Beitretenden aufforderte, Herstellung und Verkauf eines in den Schutzbereich des Patents fallenden Erzeugnisses zu unterlassen, nicht als Klageerhebung angesehen werden könne, auch wenn nach nationalem Recht 30 Tage nach Erhalt eines solchen Schreibens Schadensersatz gezahlt werden müsse. Der Beitritt wurde daher als unzulässig verworfen.
Nach T 392/97 muss der Beitretende nach Art. 105 EPÜ 1973 zum einen nachweisen, dass er vom Patentinhaber aufgefordert worden ist, eine angebliche Patentverletzung zu unterlassen, und zum anderen, dass er selbst Klage auf gerichtliche Feststellung erhoben hat, dass er das Patent nicht verletzt. Wurde das entsprechende Schreiben nicht an die Gesellschaft gesandt, der die Patentverletzung vorgeworfen wird, sondern an ein mit dieser nicht verbundenes Unternehmen, von dem angenommen wurde, es werde diese Gesellschaft demnächst übernehmen, so ist das erste Erfordernis nicht erfüllt und ihre Beitrittserklärungen sind unzulässig. In T 446/95 war das erste Erfordernis nicht erfüllt, denn das Schreiben war in diesem Fall lediglich eine Stellungnahme zu einem Schreiben des vermeintlichen Beitretenden und enthielt keinerlei Aufforderung zur Unterlassung einer Patentverletzung. Nach T 887/04 vom 14. November 2006 date: 2006-11-14 ist der angebliche Patentverletzer zum einen dafür beweispflichtig, dass er eine "Aufforderung" erhalten hat, die Patentverletzung zu unterlassen, d. h., dass er hierzu ausdrücklich aufgefordert worden ist, und zum anderen dafür, dass er aufgefordert worden ist, die Patentverletzung zu "unterlassen", d. h. sie zu beenden. Der Nachweis über einfache Abmahnungen oder über die Androhung rechtlicher Schritte ist somit nicht als hinreichend anzusehen.
In T 898/07 hielt die Kammer den Beitritt für zulässig. Aus den von der Einsprechenden eingereichten Unterlagen ergab sich, dass die Beschwerdegegnerin ihr gegenüber wiederholt die Auffassung geäußert hatte, ihre Handlungen würden das Streitpatent verletzen, und sie unter Hinweis auf bereits gegen Dritte anhängige Verletzungsverfahren aufgefordert hatte, diesbezüglich in Lizenzverhandlungen einzutreten. Darin sah die Kammer die Aufforderung von der behaupteten Patentverletzung mittels vertraglicher Lizenzierung Abstand zu nehmen und so ein behauptetermaßen rechtswidriges Tun (Patentverletzung) in ein rechtmäßiges (lizenzierte Benutzung) umzuwandeln. Dies erfüllt die erste Voraussetzung des Art. 105 (1) b) EPÜ, der sich nach seinem Wortlaut nicht nur auf die Aufforderung, die Benutzung der Erfindung insgesamt zu unterlassen, erstreckt, sondern allgemein auf die Aufforderung, die behauptete Patentverletzung zu unterlassen. Die Einsprechende hatte auch gegen die Beschwerdegegnerin Klage auf Feststellung der Nichtverletzung des Streitpatents eingereicht.
In T 1138/11 stellte die Kammer fest, dass das Erfordernis einer Aufforderung des Beitretenden, die angebliche Patentverletzung zu unterlassen, nicht nach dem einschlägigen nationalen Recht bestimmt werden darf. Da sich die Gesetze in den Vertragsstaaten stark unterscheiden, ist dieses Erfordernis in harmonisierter Weise für alle Vertragsstaaten gleich anzuwenden. Eine solche Harmonisierung kann nur durch eine autonome Auslegung der Bestimmungen und Rechtsvorschriften des EPÜ gewährleistet werden. Die Kammer befand ferner, dass Art. 105 EPÜ eng auszulegen ist, denn der Beitritt eines Dritten werde als Einspruch behandelt und dieser Partei werde damit – als Ausnahme von der neunmonatigen Einspruchsfrist – die Einsprechendenstellung eingeräumt.
In T 304/17 argumentierte der Beschwerdeführer, es sei für den Beginn der Dreimonatsfrist notwendig, aber auch ausreichend, dass die beiden in Art. 105 (1) b) EPÜ genannten Kriterien erfüllt seien, und die Reihenfolge, in der sie eintreten, spiele keine Rolle. Die Kammer teilte dieses Verständnis von Art. 105 (1) b) EPÜ nicht. Aus dem Wortlaut der Bestimmung gehe eindeutig hervor, dass sie auf einer bestimmten Abfolge von Ereignissen beruht ("er nach einer Aufforderung des Patentinhabers ... gegen diesen Klage auf Feststellung erhoben hat ..."). Die Travaux préparatoires bestätigten, dass diese Abfolge vom Gesetzgeber absichtlich gewählt worden sei. Außerdem stehe das Ergebnis im Einklang mit einer systematischen Auslegung, weil in den beiden alternativen Szenarien – Art. 105 (1) a) und b) EPÜ – die Frist durch die formale Klageerhebung (bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen nationalen Behörde) ausgelöst werde. Diese Ereignisse könnten eindeutig und rechtssicher festgestellt werden, weil sie offiziell datiert seien (s. T 296/93) und somit "eine klare Eingrenzung" ermöglichten (s. auch T 18/98).