AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
DE Deutschland
Vorlage - Beschluß des Bundespatentgerichts vom 29. Januar 1998
(4 W (pat) 40/97)*
Stichwort: Übersetzung/BASF
Artikel 30, 36, 177 lit. a) EGV
Artikel II § 3 (1), (2) IntPatÜG
Schlagwort: "Wegfall der Wirkungen des europäischen Patents bei Nichteinreichung der vorgeschriebenen Übersetzung - Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag (EGV)" - "Vorlage an EuGH"
Leitsatz
Dem Europäischen Gerichtshof wird nach Artikel 177 lit. a) EGV folgende Frage zur Auslegung des EG-Vertrages zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist es mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs (Art. 30, 36 EGV) vereinbar, daß die Wirkungen eines vom Europäischen Patentamt mit Wirkung für einen Mitgliedstaat erteilten Patents, das in einer anderen als der Amtssprache des Mitgliedstaates abgefaßt ist, als von Anfang an nicht eingetreten gelten, wenn der Patentinhaber dem Patentamt des Mitgliedstaats nicht binnen drei Monaten nach der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt eine Übersetzung der Patentschrift in der Amtssprache des Mitgliedstaates einreicht.
I. Sachverhalt
1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 398 276 (...). Der Hinweis auf die Erteilung des in englischer Sprache abgefaßten und u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Patents im Europäischen Patentblatt ist am 24. Juli 1996 veröffentlicht worden. Es betrifft eine "Zusammensetzung zur Versiegelung von Autolacküberzügen" (...).
Mit Beschluß vom 5. Mai 1997 hat das Deutsche Patentamt festgestellt, daß die Wirkungen des europäischen Patents 0 398 276 (DE 690 27 888.8) für die Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten gelten, weil die (...) Patentinhaberin beim Deutschen Patentamt innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt keine deutsche Übersetzung der Patentschrift eingereicht hat. Der Beschluß des Patentamts stützt sich auf die Vorschriften des Artikels II § 3 Absätze 2 und 3 des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen (IntPatÜG).
Gegen die (...) Entscheidung hat die (...) Patentinhaberin (...) Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluß des Deutschen Patentamts vom 5. Mai 1997 aufzuheben.
2. Sie hat die Auffassung vertreten, Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG sei mit Art. 30, 36 EGV insoweit nicht vereinbar, als an die nicht fristgerechte Einreichung einer Übersetzung der europäischen Patentschrift die Sanktion geknüpft ist, daß die Wirkungen des europäischen Patents in der Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten gelten. Daher sei diese Vorschrift nicht anwendbar.
Zur Begründung hat die (...) Patentinhaberin geltend gemacht, die Höhe der Übersetzungskosten hindere viele Patentinhaber mangels ausreichender finanzieller Mittel daran, erteilten europäischen Patenten in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Wirkung zu verschaffen. Sie sähen sich daher gezwungen, eine Auswahl zu treffen und damit auf Patentschutz in einigen Mitgliedstaaten zu verzichten. Dies geschehe dadurch, daß nach Erteilung des europäischen Patents eine Übersetzung nicht vorgelegt werde oder von vornherein Staaten nicht als Vertragsstaaten, in denen auch Patentschutz erlangt werden könnte, benannt würden. Die gegenüber den Übersetzungskosten nicht ins Gewicht fallenden Benennungsgebühren in Höhe von nur DM 150 je Staat seien jedenfalls kein Grund, vom Patentschutz in einigen Mitgliedstaaten Abstand zu nehmen. Der durch die hohen Übersetzungskosten bedingte Verzicht auf einen erwünschten Patentschutz in allen Mitgliedstaaten werde nur notgedrungen, gleichsam "unfreiwillig" hingenommen. Der Verzicht nehme dem Patentinhaber die Möglichkeit, sich die ausgesparten Mitgliedstaaten als Absatzmärkte zu erschließen. Diese Beschränkung habe die Spaltung des gemeinschaftlichen Binnenmarktes zur Folge, indem in einigen Mitgliedstaaten Patentschutz bestehe (Schutzgebiet), in anderen (Freigebiet) hingegen nicht.
Diese Marktspaltung führe insbesondere zu folgenden verbotenen kontingentgleichen Maßnahmen im Sinne von Art. 30 EGV:
a) Am Wettbewerb im Freigebiet können zwar der Patentinhaber, seine Lizenznehmer, Wettbewerber aus dem Freigebiet und aus Drittstaaten teilnehmen, nicht aber Wettbewerber aus dem Schutzgebiet. Diese würden nämlich durch die Ausfuhr des patentgeschützten Erzeugnisses aus dem Schutzgebiet in das Freigebiet eine Patentverletzung begehen. Diese Wettbewerber seien daher gegenüber den anderen diskriminiert.
b) Der Patentinhaber könne sich gezwungen sehen, von einem In-Verkehr-Bringen in das Freigebiet Abstand zu nehmen, um das höhere Preisniveau im Schutzgebiet nicht durch Re-Importe zu gefährden. Damit sei er faktisch vom Wettbewerb im Freigebiet ausgeschlossen.
c) Gegen das von Wettbewerbern rechtmäßig im Freigebiet in Verkehr gebrachte Erzeugnis bleibe dem Patentinhaber ein Abwehrrecht gegen Importe in das Schutzgebiet, da die Einfuhr eine Patentverletzung darstelle. Das bedeute eine Marktspaltung in ein Freigebiet und ein Schutzgebiet.
Die beanstandete Sanktion stehe zudem außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Der Zweck der Sanktion, die Wettbewerber über das Patent zu informieren, rechtfertige den Fortfall des europäischen Patents im Falle der Nichterfüllung des Übersetzungserfordernisses nicht. Es bestehe auch kaum Interesse, sich durch Einsicht in die Übersetzungen über bestehende Patentrechte zu informieren. Wenn Informationsbedarf an Übersetzungen fremdsprachiger europäischer Schutzrechte bestehe, so liege dieser schon im Zeitpunkt der Anmeldung vor, zu einem Zeitpunkt also, in dem die Übersetzungen noch nicht vorhanden sind. Überdies gebe es zahlreiche Informationssysteme, die nicht erst über die Erteilung von Patenten, sondern bereits über ihre Anmeldungen Auskunft geben (z. B. EPIDOS, Wien).
Mildere Sanktionen seien denkbar, etwa durch Regelungen, die vorsehen, daß bis zur Vorlage einer Übersetzung Rechte aus dem Patent nicht geltend gemacht werden können oder, daß Wettbewerbern, welche die patentierte Erfindung vor Einreichung der Übersetzung gutgläubig benutzt haben, ein Weiterbenutzungsrecht einzuräumen ist.
(...)
3. Die (...) Patentinhaberin hat angeregt, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob es mit Art. 30, 36 EGV vereinbar sei, daß das nationale Recht eines Mitgliedstaats bei Nichterfüllung des Erfordernisses der Einreichung einer Übersetzung als Sanktion vorsieht, daß die Wirkungen des europäischen Patents für diesen Staat als von Anfang an nicht eingetreten gelten. (...)
4. Der Senat hat dem Präsidenten des Deutschen Patentamts anheimgegeben, dem Beschwerdeverfahren beizutreten. Dieser hat mit dem Eingang seiner Beitrittserklärung die Stellung eines Beteiligten erlangt (§ 77 Patentgesetz).
Der Präsident des Patentamts vertritt die Auffassung, daß die in Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG enthaltene Regelung, wonach im Falle der Nichteinreichung einer Übersetzung der Patentschrift eines in englischer oder französischer Sprache erteilten europäischen Patents die Wirkungen für die Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten gelten, im Einklang mit Art. 30, 36 EGV steht.
Er hat angeregt, die Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. (...)
II. Entscheidungserheblichkeit
1. (...)
2. Der Erfolg der Beschwerde hängt von der Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts ab. Der Senat legt die in der Beschlußformel aufgeführte Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 lit. a) EGV vor, weil er die Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts zum Erlaß seiner Entscheidung über die Beschwerde für entscheidungserheblich hält. Der Senat hat aufgrund der nachstehend getroffenen Erwägungen Zweifel an der Vereinbarkeit der in Art. II 3 Abs. 2 IntPatÜG vorgesehenen Sanktion mit dem Gemeinschaftsrecht.
III. Erwägungen
1. Europäische Patente werden nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) erteilt. Vertragsstaaten dieses Übereinkommens sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die Länder Schweiz, Liechtenstein und Monaco. Durch das EPÜ wird ein den Vertragsstaaten gemeinsames Recht für die Erteilung von Erfindungspatenten geschaffen (Art. 1 EPÜ). Die Erteilung des europäischen Patents kann für einen, mehrere oder alle Vertragsstaaten beantragt werden (Art. 3 EPÜ). Die Amtssprachen des Europäischen Patentamts sind Deutsch, Englisch und Französisch. Europäische Patente sind in einer dieser Sprachen (Verfahrenssprache) einzureichen (Art. 14 Abs. 1 EPÜ).
Die europäischen Patentschriften werden in der Verfahrenssprache veröffentlicht; sie enthalten auch eine Übersetzung (nur) der Patentansprüche in den beiden anderen Amtssprachen des Europäischen Patentamts (Art. 14 Abs. 7 EPÜ).
Wegen weitergehender Übersetzungserfordernisse bestimmt Art. 65 EPÜ:
(1) Jeder Vertragsstaat kann für den Fall, daß die Fassung, in der das europäische Patentamt für diesen Staat ein europäisches Patent zu erteilen ... beabsichtigt, nicht in einer seiner Amtssprachen vorliegt, vorschreiben, daß der Anmelder oder Patentinhaber bei den Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz eine Übersetzung der Fassung nach seiner Wahl in einer der Amtssprachen dieses Staates oder, soweit der betreffende Staat die Verwendung einer bestimmten Amtssprache vorgeschrieben hat, in dieser Amtssprache einzureichen hat. Die Frist für die Einreichung der Übersetzung endet drei Monate, nachdem der Hinweis auf die Erteilung des europäischen Patents ...im Europäischen Patentblatt bekanntgemacht worden ist, sofern nicht der betreffende Staat eine längere Frist vorschreibt.
(2) ...
(3) Jeder Vertragsstaat kann vorschreiben, daß im Fall der Nichtbeachtung einer aufgrund der Absätze 1 und 2 erlassenen Vorschrift die Wirkungen des europäischen Patents in diesem Staat als von Anfang an nicht eingetreten gelten.
Die Bundesrepublik Deutschland hatte, wie auch das Vereinigte Königreich, zunächst von der Einführung eines weiteren Übersetzungserfordernisses im Sinne von Art. 65 EPÜ abgesehen, weil es mit einer Kostenbelastung verbunden sei, die den Anmeldern nicht zugemutet werden könne und den Zugang zum europäischen Patentsystem erschwere (vgl. Begründung zum Entwurf des IntPatÜG, Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen (BIPMZ) 1976, 322, 325).
Die übrigen Vertragsstaaten, ausgenommen Luxemburg und Monaco, verlangten schon vorher im Rahmen von Art. 65 EPÜ die Einreichung einer Übersetzung der europäischen Patentschrift. Dabei ist überall vorgesehen, daß bei Nichtbeachtung dieses Erfordernisses die Wirkungen des europäischen Patents als nicht eingetreten gelten. Nachdem schließlich auch das Vereinigte Königreich das Übersetzungserfordernis im Jahre 1987 eingeführt hatte (Amtsblatt des Europäischen Patentamts (ABl. EPA) 1987, 263) ist ihm die Bundesrepublik Deutschland gefolgt (ABl. EPA 1992, 97, 380).
Die Beantwortung der Vorlagefrage ist daher für alle Mitgliedstaaten, ausgenommen Luxemburg und Monaco, von Bedeutung.
Art. II § 3 IntPatÜG gilt in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Juni 1992. Seine Absätze 1 (Satz 1) und 2 lauten:
(1) Liegt die Fassung, in der das Europäische Patentamt mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ein europäisches Patent zu erteilen beabsichtigt, nicht in deutscher Sprache vor, so hat der Anmelder oder der Patentinhaber innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilungdes europäischen Patents im Europäischen Patentblatt beim Deutschen Patentamt eine deutsche Übersetzung der Patentschrift einzureichen und eine Gebühr nach dem Tarif zu entrichten.
(2) Wird die Übersetzung nicht fristgerecht oder in einer eine ordnungsgemäße Veröffentlichung nicht gestattenden Form eingereicht oder die Gebühr nicht fristgerecht entrichtet, so gelten die Wirkungen des europäischen Patents für die Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten.
2. Das Übersetzungserfordernis bezweckt die Nutzbarmachung und Verbreitung der Patentinformation in deutscher Sprache im Interesse der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft (vgl. Begründung zum 2. Gesetz über das Gemeinschaftspatent, BIPMZ 1992, S. 47). Die Vorlage der deutschen Übersetzung innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents gibt den deutschen Mitbewerbern die Möglichkeit, nach Prüfung der Patentschrift rechtzeitig innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist, die ebenfalls mit der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents beginnt, beim Europäischen Patentamt Einspruch einzulegen.
3. Die Höhe der Übersetzungskosten wirkt sich nach allgemeiner Auffassung auf den Zugang zum europäischen Patentsystem als Hindernis aus (vgl. van Benthem, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte (Mitt.) 1993, 151, 155; Stohr, Mitt. 1993, 156, 159). Ein namhafter Teil der mittleren und kleineren Industrie ist finanziell nicht mehr in der Lage, für alle Vertragsstaaten, also auch für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, für die das erteilte europäische Patent wirksam sein könnte, die Übersetzungskosten aufzubringen. Die Übersetzungskosten allein der europäischen Industrie belaufen sich Schätzungen zufolge trotz Beschränkung auf jeweils nur einige der Mitgliedstaaten jährlich auf etwa 430 Millionen DM. Ein europäisches Patent, das (durchschnittlich) nur für die acht am häufigsten benannten Mitgliedstaaten erteilt wird, verursacht allein für seine Übersetzung und damit für seine Wirksamkeit Kosten von über 20 000 DM je Patent (vgl. Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa "Förderung der Innovation durch Patente", vorgelegt von der Kommission, S. 29)1. Für einen EU-flächendeckenden Patentschutz sind bei 10 verschiedenen Sprachen unter Berücksichtigung des Vorliegens der Patentschrift in einer der Amtssprachen des Europäischen Patentamts neun Übersetzungen erforderlich.
Im Jahre 1996 wurden etwa 18 000 europäische Patente mit Ursprung aus der Europäischen Union erteilt mit über 140 000 Benennungen von EU-Mitgliedstaaten (vgl. Jahresbericht des Europäischen Patentamts 1996, S. 74, Tabelle 3.1). Dabei ist von Bedeutung, daß viele Unternehmen aus den Mitgliedstaaten alljährlich die Erteilung einer Vielzahl von europäischen Patenten beantragen, wie aus dem Jahresbericht des Deutschen Patentamts 1996, S. 15, im einzelnen zu ersehen ist. Diese Zahlen lassen erkennen, daß die Übersetzungskosten für eine Patentanmeldung einen gewichtigen Kostenfaktor darstellen.
4. Das Übersetzungserfordernis könnte wegen der beachtlichen Höhe der Kosten eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 30, 36 EGV sein. Dem Patentinhaber wird durch das Übersetzungserfordernis und die damit verbundenen erheblichen Kosten gleichsam ein "Eintrittsgeld" für den Zugang zum Markt der Mitgliedstaaten abverlangt. Damit könnte das Übersetzungserfordernis ein verbotenes Handelshemmnis darstellen.
Eine "Maßnahme gleicher Wirkung" ist nämlich jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (vgl. EuGH Rechtssache C-120/78 vom 20. Februar 1979 "Cassis de Dijon", Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) International 1979, 468, 469; Rechtssache C-8/74 vom 11. Juli 1974 "Dassonville", GRUR International 1974, 467 f.). Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist gegeben, wenn die Einfuhren entweder unmöglich gemacht oder schwieriger oder kostspieliger gegenüber dem Absatz der inländischen Erzeugung gestaltet werden, ohne daß dies erforderlich ist, um eine Zielsetzung zu erreichen, die im Rahmen der den Mitgliedstaaten durch den EG-Vertrag belassenen Befugnis verbleibt, Handelsregelungen zu erlassen (vgl. "Cassis" a.a.O.).
Die Höhe der Übersetzungskosten kann den Patentinhaber daran hindern, die Wirkungen des Patents für jeden Mitgliedstaat, für den das europäische Patent erteilt wurde, aufrechtzuerhalten. Damit könnte eine Spaltung des Binnenmarkts entstehen in ein Gebiet, in dem Patentschutz besteht (Schutzgebiet) und in ein Gebiet, in dem das europäische Patent nicht wirksam ist (Freigebiet).
Der Patentinhaber kann aus wirtschaftlichen Gründen davon abgehalten werden, das patentgeschützte Erzeugnisse in einem Markt in Verkehr zu bringen, in dem sein Patent nicht wirksam ist. Bringt er nämlich das in anderen Mitgliedstaaten patentgeschützte Erzeugnis in einem Freigebiet in Verkehr, kann er mangels Patentschutz erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden. Die Gestaltung des Preises für ein patentgeschütztes Erzeugnis berücksichtigt üblicherweise nicht nur die Fertigungs- und Vertriebskosten, sondern auch die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, die im Rahmen der Erfindung angefallen sind und in absehbarer Zeit amortisiert werden sollen. Führt der Patentinhaber das Erzeugnis in ein patentfreies Gebiet ein, muß er befürchten, daß es von Wettbewerbern des Freigebiets hergestellt und im Freigebiet auf den Markt gebracht wird. Diese Gefahr ist besonders groß bei Erzeugnissen, die sich verhältnismäßig einfach herstellen lassen. Der Patentinhaber kann hier keine Rechte aus seinem Patent geltend machen. Der Hersteller im Freigebiet dagegen braucht seinen Preis für dasselbe Erzeugnis nur an seinen Herstellungs- und Vertriebskosten zu orientieren, da Kosten für Forschung und Entwicklung bei ihm nicht angefallen sind. Daher kann er den Preis des Patentinhabers deutlich unterbieten. Das Preisgefälle ist besonders hoch, wenn das Lohnniveau im Freigebiet deutlich unter dem der Schutzgebiete liegt. Folglich wird der Patentinhaber nicht mehr konkurrenzfähig sein. Damit werden zugleich die im Freigebiet hergestellten Erzeugnisse gegenüber denen aus dem Schutzgebiet begünstigt.
Von durch Übersetzungskosten bedingten Handelshemmnissen dürften insbesondere kleine und mittlere Unternehmen als Patentinhaber betroffen sein, die mangels ausreichender Produktionskapazitäten nicht in der Lage sind, den gesamten Binnenmarkt mit patentgeschützten Erzeugnissen zu bedienen. Sie sind darauf angewiesen, in den Mitgliedstaaten investitionsbereite Lizenznehmer zu finden, die das Erzeugnis für den jeweils heimischen Markt herstellen. Der Patentinhaber kann daher auf Schwierigkeiten stoßen, in einem Freigebiet Lizenznehmer zu gewinnen, die bereit sind, gegen Lizenzgebühr das Erzeugnis zu fertigen, weil sie Gefahr laufen, durch Wettbewerber, die das Erzeugnis auch herstellen und niemandem eine Lizenzgebühr schulden, im Preis unterboten zu werden. Der Patentinhaber vermag ihnen mangels Patentschutz kein Ausschließlichkeitsrecht einzuräumen, das die Lizenznehmer von dieser Sorge befreit.
5. Es bestehen auch Zweifel, ob die kontingentgleiche Behinderung mit Rücksicht auf die grundsätzlich autonome Regelungskompetenz der Bundesrepublik Deutschland von den Betroffenen hinzunehmen ist. Dies wäre dann der Fall, wenn die beanstandete Sanktionsregelung geeignet, notwendig und angemessen wäre, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, für die es noch keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen gibt (vgl. "Cassis" a.a.O.). Dafür scheinen indes keine Anhaltspunkte ersichtlich zu sein. Mag auch der mit dem Übersetzungserfordernis verfolgte Zweck, nämlich die Nutzbarmachung und Verbreitung der Patentinformation in deutscher Sprache im Interesse der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft (vgl. BIPMZ a.a.O.) sinnvoll sein, so stellt sich die Frage, ob die an seine Nichterfüllung geknüpfte Sanktion im Verhältnis zu diesem Zweck steht. Wie in der Beschwerde ausgeführt, ist der Bedarf an den Übersetzungen gering. Die Ansicht, den mittleren und kleineren Unternehmen müßten die Übersetzungen in der Amtssprache ihres Heimatlandes angeboten werden, da nicht jeder Erfinder der Amtssprachen des Europäischen Patentamts mächtig sei, wird von diesen offenbar überwiegend nicht geteilt. Nach einer Umfrage bei 1 504 Anmeldern europäischer Patente wünscht eine große Mehrheit (78 %) der 756 Anmelder, die geantwortet haben, daß das erteilte europäische Patent - außer für Gerichtsverfahren - nicht übersetzt werden muß. Auch die Einzelerfinder sowie die kleineren und mittleren Unternehmen sind zu 80 % für die Abschaffung des Übersetzungserfordernisses (vgl. Mitt. 1997, 377).
Im übrigen bestehen Zweifel, ob die beanstandete Sanktion angemessen ist.
Mit der Erteilung eines Patents wird die besondere intellektuelle Leistung des Erfinders mit einem Monopolrecht zu seinen Gunsten belohnt. Der Inhalt der patentierten Erfindung wird bestimmt durch die amtliche Patentschrift in der gewählten Amtssprache und nicht durch die nichtamtlichen Übersetzungen. Es könnte dem Patentinhaber überlassen bleiben, ob er vorsorglich für den Fall, daß in einem Mitgliedstaat ein Dritter sich an seinem Patent rechtswidrig bereichert, sofort eine Übersetzung hinterlegt, oder ob er mit der Übersetzung zuwartet, bis ein konkreter Verletzungsfall eintritt. Solche Güterabwägungen gehören typischerweise zur Dispositionsfreiheit des Eigentümers einer Sache oder eines Rechts. Die Art der Entscheidung, ob, wie und wo der Patentinhaber über sein Recht verfügt, sollte die Wirksamkeit des erteilten Patents nicht wieder in Frage stellen.
Es könnte ausreichend sein, wenn der Patentinhaber dem Patentamt zunächst eine Übersetzung lediglich der Patentansprüche vorlegt. Überdies könnte er zur Erfüllung seiner Informationspflicht auch durch Androhung weniger einschneidender Sanktionen angehalten werden, indem ihm die Geltendmachung seiner Rechte aus dem Patent erschwert wird, solange er keine Übersetzung einreicht. Auch könnte einem Wettbewerber, der vor Einreichung einer Übersetzung die patentierte Erfindung gutgläubig benutzt, ein Weiterbenutzungsrecht eingeräumt werden. Vorstellbar wäre auch eine Regelung, nach der die Rechte aus dem Patent bis zur Einreichung einer Übersetzung suspendiert werden (vgl. Grünbuch a.a.O. S. 12). Nach § 139 Abs. 2 des Patentgesetzes kann ein Patentinhaber vom Verletzer dann Schadensersatz verlangen, wenn dieser schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) gehandelt hat. Kennt der Verletzer die Patentschrift nicht, weil er etwa als Niederländer der französischen Sprache nicht mächtig ist, kann er zunächst nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, weil es an der Voraussetzung der schuldhaften Patentverletzung fehlt. Bei Nichterfüllung der Übersetzungsverpflichtung muß der Patentinhaber, bevor er Schadensersatzansprüche geltend machen kann, den Verletzer daher erst über den Inhalt des Patents informieren, etwa durch Abmahnung mit einer gleichzeitig überreichten Übersetzung in der Amtssprache des Staates, in dem der Verletzer beheimatet ist oder Hinterlegung der Übersetzung beim dortigen Patentamt. Der Patentinhaber kann somit keinen Schadensersatz für die Vergangenheit geltend machen, sondern allenfalls für die Zukunft, sofern der Verletzer die Verletzung in Kenntnis oder in fahrlässiger Unkenntnis des Patents, also schuldhaft, fortsetzt. Beschränkt sich der Patentinhaber auf eine Unterlassungsklage, wird er auch dafür eine Übersetzung einreichen müssen, da vor nationalen Gerichten die jeweilige Amtssprache Gerichtssprache ist.
6. Falls in dem Übersetzungserfordernis eine Behinderung des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu sehen ist, dürfte eine solche Beschränkung kaum mit Art. 36 EGV zu begründen sein. Nach dieser Vorschrift sind Einfuhrbeschränkungen nur zum Schutz des gewerblichen Eigentums gerechtfertigt. Das Übersetzungserfordernis schützt nicht das Patentrecht, vielmehr beeinträchtigt es dieses, indem es den Zugang zum Patentschutz in den Mitgliedstaaten nachhaltig erschwert.
DE 3/98
* Leicht gekürzte Fassung des amtlichen Textes der Entscheidung.
1 Vgl. ABl. EPA 1997, 443; 1998, 82.