T 0117/86 (Kosten) 01-08-1988
Téléchargement et informations complémentaires:
1. Der Begriff "Beweisaufnahme" in Artikel 104(1) EPÜ bezieht sich ganz allgemein auf die Entgegennahme von Beweismitteln aller Art im Einspruchsverfahren durch die Einspruchsabteilung oder die Beschwerdekammer (s.Entscheidungsgründe, Nr.3).
2. Werden Tatsachen und Beweismittel zur Stützung eines Einspruchs nach Ablauf der Einspruchsfrist von neun Monaten eingereicht und entstehen dadurch einem anderen Beteiligten Mehrkosten, so kann eine Verteilung der Kosten angeordnet werden,wenn dies der Billigkeit entspricht (s. Entscheidungsgründe, Nrn. 4 bis 7).
Verspätet eingereichte Unterlagen
Verteilung der Kosten im Beschwerdeverfahren
Kosten - entstanden bei der Beweisaufnahme
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 0 015 149 wurde am 22. Juni 1983 erteilt. Am 22. März 1984 reichte die Beschwerdeführerin eine Einspruchsschrift ein, in der der Widerruf des Patents aus den in Artikel 100 a) EPÜ angeführten Gründen, insbesondere wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, beantragt wurde. In der Einspruchsschrift wurden zur Stützung dieser Behauptung drei Veröffentlichungen genannt. Die Beschwerdegegnerin bestritt in ihrer Erwiderung vom 10. Januar 1985 das Vorbringen in der Einspruchsschrift. Am 8. Mai 1985 wurden die Beteiligten zu einer auf den 3. Oktober 1985 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.
II. In einem Schreiben vom 3. September 1985 brachte die Beschwerdeführerin vor, daß das Patent widerrufen werden müsse, weil es gegenüber einem weiteren Dokument nicht neu sei und gegenüber fünf weiteren Patentschriften keine erfinderische Tätigkeit aufweise.
III. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 3. Oktober 1985 geht hervor, daß sich die Beschwerdeführerin darin nicht auf die ursprünglich eingereichten Unterlagen, sondern insbesondere auf eine der neu eingereichten Patentschriften stützte, um ihren Einspruch zu erhärten. Die Einspruchsabteilung beschloß, die im Schreiben vom 3. September 1985 angezogenen neuen Unterlagen nicht zuzulassen und den Einspruch zurückzuweisen. Die Begründung der Entscheidung erging am 31. Januar 1986.
IV. Am 3. April 1986 wurde unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde eingelegt. Eine Beschwerdebegründung wurde am 3. Juni 1986 nachgereicht. Darin wurden die Gründe, aus denen die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen hatte, nicht unmittelbar angefochten; vielmehr wurden zur Stützung der Behauptung, dem angefochtenen Patent mangele es an erfinderischer Tätigkeit, zwei neue Patentschriften und eine eidliche Erklärung sowie ferner eine der bereits in der Einspruchsschrift genannten Patentschriften angezogen.
In einem Bescheid der Beschwerdekammer vom 23. September 1986 wurde darauf hingewiesen, daß sich die Beschwerdebegründung auf drei Unterlagen, nämlich die beiden Patentschriften und die eidliche Erklärung, stütze, die mehr als zwei Jahre nach Ablauf der in Artikel 99 (1) EPÜ vorgesehenen Einspruchsfrist von neun Monaten erstmals genannt worden seien. Die Kammer müsse sich vor Zulassung dieser drei Unterlagen im Verfahren davon überzeugen, daß sie alle für die Entscheidungsfindung im vorliegenden Fall ausschlaggebend seien. Die Beschwerdeführerin wurde ferner darauf hingewiesen, daß sie für die verspätete Anziehung dieser Unterlagen keine Begründung gegeben habe.
Die Beschwerdeführerin erwiderte darauf, daß eine der neuen Patentschriften in dem angefochtenen Patent erwähnt sei; die zweite habe angezogen werden müssen, um eine in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Feststellung über die Lehre des Stands der Technik zu widerlegen. Die eidliche Erklärung sollte die Behauptung in der Entscheidung entkräften, daß die Erfindung zu hervorragenden Ergebnissen führe.
V. In einer am 23. Dezember 1986 eingegangenen Erwiderung behauptete die Beschwerdegegnerin, daß die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung, die sich auf die drei Patentschriften und die eidliche Erklärung in Verbindung miteinander stütze, eigentlich einen neuen Einspruch eingelegt habe, weil das nunmehrige Vorbringen und die dazugehörigen Unterlagen nur noch wenig mit der ursprünglichen Einspruchsschrift zu tun hätten. Dies stelle einen Mißbrauch des Einspruchsverfahrens dar, so daß entweder die Beschwerde für unzulässig erklärt werden müsse oder die neu eingereichten Unterlagen im Hinblick auf Artikel 114 (2) EPÜ nicht zugelassen werden dürften.
Die Beschwerdegegnerin nahm zu den Behauptungen in der Beschwerdebegründung auch sachlich Stellung.
Schließlich beantragte sie, daß alle ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten aus Gründen der Billigkeit entsprechend Artikel 104 und Regel 63 EPÜ der Beschwerdeführerin auferlegt werden.
VI. Die Beschwerdeführerin brachte im August und Oktober 1987 weitere Bemerkungen zum Sachgehalt des Einspruchs vor. Mit einer Ladung vom 24. März 1988 wurde eine mündliche Verhandlung auf den 28. Juni 1988 anberaumt. In dem beigefügten Bescheid gleichen Datums erklärte der Berichterstatter, daß die von der Beschwerdeführerin zur Stützung der Beschwerde eingereichten Unterlagen geprüft worden seien und daß die Kammer unter Berücksichtigung des Bescheids vom 23. September 1986 und der anschließenden Stellungnahmen der Beteiligten nunmehr zu der Auffassung gelangt sei, daß die in der Beschwerdebegründung genannten neuen Unterlagen nicht im Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollten.
Mit Schreiben vom 30. Mai 1988 behauptete die Beschwerdeführerin erneut, die zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichte eidliche Erklärung habe bewiesen, daß die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung zu Unrecht festgestellt habe, daß die beanspruchte Erfindung stets zu besseren Ergebnissen führe. Außerdem werde der Einspruch in Anbetracht des Bescheids vom 24. März 1988 zurückgezogen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die Zurücknahme des Einspruchs durch die Beschwerdeführerin wird von der Kammer als Zurücknahme der Beschwerde gewertet; die Einwände gegen die Aufrechterhaltung des europäischen Patents brauchen somit nicht mehr geprüft zu werden. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch, wie unter Nummer V dargelegt, im Beschwerdeverfahren einen Antrag auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten nach Artikel 104 und Regel 63 EPÜ gestellt, über den die Kammer noch entscheiden muß.
3. Artikel 104 (1) EPÜ, der die Kosten im Einspruchsverfahren behandelt, sieht folgendes vor:
"Im Einspruchsverfahren trägt jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst, soweit nicht die Einspruchsabteilung oder die Beschwerdekammer, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht, über eine Verteilung der Kosten, die durch eine mündliche Verhandlung oder eine Beweisaufnahme verursacht worden sind, nach Maßgabe der Ausführungsordnung anders entscheidet." Im Beschwerdeverfahren hat keine mündliche Verhandlung stattgefunden.
Zu klären ist daher nunmehr, ob die Kammer über die Verteilung der Kosten, die durch die Beweisaufnahme verursacht worden sind, anders entscheiden soll. Der in Artikel 104 (1) EPÜ verwendete Begriff "Beweisaufnahme" bezieht sich in der Regel auf die Entgegennahme von Beweismitteln im Einspruchsverfahren durch die Einspruchsabteilung oder die Beschwerdekammer. Dies wird durch Artikel 117 EPÜ bestätigt, der mit diesem Begriff überschrieben ist. Der Wortlaut des Artikels 117 (1) EPÜ macht deutlich, daß der Begriff "Beweisaufnahme" ganz allgemein die Vorlage und die Entgegennahme von Beweismitteln aller Art in den Verfahren vor den Organen des EPA und insbesondere die "Vorlegung von Urkunden" und "schriftlichen Erklärungen unter Eid" umfaßt.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren schließt die Beweisaufnahme auch die Vorlage der neuen Unterlagen und der eidlichen Erklärung durch die Beschwerdeführerin sowie die schriftliche Erwiderung der Beschwerdegegnerin ein. Die Kammer ist daher aufgrund von Artikel 104 (1) EPÜ ermächtigt, die Verteilung der während der Beweisaufnahme entstandenen Kosten anzuordnen, wenn dies der Billigkeit entspricht.
4. So bleibt nur noch zu prüfen, ob der Grundsatz der Billigkeit im vorliegenden Fall eine Kostenverteilung zugunsten der Beschwerdegegnerin rechtfertigt.
In diesem Zusammenhang muß man sich zunächst das Schema des im EPÜ vorgesehenen Einspruchsverfahrens vor dem EPA vergegenwärtigen. Danach muß insbesondere nach Artikel 99 (1) EPÜ ein Einspruch innerhalb von neun Monaten nach Erteilung eines europäischen Patents schriftlich eingereicht und begründet und nach Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift angeben werden, auf welche Gründe der Einspruch gestützt wird und welche Tatsachen und Beweismittel zur Begründung vorgebracht werden.
Bei Betrachtung der Erfordernisse des Artikels 99 (1) und der Regel 55 c) EPÜ in Verbindung miteinander ist zunächst festzustellen, daß das Einspruchsverfahren eine Ausnahme von der allgemeinen Regel nach dem EPÜ darstellt, daß ein europäisches Patent nach der Erteilung nicht mehr in die Zuständigkeit des EPA fällt, sondern in ein Bündel nationaler Patente zerfällt, die der Rechtsprechung der benannten Vertragsstaaten unterliegen. Das Einspruchsverfahren bildet eine Ausnahme, weil hier während einer kurzen Frist ein Antrag auf Widerruf des europäischen Patents zentral beim EPA gestellt werden kann, das dann über diesen Antrag entscheidet.
Artikel 99 (1) und Regel 55 c) EPÜ verlangen somit klar und deutlich, daß der Einsprechende in der Regel seine Einwände gegen das angefochtene Patent in der Einspruchsschrift ausführlich und vollständig darlegt und nicht nach und nach vorbringt und weiter ausarbeitet. Tatsachen und Beweismittel zur Stützung eines Einspruchs, die nach Ablauf der Frist von neun Monaten und damit verspätet vorgelegt werden, brauchen gemäß Artikel 114 (2) EPÜ von der Kammer nicht im Verfahren zugelassen zu werden.
5. Nach Ablauf der Frist von neun Monaten vorgelegte Tatsachen oder Beweismittel - ob sie nun im Verfahren zugelassen werden oder nicht - können anderen Beteiligten zweifellos Mehrkosten verursachen, die bei fristgerechter Einreichung nicht entstanden wären. Sie können deshalb eine Kostenverteilung rechtfertigen. Da der Einspruch im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin zurückgezogen geworden ist, braucht die Kammer nicht mehr darüber zu entscheiden, ob die zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten neuen Unterlagen im Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollten. Sie ist jedoch grundsätzlich befugt, über alle Anträge zu entscheiden, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens an sie gestellt werden (s. Entscheidung J 12/86 "Hülsenschneider/Linville" vom 6. Februar 1987, Nummer 5, Leitsatz veröffentlicht im ABl. EPA 1988, 83 und Entscheidung T 41/82 "Rückzahlung der Beschwerdegebühr/Sandoz", ABl. EPA 1982, 256, Nr. 6), so auch über den Antrag auf Kostenverteilung, den die Beschwerdegegnerin im vorliegenden Fall gestellt hat.
6. Nach Überzeugung der Kammer sind der Beschwerdegegnerin durch die verspätete Einreichung der neuen Unterlagen erheblich höhere Kosten entstanden, als dies bei Einreichung zusammen mit der Einspruchsschrift der Fall gewesen wäre.
Die Kammer kann das Argument der Beschwerdeführerin nicht gelten lassen, daß zumindest ein Teil der Unterlagen deshalb so spät vorgelegt werden mußte, weil es galt, bestimmte Feststellungen in der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu widerlegen. Falls die Beschwerdeführerin im Rahmen ihres Einwands der mangelnden erfinderischen Tätigkeit des angefochtenen Patents behaupten wollte, daß die Patentansprüche Bereiche umfassen, die keine vorteilhaften Eigenschaften aufweisen, so hätte sie alle Beweismittel zur Stützung dieser Behauptung innerhalb der Frist von neun Monaten einreichen müssen. Die Tatsache, daß eine Unterlage, z. B. eine Patentschrift, in dem angefochtenen Patent erwähnt wird, rechtfertigt nach Auffassung der Kammer nicht, daß dieses Dokument zur Stützung eines Einwands wegen mangelnder erfinderer Tätigkeit erstmals nach Ablauf der Frist von neun Monaten angeführt wird (im vorliegenden Fall erst im Beschwerdeverfahren mehr als zwei Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist).
7. Angesichts dessen entspricht es nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall der Billigkeit, eine Kostenverteilung anzuordnen.
Regel 63 (1) EPÜ sieht folgendes vor: "Es können nur die Kosten berücksichtigt werden, die zur zweckentsprechenden Wahrung der Rechte notwendig waren. Zu den Kosten gehört die Vergütung für die Vertreter der Beteiligten." Dementsprechend hat die Kammer nach sorgfältiger Prüfung des hier maßgebenden Sachverhalts eine Kostenverteilung beschlossen, bei der die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin 50 % der Kosten erstattet, die deren Vertreter bei der Vorbereitung und Einreichung der Beschwerdeerwiderung vom 22. Dezember 1986 entstanden sind und die er ihr in Rechnung gestellt hat.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Kosten im Beschwerdeverfahren werden so verteilt, daß die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin 50 % der Kosten erstattet, die deren Vertreter bei der Vorbereitung und Einreichung der Beschwerdeerwiderung vom 22. Dezember 1986 entstanden sind und die er ihr in Rechnung gestellt hat.