T 0060/89 (Fusionsproteine) 31-08-1990
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1. Wenn Sachverhalte, die ohne entsprechenden Nachweis als neuheitsschädlich vorgebracht wurden, lange Zeit zurückliegen und die Sache von den Parteien nicht weiterverfolgt wird, ist die Kammer nach Artikel 114 (1) EPÜ nicht verpflichtet, sie von Amts wegen zu ermitteln (siehe Nummer 3.1.1 der Entscheidungsgründe).
2. Sind bei ein und derselben Erfindung sowohl die ausreichende Offenbarung als auch die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen, so ist in beiden Fällen der gleiche Wissensstand zugrunde zu legen (siehe Nr. 3.2.5 der Entscheidungsgründe).
Ausreichende Offenbarung eines Beispiels
Allgemeiner Wissensstand
Neuheitsschädliche Vorträge
Ermittlungspflicht der Kammer von Amts wegen
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer ist Inhaber des europäischen Patents Nr. 6 694 (mit der Anmeldungsnummer 79 301 054.7). Die Ansprüche 1 und 6 in der erteilten Fassung lauten wie folgt: "1. Verfahren zur Herstellung eines ausgewählten Proteins oder eines Teils davon durch Insertion einer das ausgewählte Protein oder einen Teil davon repräsentierenden DNA in ein bakterielles Gen, dadurch gekennzeichnet, daß das bakterielle Gen für ein extrazelluläres oder periplasmatisches Trägerprotein geschnitten wird, ein für das ausgewählte Protein oder einen Teil davon codierendes nichtbakterielles DNA-Fragment durch einen Rekombinationsschritt in die Schnittstelle inseriert wird, ein bakterieller Wirt mit dem rekombinanten Gen transformiert wird und die transformierten Bakterien zur Ausscheidung des ausgewählten Proteins oder eines Teils davon kultiviert werden.
6. Rekombinantes DNA-Molekül, bestehend aus einem bakteriellen Gen für ein extrazelluläres oder periplasmatisches Trägerprotein und einem nichtbakteriellen Gen, das für ein ausgewähltes Protein oder Polypeptid codiert, wobei das nichtbakterielle Gen in das bakterielle Gen inseriert und mit einem Teil davon Ende an Ende zusammengefügt worden ist".
II. Gegen dieses europäische Patent wurde von drei Parteien Einspruch eingelegt. Der Widerruf des Patents wurde aus den in Artikel 100 a) und b) EPÜ genannten Gründen beantragt. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung wurden von den Parteien insgesamt mehr als 50 Dokumente eingereicht, von denen die folgenden auch im Beschwerdeverfahren von Bedeutung waren:
(Entgegenhaltung A): Proceedings of the 43rd Cold Spring Harbor Symposium on Quantitative Biology, DNA: Replication and Recombination, 77 - 90, (Sutcliffe)
(Entgegenhaltung B): Inouye and Beckwith, PNAS 74 (1977), 1440 - 1444
(Entgegenhaltung C): Silhavy et al., PNAS 73 (1976), 3423 - 3427
(Entgegenhaltung D): Silhavy et al., PNAS 74 (1977), 5411 - 5415
(Entgegenhaltung E): Blobel and Dobberstein, J. Cell. Biol. 67 (1975), 835 - 851
(Entgegenhaltung F): Chang et al., PNAS 75 (1978), 361 - 365
(Entgegenhaltung G): Bolivar et al., Gene 2 (1977), 95 - 113
(Entgegenhaltung H): Itakura et al., Science 198 (1977), 1056- 1063.
In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung legte der Beschwerdeführer einen neuen Anspruchssatz vor, der zwei neue Ansprüche 2 und 7 mit folgendem Wortlaut enthielt:
"2. Verfahren zur Herstellung eines ausgewählten nichtbakteriellen Proteins oder Polypeptids, das normalerweise durch eine Membran der natürlichen Erzeugerzelle ausgeschieden wird, durch Insertion der das ausgewählte Protein oder Polypeptid repräsentierenden DNA in ein bakterielles Gen, dadurch gekennzeichnet, daß das bakterielle Gen für ein extrazelluläres oder periplasmatisches Trägerprotein innerhalb des Teils des bakteriellen Gens, der die hydrophobe Leader-Sequenz des bakteriellen Gens codiert, so geschnitten wird, daß das ausgewählte Protein oder Polypeptid durch eine Bakterienzellmembran ausgeschieden wird, ein nichtbakterielles DNA-Fragment, das für das ausgewählte Protein oder Polypeptid codiert, über einen Rekombinationsschritt in die Schnittstelle inseriert wird, ein bakterieller Wirt mit dem rekombinierten Gen transformiert wird und die transformierten Bakterien kultiviert werden, damit sie das ausgewählte Protein oder Polypeptid durch eine Membran der transformierten Bakterien ausscheiden
7. Rekombinantes DNA-Molekül, bestehend aus einem bakteriellen Gen für ein extrazelluläres oder periplasmatisches Trägerprotein sowie aus einem nichtbakteriellen Gen, das für ein ausgewähltes Protein oder Polypeptid codiert, welches normalerweise durch die Membran der natürlichen Erzeugerzelle ausgeschieden wird, in der es in der Natur erzeugt wird, wobei das nichtbakterielle Gen in dem Teil des bakteriellen Gens, der die hydrophobe Leader-Sequenz des bakteriellen Proteins codiert, inseriert und Ende an Ende mit einem Teil davon verbunden worden ist."
III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent aufgrund des Artikels 83 EPÜ wegen unzureichender Offenbarung des Gegenstands der Ansprüche 2 und 7.
Die Einspruchsabteilung vertrat die Auffassung, daß die Beschreibung in Spalte 8, Zeile 3 bis 43, ein Ausführungsbeispiel darstelle und zum Erfolg führen müsse, wenn sie von einem Fachmann nachvollzogen werde. Nach allen im Einspruchsverfahren vorgebrachten Tatsachen und eingereichten Anträgen sei es jedoch nicht glaubhaft, daß das Verfahren nach Anspruch 2, das in der oben genannten Spalte 8 näher beschrieben werde, ohne weiteres ausgeführt werden könne. Daher sei die Beschreibung unzureichend.
Die rekombinante DNA nach Anspruch 7, die einen wesentlichen Schritt im Verfahren nach Anspruch 2 darstelle, sei gleichfalls nicht ausreichend beschrieben.
Neuheit und erfinderische Tätigkeit wurden anerkannt.
IV. Der Beschwerdeführer legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein und begründete diese. Im Beschwerdeverfahren reichte er zwei neue Anspruchssätze ein, von denen der als Hauptantrag vorgelegte im wesentlichen dem von der Einspruchsabteilung geprüften Anspruchssatz entspricht, während im Hilfsantrag die Ansprüche 2 und 7 weggelassen sind. Zusammen mit weiteren Ausführungen zur Stützung der Beschwerde reichte der Beschwerdeführer Versuchsdaten ein, um sein Argument zu erhärten, daß ein Fachmann die Erfindung nach den zurückgewiesenen Ansprüchen 2 und 7 anhand der Offenbarung in Spalte 8 des angefochtenen Patents ausführen könne. Die Beschwerdegegnerinnen nahmen zur Beschwerdebegründung Stellung und erhoben insbesondere Einwände gegen die vom Beschwerdeführer vorgelegten Versuchsdaten, da diese verspätet eingereicht worden seien und nur mit den Mitteln, die 1978, also zum Prioritätszeitpunkt des angefochtenen Patents, verfügbar gewesen seien, nicht nachgearbeitet werden könnten. Zusätzlich zu einem bereits früher erhobenen Einwand gegen die Neuheit, der sich auf ein im Mai/Juni 1978 in Cold Spring Harbor abgehaltenes Symposium stützte, reichte eine der Beschwerdegegnerinnen Informationen über einen Vortrag ein, der von einem der Erfinder des angefochtenen Patents, Professor Walter Gilbert von der Harvard Universität, an der Universität Chicago gehalten worden war und in dem dieser über die Konstruktion eines Bakteriums in seinem Labor berichtete, das in kleinen Mengen Rattenproinsulin produziert. Es wurde nachgewiesen, daß diese Arbeit in der Woche vom 4. bis 10. Juni 1978 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.
V. In der mündlichen Verhandlung am 31. August 1990 argumentierte der Beschwerdeführer im wesentlichen wie folgt:
(a) Der zusammen mit den weiteren Ausführungen unterbreitete Versuch sei 1978 anhand des damals vorliegenden allgemeinen Fachwissens ausgeführt worden, wenn auch andere Restriktionsenzyme und/oder Exonucleasen als die in Spalte 8 beschriebenen verwendet worden seien. Er zeige, daß nach den in Spalte 8 der Beschreibung des angefochtenen Patents gegebenen Grundinformationen die aus dem allgemeinen Fachwissen bekannten notwendigen Einzelschritte unternommen werden könnten, um das Verfahren nach Anspruch 2 erfolgreich auszuführen.
(b) Was die Einwände anbelangt, die wegen mangelnder Neuheit nach Artikel 54 EPÜ erhoben worden waren, so wiederholte Professor Gilbert den Inhalt einer im Einspruchsverfahren eingereichten Erklärung, wonach es äußerst unwahrscheinlich sei, daß der Inhalt des angefochtenen Patents während des erwähnten Symposiums in Cold Spring Harbor vorgetragen worden sei. Er behauptete nochmals, daß es in dieser Hinsicht keine neuheitsschädliche Offenbarung gegeben habe. Was den von der Beschwerdegegnerin 3 erhobenen neuen Einwand anbelange, so könne er zwar nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob er den Vortrag an der Universität Chicago vor dem Anmeldetag der prioritätsbegründenden Anmeldung in den Vereinigten Staaten gehalten habe; er halte dies jedoch für sehr unwahrscheinlich, da ihm bekannt sei, wie wichtig die Geheimhaltung der Erfindung vor der Erstanmeldung in den Vereinigten Staaten sei. Im Zusammenhang mit diesen Feststellungen wurde auf Kopien verschiedener Zeitungsberichte über diese Arbeit hingewiesen.
(c) Zu der in Artikel 56 EPÜ geforderten erfinderischen Tätigkeit wurde vorgetragen, daß es nach der Entgegenhaltung H den Wissenschaftlern gelungen sei, ein heterologes Protein in einer Bakterienzelle durch Fusion mit einem bakteriellen Protein zu exprimieren. Zweck dieser Arbeit sei es gewesen, das heterologe Protein vor dem Abbau durch proteinspaltende Enzyme innerhalb der Bakterienzelle zu schützen. Dieses Dokument enthalte keinerlei Hinweis auf die Fusion der für ein heterologes Protein codierenden DNA mit der DNA, welche für die Leader-Sequenz eines bakteriellen Proteins codiere, das durch die Zellmembran entweder in den periplasmatischen Raum oder in das extrazelluläre Medium transportiert werden solle.
Die Offenbarung der Entgegenhaltungen C bzw. D beschreibe Experimente, die zeigten, daß bakterielle Proteine ebenso wie eukaryontische Proteine zumindest zur Außenfläche einer bakteriellen Membran transportiert werden könnten, wo sie dann festgestellt werden könnten. Im Gegensatz zur Offenbarung in den Entgegenhaltungen C bzw. D werde bei der Erfindung das heterologe Gen in einer in Entgegenhaltung H beschriebenen Weise mit der Leader-Sequenz eines bakteriellen Proteins fusioniert, das nicht in der Membran verbleibe, sondern durch sie ausgeschieden werde. Zum Prioritätszeitpunkt habe zur Gewinnung der gewünschten, durch Bakterienzellen exprimierten heterologen Proteine nur ein Verfahren zur Verfügung gestanden, bei dem die Bakterienzelle durch Lyse oder Aufbrechen zerstört worden sei. Das letztere Verfahren habe viele Nachteile.
VI. Die Beschwerdegegnerinnen brachten im wesentlichen folgende Argumente vor:
(a) Die Versuche seien mit Restriktionsenzymen und Exonucleasen ausgeführt worden, die in der genannten Spalte 8 nicht erwähnt würden; der Austausch gegen andere Enzyme habe nicht zum Fachwissen der damals auf dem Gebiet der Gentechnik tätigen Fachleute gehört oder sei überhaupt nicht zugänglich gewesen. In diesem Zusammenhang wies die Beschwerdegegnerin 1 insbesondere darauf hin, daß bei der Beurteilung der Erfordernisse der Artikel 83 und 56 (erfinderische Tätigkeit) der gleiche allgemeine Wissensstand zugrunde gelegt werden müsse. Von besonderer Bedeutung sei, daß anstelle des in Spalte 8 erwähnten Restriktionsenzyms Taq das Restriktionsenzym PvuI verwendet worden sei. Dieses Restriktionsenzym habe zwar 1978 schon zur Verfügung gestanden, seine entsprechende Restriktionsstelle sei jedoch 1978 noch nicht bekannt gewesen; ferner sei nirgendwo auf der Restriktionskarte des Plasmids pBR322, welches das Gen enthalte, das durch das erwähnte Restriktionsenzym geschnitten werden solle, eine Restriktionsstelle für das Restriktionsenzym PvuI angegeben. Da zur Ausführung des Verfahrens nach Anspruch 2 ohnehin ein erheblicher Versuchsaufwand erforderlich sei, hätte die Verwendung eines Restriktionsenzyms, dessen Schnittstelle unbekannt und auf dem Plasmid, das in der Beschreibung des angefochtenen Patents verwendet worden sei, nicht kartiert gewesen sei, nicht zum allgemeinen Wissensstand gehört. Aus dem gleichzeitig mit einem zweiten zusätzlichen Schriftsatz unterbreiteten Versuch gehe jedoch eindeutig hervor, daß es darauf ankomme, ein Restriktionsenzym zu verwenden, welches das Plasmid pBR322 nur einmal schneide. Außerdem müsse diese eine Schnittstelle zu der bakteriellen Leader-Sequenz und dem heterologen Gen so angeordnet sein, daß sich ein vernünftiger Startpunkt für die nächsten Verfahrensschritte, etwa den enzymatischen Abbau einer bestimmten Anzahl von Basenpaaren vom Ende her ergebe, damit man die richtigen Sequenzen für die sogenannte ideale Fusion erhalte. Weiterhin sei die Methode des "Abknabberns" einer exakten Anzahl von Basenpaaren im Jahre 1978 nicht ohne unzumutbaren Aufwand zu steuern gewesen. Professor Gilbert, einer der Erfinder und späterer Nobelpreisträger, könne sicher nicht als repräsentativ für den Durchschnittsfachmann angesehen werden. Außerdem unterschieden sich die in Spalte 8 erwähnten Ausgangsplasmide für die Ausführung des Verfahrens nach Anspruch 2 bzw. die Erzeugung des Plasmids nach Anspruch 7 von dem im Versuch verwendeten Plasmid.
(b) Die Beschwerdegegnerinnen hielten an ihrem Argument fest, daß der Inhalt von Entgegenhaltung A eine getreue Wiedergabe des Symposiums in Cold Spring Harbor sei. Die Beschwerdegegnerin 3 brachte insbesondere vor, daß die Entgegenhaltung A unter anderem von Professor Gilbert durchgesehen worden sei, so daß er deren Inhalt insoweit zugestimmt haben dürfte, als dieser schon auf dem erwähnten Symposium vorgetragen worden sei, das vor dem Prioritätszeitpunkt des angefochtenen Patents stattgefunden habe.
(c) Alle Beschwerdegegnerinnen sprachen dem Verfahren nach Anspruch 1 erfinderische Tätigkeit ab.
VII. Der Beschwerdeführer beantragte, daß die Entscheidung aufgehoben und das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10 (Hauptantrag) oder 1 bis 8 (Hilfsantrag) und der entsprechenden Anspruchssätze für den Vertragsstaat Österreich aufrechterhalten wird; beide Anträge waren am 18. Juni 1990 eingereicht worden. Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1 Änderungen (Art. 123 (2) und (3) EPÜ) Die Ansprüche 2 und 7 des Hauptantrags unterscheiden sich im Wortlaut von den Ansprüchen 2 und 7 in der von der Einspruchsabteilung zurückgewiesenen Fassung insofern, als klarer zum Ausdruck gebracht wird, daß das nichtbakterielle DNA- Fragment innerhalb des Teils des bakteriellen Gens, der die hydrophobe Leader-Sequenz des bakteriellen Proteins oder eines Teils davon codiert, Ende an Ende mit dem bakteriellen Gen so fusioniert wird, daß das ausgewählte Protein bzw. Polypeptid durch eine Bakterienzellmembran ausgeschieden wird. Die Bedeutung der Formulierung "eine" Membran wird durch den gesamten Inhalt der Patentbeschreibung erhärtet, der sich nicht nur auf die innere oder die äußere Membran eines bestimmten Bakteriums, sondern vielmehr auf beide Membranarten bezieht; es wird also die Absonderung in den periplasmatischen Raum und das extrazelluläre Medium beschrieben. Nach der Beschreibung ist es ferner möglich, nicht nur einen bestimmten, sondern auch andere, ebenso geeignete Bakterienstämme zu verwenden. Da aus der Formulierung der ursprünglichen Offenbarung und der Ansprüche in der erteilten Fassung ebenfalls hervorgeht, daß die Proteine durch "eine" Membran abgesondert werden - beispielsweise aus der Aussage, daß "ein" bakterieller Wirt mit dem rekombinanten Gen transformiert wird -, ist die geänderte Fassung der Ansprüche 2 und 7 des Hauptantrags im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ zulässig.
2.2 Ausreichende Offenbarung der Ansprüche 2 und 7 (Art. 83 EPÜ)
2.2.1 Das Verfahren nach Anspruch 2 beschreibt eine "ideale Fusion" zwischen dem Teil eines bakteriellen Gens, der die hydrophobe Leader-Sequenz eines extrazellulären oder periplasmatischen Trägerproteins oder eines Teils davon codiert, und einem nicht bakteriellen DNA-Fragment, das für das ausgewählte Protein oder Polypeptid codiert. Diese allgemeine Verfahrensweise wird in der Spalte 8 ausführlicher, nämlich z. B. wie folgt beschrieben: "Der Abschnitt der Penicillinase-Gen-DNA zwischen dem Code für die Aminosäure 23 am Ende der hydrophoben Leader-Sequenz und dem Code für die Aminosäure 45 kann an der Taq-Schnittstelle durch enzymatischen Abbau der DNA vom Ende her mittels einer Mischung geeigneter Enzyme entfernt werden. Eine dieser Mischungen besteht aus der Lambda-Exonuclease, die den DNA-Strang vom 5'-Ende her abbaut, und dem Enzym S1, das den einzelsträngigen überhängenden Teil entfernt. Es wird noch eine andere derartige Mischung vorgeschlagen, nämlich aus T4-DNA- Polymerase, die das 3'-Ende eines DNA-Strangs abbaut, und S1, das wiederum den einzelsträngigen überhängenden Teil entfernt. Durch gesteuerten Abbau kann das DNA-Molekül des Plasmids in geeigneter Weise auf das Fragment verkürzt werden, das sich von der R1- Schnittstelle zu der für die Aminosäure 23 codierenden Stelle oder zu anderen Stellen auf der hydrophoben Leader-Sequenz erstreckt; dieses Fragment kann mit einem in ähnlicher Weise erzeugten Fragment fusioniert werden, das die Insulinsequenz enthält und enzymatisch bis zu einem geeigneten Anfangspunkt abgebaut wurde - vermutlich wieder bis zu dem Punkt, wo das voll entwickelte Insulinmolekül beginnt. Diese beiden Fragmente können zum Beispiel durch Verbindung an den abgebauten Enden mittels T4- DNA-Ligase miteinander fusioniert und als Fusion in das Plasmid inseriert werden". In Spalte 8 wird weiter festgestellt, daß "eine derartige Konstruktion zwar im Prinzip exakt ausgeführt werden kann, in der Praxis aber nach dem Zufallsprinzip erfolgen dürfte, unter anderem durch Spleißen einer Vielzahl von Genfragmenten, deren Endpunkte in interessanten Bereichen liegen."
2.2.2 Zur Beantwortung der Frage, ob der Durchschnittsfachmann zum Prioritätszeitpunkt des angefochtenen Patents in der Lage gewesen wäre, das Verfahren nach Anspruch 2 anhand der Beschreibung in Spalte 8 auszuführen, erscheint es notwendig, den Fachmann sowie den allgemeinen Wissensstand auf dem Gebiet der Gentechnik im Jahre 1978 zu definieren. Es ist zu prüfen, ob die in Spalte 8 gegebenen Informationen als Ausführungsbeispiel aufgefaßt werden können. Ferner muß geklärt werden, ob es zu allen in Spalte 8 beschriebenen spezifischen Mitteln möglicherweise Varianten gab, die aus dem allgemeinen Fachwissen bekannt waren und somit einen Fachmann befähigt hätten, das Verfahren nach Anspruch 2 entsprechend der allgemeinen Lehre der Spalte 8 nachzuvollziehen.
2.2.3 Was die oben gestellte Frage des "Ausführungsbeispiels" anbelangt, so deutet die Formulierung in Spalte 8 der Beschreibung, in der Worte wie "vermutlich", "wahrscheinlich", "wird sein" und "im Prinzip" verwendet werden, darauf hin, daß die beschriebene Arbeit noch nicht ausgeführt worden ist. Man kann daher die Informationen in Spalte 8 kaum als Ausführungsbeispiel interpretieren. Nach Auffassung der Kammer sind die von den Beschwerdegegnerinnen vorgebrachten Argumente überzeugend, daß die Fachleute das Verfahren nicht mit einem angemessenen Zeit- und Forschungsaufwand hätten ausführen können, wenn sie die in Spalte 8 enthaltenen, recht vagen Informationen - wie bei einem Ausführungsbeispiel - genau befolgt hätten. Insbesondere wären, wie die Beschwerdegegnerinnen betonten, 1978 beim Schneiden des Penicillinase-Gens mit dem Taq- Restriktionsenzym sieben Fragmente entstanden; mit diesem Problem fertig zu werden, wäre damals äußerst schwierig gewesen. Ferner war die Kontrolle über den enzymatischen Abbau der DNA vom Ende her noch nicht weit genug entwickelt, so daß es sehr mühselig gewesen wäre, die Reaktionsmischung genau an der zur Bildung einer idealen Fusion erforderlichen Stelle zu stoppen. Der Fachmann hätte daher das Verfahren nach Anspruch 2 anhand des Vorschlags in Spalte 8, wenn überhaupt, nur unter unzumutbarem Aufwand ausführen können, wenn er sich genau an den Wortlaut dieses Teils der Beschreibung gehalten hätte.
2.2.4 Um die Frage beantworten zu können, ob es Varianten der in Spalte 8 erwähnten Mittel und Verfahrensschritte gab, die dem Fachmann bekannt waren und ihn dann zur Ausführung der Erfindung nach Anspruch 2 befähigt hätten, muß festgestellt werden, was damals zum allgemeinen Fachwissen gehörte und damit dem Fachmann zugänglich war. Das Penicillinase-Gen im Plasmid pBR322 war offensichtlich bekannt, und Restriktionsenzyme waren auf dem Markt erhältlich. Ferner waren Exonucleasen bekannt, welche die DNA nach dem Schneiden mit einem Restriktionsenzym enzymatisch vom Ende her abbauen. Die Kammer schließt sich jedoch den Argumenten der Beschwerdegegnerinnen an, daß zum Beispiel der Austausch des zur Ausführung der Erfindung offenbar ungeeigneten Restriktionsenzyms Taq gegen ein besser geeignetes Restriktionsenzym, nämlich das vom Beschwerdeführer in dem in seinem zusätzlichen Schriftsatz beschriebenen Versuch verwendete PvuI, keine Variante war, die dem Fachmann im Rahmen des allgemeinen Fachwissens zur Verfügung stand. In der mündlichen Verhandlung machten die Beschwerdegegnerinnen deutlich, daß das Restriktionsenzym PvuI als solches zwar erhältlich gewesen sei, der Fachmann es aber nicht verwendet hätte, da aus der damals bekannten und veröffentlichten Restriktionskarte des Plasmids pBR322 die Schnittstelle für dieses Restriktionsenzym nicht hervorgegangen sei. Man kann daher billigerweise nicht davon ausgehen, daß der Fachmann dieses Restriktionsenzym verwendet hätte, selbst wenn man dem Beschwerdeführer darin zustimmt, daß Wissenschaftler bei allen Versuchen dieser Art eine ganze Reihe von Restriktionsenzymen einsetzen, um die am besten geeigneten zu ermitteln. Gerade deshalb ist es unwahrscheinlich, daß ein Restriktionsenzym ausgewählt worden wäre, dessen Schnitteigenschaften - sei es von der Anzahl oder vom Ort der Schnittstellen her - nicht bekannt gewesen sind. Zur Auswahl des geeigneten Restriktionsenzyms ist im Einzelfall offensichtlich viel Geschick und Herumexperimentieren nötig. Die Kammer vertritt die Auffassung, daß der Fachmann für Gentechnik aus dem Jahr 1978 nicht als Nobelpreisträger definiert werden darf, auch wenn einer Reihe von Wissenschaftlern, die damals auf diesem Gebiet arbeiteten, tatsächlich der Nobelpreis verliehen wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Fachmann als in Lehre und Forschung tätiger Wissenschaftler oder Team von Wissenschaftlern anzusehen war, der in Laboratorien arbeitete, die damals die Entwicklung von der Molekulargenetik zur Gentechnik vollzogen.
2.2.5 Der vom Beschwerdeführer vorgelegte Versuch zeigt ferner, daß auch das Verfahren zum Abknabbern der entsprechenden DNA- Fragmente einer genau definierten Menge von Basenpaaren mit anderen Exonucleasen als den in Spalte 8 beschriebenen ausgeführt worden ist. Auch dies deutet darauf hin, daß mehr als das Können eines Durchschnittsfachmanns nötig ist, um eine Mischung von Exonucleasen auszuwählen, mit der sich die Zahl der Zufallsexperimente, die zur Erzeugung genau der richtigen DNA- Fragmente erforderlich sind, so weit reduzieren läßt, daß nach den damaligen Verhältnissen auf diesem Gebiet von einem Routineaufwand gesprochen werden kann.
2.2.6 Im Versuch wird ein weiterer, zur Entstehung einer "idealen Fusion" notwendiger Schritt beschrieben. Es handelt sich um die Herstellung zweier verschiedener Fragmente des Plasmids, von denen das eine die bakterielle hydrophobe Leader-Sequenz, die enzymatisch so vom Ende her abgebaut werden muß, daß genau 348 Basenpaare entfernt werden, und das andere die Proinsulin-leader- Sequenz enthält, bei deren enzymatischem Abbau vom Ende her genau 209 Basenpaare zu entfernen sind. Diese beiden Fragmente müssen dann zur Herstellung des "ideal fusionierten" Plasmids mit dem restlichen Teil des Plasmids religiert werden. Dies ist erforderlich, weil die Länge der vom Anfangspunkt der PvuI- Schnittstelle her abzubauenden Sequenz in beiden Richtungen unterschiedlich ist und der Abbau daher nicht in einem einzigen Schritt erfolgen kann. Was diesen Schritt betrifft, so ist die Beschreibung in Spalte 8 offensichtlich lückenhaft. Nach Auffassung der Kammer war es zum Prioritätszeitpunkt im Jahre 1978 im Rahmen des allgemeinen Fachwissens nicht möglich, diese Lücke zu füllen.
2.2.7 In der Entscheidung T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275) war die Kammer zu dem Schluß gekommen, daß es für die ausreichende Offenbarung eines beanspruchten Verfahrens nicht erforderlich ist, daß jede einzelne Variante ausführbar ist, solange im Rahmen des allgemeinen Fachwissens brauchbare Varianten zur Verfügung stehen. Im vorliegenden Falle konnten weder im Rahmen des allgemeinen Fachwissens geeignete Varianten zur Ausführung des in Spalte 8 vorgeschlagenen Verfahrens gefunden werden, noch war es wahrscheinlich, daß ein Fachmann das Verfahren nach Anspruch 2 hätte erfolgreich nachvollziehen können, wenn er sich exakt nach dem Wortlaut von Spalte 8 gerichtet hätte. Anspruch 2 ist daher nach Artikel 83 EPÜ nicht gewährbar. Das Produkt nach Anspruch 7 entspricht dem Verfahren nach Anspruch 2 insofern, als es einen Schritt in diesem Verfahren darstellt. Die Begründung für die Nichtgewährbarkeit von Anspruch 2 im Hinblick auf Artikel 83 EPÜ gilt auch für Anspruch 7. Der Hauptantrag, der die nicht gewährbaren Ansprüche 2 und 7 enthält, ist daher zurückzuweisen.
3. Hilfsantrag
3.1 Neuheit (Art. 54 EPÜ)
3.1.1 Bezüglich des von Professor Gilbert im Juni 1978 an der Universität Chicago gehaltenen Vortrags haben die Beschwerdegegnerinnen nach Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente erklärt, daß sie diese Information nicht bezweifeln. Nach Auffassung der Kammer ist indes in der Zeitung das Datum nicht eindeutig angegeben. Die Kammer ist der Auffassung, daß sie in Fällen wie dem hier vorliegenden, wo die umstrittenen Tatsachen zwölf Jahre zurückliegen, das Einspruchsverfahren schon vor sechs Jahren begonnen hat und außerdem die Sache von den Parteien nicht weiterverfolgt wird, nicht mehr verpflichtet ist, den Sachverhalt im Hinblick auf Artikel 114 (1) EPÜ von Amts wegen zu ermitteln. Die Kammer geht daher davon aus, daß der genannte Vortrag an der Universität Chicago für das angefochtene Patent nicht neuheitsschädlich ist.
3.1.2 Die gleiche Schlußfolgerung gilt für den Vortrag, den Mr. Sutcliffe vor dem Prioritätszeitpunkt des angefochtenen Patents auf dem Symposium in Cold Spring Harbor gehalten hat. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung reichte der Patentinhaber eine Erklärung Professor Gilberts, eines der Erfinder, ein, wonach es unwahrscheinlich sei, daß in einem Vortrag, der von einem Mitarbeiter seines Laboratoriums an der Harvard Universität, Mr. Sutcliffe, gehalten worden sei, die Arbeit von Professor Gilberts Gruppe über die Expression und Sekretion von Ratten-Proinsulin beschrieben worden sei. Das Thema von Mr. Sutcliffes Vortrag sei vielmehr die vollständige Nucleotidsequenzierung des Plasmids pBR322 gewesen. Für die Annahme, daß Mr. Sutcliffe nicht über den Gegenstand des angefochtenen Patents gesprochen habe, spreche auch die Tatsache, daß er gewußt habe, daß Professor Gilbert sich anschickte, seine Arbeit über Ratten-Proinsulin Anfang Juni in Chicago selbst bekanntzugeben, und er ihm sicher nicht zuvorgekommen wäre. In der mündlichen Verhandlung wurden diese Erklärungen mit dem Zusatz wiederholt, daß Mr. Sutcliffe nicht an Ratten-Proinsulin arbeite. Obwohl Entgegenhaltung A für sich gesehen ein Hinweis auf das Thema beim Symposium in Cold Spring Harbor gewesen wäre, hält die Kammer unter Berücksichtigung aller Fakten und angesichts des Fehlens weiterer Beweise dieses Symposium nicht für neuheitsschädlich.
Folglich ist Anspruch 1 des Hilfsantrags neu.
3.2 Erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ)
3.2.1 Für die Prüfung der dem angefochtenen Patent zugrundeliegenden Aufgabe betrachtet die Kammer die Entgegenhaltung H als nächstliegenden Stand der Technik. Dieses Dokument beschreibt Forschungsarbeiten aus dem gleichen Fachgebiet, auf das sich auch das Streitpatent bezieht. In dem in der Entgegenhaltung H beschriebenen Fall wurde ein Gen für Somatostatin, ein Säuger-Peptid mit 14 Aminosäuren, durch chemische Verfahren vollständig synthetisiert. Dieses Gen wurde dann mit dem ß-Galactosidase-Gen eines Bakteriums, Escherichia coli, im Plasmid pBR322 fusioniert. Die Expression dieses fusionierten Gens innerhalb einer Bakterienzelle führte zur Synthese eines Polypeptids, das die dem Somatostatin entsprechende Aminosäuresequenz enthielt. Nach Rückgewinnung aus der Bakterienzelle wurde das große chimäre Protein geschnitten, um aktives Somatostatin zu gewinnen. Dieses Ergebnis stellte die erste erfolgreiche Expression (d. h. Transkription in eine RNA und Translation dieser RNA in ein Protein einer gewünschten Aminosäuresequenz) eines Gens dar, das durch chemische Synthese entstanden war. Das entstandene Molekül scheint gegen eine endogene proteolytische Wirkung relativ resistent zu sein. Diese Methode schützt offenbar viele Proteine in E. coli gegen Zersetzung, und zwar sowohl große Enzyme als auch kleinere Polypeptide, die sonst aus diesem Grunde nicht nachweisbar wären. Das heterologe Protein, das exprimiert und als Fusionsprotein erzeugt wird, muß aus den Bakterienzellen zurückgewonnen werden. Nach der Entgegenhaltung H erfolgt dies durch Zerstörung der Bakterienzellen und Isolierung des gewünschten Proteins aus den Zelltrümmern.
3.2.2 In der mündlichen Verhandlung betonte der Beschwerdeführer die Nachteile des bekannten Verfahrens zur Isolierung heterologer Proteine. Wie von Professor Gilbert überzeugend vorgetragen wurde, liegt bei der Reindarstellung des gewünschten Proteins nach der Zerstörung der Bakterienzellen die Hauptschwierigkeit in der Verunreinigung durch Hunderte anderer in den Bakterienzellen enthaltener Proteine. Ausgehend von der Entgegenhaltung H ist daher die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe in der Verbesserung der Isolierung eines in einer Wirtszelle exprimierten Proteins zu sehen.
3.2.3 Diese Aufgabe wird im Patent - wie in Anspruch 1 beschrieben - dadurch gelöst, daß das heterologe Gen mit einem bakteriellen Gen, das für einen Teil eines bakteriellen extrazellulären oder periplasmatischen Trägerproteins codiert, mittels eines Rekombinationsschrittes fusioniert wird, so daß das fusionierte Protein durch eine Membran der Zelle ausgeschieden wird, in der es in der Natur hergestellt wird, und das ausgeschiedene selektionierte Fusionsprotein oder Fusionspolypeptid aus dem extrazellulären Medium gewonnen werden kann. Das im angefochtenen Patent beschriebene Beispiel stellt sicher, daß die Aufgabe vom Patentinhaber tatsächlich gelöst worden ist. Die ausreichende Offenbarung des Anspruchs 1 und des entsprechenden Teils der Patentbeschreibung war von den Beschwerdegegnerinnen auch nie bestritten worden.
3.2.4 Das beanspruchte Verfahren besitzt Vorzüge gegenüber dem in der Entgegenhaltung H beschriebenen nächstliegenden Stand der Technik, da es die Stabilität des gewünschten heterologen Proteins innerhalb der Zelle wie bei dem in Entgegenhaltung H beschriebenen Verfahren gewährleistet und außerdem das gewünschte Protein zur Zellmembran und durch diese hindurch transportiert, wodurch zum einen die Leader-Sequenz des bakteriellen Proteins schon durch in den Bakterienmembranen vorhandene Enzyme von dem Fusionsprotein abgespalten und die weitere Gewinnung des gewünschten Proteins erleichtert wird, da im Vergleich zur Gesamtheit der in einer Bakterienzelle vorhandenen Proteine wesentlich weniger Proteine in das umgebende Medium der Zelle ausgeschieden werden. Das Verfahren nach Anspruch 1 stellt daher eine elegante Weiterentwicklung des in der Entgegenhaltung H beschriebenen Verfahrens dar.
3.2.5 Es stellt sich die Frage, ob dieses Verfahren ausgehend von der Entgegenhaltung H im Hinblick auf das in den Entgegenhaltungen C, D bzw. F offenbarte Wissen für den Fachmann naheliegend war. Offenbar liefert die Kenntnis der erwähnten Dokumente das Rüstzeug für das beanspruchte Verfahren. Dies heißt nach Auffassung der Kammer jedoch noch nicht zwangsläufig, daß bei Anwendung dieses Rüstzeugs in einem anderweitig beschriebenen Verfahren der gesamte Prozeß naheliegend wird. Die Kammer vertritt die Auffassung, daß der gleiche Wissenstand zugrunde zu legen ist, wenn bei ein und derselben Erfindung sowohl die ausreichende Offenbarung als auch die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen sind. Wie unter Nummer 2.2.4 dargelegt, ist für die Ermittlung des Durchschnittsfachmanns und damit des damaligen allgemeinen Wissensstandes nicht die Qualifikation eines Nobelpreisträgers maßgebend. Es ist anzunehmen, daß ein Fachmann nach der obigen Definition (siehe Nummer 2.2.4), der sich mit diesem Problem konfrontiert sieht, von der Existenz der Leader-Sequenzen in eukaryontischen Zellsystemen und von der Signalhypothese bei bakteriellen Systemen wußte. Möglicherweise waren ihm auch die Entgegenhaltungen C, D und F bekannt, aus denen ersichtlich war, daß die Signalhypothese auch für bakterielle Proteine gelten könnte. Hier muß erwähnt werden, daß die genannten Unterlagen zwar Proteine beschreiben, die offenbar durch Leader-Sequenzen zur Membran transportiert werden, daß diese Proteine aber nicht durch die Membran hindurch in die äußere Umgebung der Membran ausgeschieden werden, sondern vielmehr Bestandteile der Membran selbst sind, auch wenn sie mit ihren funktionellen Teilen an der Außenseite der Membran angeordnet sind. Um auf der Grundlage aller erwähnten Kenntnisse zu dem Verfahren nach Anspruch 1 zu gelangen, mußte man zum einen auf die Idee kommen, daß die Fusion des heterologen Proteins mit den Leader-Sequenzen eines Bakterienproteins die erwähnten Vorteile haben würde - dies wird in keinem der Dokumente zum Stand der Technik auch nur angedeutet. Zum anderen mußte ein geeignetes bakterielles Protein mit einer Leader-Sequenz ausgewählt werden. Die Schlüsselfrage ist daher, ob es für einen Fachmann naheliegend gewesen wäre, die oben dargelegte Idee mit einer angemessenen Erfolgserwartung auszuprobieren.
3.2.6 Wie oben unter Nummer 2.2 dargelegt, gehörte nach Ansicht der Kammer die Kenntnis der notwendigen Einzelschritte und Varianten zur Ausführung des Verfahrens nach Anspruch 2 anhand der in Spalte 8 gegebenen Informationen zum Prioritätszeitpunkt nicht zum allgemeinen Fachwissen. Wenn dasselbe Prinzip hier angewendet werden sollte, bedurfte es eines über den allgemeinen Wissensstand hinausgehenden Könnens; der Fachmann hätte damals in einer über das allgemeine Fachwissen weit hinausgehenden Weise Versuche anstellen müssen, um das in der Entgegenhaltung H beschriebene Verfahren mit einem der Dokumente zu kombinieren, in denen die Existenz und die Funktion bakterieller Leader-Sequenzen beschrieben waren. Ein neues Verfahren wird nicht zwangsläufig dadurch naheliegend, daß zu seiner Ausführung bekannte Werkzeuge in geeigneter Kombination verwendet werden.
3.2.7 Diese Auffassung wird durch die Tatsache gestützt, daß keine der Unterlagen zum Stand der Technik irgendeinen Hinweis darauf enthält, wie heterologe Proteine anders als durch Zerstörung ihrer Wirtszellen isoliert werden können. Wie von Professor Gilbert in der mündlichen Verhandlung betont wurde, gibt es bis heute nur zwei Möglichkeiten, nämlich entweder die Zellen zu zerstören bzw. zu lysieren und das gewünschte Protein aus den Zelltrümmern zu gewinnen oder das heterologe Protein mit einem bakteriellen Leader-Sequenz-Protein zu fusionieren und das gewünschte Protein aktiv durch die Zellmembran hindurch in die Umgebung der Bakterienzelle auszuscheiden - mit allen oben erwähnten Vorteilen. Aus den oben angeführten Gründen erfordert das Verfahren nach Anspruch 1 eine erfinderische Tätigkeit. Die Ansprüche 2 bis 8 des Hilfsantrags beziehen sich auf bestimmte bevorzugte Ausführungsformen, so daß gegen sie keine Einwände bestehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird einschließlich eines am 18. Juni 1990 eingereichten separaten Anspruchssatzes für Österreich auf der Grundlage des Hilfsantrags aufrechterhalten.