T 0028/10 (Fungizide Wirkstoffkombination/BAYER CROPSCIENCE AG) 12-12-2011
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Fungizide Wirkstoffkombinationen
Chemtura Corporation
Kureha Corporation
Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Zulassung des Hauptantrags (nein) - von der Einspruchsabteilung ohne Ermessensfehler nicht zugelassen
Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 sowie 11 bis 15 (nein) - nicht Bestandteil des Einspruchsverfahrens (breiterer Gegenstand) - nicht durch den Verfahrensgang veranlasst
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (nein) - keine widerstreitende Rechtsauffassung zu Artikel 12(4) VOBK
Sachverhalt und Anträge
I. Die Rechtsvorgängerin der Patentinhaberin hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des Europäischen Patents Nr. 1 410 714 Beschwerde eingelegt.
Mit zwei Einsprüchen war das Patent im vollen Umfang im Hinblick auf die Artikel 100(a) i.V.m. 52 (1), 54 und 56 EPÜ angegriffen worden.
II. Die Grundlage der angefochtenen Entscheidung bildeten die Ansprüche 1-9 des Hauptantrags (erteilte Fassung), sowie die Ansprüche 1-8 des ersten Hilfsantrags und die Ansprüche 1-2 des zweiten Hilfsantrags, alle eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt:
"1. Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Metallsalze oder Metalloxide, Sulfamide, Imidazole, Morpholinderivate, Benzthiazole, Isothiazolinone, Thiocyanate, quartären Ammoniumverbindungen und Guanidine, Iodderivate, Phenole, Pyridine, Methoxyacrylate, Chinoline und Triazole ausgewählt aus der Reihe Azaconazole, Bitertanol, Bromuconazole, Cyproconazole, Epoxyconazole, Fluquinconazole, Hexaconazole, Metconazole, Penconazole, Propioconazole, Tebuconazole, Tetraconazole oder Triadimenol sowie deren Metallsalze und Säureaddukte."
Anspruch 4 des Hauptantrags lautete wie folgt:
"4. Verwendung einer Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Metallsalze oder Metalloxide, Sulfamide, Triazole, Imidazole, Benzimidazole, Morpholinderivate, Benzthiazole, Isothiazolinone, Thiocyanate, quartären Ammoniumverbindungen und Guanidine, Iodderivate, Phenole, Pyridine, Methoxyacrylate und Chinoline als Mikrobizid zum Schutz von technischen Materialen."
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags lautete wie folgt:
"1.Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Sulfamide, Benzthiazole, Isothiazolinone, Thiocyanate, quartären Ammoniumverbindungen, Iodderivate, und Triazole ausgewählt aus der Reihe Azaconazole, Hexaconazole, Penconazole, sowie deren Metallsalze und Säureaddukte, wobei Kombinationen von Ipconazol, geradkettigen oder verzweigten, gesättigten oder ungesättigten, aliphatischen Carbonsäuren und quaternären Ammoniumsalzen mit einem Molverhältnis von geradkettiger oder verzweigter, gesättigter oder ungesättigter aliphatischer Carbonsäure zu Ipconazol von größer als 1 ausgenommen sind."
Anspruch 4 des ersten Hilfsantrags unterschied sich von Anspruch 4 des Hauptantrags durch die Streichung des Wortes "Morpholinderivate".
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags lautete wie folgt:
"1. Verwendung einer Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Metallsalze oder Metalloxide, Sulfamide, Triazole, Imidazole, Benzimidazole, Benzthiazole, Isothiazolinone, Thiocyanate, quartären Ammoniumverbindungen und Guanidine, Iodderivate, Phenole, Pyridine, Methoxyacrylate und Chinoline als Mikrobizid zum Schutz von technischen Materialen."
III. Der vorliegenden Entscheidung liegt der oben unter Punkt II genannte Hauptantrag zugrunde. Ferner wurden mit der Beschwerdebegründung die Hilfsanträge 1 bis 10 und weiter während der mündlichen Verhandlung die Hilfsanträge 11 bis 15 eingereicht.
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1.Fungizidmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Sulfamide, Benzthiazole, Isothiazolinone, Thiocyanate, Iodderivate, Phenole, Methoxyacrylate, Chinoline und Triazole ausgewählt aus der Reihe
Azaconazole, Bitertanol, Bromuconazole, Cyproconazole, Epoxyconazole, Fluquinconazole, Hexaconazole, Penconazole, Propioconazole, Tebuconazole, Tetraconazole oder Triadimenol sowie deren Metallsalze und Säureaddukte."
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich vom Wortlaut des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags nur dadurch, dass die Wirkstoffe Benzthiazole, Phenole und Chinoline gestrichen wurden.
Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1.Verwendung einer Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der, Sulfamide, Benzthiazole, Isothiazolinone, Thiocyanate, Iodderivate, Phenole, Methoxyacrylate, Chinoline und Triazole ausgewählt aus der Reihe
Azaconazole, Bitertanol, Bromuconazole, Cyproconazole Epoxyconazole, Fluquinconazole, Hexaconazole, Penconazole, Propioconazole, Tebuconazole, Tetraconazole oder Triadimenol sowie deren Metallsalze und Säureaddukte als Fungizid."
Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags unterscheidet sich vom Wortlaut des Anspruchs 1 des dritten Hilfsantrags nur dadurch, dass die Wirkstoffe Benzthiazole, Phenole und Chinoline gestrichen wurden.
Anspruch 1 des fünften Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1.Fungizidmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Methoxyacrylate und Triazole ausgewählt aus der Reihe
Azaconazole, Bitertanol, Bromuconazole, Cyproconazole, Epoxyconazole, Fluquinconazole, Hexaconazole, Penconazole, Propioconazole, Tebuconazole, Tetraconazole oder Triadimenol sowie deren Metallsalze und Säureaddukte."
Anspruch 1 des sechsten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Verwendung einer Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff aus der Reihe der Methoxyacrylate und Triazole ausgewählt aus der Reihe
Azaconazole, Bitertanol, Bromuconazole, Cyproconazole, Epoxyconazole, Fluquinconazole, Hexaconazole, Penconazole, Propioconazole, Tebuconazole, Tetraconazole oder Triadimenol sowie deren Metallsalze und Säureaddukte als Fungizid."
Anspruch 1 des siebten Hilfsantrags lautet wie folgt
"1.Fungizidmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff ausgewählt aus Azoxystrobin, Trifloxystrobin, Fluquinconazole, Tebuconazole, oder Triadimenol sowie deren Metallsalzen und Säureaddukten."
Anspruch 1 des achten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1.Verwendung einer Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff ausgewählt aus Azoxystrobin, Trifloxystrobin, Fluquinconazole, Tebuconazole, oder Triadimenol sowie deren Metallsalzen und Säureaddukten als Fungizid."
Anspruch 1 des neunten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Fungizidmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff ausgewählt aus Trifloxystrobin, Fluquinconazole, Tebuconazole, oder Triadimenol sowie deren Metallsalzen und Säureaddukten."
Anspruch 1 des zehnten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Verwendung einer Wirkstoffmischung enthaltend
a) Ipconazol der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und
b) mindestens einen weiteren fungiziden Wirkstoff ausgewählt aus Trifloxystrobin, Fluquinconazolen, Tebuconazolen, oder Triadimenol sowie deren Metallsalzen und Säureaddukten als Fungizid."
Die Hilfsanträge 11, 12, 13, 14, bzw. 15 entsprechen den Hilfsanträgen 3, 4, 8 bzw. 10 wobei Anspruch 4 ersatzlos gestrichen wurde und die vier restlichen Ansprüche umnummeriert wurden.
IV. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich, soweit sie für diese Entscheidung erheblich sind, wie folgt zusammenfassen:
Zulassung der Beschwerde
- Die Beschwerdeführerin stimmte mit den Ausführungen im Ladungsbescheid überein.
Zulassung des Hauptantrags in das Verfahren
- Die Einspruchsabteilung habe bei ihrer Entscheidung, den Hauptantrag nicht in das Verfahren zuzulassen, ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien und in unangemessener Weise ausgeübt. Die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt Teil E, Kapitel III, Ziffer 8.6, stellten auf die Verfahrensökonomie, einen etwaigen Verfahrensmiss brauch und die Zumutbarkeit als Kriterien für die Ermessensausübung ab.
- Der Hauptantrag habe den erteilten Patentansprüchen entsprochen und sei bereits ausführlich Gegenstand der Einspruchsschriftsätze gewesen. Er habe folglich für die Einsprechenden keinen neuen Sachverhalt dar gestellt. Es wäre den Einsprechenden daher ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, in der mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag Stellung zu nehmen, ohne dass es zu einer Verzögerung des Einspruchsverfahrens gekommen wäre. Die Kriterien der Zumutbarkeit und der Verfahrensökonomie stützten daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht.
- Auch sei der Antrag nicht rechtsmissbräuchlich ge wesen, da er gerade dazu gedient hätte, eine reformatio in peius zu vermeiden. Er hätte sicher stellen sollen, dass die Patentinhaberin im vollen Umfang des Patents beschwert sei. Der Hauptantrag habe mithin einem Rechtsschutzbedürfnis der Patent inhaberin entsprochen.
Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 in das Verfahren
- Aus den Entscheidungen T 386/04 vom 9. Januar 2007 und T 755/00 vom 18. Oktober 2002 sowie aus T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) folge, dass Patentansprüche, die dem Einspruchsverfahren nicht zugrunde gelegt hätten, im Einspruchsbeschwerdeverfahren dennoch verfolgt werden dürften. Namentlich könne die Patentinhaberin noch im Beschwerdeverfahren die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang anstreben, selbst wenn sie das Patent im Einspruchsbeschwerdeverfahren lediglich im eingeschränkten Umfang verteidigt hat. Es stehe der Patentinhaberin nach dieser Recht sprechung auch offen, im Beschwerdeverfahren wieder zu einer Fassung der Anspruchsätze zurückzukehren, die breiter sei, als die im Einspruchsverfahren vorgelegten Anspruchssätze. Dementsprechend müsse der Patentinhaberin erlaubt sein, das Patent im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 10 zu verteidigen.
- Die Entscheidung T 1067/08 vom 10. Februar 2011 betreffe einen anderen Sachverhalt, weshalb sich die in dieser Entscheidung vertretene Auffassung nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse.
- Die Hilfsanträge 1 bis 10 seien nicht der Einspruchs abteilung vorgelegt worden, da die wirtschaftlichen Interessen der im Einspruchsverfahren handelnden Rechtsvorgängerin von denjenigen der als Rechts nach folgerin eingetragenen Beschwerdeführerin verschieden waren. Nach der Übertragung des Patents auf die Be schwerdeführerin im Rahmen von Umstrukturierungen des Konzerns, habe sich das Interesse vom Materialschutz auf das Gebiet des Pflanzenschutzes verlagert. An den im Einspruchsverfahren verteidigten Anspruchssätzen bestehe kein wirtschaftliches Interesse.
Vorlage and die Große Beschwerdekammer
Da in den Entscheidungen T 386/04 vom 9. Januar 2007 und G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408) divergierende Auf fas sungen vertreten würden, sei eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer angezeigt. Die folgenden Rechtsfragen sollten der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden:
"1. Schließt die Verteidigung eines sich im Ein spruchsverfahren befindlichen Patents in einge schränktem Umfang aus, dass die Patentinhaberin im Einspruchsbeschwerdeverfahren das Patent im erteilten Umfang weiterverfolgen kann?"
"2. Schließt die Verteidigung eines sich im Ein spruchsverfahren befindlichen Patents in einge schränktem Umfang aus, dass die Patentinhaberin im Einspruchsbeschwerdeverfahren das Patent in einem anderen Umfang als dem im Einspruchsverfahren verfolgtem Umfang verteidigen kann?"
Zulassung der Hilfsanträge 11 bis 15 in das Verfahren
Die Hilfsanträge 11 bis 15 würden die im Beschwerde verfahren erhobenen Einwände in Bezug auf Regel 80 EPÜ durch Streichung des abhängigen Anspruchs 4 im Vergleich zu den Hilfsanträgen 3, 4, 6, 8 und 10 überwinden. Sie verursachten keine Verlängerung des Verfahrens und sollten daher zugelassen werden.
V. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich, soweit sie für die Entscheidung erheblich sind, wie folgt zusammenfassen:
Zulassung der Beschwerde
Die Beschwerdeführerin sei nur im Umfang ihrer Beschwer durch die angefochtene Entscheidung zur Beschwerde berechtigt. Maßgebend sei der Anspruchssatz, der der angefochtenen Entscheidung als Hilfsantrag 1 zugrunde liege. Da die Anspruchssätze im Beschwerdeverfahren (Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 10) in ihrem Umfang allesamt nicht von dem im Einspruchsverfahren behandel ten Hilfsantrag 1 umfasst seien, beträfen sie einen Gegenstand, der außerhalb des rechtlichen und faktischen Rahmens des Beschwerdeverfahrens liege. Die Anspruchs sätze im Beschwerdeverfahren seien darüber hinaus auch aus weiteren Überlegungen unzulässig. Die Beschwerde schrift enthalte daher keinen Antrag, aus dem sich der Umfang ergibt, in dem die angefochtene Entscheidung abzuändern ist (siehe Regel 99(2) EPÜ). Deswegen sei die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Zulassung des Hauptantrags in das Verfahren
Die Beschwerdeführerin habe vor der Einspruchsabteilung eingeräumt, dass der Hauptantrag den Erfordernissen von Artikel 54 EPÜ nicht genüge, und erklärt, dass sie diesen Antrag nicht verteidigen werde. Es sei daher fraglich, ob überhaupt ein Antrag gestellt war. Jeden falls sei dieses Verhalten missbräuchlich. Das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius) greife vorliegend nicht und könne das Vorgehen der Beschwerde führerin nicht rechtfertigen. Der Hauptantrag sei darüber hinaus in einem äußerst späten Stadium des Einspruchsverfahrens gestellt worden. Die Einspruchs abteilung habe daher keinen Ermessensfehler begangen, als sie den Hauptantrag nicht in das Verfahren zuge lassen hat.
Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 in das Verfahren
- Der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens bestehe darin der unterlegenen Partei die Möglichkeit zu geben, die ihr nachteilige Entscheidung anzufech ten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken (G 9/91, ABl. EPA 1993, 408, Nr. 18 der Entschei dungs gründe). Somit sei der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens, wie in der Entschei dung G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408, Nr. 6 der Entschei dungsgründe) definiert, grundsätzlich für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend. Der Streitstoff könne daher im Beschwerdeverfahren von den Beteiligten nur eingeschränkt geändert werden (T 1705/07 vom 10. Juni 2010, Nr. 8.4 der Entscheidungsgründe). Der erteilte Anspruchssatz sei nicht mehr von der Beschwerde führerin weiterverfolgt worden und könne daher auch nicht im Beschwerdeverfahren wieder eingeführt werden. Eine Beschwerde, mit der versucht werde, die Auf hebung einer Entscheidung einer Einspruchsabteilung auf der Grundlage neuer Anträge zu erreichen, die von der Einspruchsabteilung überhaupt noch nicht unter suchte Fragen beinhalten, entspreche nicht dem Haupt zweck des Beschwerdeverfahrens. Aus einem Versäumnis dürfe der säumigen Partei kein Vorteil erwachsen.
- Nach der Entscheidung T 1067/08 vom 10. Februar 2011 (Nr. 8.2 der Entscheidungsgründe) bestehe kein Rechtsanspruch auf Zulassung geänderter Anspruchs sätze. Deren Zulassung sei vielmehr zu begründen. Das Argument der letzten Chance sei in der Entscheidung T 840/93 vom 11. Juli 1995 verworfen worden (Nr. 3.2.1 der Entscheidungsgründe). Auch das dort genannte Kriterium, dass die Anspruchssätze eindeutig gewährbar sein müssten, sei vorliegend nicht erfüllt.
- Das Argument, dass sich das wirtschaftliche Interesse infolge der Umschreibung geändert habe, sei unbeachtlich.
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Es lägen keine widerstreitenden Rechtsauffassungen zu der ersten Rechtsfrage vor. Die Abweichungen beträfen vielmehr die Kriterien, nach denen im Einzelfall das Ermessen ausgeübt worden sei. Dieser Ermessensfreiraum könne nicht auf dem Weg der Vorlage eingegrenzt werden.
Zulassung der Hilfsanträge 11 bis 15 in das Verfahren
In Erwiderung auf die Beschwerdebegründung sei bereits auf die Mängel nach Regel 80 EPÜ hingewiesen worden. Dieses Vorbringen wie auch die Stellungnahme der Kammer in ihrem Ladungsbescheid hätten hinreichend Anlass zur Ausräumung des Mangels gegeben, weshalb die Vorlage der geänderten Anträge in der mündlichen Verhandlung nicht als angemessene Reaktion gewertet werden könne. Der späte Zeitpunkt der Einreichung benachteilige die Beschwerdegegnerinnen.
VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Zulassung der Beschwerde, die Aufhebung der angefochte nen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz auf der Grundlage der erteilten Ansprüche, oder, hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form (Hauptantrag) oder in geänderter Form auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung vom 15. März 2010 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 10 oder der in der mündlichen Ver handlung eingereichten Hilfsanträge 11 bis 15. Ferner beantragt sie, der Großen Beschwerdekammer die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fragen vorzulegen.
VII. Die Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechende 1) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Weiter beantragte sie die Nichtzulassung der von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung sowie in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträge.
Die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) beantragte die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig oder, hilfsweise, die Zurückweisung der Beschwerde. Weiter beantragte sie die Nichtzulassung der von der Beschwer de führerin mit der Beschwerdebegründung sowie in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträge.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entschei dung der Kammer verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Gemäß Artikel 107, Satz 1, EPÜ steht die Beschwerde den jenigen zu, die an dem Verfahren beteiligt waren, das zu der Entscheidung geführt hat (formelle Beschwerdeberech tigung), soweit sie durch die Entscheidung beschwert sind (materielle Beschwerdeberechtigung). Das Er for dernis der Beschwer ist Ausdruck des Grundsatzes, dass nur derjenige, der ein Rechtsschutzbedürfnis für sich in Anspruch nehmen kann, ein Verfahren vor einem Gericht oder einer gerichtähnlichen Instanz führen kann. In der Lehre wird zwischen formeller und materieller Beschwer unterschieden. Formelle Beschwer besteht dann, wenn die angefochtene Entscheidung von den gestellten Anträgen abweicht. Dagegen genügt es im Falle der materiellen Beschwer, dass die Entscheidung in ihrer Wirkung für den Verfahrensbeteiligten nachteilig ist, ohne dass dabei auf dessen Anträge abgestellt wird. Der Rechtsprechung der Beschwerdekammern liegt die formelle Beschwer zu grunde (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Aufl., 2010, Kapitel VII.E.7.4.2, materielle Beschwerdeberechtigung). Demnach sind die Schlussbegehren des Beschwerdeführers mit dem Inhalt der Entscheidung zu vergleichen. Die Beschwer muss sowohl im Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung, als auch bei Einlegung und Begründung der Beschwerde gegeben sein, insoweit sich erst aufgrund der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Regel 99(2) EPÜ der Umfang der Beschwerde erschließt (siehe zur Abgrenzung zu Regel 99(1)(c) EPÜ die Entscheidung T 358/08 vom 9. Juli 2009).
1.2 Die Einspruchsabteilung hat den Anträgen der Beschwerde führerin insoweit nicht stattgegeben, als sie den in der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2009 einge reichten Hauptantrag, der den erteilten Patentansprüchen entsprach, nicht in das Verfahren zuließ und die an der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2009 einge reichten Hilfsanträge 1 und 2 zurückwies. Die Beschwerdeführerin erhob gegen diese Entscheidung Beschwerde und beantragte mit Beschwerdeschrift vom 15. Dezember 2009 (eingegangen am 18. Dezember 2009) namentlich die Aufhebung der Ent scheidung sowie die Aufrechterhaltung des Streitpatents in vollem Umfang. Mit Beschwerdebegründung vom 15. März 2010 hielt die Beschwerdeführerin an diesem Antrag fest und präzisierte ihn unter anderem dahingehend, dass sie die Zurückweisung der Sache an die erste Instanz auf der Grundlage des Hauptantrags vom 24. September 2009 bean trage, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang dieses Hauptantrags (Beschwerdebegründung vom 15. März 2010, Seite 2, Nr. 1 und 2). In der Begründung er klärte die Beschwerdeführerin zudem ausdrücklich, die Entscheidung der Einspruchsabteilung insbesondere auch insoweit anzufechten, als sie den Hauptantrag vom 24. September 2009 gestützt auf Regel 116 (2) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen hatte (Beschwerdebegründung vom 15. März 2010, Ziffer II.1, Seiten 2-5, sowie Ziffer II.2, Seite 5). Die materielle Beschwerdeberechtigung war nach Auffassung der Kammer zumindest in Umfang dieser Anträge, die auf Überprüfung der auf Regel 116(2) EPÜ gestützten Entscheidung gerichtet waren, gegeben. Die Frage, ob die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt aufzuheben ist oder nicht, betrifft die Begründet heit der Beschwerde und ist nicht vorfrageweise im Rahmen der Zulässigkeit zu entscheiden. Die Eingabe vom 11. November 2011 der Beschwerdegegnerin 1 (Seite 4, dritter vollständiger Absatz) dürfte wohl auch so zu verstehen sein, dass sie sich dieser rechtlichen Betrachtung anschloss.
1.3 In der mündlichen Verhandlung wandte die Beschwerde gegnerin 1 weiter ein, dass ein Anspruchssatz, der erklärtermaßen nicht verteidigt werden soll, keinen Antrag darstelle. Es trifft zwar zu, dass die Beschwerde führe rin bei Einreichung des Hauptantrags vom 24. September 2009 zu erkennen gab, dass sie diesen Anspruchssatz in der Substanz nicht für vertretbar hielt. Allerdings er achtete sie ihn aus verfahrensrechtlichen Gründen für geboten. Insoweit kann der Beschwerdeführerin nicht unterstellt werden, die Vorlage des Hauptantrags sei nicht ernst gemeint gewesen oder durch das Eingeständnis der mangelnden Neuheit wieder zurückgenommen worden. Ein Antrag im Rechtssinn liegt immer dann vor, wenn eine Er klärung als Ausdruck des förmlichen Willens zu verstehen ist, dass in einer bestimmten Weise entschieden werden soll (T 961/00 vom 9. Dezember 2002, Nr. 3.2 der Ent scheidungsgründe). Diesem Anspruch genügte die Vorlage des Hauptantrags vor der Einspruchsabteilung, obschon die Beschwerdeführerin ihn nicht verteidigte. Sodann gibt die Kammer zu bedenken, dass der Hauptantrag im Beschwerdeverfahren auf Überprüfung der Ermessens aus übung der Ein spruchs abteilung gerichtet ist. Dieser Antrag steht außer Zweifel.
1.4 Im Ergebnis erfüllt der Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 107, Satz 1, EPÜ wie auch die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Eine Beschwerde, deren Haupt antrag den Zulässigkeitsvoraussetzungen des EPÜ genügt, ist insgesamt zulässig (T 382/96 vom 7 Juli 1999, Nr. 1 der Ent scheidungsgründe). Eine teilweise Unzulässigkeit im Umfang einzelner Hilfsanträge sieht das EPÜ nicht vor. Daher ist die Beschwerde insgesamt zulässig.
1.5 Der Entscheidung T 267/03 vom 28. September 2005, auf die sich die Beschwerdegegnerin 2 in ihrem Schriftsatz vom 15. Juni 2010 noch bezog, kann die Kammer keinen anderen Standpunkt entnehmen. Die zitierte Passage (Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe) betrifft die Überprüfung der Ermessensausübung der Einspruchsab teilung gemäß Artikel 114 (2) EPÜ, die nicht unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Beschwerde, sondern im Rahmen deren Begründetheit erfolgte.
2. Zulassung des Hauptantrags: Ermessensausübung der Einspruchsabteilung
2.1 Gemäß Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Be schwerdekammern (VOBK, siehe ABl. EPA 2007, 536) kann die Beschwerdekammer das Vorbringen eines Beteilig ten unberücksichtigt lassen, das in erster Instanz als verspätet nicht zugelassen worden ist oder schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können. Soweit nach Artikel 12 (4) VOBK im Beschwerdeverfahren über die Zulassung von Vorbringen zu entscheiden ist, das bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zu gelassen wurde, läuft dies auf eine Über prüfung der auf Regel 116 (2) EPÜ ge stützten Ermessensentscheidung der Einspruchs abteilung hinaus. Wird die Art und Weise der Ermessens ausübung durch das erstinstanzliche Organ des Europäi schen Patentamts mit der Beschwerde angefochten, so ist es nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 7/93 (ABl. EPA 1994, 775, Nr. 2.6 der Entschei dungs gründe) nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sach lage des Falles nochmals wie ein erstinstanz liches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Ein erst instanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessensentscheidungen zu treffen habe, müsse nämlich bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Frei raum haben, in den die Beschwerdekammern nicht ein greifen. In solchen Fällen sollte sich eine Beschwerde kammer nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und damit den ihr ein geräumten Ermessensspielraum überschritten hat. Wiewohl die Entscheidung G 7/93 die Auslegung der Regel 51 (6) EPÜ 1973 zum Gegenstand hatte, sind die Ausführungen zur Über prüfung von Ermessensentscheidungen von genereller Be deutung und daher bei der Anwendung von Artikel 12 (4) VOBK zu berücksich tigen. Demnach hat sich die Kammer auf eine Überprüfung der Ausübung des Ermessens durch die Einspruchsabteilung bei ihrer Entscheidung über die Nicht zulassung des verspäteten Antrags zu beschränken und nur bei Feststellung eines Ermessensfehlgebrauchs die Entscheidung der ersten Instanz aufzuheben. Andern falls würde die Kammer das der Einspruchsabteilung durch Regel 116 EPÜ zugebilligte Ermessen unterlaufen.
2.2 Der Hauptantrag entspricht den Ansprüchen in der erteil ten Fassung des Patents. Ein solcher Anspruchssatz wurde nicht im schriftlichen Verfahren vor der Ein spruchs abteilung verteidigt. Vielmehr wurde er erst als Haupt antrag am Tag der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht, wobei der bis zu diesem Zeitpunkt im Verfahren befindliche eingeschränkte Anspruchssatz vom 2. November 2007 (vgl. Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2009, Seite 1) durch den neuen Hauptantrag und zwei weitere Hilfsan träge ersetzt wurde. Die Einspruchsabteilung wandte daher Regel 116 (2) EPÜ korrekt an, indem sie diese Anträge als verspätet behandelte.
2.3 Die Zulassung des am 24. September 2009 eingereichten Hauptantrags nach Regel 116 (2) EPÜ wurde in der mündlichen Verhandlung erörtert (siehe Ziffer 1 der am 3. November 2009 zur Post gegebenen Niederschrift über die mündliche Verhandlung). Die Beschwerdeführerin hatte mithin Gelegenheit, sich zu den Gründen für das späte Vorbringen zu äußern. Im Anschluss an die Erörterung mit den Verfahrenbeteiligten übte die Einspruchsabteilung ihr Ermessen dahingehend aus, dass sie diesen Haupt antrag nicht in das Verfahren zuließ, da sie in dessen später Vorlage einen Verfahrensmissbrauch erblickte (siehe Ziffer 2 der am 3. November 2009 zur Post gegebe nen Niederschrift über die mündliche Verhandlung). In der Begründung ihrer Entscheidung führte die Einspruchs abteilung aus, der Hauptantrag sei - wie dies der Patentinhaber eingeräumt habe - nicht neu und diene daher nicht dazu, einen Einspruchsgrund auszuräumen. Die Einreichung des Hauptantrags stelle daher einen Verfahrensmissbrauch dar.
2.4 Die Kammer kann keinen Ermessensfehler darin erkennen, dass die Ein spruchsabteilung bei ihrer Entscheidung vorrangig berücksichtigte, dass die Patentinhaberin den verspätet eingereichten Hauptantrag erklärtermaßen nicht zu verteidigen beabsichtigte und auch einräumte, dass dieser Antrag nicht den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ genüge. Die Einspruchsabteilung durfte diese Aus sagen der Beschwerdeführerin ohne Willkür dahingehend verstehen, dass dem Hauptantrag selbst aus der Sicht der Beschwerdeführerin keine vertretbare materielle Rechts position zu Grunde lag. In der Vorlage eines solchen Antrags, mit dem erklärtermaßen keine berechtigten Rechts ansprüche verfolgt werden, ist ein Verstoß gegen das Ge bot des Handelns nach Treu und Glauben zu sehen, das die Verfahrensbeteiligten zu redlichem Verhalten verpflich tet (zur Anwendung dieses Grundsatzes auf das Handeln der Verfahrensbeteiligten siehe G 2/97, ABl EPA 1999, 123, Nr. 4.2 der Ent scheidungs grün de; R 4/09 vom 30. April 2010, Nr. 2.3.2 der Entschei dungs gründe). Auf das von der Beschwerde führerin geltend gemachte ver fahrensrechtliche Interesse wird nachstehend (Nr. 2.5) noch eingegangen. Die Ein spruchsabteilung übte das ihr zustehende Ermessen mithin nicht nach falschen Kriterien oder in unangemessener Weise aus, insoweit sie den Hauptantrag vom 24. Sep tem ber 2009 wegen eines Ver fahrensmissbrauchs nicht in das Verfahren zuließ. Die Einspruchsab teilung handelte auch nicht willkürlich, insoweit sie der Verletzung dieses Verfahrensgrundsatzes bei Ausübung ihres Ermessens vorrangige Bedeutung gab.
2.5 Die Beschwerdeführerin wendet weiter ein, dass mit der Einreichung des Hauptantrags eine reformatio in peius vermieden werden sollte, weshalb kein Verfahrens miss brauch vorlag. Sie vermag mit diesem Argument nicht durchzudringen.
2.5.1 Das Prinzip des Verbots der reformatio in peius (Ver schlechterungsverbot) betrifft Rechtsmittelverfahren und leitet sich aus dem Verfügungsgrundsatz her. Letzterer besagt, dass der Rechtsmittelkläger mit seinen Anträgen bestimmt, in welchem Umfang der Richter die angefochtene Entscheidung ändern kann und darf. Die Rechtsmittel an träge bilden mithin den Umfang des Rechtsstreits, über den der Richter nicht hinausgehen darf. Bei nur einem Rechtsmittelkläger darf daher der Richter die angefochtene Entscheidung nicht zum Nachteil des Rechtsmittelklägers abändern, was als Verbot der reformatio in peius bezeichnet wird. Die Große Beschwerdekammer entschied in Sachen G 9/92 and G 4/93 (ABl. EPA 1994, 875), dass das Verschlechterungsverbot im Verfahren vor den Beschwerdekammern anwendbar ist. Ob es zum Tragen kommt, hängt vom Recht, eine Beschwerde einzureichen, und von der Einlegung einer Beschwerde der hierzu berechtigten Verfahrensbe teiligten ab. Letztlich ist es nur im Falle einer Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form relevant, die von nur einer Seite angefochten wird.
Vorliegend beabsichtigte die Beschwerdeführerin allerdings, das Patent in der er teil ten Fassung zu verteidigen. Dies ist einem Antrag auf Zurückweisung der Ein sprüche gleichzusetzen. Bei dessen Gutheißung wären einzig die Einsprechenden zur Beschwer de berechtigt ge wesen. Das Verschlechterungs verbot wäre daher nicht zu gunsten der Beschwerdeführerin zum Tragen gekommen. Auch bei einem Widerruf des Patents unter Berück sichti gung der Ansprüche der erteilten Fassung wäre das Ver schlech terungsverbot nicht relevant geworden, da der Verfah rensausgang des Beschwerdeverfahrens die Beschwer de führerin in keinem Fall schlechter stellen kann, als der Widerruf durch die Einspruchsabteilung. Es ist daher nicht zu er ken nen, inwiefern das Verschlechterungsverbot vor liegend die Vorlage des Hauptantrags im Umfang der erteilten Patent ansprüche an der mündlichen Verhandlung vor der Ein spruchsabteilung rechtfertigen könnte. Der Ein spruchs abteilung ist daher kein Fehlgebrauch des Ermes sens vorzuwerfen, dass sie den Hinweis auf das Verschlech terungs verbot nicht zugunsten der Be schwer de führerin berücksichtigte.
2.5.2 Wie der Beschwerdebegründung (Seiten 3 bis 5) zu entnehmen ist, ging es der Beschwerdeführerin mit ihrer Berufung auf das Ver schlechterungsverbot de facto um eine Rechtfertigung dafür, dass sie sich mit dem Hauptantrag die Möglichkeit eine Beschwerde offen halten und auch sicherstellen wollte, im Beschwerdeverfahren ihre Anspruchssätze in den Grenzen von Artikel 123 EPÜ abändern zu können, ohne an den bis zur mündlichen Verhandlung im Einspruchs verfahren vorgelegten einzige Anspruchssatz gebunden zu sein.
Weder aus dem Verschlechterungsverbot, noch aus dem diesem Verbot zugrunde liegenden Verfügungsgrundsatz lässt sich ein Anspruch herleiten, dass vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte geänderte Anspruchssätze in jedem Verfahrensstadium berücksichtigt werden müssen (bezogen auf Artikel 113 (2) EPÜ, der dem Verfügungs grundsatz zuzuordnen ist, R 11/11 vom 14. November 2011, Nr. 10 der Entscheidungsgründe). Die Zulassung solcher Änderungen ist vielmehr nach Regel 116 (2) EPÜ in das Ermessen des Einscheidungsorgans in erster Instanz ge stellt. Dementsprechend steht es auch nicht im Belieben eines Anmelders oder Patentinhabers, durch die Vorlage geänderter Anspruchssätze den Ver fahrensgegenstand selbst in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium abzuändern, um damit dem Gang des Verfahrens einen neuen Verlauf zu geben. Im Ergebnis hat die Einspruchs-abteilung bei Ausübung ihres Ermessens weder einen Rechts anspruch der Beschwerde führerin übergangen noch einen rechtserheblichen Gesichtspunkt unberücksich tigt gelassen.
2.6 Auch die weiteren Argumente der Beschwerdeführerin, die sie im Beschwerdeverfahren vorträgt, begründen keinen Ermessensfehlgebrauch der Einspruchsabteilung.
2.6.1 Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Ein reichung des Hauptantrags vom 24. September 2009 sei durch die Eingabe der Beschwerdegegnerin 2 vom 21. August 2009 veranlasst gewesen, denn darin sei erstmals ein auf die Entgegenhaltung D25 gestützter Einwand der mangelnden Neuheit gegen Anspruch 3 des erteilten Patents erhoben worden sei. Dem ist allerdings entgegen zuhalten, dass die Beschwerdegegnerin 2 bereits im Ein spruchsschriftsatz die Ansprüche 1, 2 und 7 gestützt auf die Entgegenhaltung D25 unter Artikel 54 EPÜ ange griffen hatte. Die Einspruchsschriftsätze der Beschwerdegeg ner innen enthielten eine Reihe weiterer Neuheitseinwände. Vor diesem Hintergrund ist für die Kammer nicht nach voll ziehbar, inwiefern das Zurückkommen der Beschwerde führerin auf den bis zur mündlichen Verhandlung nicht ver teidigten Anspruchssatz des erteilten Patents ernst haft als eine angemessene Reaktion auf einen geänderten Verfahrensverlauf angesehen werden kann. Denn der Haupt antrag vom 24. September 2009 räumte weder den auf D25 gestützten Neuheits einwand gegen Anspruch 3 aus, noch stellte er eine konvergente Fortführung des Einspruchs verfahrens sicher, sondern bedeutete eine Rückkehr zum Ausgangspunkt dieses Verfahrens.
2.6.2 Weiter hält die Beschwerdeführerin dafür, dass die Einreichung des Hauptantrags keine Verfahrensverzögerung bewirkte und auch nicht überraschen konnte, da er bereits Gegenstand des erteilten Patents und damit auch Gegenstand des Einspruchs durch die Beschwerde gegnerin nen war.
Wiewohl es zutreffen mag, dass in Anbetracht des Zuge ständnisses der mangelnden Neuheit die erforderliche Prüfung des Hauptantrags nur wenig Zeit in Anspruch genommen hätte, so kommt diesem Aspekt jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung in dem Sinne zu, dass er geeig net wäre, die von der Einspruchsabteilung aufgrund der Umstände des Einzelfalls vorgenommene Gewichtung der Interessen in Frage zu stellen und die Entscheidung über die Zulassung des Hauptantrags zugunsten der Beschwerde führerin zu beeinflussen. Die durch die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 7/93 gebotene Zurückhaltung bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen (ABl. EPA 1994, 775, Nr. 2.6 der Entscheidungs gründe) er for dert, dass die Kammer nur dann in die von der Einspruchsabteilung vorzunehmende Gewichtung der Umstände eingreift, wenn diese eine unangemessene Ermessensaus übung darstellt. Dabei ist der Einspruchsabteilung zu zugestehen, dass sie einem Gesichtspunkt gegenüber ande ren vorrangige Bedeutung gibt. In der angefochtenen Ent scheidung hob die Einspruchsabteilung auf das Vorliegen eines Verfahrensmissbrauchs ab. Ein solcher ist nicht auf Verhaltensweisen beschränkt, die eine Verschiebung der mündlichen Verhandlung erfordern (vgl. T 1067/08 vom 10. Februar 2011, Nr. 5.3 der Entscheidungsgründe). Folglich ist ein Ermessensfehlgebrauch der Einspruchsab teilung nicht gegeben.
Davon abgesehen trifft das zweite Argument der Beschwer deführerin, dass die Rückkehr zur erteilten Fassung nicht überraschen konnte, nicht zu. Die Kammer stimmt mit den Beschwerdegegnerinnen überein, dass die Vorlage eines Hauptantrags im Umfang der Ansprüche des erteilten Patents aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren bis zur mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten war. Die Beschwerdegegnerinnen haben auf die folgende Passage der Erwiderung vom 2. November 2007 auf die Ein spruchsbegründungen (Seite 2, letzter Ansatz) hinge wiesen:
"Es wird beantragt, das Patent auf der Basis der präzi sierten Ansprüche 1 bis 9 gemäß Anlage aufrecht zu er halten und im Übrigen die Einsprüche zurückzuweisen."
Diese Passage durfte zusammen mit dem als Anlage zu dieser Eingabe vorgelegten Satz geänderter Ansprüche nach Treu und Glauben von den Beschwerdegegnerinnen dahin gehend verstanden werden, dass die Beschwerde führerin nicht die Absicht hatte, die erteilte Fassung der An sprüche zu verteidigen. Dies umso mehr, als die Be schwerdeführerin im weiteren Verlauf des schriftlichen Einspruchsverfahrens nicht mehr auf das Patent in der erteilten Fassung zurückkam. Die Einreichung eines der erteilten Fassung entsprechenden Antrags während der mündlichen Verhandlung betraf zwar keinen unbekannten Gegenstand, war aber doch deswegen überraschend, weil die Vorlage im Widerspruch zum vorangegangenen Handeln der Beschwerdeführerin stand (venire contra factum proprium). Auch insoweit ist kein Ermessensfehlgebrauch der Einspruchsabteilung festzustellen.
2.7 Weil die Kammer zu dem Schluss gelangte, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der richtigen Kriterien und in angemessener Weise ausgeübt und damit den ihr durch Artikel 116 (2) EPÜ ein geräumten Ermessens spielraum nicht überschritten hatte, gab die Kammer dem Antrag auf Zulassung des Hauptantrags vom 24. September 2009 in das Verfahren nicht statt (Artikel 12 (4) VOBK, G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Nr. 2.6 der Entscheidungs gründe).
3. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10
3.1 Die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsanträge enthalten Ansprüche die gerichtet sind auf
- die Verwendung von Mischungen von Ipconazol und mindestens einem weiteren fungiziden Wirkstoff als Mikrobiozid zum Schutz von technischen Materialien (Anspruch 4 des 1. und Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags), bzw. auf
- die Wirkstoffmischungen als solche, wobei die Definition des weiteren fungiziden Wirkstoffs gegenüber den Verwendungsansprüchen deutlich eingeschränkt war (Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags).
Dahingegen enthalten die vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 10 Ansprüche, die gerichtet sind auf
- die Verwendung der Mischungen als Fungizid (siehe Anspruch 1 der Hilfsanträge 3, 4, 6, 8 und 10), bzw. auf
- die Wirkstoffmischungen von Ipconazol mit weiteren fungiziden Wirkstoffen, die im Vergleich mit denen gemäß Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigten 1. Hilfsantrags mindestens eine der folgenden Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen zusätzlich umfasst: Phenole, Methoxyacrylate (wie Azoxystrobin oder Trifloxystrobin), bzw. ein oder mehrere vormals gestrichene Triazolverbindungen.
Solche Wirkstoffmischungen bzw. Verwendungen waren daher nicht Gegenstand der am 24. September 2009 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2, die die Grundlage der angefochte nen Entscheidung der Einspruchs abteilung bilden. Die Anspruchssätze der gegenständlichen Hilfsanträge 1 bis 10 sind folglich erstmalig im Beschwerdeverfahren auf bis zu diesem Zeitpunkt nicht beanspruchte und nicht diskutierte Gegenstände gerichtet.
3.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auf fas sung, dass Patentansprüche, die nicht dem Einspruchs ver fahren zugrunde gelegt hätten, im Einspruchsbeschwerde verfahren dennoch verfolgt werden dürften, selbst wenn darin das Patent in einer breiteren Fassung verteidigt würde, als dies im Einspruchsverfahren der Fall war. Sie beruft sich auf die Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) sowie auf die Entscheidungen T 386/04 vom 9. Januar 2007 und T 755/00 vom 18. Oktober 2002.
3.2.1 Die Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) bildet den Ausgangspunkt einer Rechtsprechung, deren wesent lichen Folgerungen sich wie folgt zusammenfassen lassen: Der Patent inhaber kann im Einspruchsverfahren nicht durch Erklärung teilweise auf sein Patent verzichten und mit der Erklärung eines solchen Verzichts seinem Patent unwiderruflich einen beschränkten Inhalt geben kann (T 123/85, ABl. 1989, 336, Punkt 3.1.1 der Entschei dungsgründe). Dem Patentinhaber, der sein Patent im Einspruchsverfahren nur beschränkt verteidigt hat, kann daher grundsätzlich (d.h. soweit kein Verfahrens miss brauch vorliege) nicht verboten sein, noch im Beschwerde verfahren wieder zu einer breiteren einschließ lich der erteilten Fassung seines Patentbegehrens zurückzukehren, weil zwischenzeitliche Einschränkungen des Patentbegehrens keinen Verzicht auf Teile des Patents bedeuten, sondern nur als Formulierungsversuche anzusehen sind, die das Patent gegenüber Einwänden abgrenzen sollen (T 123/85, ABl. EPA 1989, 336, Punkt 3.1.1 und 3.1.2 der Entscheidungs-gründe). Die von der Beschwerdeführerin genannten Entscheidungen (T 755/00 vom 18. Oktober 2002, Nr. 5 der Entscheidungsgründe, und T 386/04 vom 9. Januar 2007, Nr. 1 der Entscheidungs gründe) bestätigen diese Rechtsprechung.
3.2.2 Nach Auffassung der Kammer ist für das Verständnis der Ratio der Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) und der auf sie aufbauenden Rechtsprechung erforderlich, zwischen dem Patent als subjektiven dinglichen Recht, das insoweit mit seinen Wirkungen dem nationalen Recht der Vertragsstaaten untersteht (Artikel 64 EPÜ), einerseits und den auf das Patent als Gegenstand des Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahrens gerichteten Verfahrenshandlungen sowie den damit verbundenen Verfahrensrechten andererseits zu unterscheiden (vgl. zu dieser Unterscheidung die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/09, ABl. EPA 2011, 336, Nr. 3.2.1 der Entscheidungsgründe).
3.2.3 Soweit die Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) in Anschluss an die Entscheidungen T 73/84 (ABl. EPA 1985, 241, Nr. 4 der Entscheidungsgründe) und T 186/84 (ABl. EPA 1986, 79) festhält, der Patentinhaber könne im Ein spruchsverfahren auf sein Patent weder ganz noch teil weise verzichten (T 123/85, ABl. EPA 1989, 336, Punkt 3.1.1 der Entscheidungsgründe), ist mit dem Begriff des Verzichts eine einseitige Erklärung gemeint, mit der die durch das Patent vermittelten subjektiven Rechte ganz oder teilweisen aufgegeben werden. Die Entscheidung T 123/85 verwies in dieser Hinsicht darauf, dass das EPÜ 1973 im Einspruchsverfahren die Erklärung eines Ver zichts des Patentinhabers auf sein Patent nicht vorsehe. Weil im Einspruchsverfahren ein solcher Verzicht nicht wirksam gegenüber dem EPA erklärt werden könne, verwarf die Entscheidung die Auffassung der Einsprechenden, dass eingeschränkte Anspruchssätze, die im Verlauf des Ein spruchsverfahrens vorgelegt werden, als Verzichtser klärung zu verstehen seien. Diese Feststellung ist im Kontext der Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) darauf zu begrenzen, dass ein europäisches Patent als subjektives Recht nicht durch eine einseitige Ver zichts erklärung des Patentinhabers im Einspruchsver fahren rechtsgestaltend verändert - nament lich unwider ruflich eingeschränkt - werden kann (vgl. in diesem Zusammenhang G 1/90, ABl. EPA 1991, 275, Nr. 8 der Entscheidungsgrün de; T 386/01 vom 24. Juli 2003, Nr. 3.2 der Entschei dungs grün de), so dass auf das Einspruchsverfahren gerichtete, geänderte Anspruchssätze nicht als Verzicht anzusehen sind. Demgegenüber kann aus diesen Fest stel lungen nicht gefolgert werden, dass ein Rückkommen auf eine breitere, im Einspruchs verfahren zunächst nicht verteidigte Anspruchsfassung als Änderungen des verfahrensrelevanten Vorbringens verfahrensrechtlich vorbehaltlos möglich sein muss.
3.2.4 Die Möglichkeit, Anspruchssätze, die auf die Aufrecht erhaltung des Patent in geänderter Form abzielen, nachträglich abzuändern, stützte die Entscheidung T 123/85 auf Artikel 113 (2) EPÜ und mithin auf den Verfügungs grundsatz ab (T 123/85, ABl. EPA 1989, 336, Punkt 3.1.1 der Entscheidungsgründe; der Hinweis auf die Entschei dung G 1/84, ABl. EPA 1985, 299, ist in diesem Zusammen hang überholt: siehe G 9/93, ABl. EPA 1994, 891). Schon nach der Entscheidung T 123/85 ist diese Möglich keit zur Änderung des Vorbringens indes nicht vorbehalt los gege ben. Vielmehr entschied die Kammer, dass die nach träg liche Änderung keinen Verfahrensmissbrauch darstel len dürfe. In der dieser Entscheidung folgenden Recht spre chung ist diese Einschränkung bestätigt worden. Die Ent scheidung T 123/85 bestimmt den Begriff des Verfahrens missbrauchs nicht näher. Sie konkretisiert ihn indes unter Bezugnahme auf das Beispiel eines wider sprüchli chen Verhaltens (venire contra factum proprium; T 123/85, ABl. EPA 1989, 336, Punkt 3.1.2 der Ent scheidungsgründe).
Die Entscheidung T 123/85 stützt sich in diesem Zusam men hang auch auf die Entscheidung T 64/85 vom 19. Januar 1988. Dieser Entscheidung ist an genannter Stelle (Nr. 2.6 der Ent scheidungsgründe) zu entnehmen, dass eine missbräuch liche Inanspruchnahme der Möglichkeit zur nach träg li chen Änderung des Vorbringens gestützt auf Arti kel 114 (2) bzw. Regel 86 (3) EPÜ 1973 unterbunden werden könne. Die Entscheidung T 64/85 vom 19. Januar 1988 erachtete mithin den in Artikel 114 (2) bzw. Regel 86 (3) EPÜ 1973 zum Ausdruck kommenden Konzentrations grundsatz als begrenzend.
3.2.5 Dieser Auffassung, dass neben dem Rechtsmissbrauchs- und dem Verschlech te rungs verbot (siehe etwa T 934/02 vom 29. April 2004, Nr. 3.2 der Entscheidungsgründe) auch der Grundsatz der Konzentration des Partei vorbringens den Verfügungsgrundsatz begrenzt, schließt sich die Kammer an. Soweit es um die Ände rung von Anspruchs sätzen im Einspruchs- und Einspruchs beschwerdeverfahren geht, ist der Konzentrationsgrundsatz in der Regel 116 (2) EPÜ bzw. in den Artikel 12 (4) sowie Art 13 VOBK niedergelegt. Die nachträgliche Ände rung des Vorbringens wird durch diese Bestimmungen zwar nicht durch strikte Fristen für bestimmte Eingaben voll kommen ausgeschlossen, die Berücksichtigung derartiger Ände rungen jedoch in das Ermessen des Entscheidungs organs gestellt.
3.2.6 Regel 116 (2) EPÜ wurde als Regel 71a (2) EPÜ 1973 durch Beschluss des Verwaltungsrats vom 13. Dezember 1994 eingeführt und trat am 1. Juni 1995 in Kraft (ABl. EPA 1995, 9). Artikel 12 (4) VOBK und Artikel 13 VOBK, eingeführt als Artikel 10a (4) respektive als Artikel 10b VOBK durch den Beschluss des Verwaltungsrats vom 12. Dezember 2002, sind auf Beschwerdeverfahren anwendbar, die nach dem Inkrafttreten der Änderung am 1. Mai 2003 einge gan gen sind (Artikel 2 des Beschlusses des Präsidiums im Anhang zum Beschluss des Verwaltungsrats vom 12. Dezem ber 2002, ABl. EPA 2003, 61). Die früheren Fassungen der Verfahrensordnung (Verfahrensordnung vom 4. Juni 1980, ABl. EPA 1980, 171, in der Fassung von ABl. EPA 1983, 7) enthielten keine vergleichbaren Bestimmungen, ebenso wenig die Fassungen von ABl. EPA 1989, 361, sowie von ABl. EPA 2000, 316. Der in allen Fassungen bis zum 1. Mai 2003 gleichlautende Artikel 11 (1) gebot der Kammer lediglich, sich bei Anberaumung einer mündlichen Verhandlung darum zu bemühen, dass die Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung die erforderlichen Informa tionen einreichen.
3.2.7 Folglich hat sich mit dem Erlass der Regel 116 (2) EPÜ sowie der Artikel 12 (4) und 13 VOBK die Gesetzeslage ge gen über der am 23. Februar 1988 ergangenen Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) geändert, weshalb nicht unbesehen dieser Änderungen auf diese Entscheidung und die ihr folgende Rechtsprechung abgestellt werden kann. Dies gilt namentlich auch für die Entscheidung T 755/00 vom 18. Oktober 2002. Sie erging auf Grundlage der letztmals per 1. Oktober 2000 geänderten Fassung der VOBK (ABl. EPA 2000, 316), die keine dem geltenden Artikel 12 (4) VOBK entsprechende Bestimmung enthielt. Zudem betraf die Entscheidung nicht die Anwendung der Regel 71a EPÜ 1973. Folglich ist die Entscheidung für das gegenständliche Verfahren nicht einschlägig, da sie die hierfür relevanten Rechtsänderungen nicht berück sichtigt (vgl. T 1282/05 vom 20. Mai 2008, Nr. 1 der Entscheidungs gründe).
3.2.8 Die VOBK in der damals geltenden Fassung vom 1. Mai 2003 (ABl. EPA 2003, 61) findet auch in der von der Beschwer deführerin zitierten Entscheidung T 386/04 vom 9. Januar 2007 keine ausdrückliche Erwäh nung und Berücksichtigung. Die Begründung lässt zudem nicht erkennen, ob die urteilende Kammer das ihr durch die VOBK zugebilligte Ermessen wegen der Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) und der auf dieser basierenden Rechtsprechung dahin gehend eingeschränkt sah, dass ein Antragssatz, mit dem der Patentinhaber zu einem breiteren, im vorange gangenen Ver fahren nicht verteidigten Gegenstand zurück kehrt, nur im Falle eines Rechtsmissbrauchs unberück sichtigt blei ben kann. Im konkret zu beurteilenden Fall gelangte die Kammer zur Auffassung, dass das Verhalten des Patent inhabers, der erst im Beschwerdeverfahren die erteilte Fassung des Patents als Hauptantrag verteidigte, keinen Verfahrensmissbrauch darstelle. Sie trug dabei dem Um stand Rechnung, dass der Patentinhaber die erteilte Fas sung des Patents noch bis kurz vor der mündlichen Ver handlung vor der Einspruchsabteilung verteidigt hatte. Diese Fest stellungen bewegen sich im Rahmen des durch die VOBK zugebilligten Ermessens.
3.2.9 Die Entscheidungen T 386/04 vom 9. Januar 2007, T 755/00 vom 18. Oktober 2002 und T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) können nach dem Gesagten den Standpunkt der Beschwerde führerin nicht stützen, da sie nicht auf die durch Regel 116 (2) EPÜ (vormals Regel 71a (2) EPÜ 1973) bzw. die Artikel 12 (4) und 13 VOBK (vormals Arti kel 10a und 10b VOBK) geänderte Rechtslage eingehen und dem mit die sen Bestimmungen verfolgten Normzweck der Verfahrensbe schleunigung nicht Rechnung tragen. Ob Anspruchssätze, die im Beschwerdeverfahren vorgelegt werden, zu be rück sichtigen sind, richtet sich daher nicht nach der durch die Entscheidung T 123/85 begründeten Recht sprechung, sondern nach den für das Beschwerdeverfahren nunmehr geltenden Verfahrensvorschriften sowie den Gegebenheiten im betroffenen Verfahren. Für die Zulassung der Hilfs anträge 1 bis 10 ist vorliegend mithin Artikel 12 (4) VOBK maßgebend.
3.3 Artikel 12 (4) VOBK sanktioniert die Verletzung der Pflicht zur Verfahrensbeförderung in erster Instanz, d.h. der bis zu einem bestimmten Verfahrenszeitpunkt ge bote nen, aber unterbliebenen Mitwirkung durch Vorlage von Tatsachen, Beweismitteln oder Anträgen, und dient daher sowohl dem Gebot eines fairen Verfahrens als auch der Verfahrens beschleunigung. Würde das Einspruchs beschwer de verfahren den Parteien die Einführung von in erster Instanz bereits veranlasstem Vorbringen eröffnen, könn ten die Parteien dem Beschwer de verfahren einen gegenüber dem Verfahren vor der Ein spruchs abteilung anderen Streitstoff zugrunde legen und so einen gänzlich neuen Fall schaffen, der das Verfahren aus sachfremden Erwägungen zum Nachteil der Gegenseite in die Länge zieht. Artikel 12 (4) VOBK steht mithin einem nach lässigen, un vollständigen Vortrag der Parteien in erster Instanz, nicht aber einem redlichen Bemühen der Parteien, die relevanten Anträge, Tatsachen und Beweismittel in dem bei sachgemäßer und sorgfältiger Verfahrensführung gebotenen Zeitpunkt einzubringen, entgegen.
Andererseits kann Artikel 12 (4) VOBK kein nur durch Rechtsmissbrauch begrenzter Rechtsanspruch auf Ein füh rung eines Anspruchs satzes entnommen werden, der auf eine breitere, im Einspruchs verfahren zunächst nicht verteidigte Fassung der Ansprüche gerichtet ist. Viel mehr machen diese Bestimmungen deutlich, dass der Verfügungsgrundsatz insoweit durch den Konzentrations grund satz durchbrochen ist. Diese Auffassung findet ihre Be stätigung in der Rechtsprechung der Großen Beschwerde kammer, der zufolge Artikel 113 (2) EPÜ keinen Rechts anspruch auf Berück sichtigung verspäteten Vorbringens gibt (R 11/11 vom 14. November 2011, Nr. 10 der Entscheidungs gründe).
3.4 Mit Blick auf Artikel 12 (4) VOBK führte die Beschwerde führerin aus, dass keine Veranlas sung bestanden hätte, den Hilfsanträgen 1 bis 10 ent sprechende Anspruchssätze bereits im Einspruchs be schwer de verfahren vorzulegen, weil die wirtschaftlichen Inte ressen der im Einspruchs verfahren handelnden Rechts vor gängerin von der Beschwer deführerin als Erwerberin ver schieden gewesen sei. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
Nach Artikel 99 (3) EPÜ ist der Patentinhaber Ver fahrens beteiligter im Ein spruchs verfahren. Im Falle der rechtsgeschäftlichen Übertragung des Patents geht nach der Rechtsprechung auch die Stellung als Verfahrens beteiligter akzessorisch auf den Erwerber über. Die mate riell rechtliche Übertragung der Stellung als Verfahrens beteiligter ist von der prozessualen Wirksamkeit des Partei wechsels zu unterscheiden. Damit ein Parteiwechsel für das betreffende Verfahren eintritt, muss die Rechts nachfolge dem Europäischen Patentamt nachgewiesen werden. Ein aufgrund rechtsgeschäftlicher Übertragung vorgenom mener Parteiwechsel darf sich nämlich aus Gründen der prozessualen Rechtssicherheit nicht außerhalb des Ver fahrens ohne formelle Kenntnis der Kammer vollziehen und kann auch nicht mit Rückwirkung erfolgen, da sonst Ver fahrens handlungen oder Entscheidungen ohne Beteiligung des neuen Patentinhabers als allein berechtigte Partei vorgenommen werden oder ergehen könnten. Dementsprechend bestimmt Regel 22 (3) EPÜ, dass ein Rechtsübergang, des sen Eintragung nach Regel 22 (1) und (2) EPÜ beantragt wurde, dem Europäischen Patentamt gegenüber erst wirksam wird, wenn er durch Vorlage von Urkunden nachgewiesen ist. Diese Bestimmung gilt gemäß Regel 85 EPÜ sowie in Verbindung mit Regel 100 (1) EPÜ auch für einen Rechts übergang des europäischen Patents während der Dauer des Einspruchs- bzw. des Einspruchsbeschwerdeverfahrens (T 128/10 vom 10. Dezember 2010, Nr. 3 der Entschei dungs gründe).
Vorliegend wurde das Streitpatent auf Antrag der Beschwerdeführerin vom 23. November 2011 gestützt auf einen am 22. März 2010 respektive am 12. April 2010 unterzeichneten Vertrag umgeschrieben. Die Beschwer de führerin trat mithin erst mit Wirkung vom 23. November 2011 an die Stelle der Rechtsvorgängerin als Verfahrens beteiligte im Einspruchsbeschwerde ver fahren. Die Hilfs anträge 1 bis 10 wurden demgegenüber bereits mit der Beschwerdebegründung vom 15. März 2010 eingereicht, mithin bevor der rechtsgeschäftliche Über gang gegenüber dem EPA wirksam wurde. Die durch den späteren Rechts übergang geänderte wirtschaftliche Inte ressenlage kann daher nicht rückschauend zur Erklärung herangezogen werden, warum die Rechtsvorgängerin nicht früher Veranlassung gehabt haben soll, die Hilfsanträge 1 bis 10 zu stellen.
Selbst wenn der Rechtsübergang vor Einreichung der Beschwerdebegründung vom 15. März 2010 wirksam gewesen wäre, läge die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 im Ermessen der Kammer. Die Beschwerdeführerin tritt als Erwerberin bei Wirksamwerden des Rechtsübergangs gegen über dem EPA in die Verfahrensstellung der Rechtsvor gängerin ein und erwirbt damit die Position einer Verfahrenspartei. Als solche hat sie das Verfahren in dem Stadium aufzunehmen, in dem es sich beim Rechtsübergang befindet, und Verfahrenshandlungen der Rechtsvorgängerin gegen sich gelten zu lassen. Es würde der Rechtssicher heit sowie im zweiseitigen Verfahren der Fairness gegen über den anderen Verfahrensbeteiligten widersprechen, wenn der Erwerber eines Patents unter Berufung auf den damit einhergehenden Parteiwechsel, der keiner Zustim mung der anderen Verfahrensbeteiligten bedarf, den Gegen stand des Beschwerdeverfahrens ohne triftige, unmittelbar mit dem Verfahrensablauf zusammenhängende Gründe (namentlich ein geänderter Sachverhalt) gegenüber dem Einspruchsverfahren ändern könnte.
Kommt hinzu, dass verfahrensexterne Umstände wie Über legungen auf Seiten der Patentinhaberin, mit welchem Inhalt die Weiterverfolgung des Patents aus wirtschaftli chen oder wettbewerblichen Gründen sinnvoll ist, keine Aspekte sind, die bei der Beurteilung der Frage, zu wel chem Zeitpunkt das Patent inhaltlich gestaltende Anträge im Beschwerdeverfahren vorzulegen sind, berücksichtigt werden können, weil es ein Verfahrensbe teilig ter dann in der Hand hätte, den Verlauf des Ver fahrens zu bestimmen (T 764/03 vom 10. Februar 2005, Nr. 6.4 der Entschei dungsgründe; T 356/08 vom 7. Juli 2009, Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe).
Nach Auffassung der Kammer war daher das infolge des rechtsgeschäftlichen Übergangs des Patents geänderte wirtschaftliche Interesse bei der Ermessensausübung nach Artikel 12 (4) VOBK nicht zu berücksichtigen. Einen weiteren, mit dem Verfahrensablauf zusammenhängenden Grund, weshalb keine frühere Veranlassung zur Vorlage der Hilfsanträge 1 bis 10 bestanden habe, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.
3.5 Die Beschwerdeführerin hätte die Hilfsanträge 1 bis 10 nach Auffassung der Kammer bereits der Einspruchs ab teilung vorlegen können und es wäre nach den Umständen auch von ihr bei sorgfältiger Verfahrensfüh rung zu erwarten gewesen, diese Anträge bereits früher zu stellen. Infolgedessen ließ die Kammer die Hilfs anträge 1 bis 10 nicht in das Beschwerdeverfahren zu (Artikel 12 (4) VOBK).
4. Vorlage an die Große Beschwerdekammer
4.1 Nach Artikel 112 (1) EPÜ 1973 steht die Vorlage an die Große Beschwerdekammer im Ermessen der Beschwerdekammern, wenn sie für die Sicherung einer einheitlichen Rechtsan wendung erforderlich erscheint oder wenn sich eine Rechts frage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
4.2 Die Beschwerdeführerin begründet die Notwendigkeit einer Vorlage zunächst mit divergierenden Rechtsauffassungen, die in den Entscheidungen T 386/04 vom 9. Januar 2007 und G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408) vertreten würden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist dahingehend zu verstehen, dass die Divergenz darin zu sehen ist, dass nach der in der Entscheidungen T 386/04 vertretenen Auffassung (Nr. 1, zweiter Ab schnitt, der Entscheidungsbe gründung) die Aussagen der Großen Beschwerdekammer G 9/91 zum Zweck des Beschwerdeverfahrens (Nr. 18 der Entscheidungsgründe) die Rechtsprechung nicht berühre, die durch die Entscheidung T 123/85 (ABl. EPA 1989, 336) begründet wurde. Demgegenüber hätten die von den Be schwer degegnerin nen zitierten Entscheidungen T 1067/08 vom 10. Februar 2011 (Nr. 7.1 und 7.2 der Entscheidungs gründe) und T 1705/07 vom 10. Juni 2010 (Nr. 8.4 der Entscheidungs gründe) von der Charakterisierung des Beschwerdever fahrens in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/91 Schlüsse für die Zulassung nachträglich geänderten Vor bringens gezogen.
4.2.1 In der Beschwerdesache T 386/04 erachtete die entschei dende Kammer die Entscheidung der Großen Beschwerde kam mer G 9/91 als nicht einschlägig, da die Stellungnahme der Großen Beschwerde kammer den Umfang der Befugnis zur Prüfung eines Einspruchs betraf und nicht die Zulassung nachträglicher Änderungen des Vorbringens. Sie lehnte mithin eine verallgemeinernde Übertragung der Stellung nahme in Nr. 18 der Entscheidungsgründe der Ent schei dung G 9/91 auf die sich konkret stellende Rechts frage ab. Daraus folgt indes keine Abweichung zu dieser Entschei dung der Großen Beschwerdekammer, zumal in diesem Falle deren Befassung erforderlich gewesen wäre (Artikel 21 VOBK).
4.2.2 Die Entscheidungen T 1067/08 vom 10. Februar 2011 (Nr. 7.1 und 7.2 der Entscheidungsgründe) und T 1705/07 vom 10. Juni 2010 (Nr. 8.4 der Entscheidungs gründe) ziehen die Aussagen der Großen Beschwerdekammer G 9/91 betreffend den Zweck des Beschwerdeverfahrens (Nr. 18 der Entschei dungsgründe) zur Legitimierung von Artikel 12 (4) VOBK heran und stellen dabei heraus, welche Wertungen für die Ausübung des durch Arti kel 12 (4) VOBK eingeräumten Ermessens als richtungsweisend erachtet werden. Diese Ausführungen bedeuten aber keine von der Entscheidung T 386/04 abweichende Auffassung. Denn obschon diese Entscheidung nicht auf die VOBK eingeht, stellt sie das durch Artikel 12 (4) VOBK eingeräumte Ermessen nicht in Frage (dazu oben Nr. 3.2.8). Divergen zen hinsichtlich der Zulassung im Beschwerde verfahren geänderter Anspruchssätze sind vielmehr auf die Ausübung des durch Artikel 12 (4) VOBK zugestandenen Ermessens im Lichte der konkreten Umstände des Einzel falles zurück zuführen.
4.2.3 Die Kammer gelangte daher zu Auffassung, dass keine widerstreitende Rechtsauffassungen zu Artikel 12 (4) VOBK vertreten werden, die auf dem Wegen einer Vorlage an die Große Beschwerdekammer einer einheitlichen Rechtsanwendung zugeführt werden könnten. Auch befindet sich die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern.
4.3 Über die vom Vertreter übergebenen Fragen zur Befassung der Großen Beschwerdekammer konnte die Kammer sodann ohne Zweifel selbst entscheiden. Gemäß dem geltenden Artikel 12 (4) VOBK liegt es im Ermessen der Beschwerde kammern Anspruchssätze, die in erster Instanz als ver spätet nicht zuge lassen worden sind oder schon in erster Instanz veran lasst gewesen wären, unberücksichtigt zu lassen. Dies gilt auch für Anspruchs sätze, mit denen das Patent erstmals im Beschwerdever fahren in einer gegenüber dem Einspruchsverfahren breiteren Fassung vertei digt wird. Das Ermessen ist pflichtgemäß auszuüben, d.h. unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Einzelfalls.
4.4 Die Voraussetzungen zur Vorlage von Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer entsprechend Artikel 112 (1) EPÜ lagen mithin nicht vor. Die darauf gerichteten Anträge der Beschwerdeführerin waren daher zurückzuweisen und bildeten auch keine Grundlage für eine Vorlage von Amts wegen.
5. Zulassung der Hilfsanträge 11 bis 15
5.1 Die Hilfsanträge 11 bis 15 wurden von der Beschwerde führerin während der mündlichen Verhandlung eingereicht. Die Hilfsanträge sind als nachträgliche Änderung des Vorbringens im Sinne von Artikel 13 (1) VOBK anzusehen und ihre Zulassung daher in das Ermes sen der Kammer gestellt.
5.2 Die von der Beschwerdeführerin in diesen Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen zielen darauf ab, den Einwand der Beschwerdegegnerinnen im Hinblick auf Regel 80 EPÜ zu beseitigen. Der Einwand, dass die Einfügung eines abhängigen Anspruchs gegen Regel 80 EPÜ verstoße, wurde von den Beschwerdegegnerin nen in deren Erwiderungen auf die Beschwerdebegründung (Schreiben vom 15. Juni 2010 sowie vom 23. Juli 2010) sowie von der Kammer in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung erhoben. Die Beschwerdeführerin hat auf diesen Einwand nicht schriftlich reagiert, sondern bis zur mündlichen Verhandlung zugewartet, um diesen Einwand zu überwinden.
5.3 Die Beschwerdeführerin hat keine unmittelbar mit dem Verfahrensablauf zusammenhängenden Gründe für die späte Vorlage der Hilfsanträge 11 bis 15 vorgetragen. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass die Diskussion dieser Hilfsanträge keine Verfahrensver zögerung bewirke, da der Gegenstand dieser Anspruchssätze von der Strei chung des beanstandeten Anspruchs 4 abgesehen demjenigen der Hilfsanträge 3, 4, 6, 8 und 10 entspräche.
5.4 Zunächst ist festzuhalten, dass die Zulassung der Hilfsanträge 11 bis 15 den gleichen Einwänden begegnet, wie die Hilfsanträge 3, 4, 6, 8 und 10, insoweit sie eine Verlagerung des Beschwerdeverfahrens auf einen breiteren Gegenstand bewirken, der nicht Bestandteil des Ein spruchs verfahrens war.
Darüber hinaus hatte die Beschwerdeführerin hinreichende Veranlassung und ausreichend Gelegenheit, den Einwand unter Regel 80 EPÜ zu einem früheren Zeit punkt auszu räu men, nämlich in Reaktion auf die Erwide rungen auf die Beschwerdebegründung. Der Ladungsbescheid der Kammer warf keine neuen Gesichtspunkte auf, die eine andere Sachlage geschaffen und den späten Zeitpunkt der Vorlage der Hilfsanträge 11 bis 15 gerechtfertigt hätten. Auf jeden Fall hat es die Beschwerdeführerin versäumt, die späte Vorlage der Hilfsanträge ausreichend zu be gründen. Es widerspricht dem allgemeinen Interes se an einer effi zienten und fairen Durchführung des zweiseiti gen Beschwerdeverfahrens, wenn in einem frühen Verfahrens stadium aufgeworfenen Einwänden erst an der münd lichen Verhandlung durch Vorlage geänderter Anspruchs sätze Rechnung getragen wird, ohne dass dies durch eine Änderung des dem Verfahrens zugrunde liegenden Sachverhalts oder mit besonderen entschuld baren Umständen gerecht fertigt werden kann.
Das Argument, dass die späte Vorlage keine Verfah rens ver zögerung bewirke, vermag die Vorgehensweise der Beschwerdeführerin nicht zu rechtfertigen. Die in Artikel 13 (1) VOBK beispiel haft aufgezählten Kriterien für die Ermes sensausübung (Komplexität des späten Vorbrin gens, Stand des Ver fah rens und Verfahrensökonomie) stellen keine abschließenden Voraussetzungen dar, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit nach träglich geändertes Vorbringen unberücksichtigt bleiben kann (R 16/09 vom 19. Mai 2010, Nr. 2.2.4 der Entscheidungs gründe). Im Unterschied zu Artikel 13 (3) VOBK sind daher eine durch das geänderte Vorbringen verursachte Verfahrenver zögerung und deren Ausmaß einzelne Aspekte neben anderen, die bei entsprechender Gewichtung für die Ermessensentscheidung relevant sein können. Vorliegend war nach Auffassung der Kammer der Aspekt der Verfahrens verzögerung allerdings von nachrangiger Bedeutung. In Übereinstimmung mit der Entscheidung R 16/09 vom 19. Mai 2010 (Nr. 2.2.11 der Entscheidungsgründe) erachtet die Kammer als ausschlaggebend, dass sowohl das Zurück kommen auf eine breiteren Gegenstand als auch das Aus räumen bestehender Einwände in einem späten Verfahrens stadium nicht durch eine Änderung des dem Verfahrens zugrunde liegenden Sachverhalts oder mit besonderen entschuld baren Umständen gerechtfertigt war.
5.5 Folglich ließ die Kammer die Hilfsanträge 11 bis 15 nicht in das Beschwerdeverfahren zu (Artikel 13 (1) VOBK).
6. Zurückverweisung
6.1 Die Beschwerdeführerin hat die Zurückverweisung an die erste Instanz beantragt (Artikel 111(1) EPÜ). Da sich kein Anspruchssatz im Verfahren befindet, der die Zustimmung der Beschwerdeführerin hat, ist dieser Antrag gegenstandslos.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.