T 0614/19 29-09-2022
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MEHRKANALIGER DREHWINKELGEBER
SICK AG
Fritz Kübler GmbH
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtete sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2867624 zu widerrufen.
Mit den Einsprüchen der Einsprechenden 1 (Beschwerdegegnerin 1) und der Einsprechenden 2 (Beschwerdegegnerin 2) war das Streitpatent in vollem Umfang im Hinblick auf die Einspruchsgründe unzulässiger Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ), unzureichender Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) und mangelnder Neuheit bzw. mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) angegriffen worden.
II. In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Einspruchsabteilung im Hinblick auf das erteilte Patent (Hauptantrag) die Auffassung, dass Artikel 100 c) EPÜ dem erteilten Patentanspruch 1 entgegenstehe, da der beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Die damaligen Hilfsanträge 0A, 0B und 1 bis 5 wurden von der Einspruchsabteilung nach Regel 80 EPÜ nicht ins Verfahren zugelassen.
III. Mit der Beschwerdebegründung vom 29. Mai 2019 reichte die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche u.a. gemäß Hilfsanträgen 8 bis 11 ein.
IV. Auf die Beschwerdeerwiderungen der Beschwerdegegnerin 1 und der Beschwerdegegnerin 2 hin reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30. Dezember 2019 weitere geänderte Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 8a bis 11a ein.
V. In der Mitteilung vom 17. August 2021 gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 in Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Auffassung zu der Sache mit.
VI. Mit Schreiben vom 4. Mai 2022 brachte die Beschwerdeführerin weitere Argumente zur Stützung ihres Vorbringens vor.
VII. Am 29. September 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten auf der Grundlage der Ansprüche der Hilfsanträge 8 bis 11, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 29. Mai 2019, oder der Hilfsanträge 8a bis 11a, eingereicht mit Schreiben vom 30. Dezember 2019.
Die Beschwerdegegnerin 1 und die Beschwerdegegnerin 2 beantragten jeweils die Zurückweisung der Beschwerde.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer von dem Vorsitzenden verkündet.
VIII. Der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 8 besteht aus fünf unabhängigen Ansprüchen mit dem folgenden Wortlaut:
1. "Verfahren zum Betrieb eines mehrkanaligen Drehwinkelgebers mit
mindestens einer Leiterplatte, auf der mehrere Funktionseinheiten (1, 2, 3) als integrierte Bauteile angeordnet und miteinander verschaltet sind, wobei
mindestens ein Positionswandler (6) absolute Messwerte (28) und inkrementale Messwerte (29) erzeugt, die jeweils über mindestens einen Kanal (37, 38) einer Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, welche als Regelungs- und Sicherheitsüberwachung ausgebildet ist und eine nachgeschaltete Maschine steuert,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Drehwinkelgeber aus mindestens drei Funktionseinheiten (1, 2, 3) besteht,
in einer ersten Funktionseinheit (1) der Positionswandler (6) angeordnet ist,
in dieser ersten Funktionseinheit (1) erste absolute Lage-Positionswerte (9) erzeugt werden, die man aus den absoluten Messwerten (28) des Positionswandlers (6) mittels einer Logik (17) erhält und über einen ersten sicheren Kanal (37) durch eine als Interface geschaltete zweite Funktionseinheit (2) als erste sichere Daten (39) der Kontrolleinheit (5) zuführt, und
der Positionswandler (6) seine inkrementalen Messwerte (29) einer dritten Funktionseinheit (3) zuleitet, die durch Umrechnung zu den ersten absolute Lage-Positionswerten (9) redundante zweite absolute Lage-Positionswerte (8) erzeugt und über einen zweiten sicheren Kanal (38) durch die zweite Funktionseinheit (2) hindurch als zweite sichere Daten (40) der Kontrolleinheit (5) zuführt, wobei
die Umrechnung der zweiten absolute Lage-Positionswerte (8) mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und eines Quadratur Encoder Interfaces (36) erfolgt, indem aus den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Interpolationsbausteins (19) und aus den absoluten Messwerten (28) und den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Quadratur Encoder Interfaces (36) die zweiten absolute Lage-Positionswerte (9) umgerechnet werden."
2. "Verfahren zum Betrieb eines mehrkanaligen Drehwinkelgebers mit
mindestens einer Leiterplatte, auf der mehrere Funktionseinheiten (1, 2, 2') als integrierte Bauteile angeordnet und miteinander verschaltet sind, wobei
mindestens ein Positionswandler (6) absolute Messwerte (28) und inkrementale Messwerte (29) erzeugt, die jeweils über mindestens einen Kanal (37, 39) einer Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, welche als Regelungs- und Sicherheitsüberwachung ausgebildet ist und eine nachgeschaltete Maschine steuert,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Drehwinkelgeber aus mindestens zwei Funktionseinheiten (1, 2, 2') besteht,
in einer ersten Funktionseinheit (1) der Positionswandler (6) angeordnet ist,
in dieser ersten Funktionseinheit (1) aus absoluten Positionswerten (28) erste absolute Lage-Positionswerte (9) erzeugt werden, die man aus den absoluten Messwerten (28) des Positionswandlers (6) mittels einer Logik (17) erhält,
diese ersten absolute Lage-Positionswerte (9) über einen sicheren Kanal (37) durch eine zweite Funktionseinheit (2) als erste sichere Daten (40) der Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, und
in der zweiten Funktionseinheit (2) aus den inkrementalen Messwerten (29) der ersten Funktionseinheit (1) zu den ersten absolute Lage-Positionswerten (9)redundante zweite absolute Lage-Positionswerte (8) errechnet werden und der Kontrolleinheit (5) als zweite sichere Daten (40) zugeführt werden, wobei
die Berechnung der zweiten absolute Lage-Positionswerte mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und eines Quadratur Encoder Interfaces (36) erfolgt, indem aus den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Interpolationsbausteins (19) und aus den absoluten Messwerten (28) und den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Quadratur Encoder Interfaces (36) die zweiten absolute Lage-Positionswerte umgerechnet werden."
3. "Verfahren zum Betrieb eines mehrkanaligen Drehwinkelgebers mit
mindestens einer Leiterplatte, auf der ein oder mehrere Funktionseinheiten (4) als integrierte Bauteile angeordnet und miteinander verschaltet sind, wobei
mindestens ein Positionswandler (6) absolute Messwerte (28) und inkrementale Messwerte (29) erzeugt, die jeweils über mindestens einen Kanal (39, 40) einer Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, welche als Regelungs- und Sicherheitsüberwachung ausgebildet ist und eine nachgeschaltete Maschine steuert,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Drehwinkelgeber aus einer Funktionseinheit (4) besteht, in der der Positionswandler (6) angeordnet ist, der absolute und inkrementale Positionswerte (28, 29) erzeugt, welche mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und eines Quadratur Encoder Interfaces (36) in zueinander redundante erste und zweite Lage-Positionen (8, 9) umgerechnet werden, die auf zwei Kanälen als sichere Daten (39,40) der Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, wobei
die Umrechnung der ersten Lage-Positionen (8) erfolgt, indem diese aus den absoluten Messwerten (28) mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und einer Logik (17) umgerechnet werden, und
die Umrechnung der zweiten Lage-Positionen (9) erfolgt, indem diese aus den absoluten Messwerten (28) und den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Quadratur Encoder Interfaces (36) umgerechnet werden."
4. "Verfahren zum Betrieb eines mehrkanaligen Drehwinkelgebers mit
mindestens einer Leiterplatte, auf der ein oder mehrere Funktionseinheiten (1, 1a, 1b, 2,) als integrierte Bauteile angeordnet und miteinander verschaltet sind, wobei
mindestens ein Positionswandler (6, 7) absolute Messwerte (28) und inkrementale Messwerte (29) erzeugt, die jeweils über mindestens einen Kanal (37, 38) einer Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, welche als Regelungs- und Sicherheitsüberwachung ausgebildet ist und eine nachgeschaltete Maschine steuert,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Drehwinkelgeber aus mindestens drei Funktionseinheiten (1a, 1b, 2) besteht,
in einer ersten Funktionseinheit (1a) ein erster Positionswandler (6) angeordnet ist, der in dieser ersten Funktionseinheit (1a) absolute Lage-Positionswerte (9) erzeugt, die man aus den absoluten Messwerten (28) des Positionswandlers (6) mittels einer Logik (17) erhält und über einen ersten sicheren Kanal (37) durch eine als Interface geschaltete zweite Funktionseinheit (2) als erste sichere Daten (39) der Kontrolleinheit (5) zugeführt werden,
in einer dritten Funktionseinheit (1b) ein zweiter Positionswandler (7) angeordnet ist, der dritte absolute Lage-Positionen (16) erfasst und über einen dritten sicheren Kanal (38) der Kontrolleinheit 5 zuführt, und
in der als Interface geschalteten zweiten Funktionseinheit (2) eine Umrechnung der inkrementellen Positionswerte (29) aus der ersten Funktionseinheit (1a) zu zu den ersten absolute Lage-Positionswerten (9) redundante zweite absoluten Lage-Positionswerten (9) erfolgt, die als zweite sichere Daten (40) der Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, wobei
die Umrechnung der zweiten absolute Lage-Positionswerte (8) mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und eines Quadratur Encoder Interfaces (36) erfolgt, indem aus den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Interpolationsbausteins (19) und aus den absoluten Messwerten (28) und den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Quadratur Encoder Interfaces (36) die zweiten absolute Lage-Positionswerte (8) umgerechnet werden."
5. "Verfahren zum Betrieb eines mehrkanaligen Drehwinkelgebers mit
mindestens einer Leiterplatte, auf der mehrere Funktionseinheiten (1a, 1b, 1c, 2) als integrierte Bauteile angeordnet und miteinander verschaltet sind, wobei
mindestens ein Positionswandler (6, 7) absolute Messwerte (28) und inkrementale Messwerte (29) erzeugt, die jeweils über mindestens einen Kanal (37, 38) einer Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, welche als Regelungs- und Sicherheitsüberwachung ausgebildet ist und eine nachgeschaltete Maschine steuert,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Drehwinkelgeber aus mindestens vier Funktionseinheiten (1a, 1b, 1c, 2) besteht,
in einer ersten Funktionseinheit (1a) ein erster Positionswandler (6) angeordnet ist, der in dieser Funktionseinheit (1a) absolute Lage-Positionswerte (9) erzeugt, die man aus den absoluten Messwerten (28) des Positionswandlers (6) mittels einer Logik (17) erhält und über einen ersten sicheren Kanal (37) durch eine als Interface geschaltete zweite Funktionseinheit (2) als erste sichere Daten (39) der Kontrolleinheit (5) zuführt,
in einer dritten Funktionseinheit (1b) ein zweiter Positionswandler (7) angeordnet ist, der dritte absolute Messwerte (16) erfasst, und
in einer als Signalprozessor-Einheit ausgebildeten vierten Funktionseinheit (1c) die absoluten Messwerte des zweiten Positionswandlers zugeführt und aufbereitet werden, um hieraus in der vierten Funktionseinheit (1c) eine dritte absolute Lage-Position (16) zu berechnen und über einen dritten sicheren Kanal(38) der Kontrolleinheit 5 zuzuführen, wobei
in der als Interface geschalteten zweiten Funktionseinheit (2) eine Umrechnung der inkrementalen Messwerte (42) aus der ersten Funktionseinheit (1a) zu zu den ersten absolute Lage-Positionswerten (9) redundante zweite absoluten Lage-Positionswerten (9) erfolgt, die als zweite sichere Daten (40) der Kontrolleinheit (5) zugeführt werden, wobei
die Umrechnung der zweiten absolute Lage-Positionswerte (8) mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und eines Quadratur Encoder Interfaces (36) erfolgt, indem aus den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Interpolationsbausteins (19) und aus den absoluten Messwerten (28) und den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Quadratur Encoder Interfaces (36) die zweiten absolute Lage-Positionswerte (8) umgerechnet werden."
Die unabhängigen Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 9 unterscheiden sich von den entsprechenden unabhängigen Ansprüchen 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 8 durch
- folgenden Zusatz am Ende der unabhängigen Ansprüche 1 und 2: ", und die absoluten Messwerte (28) vor einem Zuführen an das Quadratur Encoder Interface (36) in der Logik (17) der ersten Funktionseinheit (1) in einen Startwert gewandelt werden",
- folgenden Zusatz am Ende des unabhängigen Anspruchs 3: ", und die absoluten Messwerte (28) vor einem Zuführen an das Quadratur Encoder Interface (36) in der Logik (17) in einen Startwert gewandelt werden", und
- folgenden Zusatz am Ende der unabhängigen Ansprüche 4 und 5: ", und die absoluten Messwerte (28) vor einem Zuführen an das Quadratur Encoder Interface (36) in der Logik (17) der ersten Funktionseinheit (1a) in einen Startwert gewandelt werden".
Der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 10 ist identisch mit dem unabhängigen Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 8 (Schreiben vom 30. Dezember 2019, Nr. III auf Seite 5).
Der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 11 ist identisch mit dem unabhängigen Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 9 (Schreiben vom 30. Dezember 2019, Nr. IV auf Seite 5).
Die unabhängigen Ansprüche 1, 2, 4 und 5 gemäß den Hilfsanträgen 8a und 9a sind identisch mit den entsprechenden unabhängigen Ansprüchen 1, 2, 4 und 5 gemäß den Hilfsanträgen 8 und 9, und der unabhängige Anspruch 3 gemäß den Hilfsanträgen 8a und 9a und der einzige Anspruch gemäß den Hilfsanträgen 10a und 11a unterscheiden sich jeweils von dem unabhängigen Anspruch 3 gemäß den Hilfsanträgen 8 und 9 und von dem einzigen Anspruch gemäß den Hilfsanträgen 10 und 11 dadurch, dass der Absatz
"die Umrechnung der ersten Lage-Positionen (8) erfolgt, indem diese aus den absoluten Messwerten (28) mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und einer Logik (17) umgerechnet werden,"
durch folgenden Absatz ersetzt wurde:
"die Umrechnung der ersten Lage-Positionen (8) erfolgt, indem diese aus den absoluten Messwerten (28) mit Hilfe einer Logik (17) und aus den inkrementalen Messwerten (29) mit Hilfe des Interpolationsbausteins (19) umgerechnet werden,".
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hilfsanträge 8 bis 11 - Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 12 (2) VOBK 2020
2.1 Die Hilfsanträge 8 bis 11 wurden mit der Beschwerdebegründung vom 29. Mai 2019 in Reaktion auf die von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, wonach das Merkmal des erteilten Anspruchs 1 "mit Hilfe eines Interpolationsbausteins (19) und eines Quadratur Encoder Interfaces (36)" (im Folgenden Merkmale "1.10 und 1.11") eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung des Inhalts der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung darstellte (Artikel 100 c) EPÜ), von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Keiner der unabhängigen Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8 bis 11 stimmt mit den unabhängigen Ansprüchen gemäß den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträgen 0A, 0B und 1 bis 5 sachlich überein. Über die Berücksichtigung bzw. die Zulassung der Hilfsanträge 9 bis 11 ist daher gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu entscheiden.
Die Beschwerdegegnerin 1 und die Beschwerdegegnerin 2 haben aus Gründen der Verfahrensökonomie die Nichtzulassung der Hilfsanträge 8 bis 11 in das Beschwerdeverfahren beantragt.
Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen einerseits geltend gemacht, dass die Hilfsanträge 8 bis 11 im erstinstanzlichen Verfahren nicht hätten vorgebracht werden können bzw. müssen, sodass sie gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 zu berücksichtigen seien, und andererseits, dass, falls die Hilfsanträge 8 bis 11 doch bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, sie jedenfalls ins Beschwerdeverfahren zuzulassen seien.
2.2 Es stellt sich daher zuerst die Frage, ob die Hilfsanträge 8 bis 11 bereits im erstinstanzlichen Verfahren im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK 2007 hätten vorgebracht werden können. Da fast jeder Antrag vor der ersten Instanz eingereicht werden könnte, ist zu prüfen, ob ein Antrag bereits in diesem Stadium hätte eingereicht werden sollen (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 10. Auflage 2022, V.A.5.11.1).
2.2.1 Der Einwand der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung hinsichtlich der Merkmale 1.10 und 1.11 des erteilten Anspruchs 1 (Artikel 100 c) EPÜ) wurde bereits in der Einspruchsschrift der Beschwerdegegnerin 1 (Nr. 2.1.2 auf Seiten 6 und 7) vorgebracht, von der Einspruchsabteilung in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach ihrer vorläufigen Ansicht als zutreffend erachtet (Mitteilung vom 23. Mai 2018, Nr. 9.1.5 bis 9.1.7) und von der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf den erteilten Anspruch 1 als stichhaltig angesehen (Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Nr. 2; siehe auch angefochtene Entscheidung, Nr. 12.2.2 und 12.2.3 der Entscheidungsgründe). In Reaktion darauf wurden während der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung die Hilfsanträge 0A und 0B von der Beschwerdeführerin eingereicht. In der mündlichen Verhandlung vertrat die Einspruchsabteilung die Auffassung, dass die Hilfsanträge 0A und 0B im Verfahren nicht zuzulassen waren, weil die in den Ansprüchen eingeführten Änderungen "offensichtlich den Erfordernisse der Regel 80 EPÜ" nicht genügten (Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Nr. 3.3; siehe auch angefochtene Entscheidung, Nr. 13 der Entscheidungsgründe) und dass die in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 16. November 2018 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 ebenfalls nicht zum Verfahren zuzulassen waren, weil die "Merkmale 1-10 und 1-11, welche im Hauptantrag Artikel 123(2) EPÜ verletzen, in allen Hilfsanträge 1-5 unverändert geblieben [sind], deswegen erfüllen diese Anträge nicht Regel 80 EPÜ" (Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Nr. 3.5; siehe auch angefochtene Entscheidung, Nr. 14.1 der Entscheidungsgründe).
In ihrer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Auffassung mit, wonach die Kammer keinen Grund zu erkennen vermöge - und die Beschwerdeführerin auch keinen rechtfertigenden Grund genannt hätte -, nach dem u.a. die Hilfsanträge 8 bis 11 nicht bereits im vorinstanzlichen Einspruchsverfahren hätten vorgebracht werden können. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass die Kammer unter den Umständen des vorliegenden Falls keinen Grund sehe, der die Zulassung der Hilfsanträge 8 bis 11 zum Beschwerdeverfahren nach Artikel 12(4) VOBK 2007 rechtfertigen würde und es dementsprechend ebenfalls rechtfertigen würde, von dem in Artikel 12(2) VOBK 2020 - der im vorliegenden Fall anwendbar ist, vgl. Artikel 25 VOBK 2020 - festgelegten Grundsatz ("Im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtenen Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, ist das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Anträge [...] zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen") abzuweichen.
2.2.2 In Reaktion auf die Mitteilung der Kammer hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass es dem zugrundeliegenden Zweck des Vertrauensschutzes widerspreche, wenn die Regeln der VOBK 2007 anzuwenden seien, von der Kammer aber darüber hinausgehende Anforderungen erwartet würden, indem von der Beschwerdeführerin rechtfertigende Gründe zum Vorbringen der Hilfsanträge 8 bis 11 im Beschwerdeverfahren gefordert würden. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes wäre es unbillig, die deutlich strengeren Zulassungsvoraussetzungen nach der VOBK 2020 auf Artikel 12(4) VOBK 2007 abfärben zu lassen, da die Übergangsbestimmungen des Artikel 25 VOBK 2020 den primären Zweck hätten, die zum Zeitpunkt der früheren Eingaben bestehenden Erwartungen vor dem Inkrafttreten der deutlich strengeren VOBK 2020 zu schützen. Insbesondere gelte dies deswegen, weil Artikel 12 (2) VOBK 2020 zwar das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens definiere, die Konsequenz der Nichtbeachtung dieses Artikels, welche sich im Artikel 12 (4) VOBK 2020 finde, in den Übergangsbestimmungen aber explizit ausgeschlossen worden sei, indem Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anzuwenden sei. Es würde daher dem Geist der Übergangsbestimmungen zuwiderlaufen, wenn man die eigentlich abgemilderte Konsequenz einer Nichtbeachtung des zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerdebegründung noch nicht in Kraft stehenden Artikels 12 (2) VOBK 2020 dennoch mit voller Härte anwenden würde. Einer Übergangsbestimmung hätte es ersichtlich nicht bedurft, wenn die Anwendung des Artikels 12 (4) VOBK 2007 höhere Hürden aufstellen würde als der revidierte Artikel 12 (4) VOBK 2020.
Die Kammer kann den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht folgen. Artikel 12 (4) VOBK 2007 - anders als z.B. Artikel 12 (4) VOBK 2020, zweiter Absatz, erster Satz - beinhaltet zwar keine ausdrückliche Aufforderung, rechtfertigende Gründe anzugeben, warum geänderte Anträge erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht werden. Die Frage, ob ein solcher geänderter Antrag nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu berücksichtigen bzw. zuzulassen ist, hängt aber von der weiteren Frage ab, ob der geänderte Antrag "bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden können" - und sollen (oben Nr. 2.2). Die Beurteilung dieser weiteren Frage hängt wiederum u.a. davon ab, ob unter den konkreten Umständen des Falles Gründe zu erkennen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass der geänderte Antrag im erstinstanzlichen Verfahren nicht hätte vorgebracht werden können und sollen.
Hinsichtlich der Anwendung des Artikels 12 (2) VOBK 2020 ist darauf hinzuweisen, dass dieser Artikel nach Artikel 25 VOBK 2020 im vorliegenden Fall anzuwenden ist. Artikel 12 (4) VOBK 2020, der im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, bezieht sich zwar ebenfalls auf Artikel 12 (2) VOBK 2020. Dies heißt aber nicht, dass die Anwendung des Artikels 12 (2) VOBK 2020 strengere Zulassungsvoraussetzungen als die VOBK 2007 mit sich bringt oder dem Geist der Übergangsbestimmungen des Artikels 25 VOBK 2020 zuwiderlaufen würde, u.a. weil das im Artikel 12 (2) VOBK 2020 definierte vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens bereits vor Inkrafttreten der VOBK 2020 allgemein anerkannt wurde (vgl. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern" EPA, 10. Auflage 2022, Abschnitt V.A.1.1, zweiter Absatz, und Zusatzpublikation 2 - Amtsblatt EPA 2020, "Tabelle zu den Änderungen der VOBK mit Erläuterungen", Seite 27). In G 10/91 (ABl. EPA 1993, 420) vom 31. März 1993 (unter Nr. 18) heißt es:
Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens ist es, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten.
Und in G 10/93 (ABl. EPA 1995, 172) vom 30. November 1994 findet sich der Satz (unter Nr. 4):
Das Verfahren vor den Beschwerdekammern ist auch im Ex-parte-Verfahren primär auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung abgestellt.
Der Wortlaut von Artikel 12 (2) VOBK 2020 kann vor diesem Hintergrund kaum dahingehend verstanden werden, dass er strengere Regeln für die Kammern bei der Behandlung von neuem Vorbringen im Beschwerdeverfahren ab dem 1. Januar 2020, d.h. dem Datum des Inkrafttretens der überarbeiteten VOBK, anordnen würde.
2.2.3 In Reaktion auf die Mitteilung der Kammer hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. Mai 2022 auch geltend gemacht, dass mit den während des erstinstanzlichen Verfahrens eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 5 - insbesondere mit den Hilfsanträgen 2 und 3 - anhand der Bestrebungen zu einer Rückkehr auf fünf gleichwertig nebeneinanderstehende Alternativen - genau wie in den Ansprüchen gemäß den ursprünglichen Anmeldeunterlagen - bereits ein Versuch zur Ausräumung des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 c) EPÜ unternommen wurde und dass die Auffassung der Einspruchsabteilung, wonach Regel 80 EPÜ zur automatischen Zurückweisung von rechtzeitig vorgebrachten Hilfsanträgen (d.h. der Hilfsanträge 1 bis 5, siehe Nr. 2.2.1 oben) führe, falls diese eine von der Einspruchsabteilung erkannte Problematik nicht nach deren Wunsch auflösten, grob verfahrensfehlerhaft sei. Angesichts dieses grob fehlerhaften Verhaltens der Einspruchsabteilung sei das Einreichen weiterer Anspruchssätze, welche die Grundidee der Hilfsanträge 2 und 3 fortführten, ersichtlich nicht von der Beschwerdeführerin veranlasst, denn die Einspruchsabteilung habe die Regel 80 EPÜ missbräuchlich dazu verwendet, sämtliche gestellten Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen und so von vornherein eine sachliche Diskussion unterbunden, die Anlass zur Stellung weiterer Anträge hätte geben können. Insbesondere habe die Einspruchsabteilung durch ihr grob fehlerhaftes Agieren unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass weitere Anspruchssätze wegen Regel 80 EPÜ nicht ins Verfahren zugelassen würden, unabhängig davon, ob die vorgenommenen Änderungen durch den Einspruchsgrund nach Artikel 100c) EPÜ veranlasst gewesen seien. Daher sei das Verhalten der Einspruchsabteilung einer früheren Vorlage der geltenden Hilfsanträge 8 bis 11 abträglich gewesen, ja eine solche Vorlage sei geradezu als aussichtslos erschienen.
Während der mündlichen Verhandlung ergänzte die Beschwerdeführerin ihren vorherigen Sachvortrag dahingehend, dass sie die Hilfsanträge 8 bis 11 in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung nicht hätte vorbringen müssen, weil sie durch die rechtsfehlerhafte Anwendung der Regel 80 EPÜ durch die Einspruchsabteilung entmutigt worden sei, einen Antrag mit fünf unabhängigen Sachansprüchen bzw. weitere Hilfsanträge einzureichen.
Die Beschwerdegegnerin 2 widersetzte sich der Zulassung dieses Vorbringens und machte geltend, dass die Beschwerdeführerin das Thema "Entmutigung" im Zusammenhang mit der von ihr gerügten fehlerhaften Anwendung von Regel 80 EPÜ bereits in der Beschwerdebegründung hätte behandeln müssen. Außerdem habe sich keiner der damaligen Hilfsanträge mit dem Einwand der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung der Merkmale 1.10 und 1.11 befasst, und die Hilfsanträge 8 bis 11 hätten bereits während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht werden können und müssen.
Die Beschwerdegegnerin 1 brachte vor, dass bereits mit dem damaligen, im schriftlichen Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 3 von der Beschwerdeführerin ein Versuch unternommen wurde, Einwände durch das Einreichen von fünf unabhängigen Ansprüchen zu entkräften, und dass während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung die Hilfsanträge 0A und 0B eingereicht und diskutiert worden seien. Die Hilfsanträge 8 bis 11 hätten daher in diesem Kontext bereits während dieser mündlichen Verhandlung eingereicht werden können.
Hinsichtlich der Zulassung bzw. Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin weist die Kammer darauf hin, dass dieses Vorbringen zwar eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 13 VOBK 2020 (der hier anzuwenden ist, siehe Artikel 25 VOBK 2020) darstellt, es aber - wie von der Beschwerdeführerin im Schreiben vom 4. Mai 2022 (siehe z. B. Nr. III.1, zweiter Absatz, Nr. III.2, erster Absatz, Nr. III.3, vierter Absatz auf Seite 15, usw.) vorgetragen - in unmittelbarer Reaktion auf die Fragen erfolgte, die die Kammer in ihren vorläufigen Auffassung hinsichtlich der Frage, ob die Hilfsanträge 8 bis 11 bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgebracht werden können, aufgeworfen hatte (vgl. Nr. 2.2.1 oben, zweiter Absatz). Damit liegen nach Ansicht der Kammer außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 vor, welche die Berücksichtigung nicht nur des schriftlichen Vorbringens der Beschwerdeführerin hinsichtlich der von ihr gerügten fehlerhaften Anwendung durch die Einspruchsabteilung von Regel 80 EPÜ, sondern auch der weiteren Argumente zum Thema "Entmutigung", die während der mündlichen Verhandlung zur weiteren Stützung dieses schriftlichen Vorbringens vorgetragen wurden, rechtfertigen.
Im Hinblick auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin erhebt sich die Frage, ob die Zulassung der damaligen Hilfsanträge 1 bis 5, die zur Vorbereitung der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung und vor dem in Regel 116(1) EPÜ genannten Zeitpunkt eingereicht wurden, im Ermessen der Einspruchsabteilung lag, sowie die weitere Frage, ob die Auffassung der Einspruchsabteilung, wonach die damaligen geänderten Hilfsanträge 0A, 0B und 1 bis 5 eine Verletzung von Regel 80 EPÜ darstellten, allein deswegen, weil ein bestehender Einspruchsgrund durch die Änderungen nicht ausgeräumt wurde, durch die EPÜ gestützt wird. Unabhängig von diesen Fragen - die die damaligen und im Beschwerdeverfahren nicht weiter verfolgten (vgl. Schreiben der Beschwerdeführerin vom 4. Mai 2022, Zeilen 8 bis 10) Hilfsanträge 0A, 0B und 1 bis 5 betreffen - weist die Kammer darauf hin, dass der in Bezug auf den erteilten Anspruch 1 erhobene Einwand der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung während der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung intensiv diskutiert wurde, und dass die Nichtzulassung der damaligen Hilfsanträge grundsätzlich auf der Auffassung der Einspruchsabteilung basierte, wonach keiner dieser Hilfsanträge geeignet sei, diesen Einwand auszuräumen. Unter diesen Umständen hätte ein geänderter Hilfsantrag, der den bestehenden Einwand der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung entkräftet hätte, nicht nur diesen Einwand, sondern auch die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte verfahrensfehlerhafte Anwendung der Regel 80 EPÜ durch die Einspruchsabteilung überwinden können. Daher sieht die Kammer in dem Verlauf der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung (siehe Niederschrift, Nr. 3.4 und 3.5) und in den Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffend die damaligen Hilfsanträge keinen objektiven Grund, der die Beschwerdeführerin hätte entmutigen können, weitere Hilfsanträge, insbesondere die geltenden Hilfsanträge 8 bis 11, in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung einzureichen. Des Weiteren stellte der Einwand betreffend die unzulässige Zwischenverallgemeinerung einen konkreten Anlass dar, diese Hilfsanträge einzureichen. Somit hätten die geltenden Hilfsanträge 8 bis 11 bereits während der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung eingereicht werden können und sollen.
2.2.4 Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass die Hilfsanträge 8 bis 11 bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können und sollen und dass ihre Nicht-Zulassung im Ermessen der Kammer liegt (Artikel 12(4) VOBK 2007).
2.3 Hinsichtlich der Zulassung der Hilfsanträge 8 bis 11 hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass sie nicht ohne Weiteres unzulässig seien, nur weil sie bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten eingereicht werden können, und dass sie aus folgenden Gründen zuzulassen seien: Die Hilfsanträge 8 bis 11 seien zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. mit der Beschwerdebegründung, im Beschwerdeverfahren eingereicht worden. Außerdem seien die vorgenommenen Änderungen einfacher Natur und aufgrund des Rückgriffs auf die Anspruchsstruktur der ursprünglich eingereichten Ansprüche von äußerst geringer Komplexität, leicht verständlich, und sie gingen direkt auf die unmittelbare Offenbarung in der ursprünglich eingereichte Anmeldung zurück. Demnach brächten sie keine Verzögerung des Verfahrens bzw. keine zusätzliche Verkomplizierung mit sich. Darüber hinaus überwänden die Änderungen prima facie den Einwand hinsichtlich der erstinstanzlich festgestellten und in der Mitteilung der Kammer (Nr. 2.1.1) erörterten unzulässigen Erweiterung. Sie seien auch prima facie gewährbar, u.a. weil die Änderungen keinen Verstoß gegen die Regel 80 EPÜ mit sich brächten und keine der Beschwerdegegnerinnen konkrete Einwände nach Artikel 123 (3) EPÜ bzw. zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit erhoben hätte. Daher sei die beanspruchte Erfindung unmittelbar als neu und erfinderisch anzusehen. Sofern von der Kammer eine Sachdiskussion bezüglich der Frage der Neuheit bzw. der erfinderischen Tätigkeit als erforderlich angesehen werden sollte, sei die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
Die Beschwerdegegnerin 1 und die Beschwerdegegnerin 2 haben geltend gemacht, dass die Hilfsanträge 8 bis 11 nicht zuzulassen seien, u.a. weil die geänderten Ansprüche den angesprochenen Einwand der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung (Artikel 100 c) EPÜ) nicht beseitigten und sie prima facie im Hinblick auf Artikel 123 (2), Artikel 123 (3) und 84 und auf Regeln 80 und 43 (2) EPÜ nicht gewährbar seien. Außerdem erfüllten die Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8 bis 11 nicht die Erfordernisse der ausreichenden Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) und der Neuheit bzw. der erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52(1), 54(1) und 56 EPÜ).
2.3.1 Hinsichtlich des Hilfsantrags 8 weist die Kammer zunächst darauf hin, dass während das erteilte Patent nur einen unabhängigen Anspruch umfasste, der Hilfsantrag 8 aus fünf unabhängigen Ansprüchen 1 bis 5 besteht, die - wie von der Beschwerdegegnerin 1 und der Beschwerdegegnerin 2 vorgetragen - jeweils auf den entsprechenden fünf unabhängigen Ansprüchen 1 bis 5 der ursprünglich eingereichten Anmeldung jeweils in Kombination mit weiteren Merkmalen der Ausführungsform gemäß einer der entsprechenden Fig. 1, 3, 4, 6 und 7 der ursprünglich eingereichten Anmeldung basieren. Jeder der unabhängigen Ansprüche 1 bis 5 wirft nicht nur die Frage auf, ob die darin vorgenommenen Änderungen den in Bezug auf den erteilten Anspruch 1 erhobenen Einwand der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung beseitigen (Artikel 123(2) EPÜ), sondern auch - wie von der Beschwerdegegnerin 1 und der Beschwerdegegnerin 2 vorgetragen - weitere vielfältige und komplexe Fragen hinsichtlich verschiedener Erfordernisse des EPÜ, insbesondere hinsichtlich der Erfordernisse der Artikel 123 (2) (unter weiteren Gesichtspunkten), 123 (3) und 84 EPÜ. Daher ergibt sich durch einen jeden der unabhängigen Ansprüche 1 bis 5 des Hilfsantrags 8 ein Sachverhalt, der - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - aufgrund der Anzahl der im jeweiligen unabhängigen Anspruch vorgenommenen Änderungen und der Komplexität des durch diese Änderungen hervorgerufenen Diskussions- und Prüfungsbedarfs gegen die Zulassung des Hilfsantrags 8 spricht - und dessen Zulassung damit dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens (siehe Artikel 12 (2) VOBK 2020 und Nr. 2.2.2 oben, dritter Absatz) zuwiderlaufen würde.
Aus ähnlichen Gründen kann der Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach der Hilfsantrag 8 prima facie gewährbar sei, nicht gefolgt werden. Die weiteren Argumente der Beschwerdeführerin, wonach die von der Beschwerdegegnerin nach Artikel 123 (2) und (3), Artikel 84 sowie Regeln 80 und 43 (2) EPÜ erhobenen Einwände nicht substantiiert worden seien, sind ebenfalls nicht überzeugend, weil die Prima-facie-Gewährbarkeit des Hilfsantrags 8 auch aus Sicht der Kammer - d.h. unabhängig davon, ob bestimmte der von den Beschwerdegegnerinnen erhobenen Einwände ausreichend substantiiert wurden - zu betrachten ist (vgl. Artikel 101 (3) EPÜ). Eine solche Prima-facie-Gewährbarkeit kann hinsichtlich der Erfordernisse des EPÜ - insbesondere derjenigen der Artikel 123(2), 123(3) und 84 - aufgrund des oben erläuterten komplexen Sachverhalts betreffend einen jeden der unabhängigen Ansprüche 1 bis 5 nicht bejaht werden.
Aufgrund dieser Überlegungen sieht die Kammer keinen Grund, der es rechtfertigen würde, von der Ausübung der ihr durch Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumten Befugnis abzusehen, den Hilfsantrag 8 nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
2.3.2 Hilfsantrag 9 besteht ebenfalls aus fünf unabhängigen Ansprüchen 1 bis 5, die sich von den entsprechenden unabhängigen Ansprüchen 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 8 durch weitere Merkmale unterscheiden (vgl. Nr. VIII oben). Dementsprechend gelten die Ausführungen oben unter Nr. 2.3.1 und die gezogenen Schlussfolgerungen betreffend die Frage der Zulassung des Hilfsantrags 8 analog für die Frage der Zulassung des Hilfsantrags 9 (Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 12 (2) VOBK 2020).
2.3.3 Der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 10 ist identisch mit dem unabhängigen Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 8, und der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 11 ist identisch mit dem unabhängigen Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 9. Die Hilfsanträge 10 und 11 weisen damit gegenüber den Hilfsanträgen 8 und 9 nur Streichungen von unabhängigen Ansprüchen auf, sodass dadurch - wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen - die Komplexität sowie der Umfang des zu prüfenden Gegenstands nicht weiter erhöht wird. Der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 10 und der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 11 weisen aber den gleichen komplexen Sachverhalt wie der unabhängige Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 8 und der unabhängige Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 9 auf. Dementsprechend gelten die oben unter Nr. 2.3.1 und 2.3.2 gemachten Ausführungen und gezogenen Schlussfolgerungen betreffend die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 8 und 9 entsprechend für die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 10 und 11 (Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 12 (2) VOBK 2020).
2.4 Aus den vorstehenden Gründen übt die Kammer ihre durch Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Befugnis dahingehend aus, die Hilfsanträge 8 bis 11 nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
3. Hilfsanträge 8a bis 11a - Artikel 13 (1) VOBK 2029
3.1 Die Hilfsanträge 8a, 9a, 10a und 11a wurden mit Schreiben vom 30. Dezember 2019, d.h. nach Einreichung der Beschwerdebegründung, eingereicht. Diese Hilfsanträge stellen daher eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 13 (1) VOBK 2020 - der hier anzuwenden ist, siehe Artikel 25 VOBK 2020 - dar, und ihre Zulassung steht nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer.
Die Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8a bis 11a unterscheiden sich von den entsprechenden Ansprüchen gemäß den Hilfsanträgen 8 bis 11 nur durch eine Änderung des vorletzten Merkmals des unabhängigen Anspruchs 3 gemäß Hilfsantrag 8 bzw. 9 und des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 10 bzw. 11 (vgl. Nr. VIII oben). Diese Änderungen wurden in Reaktion auf die erst in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin 2 vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der Erfordernisse der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ durch die Änderungen im unabhängigen Anspruch 3 gemäß den Hilfsanträgen 8 und 9 und in dem einzigen unabhängigen Anspruch gemäß den Hilfsanträgen 10 und 11 vorgenommen.
Nach Artikel 13 (1) VOBK 2020, vierter Absatz, berücksichtigt die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens über die Zulassung der Hilfsanträge 8a bis 11a verschiedene Kriterien, u.a. ob die Änderung der Verfahrensökonomie abträglich ist.
3.2 Die Beschwerdeführerin bezog sich auf die Ausführungen betreffend die Zulässigkeit der Hilfsanträge 8 bis 11 und machte geltend, dass eine Zulassung der Hilfsanträge 8a bis 11a der Verfahrensökonomie entspreche. Die Hilfsanträge 8a bis 11a seien gewährbar und stellten eine Reaktion dar auf Einwände, die von der Beschwerdegegnerin 2 erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden seien. Außerdem sei die Komplexität der Änderungen gering, da sie eine kleine Änderung in dem unabhängigen Anspruch 3 gemäß den Hilfsanträgen 8a und 9a und in dem einzigen Anspruch gemäß den Hilfsanträgen 10a und 11a beträfen, die zur Ausräumung der von der Beschwerdegegnerin 2 erhobenen Einwände gemäß Artikel 123(2) EPÜ dienten, und diese Hilfsanträge ansonsten mit den Hilfsanträgen 8 bis 11 identisch seien.
Die Beschwerdegegnerin 1 und die Beschwerdegegnerin 2 beantragten, die Hilfsanträge 8a bis 11a nicht zuzulassen, weil sie dieselben Probleme aufwiesen wie Hilfsanträge 8 bis 11.
3.3 Die Kammer ist der Auffassung, dass die oben unter Nr. 3.1, zweiter Absatz, angesprochene Änderung der Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8a bis 11a im Wesentlichen keine Auswirkung auf die Ausführungen in Nr. 2.3.1 bis 2.3.3 oben hinsichtlich der Zulassung der Hilfsanträge 8 bis 11 hat. Das gilt insbesondere für die Ausführungen betreffend den komplexen Sachverhalt, der sich bereits durch die unabhängigen Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8 bis 11 ergibt (Nr. 2.3.1 oben, erster Absatz). Aus diesem Grund ist die Kammer der Auffassung, dass die Zulassung der geänderten Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8a bis 11a der gebotenen Verfahrensökonomie zuwider laufen würde (Artikel 13 (1) VOBK 2020).
Nach Alledem kann die in der mündlichen Verhandlung von Seiten der Kammer gestellte Frage offen bleiben, ob durch eine Zulassung von Hilfsantrag 8 angesichts der geringfügigen Änderung im vorgenannten Anspruch 3 die Vorschrift von Artikel 12 (4) VOBK 2007 relativ leicht umgangen werden könnte, da diese Änderung mit der Hauptsache nichts zu tun habe (siehe Protokoll, Seite 5 oben bis Seite 6 oben.)
3.4 Aus den vorstehenden Gründen übt die Kammer das ihr durch Artikel 13 (1) VOBK 2020 eingeräumte Ermessen dahingehend aus, die Hilfsanträge 8a bis 11a nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4. Mangels zugelassener Anträge ist die Beschwerde daher zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.