T 0866/12 19-09-2013
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Verwendung einer Buchse in einem Laufwerk für ein Schienenfahrzeug
Carl Freudenberg KG
Schwab Schwingungstechnik AG
I. Mit ihrer am 30. Januar 2012 zur Post gegebenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung das europäische Patent EP-B-1 457 707 unter Berufung auf Artikel 100(c) EPÜ widerrufen.
II. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen diese Entscheidung am 3. April 2012 Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde am 5. April 2012 entrichtet, die Beschwerdebegründung ging am 11. Juni 2012 ein.
III. Am 19. September 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die Beschwerdeführerin hatte mit Schreiben vom 29. August 2013 - in Erwiderung auf den Ladungsbescheid der Kammer vom 7. Mai 2013 - angekündigt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK wurde das Verfahren in Abwesenheit der Beschwerdeführerin fortgesetzt.
Am Ende der mündlichen Verhandlung lagen folgende Anträge vor:
Die Beschwerdeführerin beantragte im schriftlichen Verfahren die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des am 11. Juni 2012 mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Basis eines der ebenfalls am 11. Juni 2012 eingereichten Hilfsanträge 1-5.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
IV. Der geltende Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (die im Vergleich zum Anspruch 1 wie erteilt gestrichenen Merkmale sind durchgestrichenen, die neu hinzugefügten Merkmale sind unterstrichen dargestellt):
"Verwendung einer Buchse als Bauteil eines AchslenkerlLagers zum elastischen Verbinden von Teilen eines Laufwerks für Schienfahrzeuge, wobei die Buchse ein äußeres und ein inneres Gehäuse, die einander in radialem Abstand umschließen, um einen Ringspalt zu bilden, umfasst, wobei in dem Ringspalt ein gummielastisches Element vorgesehen ist, das zumindest teilweise wenigstens zwei einander diametral gegenüberliegende Kammern begrenzt, die mit einem hydraulischen Fluid gefüllt sind und über wenigstens einen Überlaufkanal miteinander verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass der Überlaufkanal als passiver Schwingungstilger ohne externe Steuerung des Fluidstroms ausgebildet ist, wobei das Verhältnis zwischen Kanalquerschnitt und Kanallänge so gewählt ist, dass der Schwingungstilger in einem Übergangsbereich der Steifigkeit der hydraulischen Buchse (1), in welchem bei Überschreiten einer Schaltfrequenz, beispielsweise 0,1 bis 1 Hz, ein Übergang der Steifigkeit der hydraulischen Buchse (1) von einer niedrigeren Steifigkeit zu einer höheren Steifigkeit erfolgt, anspricht, wobei das Achslenkerlager bei Erreichen der durch die Buchsengeometrie vorgegebenen Schaltfrequenz selbsttätig, das heißt ohne Schalt- oder Verstellmechanismus, umschaltet."
Die in Anspruch 1 des Hauptantrags vorgenommenen Änderungen finden sich auch in den Hilfsanträgen 1-5, die jeweils noch weitere - für die vorliegende Entscheidung bedeutungslose - Merkmale beinhalten.
V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
Mit den vorgenommenen Änderungen sei der Einspruchsgrund nach Artikel 100(c) EPÜ gegenstandslos.
Zu dem mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 (eingegangen am 15. Oktober 2012) von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ hat die Beschwerdeführerin nicht Stellung genommen.
VI. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
Durch Streichung des Wortes "passiv" werde der Schutzbereich des Patents erweitert, da der Gegenstand nicht mehr auf rein passive Schwingungstilger beschränkt sei. Vielmehr umfasse der Anspruch 1 aller vorliegenden Anträge nun auch die Verwendung von Achslenker-Lagerbuchsen, die eine zusätzliche aktive Komponente umfassen könnten.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Erweiterung des Schutzbereiches - Artikel 123(3) EPÜ
Hauptantrag:
Das in Anspruch 1 im Ereilungsverfahren hinzugefügte Merkmal, wonach der Überlaufkanal als "passiver Schwingungstilger ohne externe Steuerung des Fluidstroms" ausgebildet ist, war in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht offenbart (Hinzufügungen im Vergleich zu Anspruch 1 wie erteilt sind unterstrichen dargestellt). Wie die große Beschwerdekammer in G1/93 festgestellt hat, kann ein unter Artikel 123(2) EPÜ zu beanstandendes, beschränkendes Merkmal im Hinblick auf Artikel 100(c) EPÜ weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Artikel 123(3) EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Nur wenn sich das hinzugefügte Merkmal ohne Verstoß gegen Artikel 123(3) EPÜ durch ein in der ursprünglichen Anmeldung offenbartes anderes Merkmal ersetzen lässt, kann das Patent (in geändertem Umfang) aufrecht erhalten werden (G1/93, Punkt 13 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall bezog sich das von der Einspruchsabteilung unter Artikel 123(2) EPÜ beanstandete Merkmal (s.o.) auf einen passiven Schwingungstilger. Dieser Schwingungstilger war unabhängig von den Frequenzen der anliegenden Schwingungen allgemein als "passiv, ohne externe Steuerung des Fluidstroms" definiert, d.h. als im gesamten möglichen Frequenzbereich "passiv".
Dagegen erfordert das als Ersatz eingefügte Merkmal, dass das Achslenkerlager (und damit auch der Schwingungstilger) lediglich in einem bestimmten Frequenzbereich, nämlich bei Erreichen der durch die Buchsengeometrie vorgegebenen Schaltfrequenz, selbsttätig, das heißt ohne Schalt- oder Verstellmechanismus umschaltet.
Selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerdeführerin annimmt, dass ein "selbsttätiges Umschalten bei Erreichen der durch die Buchsengeometrie vorgegebenen Schaltfrequenz ohne Schalt- oder Verstellmechanismus" als synonymer Ersatz für das Merkmal "passiv, ohne externe Steuerung des Fluidstroms" angesehen werden kann, so umfasst der Anspruch in der im Beschwerdeverfahren vorliegenden Formulierung doch zusätzlich Ausbildungen des Überlaufkanals als nicht-passiver Schwingungstilger. Durch den Anspruchswortlaut ist es nämlich nicht ausgeschlossen, dass dieser Kanal Elemente umfasst, die dazu führen, dass er auch noch in einem von der durch die Buchsengeometrie vorgegebenen Schaltfrequenz verschiedenen Frequenzbereich anspricht. Die dadurch bewirkte nicht-passive Schwingungstilgung war dagegen durch die im erteilten Anspruch gewählte Formulierung für alle Frequenzbereiche ausgeschlossen.
Hierzu wird darauf verwiesen, dass im Bereich der Schwingungstilger semi-aktive und adaptive Systeme bekannt sind, die zusätzlich zu einer passiven Tilgung oberhalb oder unterhalb einer Grenzfrequenz "umgeschaltet" werden (beispielsweise durch Viskositätsänderung des hydraulischen Fluids unter Einfluss eines angelegten elektrischen Feldes). Der Fachmann wird den durch Ersetzen des beanstandeten Merkmals zusätzlich unter den Anspruch fallenden Gegenstand daher nicht als offensichtlich unlogische oder technisch unsinnige Auslegung ausschließen.
Die im vorliegenden Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen führen daher im Vergleich zum Anspruch 1 des erteilten Patents zu einer Erweiterung des Schutzbereichs und erfüllen somit nicht die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ.
Hilfsanträge 1-5:
Da sich die in Anspruch 1 des Hauptantrags vorgenommenen Änderungen auch in den jeweiligen unabhängigen Ansprüchen der Hilfsanträge 1-5 finden, genügen diese den Erfordernissen des Artikels 123(3) EPÜ ebenfalls nicht.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.