T 0278/15 20-01-2020
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Stromkompensierte Drossel und Schaltungsanordnung mit der stromkompensierten Drossel
SEW-Eurodrive GmbH & Co. KG
Schaffner EMV AG
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Spät eingereichte Anträge - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (nein)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das als EP 1 512 214 B1 veröffentlichte europäische Patent (im Folgenden "Streitpatent") zu widerrufen. Das Streitpatent beruht auf einer als WO 03/105328 A1 veröffentlichten internationalen Anmeldung.
II. Grundlage der angefochtenen Entscheidung waren die seinerzeitigen Anträge der Patentinhaberin gerichtet auf die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hauptantrag und hilfsweise gemäß den damaligen Hilfsanträgen 1 bis 4 und 6 bis 19. Den Hauptantrag und den Hilfsantrag 1 hat die Patentinhaberin mit der Einspruchserwiderung und die Hilfsanträge 2 bis 19 nach Erhalt des Ladungszusatzes, einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, eingereicht. Den Hilfsantrag 5 hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zurückgenommen.
III. Die Einspruchsabteilung stellte im Wesentlichen Folgendes in der Entscheidung fest:
- Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ, weil das Merkmal wonach "die Impedanz (Z) ... ein Schwingkreis aus einer Kapazität (C) und einer Induktivität (L) ... ist" ursprünglich nicht offenbart gewesen sei.
- Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, weil der Ausdruck "eine sich ändernde Impedanz, die bei geringen Strömen klein und bei hohen Strömen groß ist" offen lasse, welche Ströme gemeint sind. Zudem sei Anspruch 1 unklar, weil er den Gegenstand des Schutzbegehrens durch das zu erreichende Ergebnis definiere.
- Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 4 verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ, weil das Merkmal: "eine sich in Abhängigkeit der Frequenz ändernde Impedanz ... wobei die Impedanz ... ein steuerbares aktives Bauelement ... ist" ursprünglich nicht offenbart gewesen sei.
- Die Hilfsanträge 6 bis 19 seien zwar fristgerecht eingereicht worden, aber mangels Konvergenz nicht in das Verfahren zuzulassen
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) einen neuen Hauptantrag und neue Hilfsanträge 1 bis 5 ein. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 reichte sie einen neuen Hilfsantrag 1a ein und mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 einen neuen Hilfsantrag 6. Der Hauptantrag ist mit den der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anträgen nicht identisch.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"1. Stromkompensierte Drossel
- mit wenigstens zwei auf einem gemeinsamen Kern (1) angeordneten Wicklungen (W1, W2, W3), die jeweils einen Eingang (E1, E2, E3) und einen Ausgang (A1, A2, A3) aufweisen
- und mit einer zusätzlichen Hilfswicklung (WH) auf dem Kern (1), die einen Eingang (EH) und einen Ausgang (AH) aufweist,
- bei der zwischen dem Eingang (EH) und dem Ausgang (AH) der Hilfswicklung (WH) eine sich ändernde Impedanz (Z) geschaltet ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Impedanz (Z) entweder ein Serienschwingkreis aus einer Kapazität (C) und einer Induktivität (L) oder ein Parallelschwingkreis aus einer Kapazität (C) und einer Induktivität (L) ist.
VI. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 20. Januar 2020 statt.
Die Beschwerdeführerin beantragte,
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten auf der Grundlage des Hauptantrags, eingereicht mit Schreiben vom 8. April 2015,
- hilfsweise auf der Grundlage des Hilfsantrags 1a, eingereicht mit Schreiben vom 28. Oktober 2016,
- weiter hilfsweise auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 8. April 2015,
- weiter hilfsweise auf der Grundlage des Hilfsantrags 6, eingereicht mit Schreiben vom 19. Dezember 2019,
in dieser Reihenfolge.
Die Einsprechenden 1 und 2 (im Folgenden: Beschwerdegegnerinnen 1 und 2) beantragten, die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
VII. Das für die Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beschwerde sei entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen zulässig, da die Änderungen in den mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anträgen die in der angefochtenen Entscheidung dargelegten Mängel unter Artikel 123 (2) EPÜ und Artikel 84 EPÜ überwinden würden. Dies sei in der Beschwerdebegründung unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung dargelegt worden.
Der bereits mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag sei in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. In der Einspruchsverhandlung habe nämlich keine Möglichkeit bestanden, neue Anträge einzureichen, weil die Einspruchsabteilung en bloc über die Zulassung der Hilfsanträge 6 bis 19 entschieden habe und dabei ermessensfehlerhaft allein auf deren fehlende Konvergenz abgestellt habe. Durch die pauschale Nichtzulassung der damaligen Hilfsanträge 6 bis 19 sei der Beschwerdeführerin die Möglichkeit verwehrt worden, die erhobenen Einwände zur unzulässigen Erweiterung auszuräumen. Insbesondere seien auch die Hilfsanträge 7 und 8 nicht zugelassen worden, obwohl diese geeignet gewesen wären, die erhobenen Einwände zu beseitigen.
Der Hauptantrag erfülle zudem die Anforderungen der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ, denn mit der neuen Formulierung würden lediglich die Schwingkreise der ursprünglich eingereichten Ansprüche 5 und 6 beansprucht.
VIII. Das für die Entscheidung relevante Vorbringen der zwei Beschwerdegegnerinnen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beschwerdegegnerin 1 ist der Ansicht, die Beschwerde sei unzulässig, weil die Beschwerdeführerin die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge bereits im Einspruchsverfahren hätte einreichen können. Aus diesem Grund seien die neuen Anträge, die sich nunmehr auf einen neuen, im Einspruchsverfahren nicht behandelten Gegenstand richten, auch nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin 2 ist der Ansicht, die Beschwerde sei unzulässig, weil sich die Beschwerdebegründung nicht hinreichend mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetze. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Einschränkungen, die die im Einspruchsverfahren eingereichten Anträge enthielten, in den neuen Anträgen entfallen seien. Es werde daher ein neuer Fall vorgebracht, was dem Zweck des Beschwerdeverfahrens zuwiderlaufe. Zudem habe die Beschwerdeführerin versäumt, in der Beschwerdebegründung darzulegen, warum sie die geltenden Anträge nicht bereits im Einspruchsverfahren gestellt hat. Aus den dargelegten Gründen sei der Hauptantrag auch nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Hauptantrag Alternativen enthalte, die im Einspruchsverfahren nicht isoliert diskutiert worden seien.
Im Hinblick auf Artikel 84 und 123 (2) EPÜ erklärten die Beschwerdegegnerinnen in der mündlichen Verhandlung keine Einwände zu haben. Schriftsätzlich hatte die Beschwerdegegnerin 1 allerdings bemängelt, dass das Merkmal "eine sich ändernde Impedanz" unklar sei. Dem Fachmann erschließe sich nämlich nicht, von was die sich ändernde Impedanz abhängen solle.
IX. Keine der Parteien erhob Einwände gegen eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.
1. Zulässigkeit der Beschwerde - Artikel 108 Satz 3 EPÜ iVm. Regel 99 Abs. 2 EPÜ
1.1 Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere erfüllt die Beschwerdebegründung die Anforderungen des Artikels 108 Satz 3 EPÜ in Verbindung mit Regel 99 Abs. 2 EPÜ.
1.2 Nach gefestigter Rechtsprechung erfüllt eine Beschwerdebegründung die Anforderungen des EPÜ auch dann, wenn ein neuer Sachverhalt vorgetragen wird, der der Entscheidung die rechtliche Grundlage entzieht (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, V.A.2.6.5 c), erster Absatz m.w.N.). Ein Beschwerdeführer kann insbesondere geänderte Anspruchssätze vorlegen und erläutern, inwiefern diese die in der angefochtenen Entscheidung gerügten Mängel ausräumen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, V.A.2.6.5 c), zweiter Absatz m.w.N.). In diesem Fall ist es für die Zulässigkeit einer Beschwerde nicht unbedingt erforderlich, dass der Beschwerdeführer die angefochtene Entscheidung als fehlerhaft angreift.
1.3 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerdebegründung unter anderem einen neuen Hauptantrag vorgelegt. Sie hat hierzu ausgeführt, dass die Impedanz nunmehr definiert sei als ein Serienschwingkreis aus einer Kapazität und einer Induktivität oder als ein Parallelschwingkreis aus einer Kapazität und einer Induktivität. Der in der angefochtenen Entscheidung aufgrund des allgemeineren Merkmals ,,Schwingkreis" dargelegte Mangel der unzulässigen Erweiterung werde hierdurch beseitigt, weil nunmehr lediglich die Alternativen der ursprünglich offenbarten Ansprüche 5 und 6 beansprucht würden.
Diese Begründung nimmt erkennbar Bezug auf den unter Ziffer 2.1 der angefochtenen Entscheidung zu Artikel 123 (2) EPÜ dargelegten Einwand. Der neue Antrag enthält zudem offensichtlich nicht mehr das von der Einspruchsabteilung unter Artikel 84 EPÜ in Ziffer 2.2 der angefochtenen Entscheidung beanstandete Merkmal (,,eine sich ändernde Impedanz, die bei geringen Strömen klein und bei hohen Strömen groß ist"). Auch die unter Artikel 123 (2) EPÜ in Ziffer 4.1 beanstandete Merkmalskombination einer sich ,,in Abhängigkeit der Frequenz" ändernden Impedanz (Z), bei der die Impedanz ein steuerbares aktives Bauelement (T) ist, ist in dem neuen Hauptantrag offensichtlich nicht mehr enthalten.
Vor diesem Hintergrund lässt die Begründung der Beschwerdeführerin erkennen, dass der neue Hauptantrag darauf abzielt, die in der angefochtenen Entscheidung beanstandeten Mängel auszuräumen und erfüllt damit die oben dargelegten Anforderungen.
1.4 Die Beschwerdegegnerinnen haben zudem geltend gemacht, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil die neuen Anträge bereits im Einspruchsverfahren hätten gestellt werden können.
Dieser Aspekt ist jedoch lediglich für die Frage der Zulassung bzw. Ausschließung eines neuen Antrags in das Beschwerdeverfahren relevant, nicht aber für die Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde.
Artikel 12 (4) VOBK 2007 (zu dessen Anwendbarkeit im Hinblick auf den Hauptantrag nach den maßgeblichen Übergangsbestimmungen s.u. Ziffer 2.2.) ist insoweit zu entnehmen, dass die Anträge, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht werden, den Gegenstand des Verfahrens bilden solange die Beschwerdekammer ihr Ermessen nicht dahingehend ausübt, die Anträge vom Verfahren auszuschließen.
Eine auf einen solchen Antrag gestützte Beschwerdebegründung ist daher unter der Geltung des Artikels 12 (4) VOBK 2007 vom Grundsatz her geeignet, die Voraussetzungen des Artikels 108 Satz 3 EPÜ i.V.m. Regel 99 Abs. 2 EPÜ zu erfüllen, wenn aus der Begründung hervorgeht, warum der neue Antrag geeignet ist, die in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Mängel zu beseitigen.
Selbst wenn die Kammer einen solchen Antrag später in Ausübung ihres Ermessens vom Verfahren ausschließen würde, könnte dies die einmal gegebene Zulässigkeit der Beschwerde nicht rückwirkend beseitigen. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist daher auf der Grundlage aller vom Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingereichten Unterlagen zu überprüfen, selbst wenn sie im weiteren Verlauf vom Verfahren ausgeschlossen werden sollten (vgl. auch Tabelle zu den Änderungen der VOBK mit Erläuterungen, Anmerkung zu Artikel 12 (4) VOBK 2020, Zusatzpublikation 2 - ABl. EPA 2020, Seite 29).
1.5 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin 2 erfordert die Zulässigkeit der Beschwerde auch keine weitere Begründung dazu, warum der Antrag in das Verfahren zuzulassen ist bzw. warum er nicht bereits im Einspruchsverfahren gestellt wurde. Ein mit der Beschwerdebegründung eingereichter Antrag unter der Geltung des Artikels 12 (4) VOBK 2007, ist nämlich - wie bereits dargelegt - (zunächst) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, ohne dass es hierzu einer positiven Zulassungsentscheidung der Kammer bedürfte.
1.6 Ob auch für die weiteren mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge hinreichend begründet wurde, warum sie geeignet sind, die in der angefochtenen Entscheidung dargelegten Einwände zu überwinden, ist für die Zulässigkeit der Beschwerde nicht relevant. Die Zulässigkeit einer Beschwerde kann nämlich nur in ihrer Gesamtheit beurteilt werden, weil das EPÜ keinerlei Grundlage für die "teilweise Zulässigkeit" einer Beschwerde bietet (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, V.A.2.6.8 und V.A.2.6.3 a) 3. Absatz m.w.N.). Es ist daher ausreichend, wenn zumindest ein Antrag - wie hier der Hauptantrag - gemäß Artikel 108 Satz 3 EPÜ in Verbindung mit Regel 99 Abs. 2 EPÜ hinreichend begründet wurde.
2. Zulassung des Hauptantrags - Artikel 12 (4) VOBK 2007, Artikel 25 (2) VOBK 2020
2.1 Änderungen im neuen Hauptantrag
Die Beschwerdeführerin hat den geltenden Hauptantrag erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. Der Hauptantrag ähnelt dem im Einspruchsverfahren gestellten Hilfsantrag 2. Er unterscheidet sich von diesem durch die Streichung der Merkmale ,,in Abhängigkeit der Frequenz" und ,,ein steuerbares aktives Bauelement (T)".
Im Hinblick auf den alten Hilfsantrag 2 hatte die Einspruchsabteilung erstmals in der mündlichen Verhandlung beanstandet, dass die Merkmalskombination einer sich ,,in Abhängigkeit der Frequenz" ändernden Impedanz (Z), bei der die Impedanz ein steuerbares aktives Bauelement (T) ist, nicht ursprünglich offenbart sei.
In dem neuen Hauptantrag wurden die Merkmale ,,in Abhängigkeit der Frequenz" und ,,ein steuerbares aktives Bauelement (T)" gestrichen, um diesen Einwand auszuräumen. Aufgrund dieser Änderung unterscheidet sich der geltende Hauptantrag von dem im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsantrag 2 lediglich durch die Streichung der beanstandeten Merkmalskombination.
Von dem im Einspruchsverfahren weiterverfolgten Hilfsantrag 7 unterscheidet sich der geltende Hauptantrag lediglich dadurch, dass letzterer auf eine "Schaltungsanordnung mit einer stromkompensierten Drossel" gerichtet war, wohingegen der geltende Hauptantrag auf eine "stromkompensierte Drossel" gerichtet und damit breiter ist.
Die Einspruchsabteilung hat den damaligen Hilfsantrag 7 nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen. Sie hat hierzu ausgeführt, dass die Hilfsanträge 6 bis 19 zwar fristgerecht eingereicht worden seien, jedoch keine klare Konvergenz im Hinblick auf einen zu definierenden Gegenstand aufweisen würden (siehe Ziffer 7 Seite 12 f der angefochtenen Entscheidung). Hilfsantrag 6 lasse beispielsweise die Merkmale der Frequenzabhängigkeit der Impedanz fallen. Es sei daher nicht zu erkennen, auf welchen Gegenstand sich die Patentinhaberin überhaupt festlegen wolle (siehe Ziffer 7 Seite 13 dritter Absatz der angefochtenen Entscheidung).
2.2 Anwendbare Vorschriften der VOBK
Die Frage, ob der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag vom Beschwerdeverfahren ausgeschlossen werden sollte, richtet sich vorliegend nach Artikel 12 (4) VOBK 2007, weil die Beschwerdebegründung vor dem 1. Januar 2020 eingereicht wurde.
Gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 gilt die neue Verfahrensordnung ab dem 1. Januar 2020, sofern Artikel 25 (2) und (3) VOBK 2020 keine abweichenden Regelungen enthalten. Gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 ist Artikel 12 (4) VOBK 2020 nicht anzuwenden auf vor dem Inkrafttreten eingereichte Beschwerdebegründungen. Stattdessen ist weiterhin Artikel 12 (4) in der vor dem Inkrafttreten geltenden Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) anzuwenden.
2.3 Ermessensausübung gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007
Die Kammer hat ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend ausgeübt, den Hauptantrag nicht vom Beschwerdeverfahren auszuschließen.
2.3.1 Die fehlende Begründung der erstmaligen Einreichung des Hauptantrags im Beschwerdeverfahren rechtfertigt im vorliegenden Verfahren entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin 2 nicht die Nichtzulassung des neuen Hauptantrags.
In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin allerdings nicht ausgeführt, warum der Hauptantrag erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht wurde. Sie hat in der Beschwerdebegründung auch nicht dargelegt, dass die Einspruchsabteilung bei der Entscheidung über die Nichtzulassung der Hilfsanträge 6 bis 19 ermessens- oder verfahrensfehlerhaft gehandelt hätte. Vielmehr hat sie hierzu erstmals in ihrem Schriftsatz vom 20. Mai 2016 vorgetragen.
Der hier anwendbare Artikel 12 (4) VOBK 2007 enthält jedoch keine Verpflichtung zu begründen, warum ein geänderter Antrag erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt wird. Zudem hat die Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 20. Mai 2016 begründet, warum sie den Hauptantrag erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht hat.
2.3.2 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 hängt die (Nicht-)Zulassung von neuen Anträgen in das Beschwerdeverfahren davon ab, ob ein Beteiligter des Beschwerdeverfahrens in der Lage gewesen wäre, sein Vorbringen früher einzureichen, und ob dies unter den gegebenen Umständen von ihm hätte erwartet werden können.
Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass es sich beim Beschwerdeverfahren um ein Überprüfungsverfahren handelt, d.h. ein Verfahren, in dem die erstinstanzliche Entscheidung überprüft wird, und nicht über einen gänzlich neuen Sachverhalt entschieden wird. Die Zulassung eines neuen Antrags ist daher insbesondere dann in Frage zu stellen, wenn der Patentinhaber auch schon im Einspruchsverfahren sachdienliche Anträge zur Ausräumung bekannter Einwände hätte stellen können und sollen und/oder wenn der Gegenstand des neuen Antrags, wie hier, eine Erweiterung des im Rahmen des Einspruchsverfahrens beanspruchten Gegenstands darstellt.
2.3.3 Der Beschwerdeführerin kann vorliegend nicht vorgeworfen werden, dass sie vor der Einspruchsabteilung keine sachdienlichen Anträge gestellt hätte, die geeignet gewesen wären, den neuen Einwand auszuräumen.
Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass der neue Hauptantrag der Beschwerdeführerin einen Einwand ausräumt, der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und zwar im Hinblick auf den Gegenstand des damaligen Hilfsantrags 2 beanstandet worden ist.
Die von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren schon vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 6 bis 19 hätten diesen neuen Einwand ausgeräumt, da die erstmals in der mündlichen Verhandlung beanstandete Merkmalskombination in diesen nicht mehr vorhanden war. Dies gilt insbesondere auch für den damaligen Hilfsantrag 7, der sich von dem damaligen Hilfsantrag 2 lediglich dadurch unterschied, dass das erstmals in der mündlichen Verhandlung beanstandete Merkmal fehlte und eine zusätzliche Einschränkung auf eine Schaltanordnung mit einer Drossel vorgenommen worden war. Die Einspruchsabteilung hat den Hilfsantrag 7 gleichwohl mangels Konvergenz nicht in das Verfahren zugelassen.
Vorliegend kann dahinstehen, ob das Konvergenzkriterium im Einspruchsverfahren ein geeigneter Maßstab ist, um die Nichtzulassung von Anträgen zu rechtfertigen, die im Einspruchsverfahren fristgerecht (im Sinne von Regel 116 EPÜ) eingereicht werden, und die geeignet sind, die von der Einspruchsabteilung im Ladungszusatz erhobenen Einwände unter den Artikeln 123 (2) und 84 EPÜ auszuräumen. Denn jedenfalls im Hinblick auf die erstmals in der mündlichen Verhandlung erörterten Einwände unter Artikel 123 (2) EPÜ wäre die Zulassung eines neuen Antrags geboten gewesen, auch wenn dieser infolge der Streichung des nach Artikel 123 (2) EPÜ beanstandeten Merkmals nicht konvergent gewesen wäre.
Im Hinblick auf das Vorgehen der Einspruchsabteilung, trotz der erstmals in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände selbst den - im Vergleich zum geltenden Hauptantrag engeren - Hilfsantrag 7, nicht zuzulassen, kann der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen werden, dass sie den geltenden Hauptantrag nicht bereits im Einspruchsverfahren gestellt hat.
Darüber hinaus ist der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung auch nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin überhaupt die Möglichkeit hatte, zur Nichtzulassung des Hilfsantrags 7 vorzutragen. Die Einspruchsabteilung hat ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung nämlich - entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigung, über die Zulassung jedes Hilfsantrags einzeln zu entscheiden (vgl. Niederschrift, Seite 3, letzter Satz von Ziffer 4) - en bloc über die Zulassung der Hilfsanträge 6 bis 19 entschieden, ohne dies zuvor anzukündigen und die Parteien dazu anzuhören (vgl. Niederschrift unter Ziffer 7).
2.3.4 Die Beschwerdeführerin hatte im Übrigen auch keine Gelegenheit, sogleich nach der Erörterung des seinerzeitigen Hilfsantrags 2 durch eine Streichung der neuerlich beanstandeten Merkmalskombination zu reagieren, da die Einspruchsabteilung zeitgleich die Hilfsanträge 3 und 4 mitgeprüft hat.
2.3.5 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen werden kann, dass sie den geltenden Hauptantrag nicht bereits im Einspruchsverfahren gestellt hat. Die Kammer hat den Hauptantrag daher nicht vom Verfahren ausgeschlossen.
3. Artikel 84 und 123 (2) EPÜ
Der Hauptantrag erfüllt die Voraussetzungen der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ. Die Beschwerdegegnerinnen haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, insoweit keine Einwände zu haben.
Der Hauptantrag entspricht auch nach der Ansicht der Kammer Artikel 123 (2) EPÜ, denn die vorgenommenen Änderungen finden ihre Grundlage in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 5 und 6.
Im Hinblick auf den von der Beschwerdegegnerin 1 schriftsätzlich erhobenen Einwand unter Artikel 84 EPC im Hinblick auf das Merkmal "eine sich ändernde Impedanz" ist anzumerken, dass sich dieses Merkmal bereits im erteilten Anspruch 1 befunden hat, und daher einer Prüfung im Einspruchsverfahren nicht zugänglich ist (vgl. G 3/14, Entscheidungsformel, OJ 2015, 102 ff).
4. Zurückverweisung, Artikel 111(1) EPÜ, Artikel 11 VOBK 2020
Die weiteren Einwände der Beschwerdegegnerinnen bezüglich mangelnder Offenbarung der Erfindung, mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden im Einspruchsverfahren weder im Hinblick auf die seinerzeitigen Anträge noch im Hinblick auf den geltenden Hauptantrag geprüft. Die Zurückverweisung ist daher mit Blick auf das in Artikel 12 (2) VOBK 2020 normierte vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen, angebracht. Da die Parteien zudem keine Einwände gegen eine Zurückverweisung der Angelegenheit erhoben haben, sprechen die Gründe des Falles für eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.