T 1399/22 (Automatisierte Diagnostik/LIEBEL) 26-10-2023
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Automatisierte Diagnostik
Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
I. Der Anmelder hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 14002593.3 zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.
II. Die Prüfungsabteilung entschied, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Offenbarungsgehalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausginge (Artikel 123 (2) EPÜ). Unter der Überschrift "Obiter dictum" wurden Einwände nach Artikel 56, 83 und 84 EPÜ erhoben.
III. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die Prüfungsabteilung gegen die Verpflichtung auf Gewährung des rechtlichem Gehör verstoßen habe. Er beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und auf der Grundlage der mit Schreiben vom 22. Mai 2022 eingereichten Ansprüche ein Patent zu erteilen.
IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gab die Kammer als vorläufige Stellungnahme an, dass die Prüfungsabteilung das Recht auf rechtliches Gehör gewahrt habe, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und dass Anspruch 1 nicht klar sei.
V. Der Beschwerdeführer nahm schriftlich zur Mitteilung der Kammer Stellung. Er erklärte, dass er der mündlichen Verhandlung nicht beiwohnen werde. Daraufhin sagte die Kammer die mündliche Verhandlung ab.
VI. Anspruch 1 lautet wie folgt:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
VII. Entscheidungsrelevante Argumente der Beschwerdeführerin sind in den Entscheidungsgründen wiedergegeben.
1. Die Anmeldung bezieht sich auf die automatisierte Diagnostik.
2. Rechtliches Gehör
2.1 Der Beschwerdeführer hat geltend gemacht, dass die Prüfungsabteilung gegen die Verpflichtung auf Gewährung von rechtlichem Gehör verstoßen habe, indem sie ihm keine Gelegenheit gegeben habe, auf einen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ durch Änderung der Anträge zu reagieren.
2.2 Laut Artikel 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des EPA nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Die Prüfungsabteilung hat ihre Entscheidung auf den Einwand gestützt, dass das hinzugefügte Merkmal "wobei zwei stochastisch unabhängige Ursachen K1 und K2 auch stochastisch selbständig sind, wenn die Inhibitoren des von K1 ausgehenden Erzeugungsvorgangs stochastisch unabhängig von den Inhibitoren des von K2 ausgehenden Erzeugungsvorgangs sind" eine unzulässige Änderung gemäß Artikel 123 (2) EPÜ sei. Aus dem Protokoll der Verhandlung geht hervor, dass der Beschwerdeführer zu diesem Einwand Stellung nehmen konnte. Des Weiteren wurden die diesbezüglichen Argumente des Anmelders in der schriftlichen Entscheidung gewürdigt (siehe Entscheidungsgründe 1.2 und 1.3). Die Prüfungsabteilung hat also das Recht auf rechtliches Gehör gewahrt.
2.3 Die Kammer stellt ferner fest, dass die Frage des Vorsitzenden der Prüfungsabteilung, ob der Beschwerdeführer noch weitere Anträge habe, von diesem verneint wurde.
3. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 bezieht sich auf ein computerimplementiertes Verfahren "zur Anwendung in der Medizin, unter anderem zur Auswertung von EKG-Aufzeichnungen". Das Verfahren bestimmt auf der Grundlage von nicht näher bezeichneten "Indizien oder Symptomen", welche von vier konkurrierenden Diagnosen Ki' zutreffen könnte. Die Schritte des Verfahrens sind reiner mathematischer Natur, insbesondere beschäftigen sie sich nicht mit der tatsächlichen Auswertung von EKG-Aufzeichnungen, und ihre Implementierung auf einen konventionellen Computer erfordert keine spezifische Hardware oder technische Überlegungen zur internen Funktionsweise des Computers.
3.2 Laut Beschwerdeführer werde das Verfahren in der Medizintechnik eingesetzt und bestehe der bewirkte technische Effekt in dem Auswurf der Zahlenwerte für die Diagnose-Wahrscheinlichkeiten. Es werde also eine medizinische Diagnose durch ein automatisiertes System erstellt, dass physiologische Messungen verarbeite. Der Beschwerdeführer verwies auf die Richtlinien für die Prüfung im EPA, G-II, 3.3, in denen als Beispiel für technische Beiträge einer mathematischen Methode "Erstellung einer medizinischen Diagnose durch ein automatisiertes System, das physiologische Messungen verarbeitet" aufgeführt ist.
3.3 Die Kammer merkt an, dass das beanspruchte Verfahren weder Schritte zur Messung spezifischer physiologischer Daten umfasst, noch zur Erstellung einer spezifischen medizinischen Diagnose auf der Grundlage medizinischer Kenntnisse führt. Es handelt sich also nicht um ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren, dass im Übrigen nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommenen wäre. Die Ermittlung der "Aufwertungsfaktoren" basiert ausschließlich auf bereits vorhandenen oder vom Benutzer einzugebenden Wahrscheinlichkeitsdaten, nicht auf physiologischen Daten, geschweige denn auf im Rahmen des Verfahrens gemessenen physiologischen Daten. Außerdem haben die Ergebnisse der beanspruchten Berechnungen auch keinen impliziten technischen Nutzen, der die Grundlage für eine implizite technische Wirkung bilden könnte; der Auswurf von Zahlenwerte ist an sich keine technische Wirkung.
3.4 Da das beanspruchte Verfahren keine technische Wirkung gegenüber einem konventionellen Computer erzielt, beruht der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
4. Da dem Antrag des Beschwerdeführers nicht stattgegeben werden kann, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.