Kleine Turbine – große Wirkung für die Energiegewinnung aus Wasserkraft: Miroslav Sedláček ist Finalist für den Europäischen Erfinderpreis 2016
- Der tschechische Ingenieur Miroslav Sedláček entwickelte eine Flüssigkeitsturbine ohne Schaufelblätter
- Bahnbrechende Technologie für Energiegewinnung aus Wasserkraft für den Europäischen Erfinderpreis 2016 in der Kategorie Forschung nominiert
- Kleine Flüssigkeitsturbine erzeugt mit hohem Wirkungsgrad Strom aus Wasserwirbeln
- Stromerzeugung wird nun auch bei langsam fließenden und kleinen Gewässern möglich
- Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes: „Sedláčeks Erfindung könnte einen Paradigmenwechsel in der sauberen Stromerzeugung aus Wasserressourcen bedeuten."
München, 26. April 2016 - Ein Leben ohne Energie ist in der modernen Welt undenkbar: Jedes Jahr steigt der weltweite Energiebedarf laut BP Statistical Review of World Energy um 1,4 Prozent. Das bedeutet, dass sich der weltweite Verbrauch bis zum Jahr 2035 um mehr als ein Drittel gegenüber 2015 erhöhen wird. Erneuerbare Energien sind nicht zuletzt aus diesem Grund eine wichtige Alternative zu fossilen Brennstoffen. Dabei spielt die Wasserkraft momentan eine eher untergeordnete Rolle. Gerade drei Prozent des Energiemixes in der Europäischen Union werden derzeit aus der Wasserkraft gedeckt, in den USA sind es rund sechs Prozent. Dies könnte sich bald ändern.
Seit mehr als 130 Jahren werden Wasserkraftwerke zur Stromerzeugung genutzt. Um Elektrizität zu gewinnen waren bis dato jedoch hohe Fließgeschwindigkeiten oder große Fallhöhen des Wassers nötig - viele Gewässer eigneten sich aus diesem Grund nicht, um Strom aus hydrokinetischer Energie erzeugen zu können. Ein großes Ressourcenpotenzial blieb deshalb bis heute ungenutzt.
Die kompakte Flüssigkeitsturbine, die der tschechische Ingenieur Miroslav Sedláček (65) entwickelt hat, eröffnet die Möglichkeit, auch langsam fließende Gewässer zur Stromerzeugung zu nutzen. Sie ist in der Lage, bereits mit niedrigsten Durchflussgeschwindigkeiten von weniger als zwei Litern pro Sekunde effektiv zu arbeiten. Die Funktionsweise der Erfindung baut auf dem physikalischen Prinzip sich drehender Flüssigkeiten auf - dem so genannten „Vortex Effekt" in Wasserwirbeln. Die Turbine ermöglicht somit erstmals, auch aus Bächen, kleinen Flussläufen oder Gezeitenströmen Elektrizität zu generieren. Die Energiegewinnung aus Wasser wird damit auch für gering entwickelte und schwer erschließbare Regionen rund um den Globus attraktiv.
Für diese Erfindung hat das Europäische Patentamt (EPA) Miroslav Sedláček als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2016 in der Kategorie „Forschung" nominiert. Am 9. Juni 2016 wird die begehrte Auszeichnung im Rahmen eines Festakts in Lissabon zum nunmehr elften Mal verliehen.
„Die Erfindung von Miroslav Sedláček könnte einen Paradigmenwechsel im Bereich der zur sauberen Stromerzeugung aus Wasserkraft verfügbaren Ressourcen bedeuten", so EPA-Präsident Benoît Battistelli. „Sie könnte dem Anteil der Wasserkraft im Gesamt-Energie-Mix einen gewaltigen Schub verleihen, um auf diese Weise dem wachsenden Energiebedarf mit Ressourcen aus erneuerbaren Energien angemessen zu begegnen."
Forschungsprinzip: Trial and error
Bereits unmittelbar nachdem er die Wirtschaftsuniversität in Prag1976 mit einem Ingenieurabschluss verlassen hatte begann Miroslav Sedláček, sich mit der Stromerzeugung auf Basis hydrodynamischer Prinzipien zu beschäftigen. Insbesondere der Vortex-Effekt ließ ihn nicht mehr los: Seine Forschungen in diesem Bereich verhalfen ihm zum Durchbruch bei der Entwicklung einer neuen Technologie zur Stromgenerierung aus Wasserkraft. Heute ist er Lehrbeauftragter an der Tschechischen Technischen Universität in Prag, wo er an der Fakultät für Wirtschaft und Management im Ingenieurbau forscht. Sedláček ist außerdem Mitglied der Tschechischen Gruppe der Erfinder und Entwickler sowie der Vereinigung zur Entwicklung von Erfindungen und geistiger Eigentumsrechte. Er ist an 15 Patenten beteiligt.
Ein Spaziergang an der Moldau in Prag war es, der den Anstoß zur Erfindung der Flüssigkeitsturbine gab. Beim Blick auf die Wasserstrudel im Fluss stellte er sich die Frage, welche physikalischen Gesetzmäßigkeiten jene Kraft erzeugen, die das Wasser in eine kreisende Bewegung zwingt. Er begann zu grübeln, ob und wie sich diese Kraft zur Erzeugung elektrischer Energie nutzen ließe. Auf dieser Basis begann er gemeinsam mit seinen Kollegen an der Tschechischen Technischen Universität, Vladimír Novák und Václav Beran, an der Entwicklung und Patentierung einer Flüssigkeitsturbine zu arbeiten. Zunächst musste der Ingenieur definieren, wie die Kraft des Wasserstrudels aufgenommen und an einen Generator übertragen werden kann. Die Herausforderung lag in der Tatsache, dass die üblichen propellerartigen Schaufelturbinen nicht genutzt werden konnten. Die geringen Kräfte eines Wasserwirbels reichten schlicht nicht aus, sie anzutreiben. Erschwerend kam hinzu, dass sich viele Versuche vorab nicht berechnen ließen, weshalb Sedláček gezwungen war, seine Ideen wieder und wieder auszuprobieren. Zwölf Jahre lang testete und verbesserte er gemeinsam mit seinem Team die Versuchsanordnungen, fünf Patente meldete er während dieser Zeit an. Erfolg hatte er schließlich, nachdem er sich intensiv mit dem „Vortex Effekt" beschäftigte und es ihm gelang, den Sog eines natürlichen Wasserwirbels nachzubilden und damit die Fließgeschwindigkeit des Wassers deutlich zu erhöhen. Dazu leitete er Wasser durch einen röhrenförmigen Kanister, in dem ein halbkugelförmiger Rotor installiert war: Fließt das Wasser am Rotor entlang, entsteht ein instabiles Strömungsfeld, welches einen Wasserwirbel erzeugt. Die damit verbundenen Umlaufgeschwindigkeiten bewirken eine Kraftwechselwirkung zwischen Wasser und Rotor. Über eine Welle, die mit dem Rotor verbunden ist, lässt sich die kinetische Energie an den Generator übertragen, der sie in elektrische umwandelt: „Mit diesem neuen hydrodynamischen Prinzip kann man die Kraft des Wassers mit einfachen Mitteln ausnutzen. Aus diesem Grund wird die Ökologie in einem natürlichen Fließgewässer auch nicht gestört. Wir können auf umweltfreundliche Weise absolut saubere Energie erzeugen", erläutert Miroslav Sedláček die Vorzüge seiner Erfindung.
Kleinste Gewässer zur Stromerzeugung nutzen
Optimale Wirkungsgrade von 50 bis 60 Prozent erreicht die Flüssigkeitsturbine, die gerade so groß wie eine handelsübliche Mikrowelle ist, mit Durchlaufraten von 22 bis 250 Litern pro Sekunde. Bis zu zehn Kilowattstunden Strom pro Tag lassen sich damit aus Wasserkraft gewinnen - genug, um einzelne Häuser und kleine landwirtschaftliche Betriebe und Gemeinden mit Strom zu versorgen. Im Juni 2015 wurde die Flüssigkeitsturbine zur Nutzung von Meeres- und Gezeitenströmungen unter dem Namen SETUR Bladeless Turbine von dem in Florida ansässigen Start-up-Unternehmen Vortex Hydrokinetics auf den Markt gebracht. Kommunen und Versorgungsunternehmen haben bereits Interesse signalisiert - darunter auch die in Deutschland ansässige E.On-Gruppe, die derzeit das Potenzial der Flüssigkeitsturbine testet. Die Variante für Anwendungen in Flüssen und Bächen wird seit Oktober 2015 unter dem Markennamen Bladeless Roll Turbine (BRT) von dem Prager Unternehmen P.F - Economy Beratung vermarktet.
Bedeutender Schub für Strom aus Wasserkraft
Die Erfindung von Sedláček lässt sich sowohl als Einzellösung als auch im Verbund nutzen und kann dem Strom aus hydrokinetischer Energie zu einem gewaltigen Schub nach vorn verhelfen und global auf Erfolgskurs bringen. Strom allein aus Wellen- und Gezeitenenergie wird laut European Ocean Energy Association bis zum Jahr 2050 in Europa 188 Gigawatt (GW) und damit 15 Prozent des europäischen Strombedarfs und bis zu 20 Prozent der nationalen Nachfrage in einzelnen Ländern abdecken können. Sedláčeks Erfindung könnte bei der Umsetzung dieser Prognose eine entscheidende Rolle spielen. Nach Berechnungen steigt der Gesamtumsatz der hydrokinetischen Stromerzeugung bis 2017 allein in Nordamerika auf etwa 163,3 Mio. US-Dollar beziehungsweise 148,7 Mio. Euro. Schätzungen zufolge erwirtschaften die Mitglieder der EU im Sektor der erneuerbaren Energien bereits heute mehr als 130 Mrd. Euro und erzielen Exportwerte von 35 Mrd. Euro - Tendenz ebenfalls steigend.
Weiterführendes Informationsmaterial:
Erfahren Sie mehr über den Erfinder
Der Blick auf das Patent: EP2171260
Die Zukunft sauberer Energieerzeugung: Patentierte Erfindungen ebnen den Weg
Dank der Flüssigkeitsturbine ist es möglich,
aus bisher nicht nutzbaren Gewässern erhebliche Mengen elektrischer Energie zu
erzeugen. Damit ordnet sich die Erfindung in eine neue Reihe patentierter
Erfindungen ein, den heutigen Stand der Technik im Hinblick auf Sonnen-, Wind-,
Wasser- und Energie aus Biomasse vorantreiben. Weitere Informationen über Erfindungen zur nachhaltigen Energieerzeugung.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Über das Europäische Patentamt (EPA)
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