G 0002/92 (Nichtzahlung weiterer Recherchengebühren) 06-07-1993
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Uneinheitlichkeit der Erfindung
Bedeutung der Nichtzahlung weiterer Recherchengebühren
Zusammenfassung des Verfahrens
I. Der Präsident des EPA hat der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) b) EPÜ folgende Rechtsfrage vorgelegt: Kann ein Anmelder, der es bei einer uneinheitlichen Anmeldung unterläßt, auf eine Aufforderung der Recherchenabteilung nach Regel 46 (1) EPÜ weitere Recherchengebühren zu entrichten, den Gegenstand, für den keine Recherchengebühren entrichtet wurden, in diese Anmeldung weiterverfolgen, oder ist er gezwungen, für diesen Gegenstand eine Teilanmeldung einzureichen?
In seiner Vorlage hat der Präsident darauf hingewiesen, daß die Technischen Beschwerdekammern 3.5.1 und 3.2.1 in den Beschwerdeverfahren T 178/84 (ABl. EPA 1989, 157) bzw. T 87/88 vom 29. November 1991 (zur Veröffentlichung im ABl. EPA bestimmt) in der vorgenannten Frage voneinander abweichende Entscheidungen erlassen haben.
In der Vorlage werden der Inhalt dieser beiden Entscheiungen und das Ausmaß erörtert, in dem sie hinsichtlich der Rechtsfolgen für einen Anmelder voneinander abweichen, der eine weitere Recherchengebühr, zu deren Zahlung er nach Regel 46 (1) EPÜ aufgefordert wurde, nicht entrichtet; es wird auch auf die im EPA in dieser Frage übliche Praxis verwiesen, die in den Richtlinien, C-VI, 3.2a, dargelegt ist und die auf den in der Entscheidung T 178/84 aufgestellten Grundsätzen beruht.
II. In der Entscheidung T 178/84 prüfte die Technische Beschwerdekammer 3.5.1 die Bedeutung der Regel 46 (1) EPÜ in Fällen, in denen zur Zahlung einer weiteren Recherchengebühr aufgefordert, diese jedoch nicht entrichtet wurde und die Anmeldung daher auf der Grundlage eines teilweisen Recherchenberichts für die zuerst in den Patentansprüchen erwähnte Erfindung bis zur Sachprüfung nach Artikel 96 EPÜ ordnungsgemäß weitergeführt wurde. Auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen des EPÜ vertrat diese Kammer die Auffassung, daß es generell in der Absicht des EPÜ liege, dem Anmelder die Entscheidung darüber zu überlassen, mit welchem Gegenstand eine Patentanmeldung weitergeführt werden soll,daß es aber "eindeutig die Absicht der Regel 46 (1) EPÜ ist, von einem Verzicht auf einen Gegenstand in einer bestimmten Patentanmeldung auszugehen, wenn ... die weitere Recherchengebühr für diesen Gegenstand nicht innerhalb der ... Frist entrichtet wird". Die Kammer erläuterte weiterhin: "Die Regel 46 (1) EPÜ wäre sonst rechtsunwirksam, und Erfindungen, für die die erforderliche Recherchengebühr nicht entrichtet worden ist, könnten in der entsprechenden Patentanmeldung genauso weiterverfolgt werden wie Erfindungen, für die diese Gebühr ordnungsgemäß entrichtet worden ist. Dies würde keinen Sinn ergeben und somit der Absicht der Regel 46 (1) EPÜ zuwiderlaufen".
Es scheint, daß der Begriff "Verzicht" in der in dieser Entscheidung verwendeten Bedeutung sich nicht auf einen sachlichen Verzicht des Anmelders auf Patentschutz für diesen Gegenstand bezieht, sondern daß dieser Begriff in einem engeren Sinne verwendet wird, um lediglich darauf hinzuweisen, daß ein Schutz für den betreffenden Gegenstand als solchen in dieser Patentanmeldung nicht mehr möglich ist.
III. Die Bedeutung der Regel 46 (1) EPÜ wurde auch von der Technischen Beschwerdekammer 3.2.1 in der Entscheidung T 87/88 geprüft. In dem Fall, der Gegenstand dieser Entscheidung ist, hatte die Recherchenabteilung die Auffassung vertreten, daß die ursprünglich mit der europäischen Patentanmeldung eingereichten Patentansprüche sich entgegen Artikel 82 EPÜ auf zwei getrennte Erfindungen bezögen, und hatte daher zur Zahlung einer weiteren Recherchengebühr nach Artikel 46 (1) EPÜ aufgefordert, die der Anmelder nicht entrichtete. Dementsprechend hatte die Recherchenabteilung einen Recherchenbericht für die zuerst in den Patentansprüchen erwähnte Erfindung erstellt.
Nach Erhalt des Recherchenberichts hatte der Anmelder zwei weitere Anspruchssätze in einem Hauptantrag und in einem Hilfsantrag eingereicht. Im Anschluß an die Prüfung der Anmeldung nach Artikel 96 EPÜ wies die Prüfungsabteilung die Anmeldung nach Artikel 97 EPÜ mit der Begründung zurück, daß sich der Gegenstand der Patentansprüche des Haupt- oder des Hilfsantrags nicht auf dieselbe Erfindung beziehe, die in den ursprünglich mit der Anmeldung eingereichten Patentansprüchen zuerst erwähnt worden und die der einzige Gegenstand des europäischen Recherchenberichts gewesen sei, so daß der Gegenstand des Haupt- oder des Hilfsantrags nur in einer Teilanmeldung nach Artikel 76 EPÜ weiterverfolgt werden könne.
In ihrer Entscheidung über die Beschwerde des Anmelders gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung wich die Technische Beschwerdekammer 3.2.1 ausdrücklich von den in der Entscheidung T 178/84 dargelegten und unter der vorstehenden Nummer II zitierten Grundsätzen hauptsächlich aus folgendem Grund ab: Wenn nach Regel 46 (1) EPÜ beabsichtigt gewesen wäre, daß die Nichtzahlung weiterer Recherchengebühren, zu deren Zahlung die Recherchenabteilung aufgefordert hatte, für den Anmelder den Verlust seines Wahlrechts bedeuten sollte, nämlich zu entscheiden, welchen der in der ursprünglichen Anmeldung offenbarten Gegenstände er in dieser Anmeldung beanspruchen wolle, so wäre dies ausdrücklich geregelt worden; hingegen bestimme Regel 46 (1) Satz 3 EPÜ lediglich, daß die Recherchenabteilung infolge der Nichtzahlung der weiteren Recherchengebühren den europäischen Recherchenbericht nur für die Teile der Anmeldung erstellt, die sich auf die Erfindungen beziehen, für die Recherchengebühren entrichtet worden sind.
Begründung der Stellungnahme
1. Regel 46 EPÜ ist Teil des Verfahrenssystems, das in Gang gesetzt wird, wenn eine europäische Patentanmeldung entsprechend den Erfordernissen des Artikels 78 EPÜ eingereicht und ihr nach Artikel 80 EPÜ ein Anmeldetag zuerkannt wird. Artikel 78 (2) EPÜ schreibt vor, daß für jede solche Anmeldung eine Anmeldegebühr und eine Recherchengebühr innerhalb eines Monats nach Einreichung der Anmeldung zu entrichten sind; bei Nichtzahlung gilt die Anmeldung nach Artikel 90 3) EPÜ als zurückgenommen.
Steht der Anmeldetag einer Anmeldung fest und gilt die Anmeldung nicht als zurückgenommen, so erstellt die Recherchenabteilung nach Artikel 92 EPÜ den europäischen Recherchenbericht auf der Grundlage der Patentansprüche der Anmeldung (unter angemessener Berücksichtigung der Beschreibung und der vorhandenen Zeichnungen).
Regeln 44 bis 47 EPÜ enthalten die entsprechenden Durchführungsvorschriften. Insbesondere befaßt sich Regel 46 (1) EPÜ mit der Situation, die entsteht, wenn die Anmeldung nach Auffassung der Recherchenabteilung nicht dem Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung gemäß Artikel 82 EPÜ entspricht und somit Gegenstände enthält, die sich auf mehr als eine Erfindung beziehen. In diesem Fall ist ein teilweiser europäischer Recherchenbericht für die Teile der Anmeldung zu erstellen, die sich auf die zuerst in den Patentanprüchen erwähnte Erfindung (oder Gruppe von Erfindungen im Sinne des Artikels 82 EPÜ) beziehen. Darüber hinaus ist dem Anmelder mitzuteilen, daß für jede weitere Erfindung innerhalb einer bestimmten Frist eine zusätzliche Recherchengebühr zu entrichten ist, wenn sich der Recherchenbericht auch darauf beziehen soll. Sind zusätzliche Gebühren ordnungsgemäß entrichtet worden, so erstellt die Recherchenabteilung den Recherchenbericht "für die Teile der europäischen Anmeldung, die sich auf die Erfindungen beziehen, für die Recherchengebühren entrichtet worden sind".
Nach Regel 86 (1) EPÜ darf der Anmelder den Inhalt einer Anmeldung (mit Ausnahme formaler Mängel nach Regel 41 EPÜ) vor Erhalt des europäischen Recherchenberichts nicht ändern. Nach Erhalt des europäischen Recherchenberichts und vor Erhalt des ersten Bescheids der Prüfungsabteilung kann der Anmelder die Anmeldung nach Regel 86 (2) EPÜ jedoch ändern.
Nach Veröffentlichung der Anmeldung und des europäischen Recherchenberichts gemäß Artikel 93 (2) EPÜ und nach Stellung des Prüfungsantrags und Zahlung der Prüfungsgebühr gemäß Artikel 94 EPÜ wird die Anmeldung von einer Prüfungsabteilung daraufhin geprüft, ob sie die Erfordernisse des EPÜ (einschließlich des Erfordernisses der Einheitlichkeit der Erfindung gemäß Artikel 82 EPÜ) erfüllt. War die Recherchenabteilung der Auffassung, daß die Anmeldung dem Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nicht entspreche, und hatte sie zur Zahlung einer oder mehrerer zusätzlicher Recherchengebühren aufgefordert, die dann auch entrichtet wurden, so kann der Anmelder nach Regel 46 (2) im Verlauf der Prüfung die Erstattung dieser zusätzlichen Recherchengebühren beantragen und diese Erstattung erhalten, wenn die Anmeldung nach Auffassung der Prüfungsabteilung (im Gegensatz zur Auffassung der Recherchenabteilung) das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach Artikel 82 EPÜ erfüllt.
Während Regel 46 (1) EPÜ die Möglichkeit vorsieht, daß ein Anmelder für eine bestimmte Anmeldung mehr als eine Recherchengebühr entrichten kann, ist vorgeschrieben, daß für eine Anmeldung nur eine einzige Prüfungsgebühr gezahlt wird.
2. Aus dem vorstehend dargestellten Verfahrenssystem wird deutlich, daß eine europäische Patentanmeldung als Voraussetzung einer Erteilung Patentansprüche enthalten muß, die sich nur auf eine einzige Erfindung beziehen.
Bezieht sich eine Anmeldung in der eingereichten Fassung nach Auffassung der Recherchenabteilung auf mehr als eine Erfindung, so kann im Recherchenstadium eine Recherchengebühr für jede dieser Erfindungen entrichtet werden; der Recherchenbericht wird nur für die Erfindungen erstellt, für die Recherchengebühren entrichtet wurden. Im Prüfungsstadium ist angesichts des Erfordernisses der Einheitlichkeit der Erfindung und der Tatsache, daß für jede Anmeldung nur eine Prüfungsgebühr zu entrichten ist, auch nur eine Erfindung in jeder Anmeldung auf Erfüllung des Erfordernisses der Patentierbarkeit und sonstiger Erfordernisse des EPÜ zu prüfen.
Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer geht aus dem vorstehend beschriebenen Verfahrenssystem auch klar hervor, daß es sich bei der auf Patentierbarkeit zu prüfenden Erfindung um eine Erfindung handeln muß, für die vor Erstellung des europäischen Recherchenberichts eine Recherchengebühr entrichtet wurde. Wie vorstehend dargelegt, sieht der vierte Teil des EPÜ (der die Artikel 90 bis 98 EPÜ betreffend das "Erteilungsverfahren" enthält) vor, daß die Anmeldung nach der Einreichung von der Recherchenabteilung an die Prüfungsabteilung weitergeleitet wird. Regel 46 EPÜ sieht zur Durchführung dieses Verfahrens vor, daß zu jeder einzelnen Anmeldung eine Recherche angemessenen Umfangs durchgeführt wird, bevor sie der Prüfungsabteilung zugeleitet wird. Zu diesem Zweck hat der Anmelder auf Aufforderung der Recherchenabteilung eine oder mehrere weitere Recherchengebühren für eine oder mehrere weitere Erfindungen, auf die sich die Anmeldung bezieht, zu zahlen, wenn er sicherstellen will, daß eine der weiteren Erfindungen Gegenstand der Patentansprüche dieser Anmeldung werden kann. Diese zutreffende Auslegung der Regel 46 (1) EPÜ ergibt sich aus ihrem Zusammenhang.
Wie vorstehend unter Nummer 1 erörtert, kann der Anmelder im Prüfungsstadium die Auffassung der Recherchenabteilung hinsichtlich der mangelnden Einheitlichkeit anfechten und eine Erstattung nach Regel 46 (2) EPÜ beantragen; wird diesem Antrag von der Prüfungsabteilung (oder im Falle der Beschwerde von einer Beschwerdekammer) stattgegeben, so kann der gesamte Gegenstand Gegenstand der Patentansprüche bleiben. Bezieht sich die Anmeldung aber nach Auffassung der Recherchenabteilung (vorbehaltlich einer später möglichen Erstattung aufgrund eines Antrags nach Regel 46 (2) EPÜ) entgegen Artikel 82 EPÜ auf mehr als eine Erfindung, so stellt die Zahlung weiterer Recherchengebühren durch den Anmelder für jede weitere Erfindung sicher, daß der Anmelder nach Erhalt des europäischen Recherchenberichts im Wege einer Änderung nach Regel 86 (2) EPÜ in den Patentansprüchen dieser Anmeldung bestimmen kann, welche weitere Erfindung er für die spätere Prüfung durch die Prüfungsabteilung auswählt, sofern die entsprechende Gebühr entrichtet worden ist, so daß der europäische Recherchenbericht für diese Erfindung erstellt wurde.
In dieser Situation kann der Anmelder auch eine Teilanmeldung für jede weitere Erfindung einreichen, auf die sich die Anmeldung bezieht. Obwohl jede solche Teilanmeldung unter anderem der Zahlung einer weiteren Recherchengebühr (Art. 76 (3) EPÜ) unterliegt, kann eine solche weitere Recherchengebühr nach Artikel 10 Gebührenordnung ganz oder teilweise zurückerstattet werden, je nachdem, in welchem Umfang sich die Recherchenabteilung auf den früheren Recherchenbericht für die Stammanmeldung stützen kann. Daher ist die Zahlung weiterer Recherchengebühren auf Aufforderung der Recherchenabteilung nach Regel 46 (1) EPÜ für den Anmelder in keiner Weise von Nachteil. Sie bietet ihm vielmehr später einen größtmöglichen Handlungsspielraum, wenn er im Lichte der Ergebnisse des Recherchenberichts für eine oder alle weiteren Erfindungen, auf die sich seine ursprüngliche Anmeldung bezieht, Schutz begehrt.
Entscheidet sich der Anmelder dafür, keine zusätzliche Recherchengebühr für eine weitere Erfindung auf die Aufforderung der Recherchenabteilung hin zu entrichten, so kann er später diese Erfindung nicht zum Gegenstand der Patentansprüche dieser Anmeldung machen. Diese Erfindung kann nur nach Einreichung einer Teilanmeldung gemäß Artikel 76 EPÜ geschützt werden, für die dann ein weiterer europäischer Recherchenbericht im Verfahren der Teilanmeldung zu erstellen ist.
3. Demgemäß hätte - unter den im Beschwerdeverfahren T 87/88 (vorstehend unter Nr. III genannt) geschilderten Umständen - die Tatsache, daß der Anmelder es unterlassen hat, auf eine Aufforderung der Recherchenabteilung hin die zusätzliche Recherchengebühr zu entrichten, zur Folge haben müssen, daß der Anmelder Schutz für die zweite Erfindung in einer Teilanmeldung hätte begehren müssen, wovon die Prüfungsabteilung in diesem Fall auch ausgegangen ist. Unter diesen Umständen steht es nicht in Einklang mit einer korrekten Auslegung von Regel 46 EPÜ, daß die Aufforderung der Recherchenabteilung zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr überprüft wird.
Hinzuzufügen wäre, daß eine enge Auslegung der Regel 46 (1) EPÜ nach ihrem Wortlaut ohne angemessene Berücksichtigung ihres Kontextes dazu führen würde, daß die Prüfungsabteilung (oder im Falle der Beschwerde eine Beschwerdekammer) die Sache an die Recherchenabteilung im Hinblick auf eine oder mehrere weitere Recherchen zurückzuverweisen hätte, und zwar ohne Zahlung der entsprechenden weiteren Recherchengebühren. Dies steht im Widerspruch zu dem vom EPÜ vorgesehenen Verfahrenssystem, wie es vorstehend dargestellt ist.
Aus diesen Gründen beantwortet die Große Beschwerdekammer die ihr vorgelegte Frage, wie folgt:
Ein Anmelder, der es bei einer uneinheitlichen Anmeldung unterläßt, auf eine Aufforderung der Recherchenabteilung nach Regel 46 (1) EPÜ weitere Recherchengebühren zu entrichten, kann diese Anmeldung nicht für einen Gegenstand weiterverfolgen, für den keine Recherchengebühren entrichtet wurden. Der Anmelder muß vielmehr eine Teilanmeldung für diesen Gegenstand einreichen, wenn er dafür weiterhin Schutz begehrt.