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T 0594/90 07-06-1995
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Verbindungselement für zwei Maschinen- oder Bauteile, wie Paß-Dehn-Schraube
Auslegung des Anspruchs
Prioritätsrecht (nein) - fehlende Identität der Gegenstände - Teilpriorität (nein, s. Punkt 3.3)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Interpretation of claim
Priority entitlement (no) - no identity of subject-matter
Partial priority (no)
Inventive step (yes)
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 84 107 594.8, die am 29. Juni 1984 unter Inanspruchnahme der Priorität des deutschen Gebrauchsmusters DE-U-83 25 206 vom 2. September 1983 angemeldet worden war, wurde mit Wirkung vom 26. November 1986 das europäische Patent Nr. 0 144 503 erteilt.
Der einzige Anspruch des erteilten Patent lautet (nach Berichtigung von Druckfehlern, insbesondere Richtigstellung des Zeichens "<" in ">"):
"Verbindungselement für zwei Maschinen- oder Bauteile, wie Paß-Dehnschraube, mit einem Befestigungsgewinde (13) und mit einem einen Schraubenkopf (11) aufweisenden Schraubenschaft (10), der zwischen dem Schraubenkopf (11) und dem Befestigungsgewinde (13) einen Dehnschaft mit einer Anzahl von Ringen (120) aufweist, wobei zwischen je zwei Ringen eine Nut (121) ausgebildet ist, und bei dem im Übergangsbereich von dem Schraubenkopf (11) zu dem Abschnitt mit den Ringen (120) eine Hohlkehle (14) mit einer Ausrundung (15) vorgesehen ist, deren Durchmesser etwa dem Durchmesser des Flankenmaßes der Ringe (120) entspricht und deren Krümmungsradius etwa das 0,1- bis 0,15-fache des Außendurchmessers beträgt, wobei die Kammbreite (120b) der Ringe (120) annähernd der Flankenbreite der Vorform der Ringe (120) zu Erzielung einer angemessenen Größe der spielfreien Anlagefläche zwischen der Paß-Dehnschraube und der Paß-Bohrung in den Maschinen oder Bauteilen entspricht, und der Kerbgrund durch einen Radius bestimmt ist, der (120a) das Zwei- bis Dreifache des Kernradius des Befestigungsgewindes (13) beträgt, dadurch gekennzeichnet, daß die Ringe (120) als parallel zueinander verlaufende konzentrische Paß- Dehnringe ausgebildet sind, deren Außendurchmesser um 0,1 bis 0,5 mm nach der Formel
dringe > d1
größer als der Außendurchmesser des Befestigungsgewindes (13) ist und die einen Spannungsquerschnitt in dem Kerbgrund (120a) der Paßnuten (121) zwischen zwei konzentrischen Paß-Dehnringen (120) (Akonz.Ringe) aufweisen, der dem Spannungsquerschnitt (AS) (13a) des Befestigungsgewindes (13) nach der Formel
AS = Akonz.Ringe
entspricht, wobei der Kerbgrund (120a) zwei Radien aufweisen kann, die jeweils dem Zwei- bis Dreifachen des Kernradius des Befestigungsgewindes (13) entsprechen."
II. Gegen das erteilte Patent haben die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 03) und die damalige Einsprechende 02, die Ihren Einspruch mit Schreiben von 17. Juni 1993 zurückgezogen hat, sowie die Einsprechende 01, deren Einspruch gemäß Regel 56 (2) EPÜ als unzulässig verworfen wurde, Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents wegen mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ) bzw. mangelnder erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) seines Gegenstandes beantragt.
Im Einspruchsverfahren wurde insbesondere auf folgende Dokumente verwiesen:
D1: FR-A-2 151 543
D2: IT-A-414 026
D3: W. Benz: "Hochwertige Schrauben und Schraubenverbindungen im Motorenbau", Sonderdruck aus "Konstruktion", 7. Jahrgang (1955), Heft 5, Seiten 175 bis 179
D4: DE-A-2 233 560
III. Mit Entscheidung vom 19. Juni 1990 hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der Gegenstand des Patents im Sinne von Artikel 100 b) EPÜ ausreichend offenbart sei, jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Ausgehend von der D1 erhalte der Fachmann aus der D3 den Hinweis, den Schaftdurchmesser im Dehnungsteil größer als den Kerndurchmesser, aber kleiner als den Flankendurchmesser des Gewindes zu gestalten. Bei einer Forderung nach gleichem Dehnungsverhalten im Dehnungsteil und im Gewindeteil sei es selbstverständlich, die für die Dehnung verantwortlichen Querschnitte in beiden Teilen gleichzusetzen, wodurch man ohne erfinderisches Zutun zu der im Anspruch des erteilten Patents enthaltenen Gestaltung gelange.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 24. Juli 1990 unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung wurde am 17. Oktober 1990 eingereicht.
V. Mit Eingabe vom 19. April 1991 hat die damalige Einsprechende 02 vorgebracht, daß die beanspruchte Priorität nicht anerkannt werden könne, da es sich beim Gegenstand des angegriffenen Patents gegenüber dem Gegenstand der Prioritätsanmeldung DE-U-83 25 206 (D5) um eine andere Erfindung handle. Da die Priorität der D5 nicht in Anspruch genommen werden könne, gelte dieses Gebrauchsmuster als vorveröffentlichter Stand der Technik.
Zu diesem Ergebnis sei auch die Einspruchsabteilung in ihrer Widerrufs-Entscheidung bezüglich des europäischen Patents Nr. 196 658, das auf einer Teilanmeldung aus der ursprünglichen Anmeldung des vorliegenden Streitpatents beruhe, gekommen.
VI. Nachdem die Kammer in ihrem Bescheid vom 6. Oktober 1992 Bedenken bezüglich des beanspruchten Prioritätsrechts aus der Erstanmeldung zu D5 geäußert und der Präsident des EPA zwischenzeitlich gemäß Artikel 112 (1) EPÜ zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung und wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfrage vorgelegt hatte:
"Kann einer europäischen Patentanmeldung eine Veröffentlichung im Prioritätsintervall, deren technischer Inhalt mit dem des Prioritätsdokuments übereinstimmt, als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ entgegengehalten werden, wenn die Inanspruchnahme der Priorität nicht wirksam ist, weil die europäische Anmeldung Gegenstände umfaßt, die nicht in der Erstanmeldung offenbart waren?"
wurde das Verfahren mit Mitteilung vom 8. Juni 1993 ausgesetzt. Dies geschah im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer für die in der vorliegenden Beschwerdesache aufgeworfene Frage, ob die D5 als Stand der Technik in Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ zu bewerten sei, wenn die beanspruchte Priorität nicht anerkannt werden kann.
VII. Nach der Veröffentlichung der Stellungnahme G 3/93 der Großen Beschwerdekammer wurde das Beschwerdeverfahren fortgesetzt. Die Kammer hat in ihrer Mitteilung vom 17. Oktober 1994 zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung insbesondere auf die Bedeutung der Interpretation des sowohl im erteilten Anspruch 1 als auch in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen für den Dehnbereich verwendete Begriffes "Spannungsquerschnitt im Kerbgrund der Paßnuten" hingewiesen, und zwar unter Hinweis auf eine Entscheidung T 785/90 derselben Kammer (in anderer Besetzung), in der diese bereits auf die technische Bedeutung dieses Merkmals eingegangen und zu dem Ergebnis gelangt war, daß durch die Hinzufügung des Begriffes "im Kerbgrund" es für den Fachmann klar sei, daß der Kerbgrundquerschnitt, d. h. der Kernquerschnitt des Dehnbereichs gemeint sei.
Was die Frage betreffe, ob die beanspruchte Priorität anerkannt werden könne, sei nach der vorläufigen Meinung der Kammer, bei einer Interpretation des Merkmals "Spannungsquerschnitt im Kerbgrund der Paßnuten" des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents in Sinne der Entscheidung T 785/90 keine Identität der Erfindungen nach dem angefochtenen Patent und der Prioritätsanmeldung (D5) erkennbar.
Bei Nichtanerkennung der Priorität müsse gemäß der Stellungnahme G 3/93, Punkt 9, der Inhalt der D5 als Stand der Technik gelten.
VIII. Mit der Eingabe vom 5. Mai 1995 hat die Beschwerdeführerin neue Hilfsanträge I bis IV eingereicht.
IX. Es wurde am 7. Juni 1995 mündlich verhandelt. Die ordnungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin war nicht erschienen, die Verhandlung wurde ohne sie durchgeführt (Regel 71 (2) EPÜ).
X. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise nach einem der Hilfsanträge I bis IV.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Antrags, insofern diese noch relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Priorität
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs entspreche im wesentlichen dem Gegenstand des Prioritätsdokuments (D5). Nur ein Merkmal, demzufolge die Paß-Dehnringe einen Spannungsquerschnitt in dem Kerbgrund der Paßnuten zwischen je zwei konzentrischen Paß-Dehnringen aufweisen, der dem Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindes entspricht, sei gegenüber dem erteilten Anspruch unterschiedlich, in dem die Kernquerschnitte dieser Abschnitte einander gleichgestellt worden seien.
Die von der Kammer vorgenommene Auslegung des Merkmals "Spannungsquerschnitt in dem Kerbgrund der Paßnuten" dahingehend, daß hierunter der Kerbgrundquerschnitt, d. h. der Kernquerschnitt des Dehnbereichs zu verstehen sei, sei zutreffend. Folglich bestehe lediglich in bezug auf das in Rede stehende Merkmal "Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindes" ein Unterschied gegenüber dem Inhalt der Prioritätsanmeldung D5, in der auf den Kernquerschnitt des Befestigungsgewindes Bezug genommen werde. Im Sinne der sogenannten inneren Priorität müsse jedoch eine solche Verbesserung bzw. Weiterentwicklung der Erfindung unter Wahrung des Prioritätsanspruchs zulässig sein. Dem Erfinder sollte es ermöglicht werden, Fortentwicklungen in der Nachanmeldung zu beanspruchen, ohne des Prioritätsrechts für den anfänglichen Entwicklungsstand verlustig zu gehen. Lediglich die Einheit der Erfindungen der Vor- und Nachanmeldung solle gewahrt bleiben, wie dies in Artikel 4 F der Pariser Verbandsübereinkünft (PVÜ) gefordert werde. Diese müsse im vorliegenden Fall als gegeben angesehen werden. Die Wirkung der beanspruchten Priorität reiche allerdings nur soweit, wie sich die priortitätsbegründende Anmeldung mit der beanspruchten Nachanmeldung decke. Diesem übereinstimmenden Gegenstand komme somit eine Teilpriorität im Sinne von Artikel 88 (2) EPÜ zu mit der Wirkung, daß die Voranmeldung D5 keinen Stand der Technik bilde, der bei der Prüfung der Patentwürdigkeit der Nachanmeldung zu berücksichtigen sei.
Erfinderische Tätigkeit
Wenn davon ausgegangen werde, daß eine Teilpriorität nicht anerkannt werden könne und die D5 als Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ zu berücksichtigen sei, bleibe als Unterschied übrig, daß der Kernquerschnitt des Dehnungsteils der Schraube dem Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindes entspreche und nicht dessen Kernquerschnitt.
In modernen Pleuel-Fertigungsstraßen, wo die Paß- Dehnschraube gemäß dem Streitpatent insbesondere Anwendung finde, würden die Pleuelstange und -deckel höchstmöglich verspannt, d. h. es erfolge eine streckgrenzen- oder winkelgesteuerte Vorspannung nach einem sog. "Anziehfenster" im Spannungs-Dehnungsdiagramm der Schraube, wobei eine möglichst große Gleichmäßigkeitsdehnung bei großer elastischer Dehnung und hoher Zugfestigkeit im Sinne einer Optimierung erreicht werden solle. Nur so könnten die Belastungen, die bei Kurbelwellendrehzahlen von bis zu 8000 UPM auftreten, bewältigt werden. Hier gehe es auch darum, die Schraube so klein wie nur möglich zu halten, aber dennoch mehrmaliges Anziehen ohne vorzeitiges Bruchrisiko zu ermöglichen.
Durch die beanspruchte Abstimmung der Querschnitte zeige die beanspruchte Schraube beim Anziehen die geforderte große Gleichmaßdehnung bei großer elastischer Dehnung und hoher Zugfestigkeit. Somit könne beim Anziehen oder Vorspannen bis zur 0,2 %-Dehngrenze oder im überelastischen Bereich unter zusätzlicher Betriebslast die elastisch-plastische Längenänderung von der Schraube aufgenommen werden, bevor die Zugfestigkeit und die beginnende Einschnürung der Schraube erreicht werden. Hierdurch sei es möglich geworden, unvorhergesehene Verbesserungen im Verhältnis Anziehdrehmoment zu Vorspannkraft zu erzielen, so daß es nicht vorzeitig zum Bruch komme und auch ein ausreichend großes "Anziehfenster" im Spannungs-Dehnungs-Diagramm der Schraube geschaffen werden könne.
Diese Problematik sei in den entgegengehaltenen Dokumenten weder angesprochen noch hieraus ableitbar.
Die bisher eingesetzten Pleuelschrauben mit Paßsitz und Taille oder Rolldurchmesser im Schaftbereich, wie sie aus der D1 oder D3 bekannt seien, seien weder für eine Vorspannung im überelastischen Bereich noch für mehrfache Vorspannung bis zur Streckgrenze geeignet. Die Position der zum Bruch führenden Einschnürung beim überelastischen Vorspannen sei bei diesen Schrauben vorgegeben und die Gleichmaßdehnung zu klein für ein vorspannungskontrolliertes Anziehen auf hohe Werte.
Auch gegenüber der D5 werde noch eine verhältnismäßig große Verbesserung von Vorspannkraft und "Anziehfenster" erreicht, die aufgrund der Offenbarungen des ermittelten Standes der Technik nicht erwartet werden konnte.
Bei der Paß-Dehnschraube nach der D2 werde zwar angestrebt, daß das Deformationsverhalten über den Bereich des Dehnschaftes dem Deformationsverhalten im Bereich des Gewindes entspreche, diese Druckschrift gehe jedoch bezüglich der Lösungsmaßnahmen nicht über die D5 hinaus. Erst die genaue Untersuchung der Belastungs- und Spannungsverhältnisse bei einer derartigen Schraube und deren Analyse habe dazu geführt, daß es dem Erfinder möglich war, den genannten Erfordernissen eine technische Lösung gegenüberzustellen.
Die von der Einspruchsabteilung für relevant gehaltene D3 offenbare, daß man durch Versuche feststellen könne, wie groß der Grenzdurchmesser sei, bei dem unsicher sei, ob die Schraube im Gewinde oder im Schaft breche. Dieser Grenzdurchmesser solle wenig größer sein als der Kerndurchmesser des Gewindes. Auf Seite 180, rechte Spalte, zweiter Absatz dieser Druckschrift werde jedoch für eine "anzugsichere" Dehnschraube hoher Spannkraft empfohlen, daß der Schaftdurchmesser kleiner als der Flankendurchmesser gewählt werden sollte, ähnlich den Bedingungen, die für Dehnschrauben nach der D1 gelten.
Weiterhin sei festzustellen, daß die noch genannte D4 zwar offenbare, daß theoretisch ein Spannungsquerschnitt für den Dehnschaft berechnet werden könne, sich jedoch hieraus in keiner Weise eine Lehre ergebe, wie dieser Spannungsquerschnitt zu dimensionieren sei.
Da die entgegengehaltenen Druckschriften weder für sich noch in ihrer Zusammenschau dem Fachmann einen Hinweis vermitteln könnten, wie er in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen kann, sei die Patentwürdigkeit dieses Gegenstandes anzuerkennen.
XI. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und hat schriftlich im wesentlichen folgendes geltend gemacht:
Priorität
Das angefochtene Patent bilde den Gegenstand der D5 nicht fort, sondern verweise auf eine Alternative, also eine prinzipiell andere Gestaltung des Verbindungselements. Die Grundvoraussetzungen für die Anwendung von Artikel 87 (1) EPÜ seien damit nicht erfüllt und die Priorität könne deshalb nicht anerkannt werden. Eine Teilpriorität für die Kombination von Merkmalen, die im Prioritätsdokument offenbart seien, komme bei dieser Sachlage nicht in Betracht.
Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend vom Stand der Technik nach der D1 könnten nur in der Verwendung parallel zueinander verlaufender konzentrischer Paß-Dehnringe und der Forderung AS=Akonz.Ringe Unterschiede gesehen werden. Diesen beiden Merkmalen komme aber keine erfinderische Bedeutung zu, da sie schon in der D2 offenbart seien, wenn man die D2 vor dem Hintergrund des Fachwissens eines Schraubenfachmanns, dem auch die Entgegenhaltung D3 bekannt sei, betrachte.
Die Anwendung dieser Merkmale bei einer Paß-Dehnschraube nach der D1 sei dem Fachmann ohne weiteres möglich. Darüber hinaus könne nicht gesehen werden, daß diese zwei Merkmale im Zusammenspiel mit den weiteren, aus D1 bekannten Merkmalen unvorhersehbare Wirkungen entfachen könnten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Auslegung des erteilten Anspruchs
2.1. Im vorliegenden Fall ist zur Bestimmung des Gegenstands des erteilten Anspruchs und als Basis für einen Vergleich mit dem Gegenstand nach dem Prioritätsdokument D5 zur Prüfung der Frage, ob es sich um dieselbe Erfindung handelt, zu klären, wie das Merkmal "Spannungsquerschnitt in dem Kerbgrund der Paßnuten zwischen je zwei konzentrischen Paß-Dehnringen" im Zusammenhang mit dem Merkmal "Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindes" zu interpretieren ist.
2.2. Diese Frage erhebt sich insbesondere, weil der Ausdruck "Spannungsquerschnitt" üblicherweise nur bei einem Schraubengewinde verwendet wird und wie folgt definiert ist:
FORMEL
(VDI-Richtlinien Nr. 2230, S. 49), wobei d3 den Kerndurchmesser und d2 den Flankendurchmesser des Gewindes bedeuten.
Der Spannungsquerschnitt definiert somit einen geometrischen Kreisquerschnitt mit einem aus Kern- und Flankendurchmesser gemittelten Durchmesser und berücksichtigt im wesentlichen, daß bei einem Gewinde dem durchgehenden Teil des Gewindes eine Tragefunktion zukommt.
Es ist zu bemerken, daß in der D4 bei Dehnschäften mit eingerollten Rillen ebenfalls von einem "Spannungsquerschnitt", der identisch mit dem Spannungsquerschnitt eines Gewindes definiert wird, die Rede ist, ohne daß die Rillen eine entsprechende Tragefunktion übernehmen können (siehe auch die angefochtene Entscheidung Punkt 3.2).
Hier gilt jedoch nach der D4, daß infolge der Fließbehinderung durch die Rillen die Zugfestigkeit gegenüber derjenigen eines glatten Dehnschaftes wesentlich höher sei, so daß für die Berechnung der Zugfestigkeit von einem "Spannungsquerschnitt" ähnlich wie bei Gewinden ausgegangen werden darf (siehe dort Seite 4, letzter Absatz und Seite 5, erster Absatz).
2.3. Im vorliegenden Fall geht es zwar ebenfalls um eine Paß- Dehnschraube mit einer Anzahl von Ringen, ähnlich wie bei dem Dehnteil der Schraube nach der D4, jedoch lassen die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen des angefochtenen Patents nicht erkennen, daß etwas anderes als der Kerndurchmesser in der Nut zwischen zwei Ringen gemeint ist.
Woimmer der Spannungsquerschnitt des Dehnteils in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen (insb. Beschreibung und Zeichnungen) erläutert wird, ist die Rede von dem Spannungsquerschnitt in dem Kerbgrund der Paßnuten oder Paß-Dehnringe, der in den Figuren mit dem Bezugszeichen 120a angegeben ist und den Kerndurchmesser des Dehnteils bezeichnet.
Es ist somit nicht aus diesen Unterlagen abzuleiten, daß die Ringe und die dazwischen liegenden Nuten gemäß dem angefochtenen Patent derart ausgebildet sind, daß die in der D4 angesprochenen Verhältnisse berücksichtigt werden sollten, so daß der Fachmann im vorliegenden Fall das hier in Frage stehende Merkmal nur so deuten kann, daß der Kerbgrundquerschnitt, d. h. der Kernquerschnitt des Dehnbereichs gemeint ist und nicht ein nach obiger Formel berechneter Spannungsquerschnitt.
Es wird noch auf die Entscheidung T 785/90 dieser Kammer (in anderer Besetzung) vom 28. Juli 1993 Bezug genommen, in der diese bei gleichem Sachverhalt zu derselben Schlußfolgerung gekommen ist.
Im übrigen erklärte sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich einverstanden mit dieser Auslegung des erteilten Anspruchs.
3. Priorität
3.1. Im vorliegenden Fall wird die Priorität einer deutschen Gebrauchsmusteranmeldung (D5) beansprucht, die am 1. Dezember 1983 bekanntgemacht wurde, also zeitlich zwischen dem beanspruchten Prioritätstag (2. September 1983) und dem Anmeldetag (29. Juni 1984) des angefochtenen Patents beim Europäischen Patentamt.
Es stellt sich somit die Frage, ob die beanspruchte Priorität wirksam ist, denn bei Nichtanerkennung der Priorität ist die Prioritätsanmeldung als Stand der Technik in Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ zu bewerten (vgl. Stellungnahme G 3/93 der Großen Beschwerdekammer, ABl. EPA 1995, 18, insbesondere Punkt 9).
3.2. Für die Entstehung des Prioritätsrechts müssen nach Artikel 87 und 88 EPÜ bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, insbesondere muß die europäische Patentanmeldung sich auf dieselbe Erfindung (Artikel 87 (4) EPÜ) wie die Prioritätsanmeldung beziehen.
Ein Vergleich der Erfindungen nach der D5 und nach dem angefochtenen Patent zeigt, daß ein Unterschied besteht in der Bestimmung der einander gleichzustellenden Querschnitte des Befestigungsgewindes und des Dehnteils des Verbindungselements.
Nach der D5 sollen die Kernquerschnitte des Befestigungsgewindeteils und des Dehnteils einander entsprechen, nach dem angefochtenen Patent dagegen soll der Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindeteils dem Kernquerschnitt des Dehnteils gleich sein.
Wie von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt wurde, wird hierdurch eine gegenüber der Erfindung nach der D5 unerwartete Verbesserung der angestrebten Eigenschaften erreicht, insbesondere eine Vergrößerung des Anziehfensters im Spannungs-Dehnungsdiagramm sowohl in Richtung der erreichbaren Vorspannung als auch in bezug auf das Dehnverhalten. Angesichts dieses bestehenden baulichen und wirkungsmäßigen wesentlichen Unterschieds kann nach Auffassung der Kammer nicht von derselben Erfindung gesprochen werden.
3.3. Die Beschwerdeführerin vertrat allerdings die Auffassung, daß auch Weiterentwicklungen bzw. Verbesserungen einer in einem Prioritätsdokument offenbarten Erfindung die Priorität dieser Voranmeldung, insoweit Übereinstimmung der Gegenstände besteht, im Sinne einer "inneren Priorität" zustehe.
Gemäß der Stellungnahme G 3/93 der Großen Beschwerdekammer (a. a. O.) ist jedoch entscheidendes Kriterium für die Anerkennung der Priorität, daß es sich um dieselbe Erfindung wie in der Voranmeldung handelt (siehe Punkte 5 und 8).
Dieses Kriterium ist im vorliegenden Fall (siehe vorstehenden Punkt 3.2) nicht gegeben.
Für die Einräumung einer Teilpriorität für den übereinstimmenden Teil der Erfindungen bleibt bei dieser Sachlage kein Raum. Da gemäß Punkt 9 der Stellungnahme der großen Beschwerdekammer kein Prioritätsrecht entsteht, wenn eine beanspruchte Priorität nicht zuerkannt werden kann, weil die wesentliche Voraussetzung nicht erfüllt ist, daß die Erfindung in beiden Fällen dieselbe ist, kann auch eine Teilpriorität nicht in Betracht kommen.
Im übrigen verweist die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang schon deshalb zu Unrecht auf Artikel 88, Absätze (2) und (3) EPÜ, weil im vorliegenden Fall nicht mehrere Prioritäten in Anspruch genommen sind.
3.4. Für die vorliegende Patentanmeldung und das auf sie gestützte europäische Patent kann daher weder die Priorität der Voranmeldung (D5) insgesamt noch eine Teilpriorität in Anspruch genommen werden. Daraus folgt, daß für die Anwendung von Artikel 54 (2) EPÜ der Anmeldetag, nämlich der 29. Juni 1984, gilt und daher die vorher veröffentlichte D5 als Stand der Technik zu berücksichtigen ist (G 3/93, Punkt 9).
4. Neuheit und erfinderische Tätigkeit
4.1. Ausgehend vom in der D5 offenbarten Stand der Technik bleibt als Unterschiedsmerkmal im wesentlichen im erteilten Anspruch übrig, daß der Kerbgrundquerschnitt des Dehnteils dem Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindes entspricht. Da keines der anderen Dokumente näher kommt als die D5, ist die Neuheit des Anspruchsgegenstandes gegeben.
Im übrigen wurde die Neuheit nicht bestritten, so daß sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.
4.2. Die der Erfindung zugrundeliegende technische Aufgabe besteht darin, ein Verbindungselement zu schaffen, mit dem die zu verbindenden Teile, insbesondere der Pleuelfuß eines Pleuelschaftes und der Pleueldeckel, mit sehr hoher Vorspannung im Streckgrenzenbereich des Verbindungselementes sicher zusammenfügt werden können, um den hohen Anforderungen bei immer höher drehenden Verbrennungskraftmaschinen gerecht zu werden (vgl. Seite 2, Zeilen 39 bis 47 der Beschreibung des angefochtenen Patents).
4.3. Wie von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend vorgetragen wurde, wirken die Merkmale des erteilten Anspruchs derart zusammen, daß die für solche Zwecke maßgebenden Parameter, wie Gleichmaßdehnung, elastische Dehnung und Zugfestigkeit optimiert werden, wobei das Verhältnis Anziehdrehmoment zu Vorspannkraft (wichtig bei großer Streuung des Reibfaktors oder Deformation der Trennfuge) weniger kritisch ist, so daß das beanspruchte Verbindungselement geeignet ist für automatisches, vorspannkontrolliertes Anziehen mit einem verhältnismäßig großen "Anziehfenster" im Spannungs-Dehnungs-Diagramm des Verbindungselements (vgl. vorstehenden Punkt X).
4.4. In der D5 wird zwar dasselbe Problem wie im angefochtenen Patent angesprochen (siehe Seite 5, 2. und 3. Absatz), die vorgeschlagene Lösung beinhaltet jedoch die Forderung, daß die Kernquerschnitte des Befestigungsgewindes und des Dehnteils gleich groß gewählt werden sollen. Die Belastbarkeit dieser Schrauben ist, wie glaubhaft dargelegt werden konnte, kleiner als die gemäß dem angefochten Patent.
Die D5 offenbart zwar weiter, daß während der durch die Zugbeanspruchung verursachten elastischen Dehnung dieser bekannten Paß-Dehnschraube kein Dehnungssprung auftreten soll, eine gleichzeitige Optimierung aller drei maßgeblichen Parameter (Gleichmaßdehnung, elastische Dehnung und Zugfestigkeit) ist hier jedoch nicht angesprochen.
4.5. Auch der weiter entgegengehaltene Stand der Technik kann nach Auffassung der Kammer den Fachmann bei der Suche nach einer Lösung des gestellten Problems nicht in Richtung der beanspruchten Ausbildung führen.
Die D1 offenbart Schraubenbolzen mit Gewinde- und Dehnteil, jedoch wird hier im Gegensatz zur Lehre des Streitpatents empfohlen, den Kerndurchmesser des Dehnteils etwa 14 % kleiner zu wählen als den Kerndurchmesser des Befestigungsgewindes. Die mit der Erfindung angestrebte gleichzeitige Optimierung aller drei vorgenannten maßgeblichen Parameter ist nicht angesprochen und läßt sich hierdurch auch nicht erreichen.
Die D2 offenbart ein Verbindungselement mit einem Dehnteil (der u. a. mit parallelen Ringen ausgeführt sein kann, siehe Figur 3) und einem Gewindeteil. Wie das Verhältnis des Kerndurchmessers des Dehnteils zum Spannungsdurchmesser des Gewindeteils gestaltet ist, kann der D2 jedoch nicht mit Sicherheit entnommen werden. Soweit aus der Figur 3 ersichtlich, ist der Spannungsquerschnitt des Befestigungsgewindes größer als der Kerndurchmesser des Dehnabschnitts im Nutengrund.
In diesem Punkt bringt auch die D4 den Fachmann nicht weiter, denn hier sind ebenfalls keine Angaben über ein Durchmesserverhältnis zwischen Dehnteil und Gewindeteil gemacht oder Hinweise zu einer Lösung des gestellten Problems in der beanspruchten Richtung zu finden. Hinsichtlich der Darstellung in Figur 1 gilt dasselbe, was vorstehend zu Figur 3 der D2 gesagt wurde.
Die von der Einspruchabteilung für besonders relevant gehaltene D3 offenbart, daß der Schaftdurchmesser von Dehnschrauben mit glattem Schaft so bemessen werden kann, daß die Wahrscheinlichkeit, daß ein Bruch sowohl im Schaft als auch im Gewinde auftreten kann, etwa gleich ist, und daß man mit diesem Schaftdurchmesser die maximal zulässige Spannkraft bestimmt.
Es handelt sich bei diesem Stand der Technik jedoch im Gegensatz zum Patentgegenstand nicht um ein Verbindungselement mit parallel verlaufenden Paß- Dehnringen, die ein völlig anderes Verhalten der zum Bruch führenden Einschnürung aufweisen als glatte Dehnschäfte.
Darüber hinaus wird auf Seite 180, rechte Spalte, mittlerer Absatz dieser Druckschrift darauf hingewiesen, daß bei glatten Dehnschrauben für große Spannkraft der Schaftdurchmesser kleiner als der Grenzdurchmesser (der wenig größer als der Kerndurchmesser des Gewindes ist) gemacht werden soll (siehe Seite 179, linke Spalte unten), damit bei unvernünftigem Anziehen die Streckgrenze überschritten werden kann, ohne daß die Spannkraft nachläßt oder Bruchgefahr besteht oder das Gewinde unbrauchbar wird ("anzugsichere Dehnschrauben").
Die technische Lehre der D3 betrifft also im wesentlichen die Anweisung, bei glatten Dehnschrauben für größte Spannkraft den Dehnteildurchmesser etwas kleiner als den Grenzdurchmesser des Gewindeteils und damit etwa gleich dessen Kerndurchmesser zu gestalten und führt somit ebenfalls nicht zur im angefochtenen Patent beanspruchten Lösung. Der Hinweis auf Seite 180, rechte Spalte oben auf eine Ausführungsform, bei der der Schaftdurchmesser gleich dem Flankendurchmesser des Befestigungsgewindes gewählt wurde, ist in Verbindung mit der dem Fachmann abratenden Wertung zu sehen, daß dabei das Gewinde beim Anziehen nicht standgehalten hat.
Es muß hierbei nach Auffassung der Kammer auch beachtet werden, daß es sich bei der D3 um eine ältere Druckschrift handelt aus einer Zeit, in der automatisch gesteuertes Anziehen und die Problematik eines Anziehfensters keine wesentliche Rolle spielten, weshalb der Fachmann, auch aufgrund des anderen Schraubentyps dieser Entgegenhaltung, keinen Grund hatte, diese Druckschrift bei der Lösung des hier gestellten Problems ernsthaft in Betracht zu ziehen, insbesondere, da in Verbindung mit der aus der D5 bekannten Schraube keine Verbesserung der dort angesprochenen maßgeblichen Parameter zu erwarten war.
4.6. Dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin, daß der Gegenstand nach dem Anspruch des angefochtenen Patents sich in naheliegender Weise aus dem Zusammenschau der Druckschriften D1, D2 und/oder D3 ergebe und keine unvorhersehbaren Wirkungen erreicht werden, kann aus vorstehenden Gründe nicht beigetreten werden.
4.7. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß die Druckschriften D5, D1, D2, D3 und D4 weder für sich noch in irgendwelchen Kombinationen sowie in Verbindung mit dem einem Fachmann zu unterstellenden Wissen dem Gegenstand des Anspruchs im Hinblick auf das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit patenthindernd entgegenstehen (Artikel 56 EPÜ), so daß das Patent auf der Basis des erteilten Anspruchs Bestand hat.
5. Da der Hauptantrag gewährbar ist, erübrigt es sich, auf die Hilfsanträge einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in der erteilten Fassung aufrechterhalten.