T 0220/83 (Beschwerdebegründung) 14-01-1986
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Beschwerdebegründung/unzureichender Inhalt
Unzulässigkeit der Beschwerde
I. Das europäische Patent Nr. 17 051 betreffend ein Verfahren zur Herstellung von Alkylestern wurde durch Entscheidung einer Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 21. Oktober 1983 widerrufen. Dies wurde damit begründet, daß sich die Erfindung nur durch Anwendung eines höheren Drucks von einem nach der US-A-3 507 891 bekannten Verfahren unterscheide und selbst dort die Anwendung höheren Drucks mit den dem Fachmann bekannten Vor- und Nachteilen als Stand der Technik erwähnt sei.
II. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin am 15. Dezember 1983 Beschwerde ein und zahlte die Gebühr. Am 18. Februar 1984 reichte sie eine Begründung mit folgendem Wortlaut nach:
"Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des erfindungsgemäßen Verfahrens hat die Einspruchsabteilung nach unserer Auffassung die Ausführungen in der US-PS 3 507 891, Spalte 3, Zeilen 40 bis 53, Spalte 6, Beispiel IV, Tabelle 4 und Spalte 7, Beispiel VI, Tabelle 6, nicht gemäß den Ausführungen in den "Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt", Kapitel IV, Teil C2) und D), Seiten 47 und 48, bewertet."
III. Der Einsprechenden wurde Gelegenheit zur Erwiderung gegeben. Sie vertrat die Auffassung, die Beschwerdebegründung sei derart mangelhaft, daß die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen sei. Die Patentinhaberin erwiderte, daß ihre Beschwerdebegründung knapp, aber dennoch verstehbar sei.
IV. Nach eingehender Erörterung dieser Auffassungen in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 1986 beantragte die Patentinhaberin, die Beschwerde als zulässig zu erachten und die Verhandlung zur Erörterung der von ihr in der Sache gestellten Anträge fortzusetzen. Die Einsprechende beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
1. Die Beschwerde entspricht zwar den Zulässigkeitserfordernissen nach Art. 106, 107, 108, Satz 1 und 2 sowie Regel 64 EPÜ. Doch bleibt die Frage, ob die zur Begründung der Beschwerde vorgelegten Ausführungen ihrem Inhalt nach als fristwahrende Begründung im Sinne von Art. 108, Satz 3 EPÜ angesehen werden können oder ob die Beschwerde vielmehr wegen Nichterfüllung dieses Erfordernisses nach Regel 65 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen ist.
2. Die Kammer ist der Auffassung, daß Stellen des Standes der Technik oder der "Richtlinien", auf die in der Begründung in hinreichend präziser Form Bezug genommen wird, so in diese hineingelesen werden können, als wären sie darin enthalten. Die in der Begründung zitierten Passagen der US-A-3 507 891 sind daher auf ihre technische Aussage hin zu untersuchen. Zunächst werden einzelne Reaktionsbedingungen (Druck, Temperatur) beschrieben, die bei der katalytischen Hydrocarboxylierungsreaktion im allgemeinen und im besonderen einzuhalten sind (Spalte 3, Zeile 40 - 53). Ferner wird der Einfluß der Reaktionstemperatur auf den Umsatz und die Umsatzdauer des 1-Dodecens sowie auf die Selektivität der Esterbildung gezeigt (Seite 6, Beispiel IV, Tabelle 4). Schließlich wird anhand von 1-Dodecen und "internem" Dodecen demonstriert, daß die Hydrocarboxylierung sowohl mit endständigen als auch mit internen Olefinen mit vergleichbarem Ergebnis durchführbar ist (Spalte 7, Beispiel VI, Tabelle 6). Ein technischer Zusammenhang dieses Verfahrens mit dem des Streitpatents ist ohne weiteres erkennbar; denn beide Verfahren betreffen die katalytische Hydrocarboxylierung.
3. Mit dem Hinweis auf die Passagen in den "Richtlinien", die sich mit der erfinderischen Auswahl und einem Anzeichen für erfinderische Tätigkeit (Vorurteil) befassen (Teil C, Kapitel IV, Abschnitt 9.8, Punkte C2 und D), soll ersichtlich vorgetragen werden, daß das Streitpatent gegenüber der o.g. U.S.-Patentschrift eine Auswahlerfindung mit unerwarteten Wirkungen darstellt, zu der man erst durch Überwindung eines technischen Vorurteils gelangen konnte.
4. Es wurde jedoch innerhalb der Beschwerdefrist nicht dargelegt, welcher Art die technischen Auswahlkriterien sind, worin die unerwarteten Wirkungen als Folge der Auswahl gesehen werden und aufgrund welcher Tatsachen ein Vorurteil bestanden haben soll. Die Tatsachen, die eine erfinderische, ein Vorurteil überwindende Auswahl rechtfertigen könnten, drängen sich nach der Auffassung der Kammer auch nicht auf. Allenfalls sind diesbezüglich Mutmaßungen möglich. Es bleibt somit der Kammer und dem am Beschwerdeverfahren Beteiligten überlassen, die die erfinderische Tätigkeit möglicherweise stützenden Tatsachen selbst zu ermitteln. Dies soll aber gerade durch die gesetzliche Vorschrift der Beschwerdebegründung verhindert werden. Wenn - wie hier - die o.g. U.S.-Patentschrift in der angegriffenen Entscheidung bereits eine entscheidende Rolle gespielt hat, so hat sich der auf diese Druckschrift sich stützende Beschwerdeführer bei der Begründung seiner Beschwerde mit diesem Dokument im einzelnen auseinanderzusetzen. Er darf sich daher nicht damit begnügen, bloß die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu behaupten und auf eine erneute Überprüfung des vorinstanzlich negativ bewerteten Patentierungskriteriums hinzuwirken. Vielmehr ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden soll. Damit soll sichergestellt werden, daß eine objektive Überprüfung des Beschwerdevorbringens auf seine Richtigkeit hin möglich ist. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
5. Die Erstinstanz hat nicht verkannt, daß es bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit darauf ankommt, ob eine Auswahl erfindung vorliegt. Sie hat aber in ihren ebenfalls knappen Ausführungen nicht anerkannt, daß im Auswahlbereich ein unerwartetes Ergebnis durch Überwindung eines Vorurteils erreicht wurde. Um die Erstentscheidung in Frage zu stellen, war es daher geboten, in der Beschwerdebegründung näher auszuführen, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen die verteidigte Erfindung die ihr nicht zuerkannte Qualität dennoch aufweist. Hierzu wäre es notwendig gewesen, vergleichend darzulegen, welche Parameter ausgewählt, welche "unerwarteten Wirkungen" erreicht werden und worin das angebliche Vorurteil besteht.
Dies hätte vor allem dadurch geschehen können, daß die in den zitierten Richtlinien enthaltenen Ausführungen in konkreter Weise und unter Angabe der als relevant angesehenen Tatsachen auf die verteidigte Erfindung übertragen werden. Da dies nicht geschehen ist, können die als Beschwerdebegründung vorgelegten Ausführungen, selbst wenn man den technischen Zusammenhang zwischen dem Streitgegenstand und dem Inhalt der zur Entlastung angezogenen Druckschrift zu erkennen vermag, nicht als eine inhaltlich ausreichende Begründung im Sinne von Artikel 108, Satz 3, EPÜ anerkannt werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.