T 0095/83 (Nachreichung einer Änderung) 09-10-1984
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Nichtberücksichtigung eines bei Beginn der mündlichen Verhandlung neu eingereichten Hilfsanspruchs
Hilfsanspruch/eingereicht bei Beginn der mündlichen Verhandlung
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 516 wurde am 28. Oktober 1981 mit einem unabhängigen Anspruch 1 und den abhängigen Ansprüchen 2 bis 6 erteilt. Dem Patent lag die am 13 Juli 1978 eingereichte und am 7. Februar 1979 unter der Nummer 0 000 516 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 78 100 391.8 zugrunde, die die Priorität einer am 15. Juli 1977 in Japan eingereichten nationalen Anmeldung in Anspruch nahm. Der Anspruch 1 lautete wie folgt:
1. Dichtungsring für eine hydraulische Vorrichtung mit Kolben und Zylinder, die einen Ringkörper aus nachgiebigem Material mit einer Kreisringbasis (3), eine von der Kreisringbasis vorstehende ringförmige innere Dichtungslippe (2), die eine innere Dichtungsfläche hat, die sich an eine abzudichtende Wandung anlegen kann, und
eine von der Kreisringbasis vorstehende äußere ringförmige, die innere Dichtungslippe im Abstand umgebende Dichtungslippe (21), die eine äußere Dichtungsfläche (4) hat, die mit einer abzudichtenden Wandoberfläche zusammenwirken kann, aufweist, wobei von der inneren und äußeren Dichtungsfläche mindestens eine gegenüber der entsprechenden abzudichtenden Kolben- (p) bzw. Zylinderwand (Cy) verschiebbar ist und die bewegliche Dichtungsfläche (2, 4) eine einzige sich über den gesamten Umfang erstreckende Nut besitzt, wodurch Schmieröl in der Nut zurückgehalten wird, welches den Widerstand gegen die Bewegung des Dichtungsringes vermindert, dadurch gekennzeichnet, daß die Nut (4a) V-förmig gestaltet und durch zwei Ringoberflächen definiert ist, die geradlinige Axialprofile besitzen, welche sich unter einem stumpfen Winkel schneiden, wobei die Nut an dem Punkt beginnt, der den maximalen Dichtungsdruck erzeugt, wenn der Dichtungsring montiert ist, und wobei sich der Punkt (d) maximaler Tiefe der ringförmigen Nut in einem Bereich befindet, der im nichtmontierten Zustand des Dichtungsrings einen Außen- oder Innendurchmesser aufweist, welcher größer als der Innendurchmesser der Zylinderwand bzw. kleiner als der Außendurchmesser der Kolbenwand ist.
II. Gegen das europäische Patent wurde von der
Teves GmbH
Guerikestr. 7
D-6000 Frankfurt 90/BRD frist- und formgerecht Einspruch eingelegt; die Einsprechende beantragte aufgrund des Artikels 102(1) EPÜ den Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit unter Hinweis auf ihre Vorbenutzung eines Bremszylinders mit einem Dichtungsring, wie er in der Zeichnung Nr. 3.3301 1934 der Einsprechenden dargestellt ist. Sie zog später auch die Druckschriften GB-A-994 230 und EP-B1-0 000 517 an.
III. Nach Prüfung der Einspruchsgründe stellte die Einspruchsabteilung fest, daß sie die Auffassung der Einsprechenden hinsichtlich der Neuheit nicht teilen könne; außerdem ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 ihres Erachtens nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Sie wies daher den Einspruch mit Entscheidung vom 28. April 1983 zurück.
IV. Am 21. Juni 1983 legte die Einsprechende gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Die Begründung wurde rechtzeitig eingereicht und die Beschwerdegebühr ordnungsgemäß entrichtet. Die Beschwerdeführerin widersprach der Feststellung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der angeblichen Vorbenutzung nicht, brachte jedoch vor, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von dem nächstliegenden Stand der Technik in der Druckschrift NL-A-273 853 nur dadurch unterscheide, daß der Punkt maximaler Tiefe der ringförmigen Nut in einem Bereich mit einem Außen- bzw. Innendurchmesser liege, der größer als der Innendurchmesser der Zylinderwand bzw. kleiner als der Außendurchmesser der Kolbenwand sei. Sie behauptete, dies sei nur eine naheliegende Konstruktionsänderung, die eigentlich keine Vorteile mit sich bringe. Sie beantragte daher die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteiiung und den Widerruf des Patents.
V. Die Patentinhaberin erwiderte darauf, daß die erfindungsgemäße Nut eine Druckminderung im Bereich des größten Kontaktdruckes der Dichtung bewirke, so daß sich ein Schmierkissen bilden könne; dabei sei jedoch keine eigentliche Vertiefung mehr gegeben, wenn der Dichtungsring montiert sei und an der zu schmierenden Fläche anliege. Dies sei von keiner im Verfahren in Betracht gezogenen Entgegenhaltung vorgeschlagen worden. Die Patentinhaberin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter oder - gemäß erstem Hilfsantrag - in einer nur redaktionell leicht geänderten Form.
VI. Beide Parteien beantragten hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
VII. Bei Beginn der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 1983 legte die Patentinhaberin eine erneut geänderte Fassung des Anspruchs 1 vor, in der das Merkmal der verschiebbaren Dichtungsfläche, die aus einer einzigen, sich über den gesamten Umfang hinziehenden Nut besteht, in den kennzeichnenden Teil des Anspruchs übernommen und der mit "wodurch" eingeleitete Teil des Oberbegriffs mit seinen funktionellen Angaben über die Zurückhaltung des Schmieröls in der Nut ausgelassen worden war. Sie behauptete, der neue Anspruch 1 würde die Maßnahmen besser wiedergeben, mit denen an der ringförmigen Dichtungslippe im kritischen Bereich eine Druckentlastung bewirkt werde. Außerdem sei Anspruch 1 umformuliert worden, um einer falschen Auslegung vorzubeugen und den Sachverhalt klarer darzulegen. Daher beantrage sie gemäß zweitem Hilfsantrag die Aufrechterhaltung des Patents auf dieser Grundlage mit der Beschreibung und den Zeichnungen des erteilten Patents.
VIII. Die Beschwerdeführerin erklärte, dieser neue Hilfsantrag komme für sie überraschend; sie bat zunächst darum, daß der umformulierte Patentanspruch 1, falls er überhaupt in Betracht gezogen werde, nicht sofort behandelt, sondern daß eine neue mündliche Verhandlung anberaumt wird, um ihr genügend Zeit für eine eingehende Prüfung des neuen Antrags zu geben. Die Frage, ob eine in einem so späten Stadium des Beschwerdeverfahrens vorgebrachte Änderung zulässig sei, wurde mit den Beteiligten erörtert und schließlich von der Kammer verneint.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Nach Auffassung der Kammer brauchen von den Entgegenhaltungen nur die beiden britischen Patentschriften in Betracht gezogen zu werden. Bei der Beurteilung der Frage, welche der beiden Schriften GB-A-944 921 und GB-A-944 230 dem Gegenstand des angefochtenen Patents näherkommt, ist zu bedenken, daß sich beide auf eine ringförmige Dichtungskonstruktion mit einer scheibenartigen Kreisringbasis und einer ringförmigen, hervorstehenden Dichtungslippe beziehen. In der Druckschrift GB-A-944 230 werden zudem mehrere ringförmige Nuten offenbart, die sich in Abständen entlang dem äußeren, kegelstumpfförmigen Teil der Lippe erstrecken, die sich bei montierter Dichtung an die gegenüberliegende Oberfläche der Zylinderbohrung anlegt. Diese Anordnung wird an der eigentlichen Dichtungsfläche angewandt, um nicht nur die Gleitreibung und übermäßigen Verschleiß, sondern auch das abwechselnde Haften und Gleiten der Dichtung zu verringern, das ein ruckartiges Bremsen verursacht.
Da der Gegenstand des angefochtenen Patents ebenfalls darauf abzielt, diese Nachteile durch Maßnahmen im eigentlichen Dichtungsbereich zu beseitigen, schließt sich die Kammer der Meinung der Patentinhaberin an, daß die Vorveröffentlichung GB-A-944 230 für die Beurteilung der Neuheit relevanter ist als GB-A-944 921, die keine exakt auf die Dichtungsfläche beschränkte Nut offenbart.
3. Der Dichtungsring nach der Druckschrift GB-A-944 230 weist weder eine einzige, sich über den ganzen Umfang erstreckende Nut in der Dichtungsfläche noch irgendeine Nut in dieser Fläche auf, die von der Form her der V-förmigen Nut gemäß dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 der Patentinhaberin entspricht.
Dasselbe gilt für die Entgegenhaltung GB-A-944 921, da sich die Kammer der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht anschließen kann, daß sich der Scheitelpunkt der Nut, der durch die zylindrischen und die konischen geradlinigen Abschnitte definiert ist, zwangsläufig in einem Bereich außerhalb der von der Basis definierten zylindrischen Fläche befindet.
Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 anzuzweifeln.
4. Nun gilt es zu prüfen, ob die Vorrichtung nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Dabei sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
4.1. Entsprechend dem angefochtenen Patent liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, einen Dichtungsring für eine hydraulische Vorrichtung mit Kolben und Zylinder bereitzustellen, der gleichmäßig und störungsunempfindlich funktioniert und das Schmieröl auf der Gleit- oder Dichtungsfläche zurückhält. Diese Aufgabenstellung ergibt sich aus den Nachteilen, die bei dem nächstliegenden Stand der Technik festgestellt worden sind; die bekannte Vorrichtung weist mehrere halbkreisförmige Nuten mit dazwischenliegenden Erhebungen auf (GB-A-944 230), die zu einer Verstärkung des Kontaktdruckes und damit zu erhöhtem Reibungswiderstand führen und so der Bildung eines wirksamen Schmierkissens entgegenstehen.
4.2. Die im vorliegenden Patent vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe besteht darin, eine einzige V-förmige Nut an der im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebenen Stelle bereitzustellen.
Entsprechend dem Vorbringen der Patentinhaberin beruht die Lösung darauf, daß eine Druckentlastung im Bereich des höchsten Kontaktdruckes herbeigeführt wird, um die Bildung eines Schmierfilmes zu ermöglichen, ohne daß die ursprünglich vorhandene Vertiefung oder der Spalt zwischen der verformten Dichtungsfläche der Dichtungslippe in montiertem Zustand und der zu schmierenden Fläche bestehenbleiben muß. Dieses angeblich neue Prinzip beruht auf der Erkenntnis, daß ein Bereich verminderten Kontaktdruckes entsteht, wenn eine Dichtungsfläche mit V-förmiger Nut durch elastische Verformung an die mit ihr zusammenwirkende abzudichtende Wandfläche angedrückt wird; dies genügt nach den Angaben der Patentinhaberin, um einen ausreichenden Schmierfilm oder ein Schmierkissen zu erzeugen.
4.3. Dieser Gedanke ist jedoch dem fachmännischen Leser bereits vor dem tatsächlichen Anmeldetag der Patentinhaberin durch die Druckschrift GB-A-944 921 nahegelegt worden, die eine Dichtung mit einer Kreisringbasis mit zylindrischer Außenfläche beschreibt, die in einer Bohrung, in der sie angebracht ist, gleitet. In nichtmontiertem Zustand weist die Dichtung an der Peripherie einen kegelstumpfförmigen Flansch auf, der in einem stumpfen Winkel hervorsteht und eine V-förmige Nut bildet; der Flansch ist jedoch elastisch verformbar, so daß die äußere Fläche zylindrisch wird, wenn sie bei der Montage bis zu dem freien Ende des Flansches an die mit ihr zusammenwirkende innere Fläche des Zylinders angedrückt wird (S. 1, Zeilen 22-28). Diese elastische Verformung des Flansches erzeugt zwangsläufig einen kleinen Zwischenraum oder Spalt, d. h. einen Bereich verminderten Drucks in der Schnittzone der beiden aneinanderliegenden Ringflächen, die die Nut bilden; dieser Spalt ist in Abbildung 2 übertrieben groß dargestellt und macht die Bildung eines Schmierkissens möglich. Somit ist die Erzeugung einer Druckentlastungszone durch Verformung einer ursprünglich V-förmigen Nut bereits in dieser Entgegenhaltung vorgeschlagen worden; dabei ist es unerheblich, ob diese Wirkungsweise ausdrücklich offenbart worden ist, wenn sie sich für den Fachmann beim Lesen des Dokuments ergibt (vgl. Entscheidung T 06/80, EPA ABl. 1981,434).
4.4. Das im mündlichen Verfahren vorgebrachte Argument der Patentinhaberin, daß bei der Druckschrift GB-A-944 921 keine V-förmige Nut im Sinne der Erfindung erkennbar sei, ist nicht überzeugend, weil die Patentinhaberin nicht widerlegen kann, daß eine Druckentlastung vorliegt, die nur durch einen Spalt oder eine Nut, so klein sie auch sein mag, hervorgerufen werden kann. Somit kann sich die Patentinhaberin nur darauf berufen, daß die Nut nicht auf die eigentliche Dichtungsfläche des Flansches beschränkt ist. Dieses Argument muß jedoch als irrelevant zurückgewiesen werden, da die Patentinhaberin die genaue Ausdehnung der Nut nicht definiert hat; dies wird ohne weiteres deutlich, wenn man die Ausführungsarten in den Abbildungen 15 und 16 des Patents betrachtet, bei denen sich die V-förmige Nut ebenfalls bis zum vorderen Ende der Basis erstreckt.
4.5. Sind die Nachteile erst einmal bekannt, die das Vorhandensein mehrerer Nuten im Dichtungsbereich des Flansches mit sich bringt, liegt es für den Fachmann auf der Hand, sich die Lehre der Druckschrift GB-A-944 921 zunutze zu machen und anstelle mehrerer Nuten nur eine einzige V-förmige, stumpfwinklige Nut zu verwenden, die keine nachteiligen Erhebungen aufweist, und diese Nut an der Dichtungsfläche anzubringen, um auf diese Weise die Schmierung der Dichtung gemäß GB-A-944 230 zu verbessern. Nach dieser logischen Überlegung stellt es nach Ansicht der Kammer für den Fachmann auch keine unüberwindliche Schwierigkeit mehr dar, eine besonders geeignete Größe, Form und Anordnung der einzigen V-förmigen Nut festzulegen, zumal die Druckschrift GB-A-944 230 bereits eine Gruppe von Nuten offenbart, die am freien Ende des Flansches beginnen und in der Nähe des Punktes enden, an dem die kegelstumpfförmige Lippe in die ringförmige Zylinderfläche an der Basis übergeht. Was die Lage des Scheitelpunktes c als verbleibendes beanspruchtes Merkmal anbelangt, so liegt es ebenfalls auf der Hand, daß der Fachmann keine Veranlassung hätte, bei der Festlegung der größten Tiefe der einzigen Nut von dem in der Entgegenhaltung angegebenen Tiefenbereich (0,025-0,050 mm) abzuweichen. Der Fachmann würde die Tiefe in etwa in dieser Größenordnung wählen, so daß sich bei einem deutlich hervortretenden Flansch eine Vertiefung ergibt, die zwangsläufig in einem Bereich außerhalb des (imaginären) Durchmessers der abzudichtenden Wand bleibt.
Die Kammer kann sich daher der in der Entscheidung der Einspruchsabteilung vertretenen Ansicht nicht anschließen, daß es zur Vermeidung eines übermäßigen Verschleißes der dazwischenliegenden Erhebungen naheliegend wäre, ihre Axiallänge zu vergrößern, was dann von der Erfindung wegführen würde. Diese Ansicht ist mit der oben dargelegten richtigen Auslegung der Druckschrift GB-A-944 921 unvereinbar. Die Kammer gelangt daher zu der Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann naheliegend ist (Art. 56 EPÜ).
4.6. Die Patentinhaberin macht ferner folgendes geltend: Würde die Dichtung nach GB-A-944 921, wie der Berichterstatter behauptet und die Beschwerdeführerin vorbringt, zwangsläufig eine Druckentlastungszone in dem Bereich erzeugen, in dem die zylindrische und die konische Fläche aufeinandertreffen, dann wären alle weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Schmierwirkung, z.B. durch Anbringung mehrerer Nuten gemäß GB-A-944 230, sinnlos. Diese Auffassung kann man jedoch nicht gelten lassen, da die Verlagerung der Druckentlastungszone von der in der Druckschrift GB-A-944 921 genannten Stelle zu der Stelle, an der der höchste Druck auftritt, also eine völlige Verlagerung in den Dichtungsflansch hinein, die Schmierwirkung deutlich verbessert und somit gerechtfertigt ist.
4.7. Wie die Beschwerdeführerin dargelegt hat, muß auch bei der Vorrichtung nach GB-A-944 230 ein Schmierfilm vorliegen, der ähnlich wirksam ist wie der erfindungsgemäße. Sie ist anhand der Ergebnisse in der Abbildung 4, in der ein direkter Vergleich mit den gängigen glattlippigen Dichtungen graphisch dargestellt ist, zu dieser Schlußfolgerung gelangt. Daraus läßt sich entnehmen, daß die Kräfte, die zur Auslösung der Bremsbewegung und danach zur Aufrechterhaltung dieser Bewegung bei geringerem Widerstand erforderlich sind, um die Hälfte reduziert worden sind; dadurch verläuft die Kolbenbewegung nicht ruckartig, sondern gleichmäßig. Diese Ergebnisse hätten - hierin stimmt die Kammer der Beschwerdeführerin voll und ganz zu - niemals ohne entsprechenden Schmierfilm erreicht werden können. Anhand der Kurven in Abbildung 4 des angefochtenen Patents, die ebenfalls auf einem direkten Vergleich mit einer handelsüblichen glattlippigen Dichtung, wie z.B. dem in Abbildung 2 des Patents gezeigten konventionellen Dichtungsring vom Typ SAE, beruhen, läßt sich ohne weiteres feststellen, daß hinsichtlich der Verringerung des Widerstands gegen die Bewegung des Dichtungsrings kein nennenswerter Unterschied gegenüber dem erfindungsgemäßen Dichtungsring besteht. Eine objektive Beurteilung der Ergebnisse in den beiden Abbildungen 4 zeigt somit deutlich, daß die Verringerung des Widerstands und auch die Vermeidung der ruckartigen Kolbenbewegung, die der V-förmigen Nut des Patentinhabers zugeschrieben wird, nur von untergeordneter Bedeutung ist und daher die Beseitigung der Erhebungen den Aufbau eines wirksamen Ölkissens oder -films nur geringfügig verbessert.
4.8. In Anbetracht dieser Umstände und der auf Seite 2, Zeilen 24-35 der Druckschrift GB-A-944 230 dargelegten Sachverhalte hält es die Kammer für erwiesen, daß die aus dem Stand der Technik bekannte Verwendung mehrerer Nuten zur Verbesserung der Leistung des Dichtungsringes fast genauso wirksam ist wie die Verwendung der erfindungsgemäßen einzigen Nut. Somit ist eine sinnvolle Bewertung des angeblich erzielten technischen Fortschritts nicht möglich. Zwar gehört der technische Fortschritt nach Artikel 52 EPÜ nicht zu den Erfordernissen für die Patentierbarkeit; er könnte jedoch für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit sprechen, wenn der Nachweis erbracht wird, daß es sich um einen wesentlichen Fortschritt handelt. Dieser Nachweis ist jedoch von der Patentinhaberin im vorliegenden Fall nicht erbracht worden. Die Patentinhaberin kann daher aus den Ergebnissen der in dem angefochtenen Patent angegebenen Vergleichstests keinen Vorteil herleiten, der sich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu ihren Gunsten auswirken könnte.
4.9. Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist somit aus den obengenannten Gründen die in Artikel 56 EPÜ geforderte erfinderische Tätigkeit nicht auf. Der Anspruch kann daher aufgrund des Artikels 52(1) EPÜ nicht aufrechterhalten werden.
5. Die Ansprüche 2 bis 6 sind vom Anspruch 1 abhängig und enthalten besondere Ausführungsarten der Erfindung nach Anspruch 1; sie sind somit ebenfalls nicht gewährbar, da ihre Gewährbarkeit von der des Anspruchs 1 abhängt, die verneint worden ist. Es liegen auch keine Hilfsanträge der Patentinhaberin vor, diese Ansprüche gesondert zu beurteilen; den vom Berichterstatter in einem Bescheid vorgebrachten Argumenten, daß keiner dieser Ansprüche ein Merkmal einbringe, das den Gegenstand des Anspruchs 1 erfinderisch erscheinen lassen könne, ist von der Patentinhaberin nicht widersprochen worden.
6. Was den ersten Hilfsantrag anbelangt, mit dem nur einige rein redaktionelle Änderungen am Wortlaut des Anspruchs 1 vorgenommen wurden, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß alle obengenannten Argumente, die gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bei dem Gegenstand des Anspruchs 1 sprechen, auch für den geänderten Anspruch 1 gelten. Somit ist auch der geänderte Anspruch 1 nicht gewährbar.
7. Bei dem nochmals geänderten Anspruch 1, der der Kammer bei Beginn der mündlichen Verhandlung mit dem zweiten Hilfsantrag vorgelegt worden war, wurde statt einer einzigen Nut, die auch bei montiertem Dichtungsring in Form eines kleinen Spalts bestehenbleibt, in dem das Schmieröl zurückgehalten wird, eine einzige Nut als erfindungswesentlich präsentiert, die bei montiertem Dichtungsring nicht mehr als Nut vorliegt, aber dennoch eine Druckentlastung bewirkt, die die Bildung eines Schmierkissens oder -films möglich macht.
Obwohl die Patentinhaberin in ihrem schriftlichen Vorbringen geltend gemacht hatte, daß das Wesen der Erfindung darin bestehe, daß sie eine Druckentlastungszone aufweise, ohne daß dafür bei montiertem Dichtungsring eine ausgeprägte Vertiefung erforderlich sei, konnte weder die Kammer noch die Beschwerdeführerin erwarten, daß ein neuer, direkt auf dieses Prinzip gerichteter Anspruch in der mündlichen Verhandlung zur Entscheidung vorgelegt werden würde.
8. In den "Hinweisen für die Parteien im Beschwerdeverfahren und ihre Vertreter", die 1981 erstmals erschienen (ABl. EPA 1981, 176) und kürzlich mit dem Hinweis erneut veröffentlicht worden sind, daß sie sinngemäß auch auf Beschwerden im Einspruchsverfahren anzuwenden sind (ABl. EPA 1984, 376), haben die Beschwerdekammern unter Nummer 2.2 folgendes klargestellt: Sollen Änderungen zur Beschreibung, zu den Ansprüchen oder zu den Zeichnungen einer Patentanmeldung oder eines Patents eingereicht werden, "so sollte dies so frühzeitig wie möglich geschehen". Unter derselben Nummer werden die Patentanmelder und Patentinhaber besonders darauf hingewiesen, daß eine Kammer Änderungen nicht zu berücksichtigen braucht, wenn sie nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung eingereicht werden. Um dies ein für alle Male klarzustellen, weist die Kammer hier nochmals darauf hin, daß Änderungen, die nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung eingereicht werden, von der Kammer in der Regel nur unter ganz besonderen Umständen, d.h. wenn für die Änderung und ihre verspätete Einreichung ein triftiger Grund vorliegt, in der Verhandlung sachlich berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall liegt kein erkennbarer Grund für die verspätete Einreichung der gewünschten Änderung vor. Die Kammer stellt fest, daß das letzte schriftliche Vorbringen der Patentinhaberin, mit der die Änderung in Zusammenhang gebracht werden könnte, am 6. Juni 1984, also mehr als drei Monate vor der Verhandlung, eingereicht worden ist. Nebenbei sei bemerkt, daß keineswegs feststeht, ob die gewünschte Änderung, auch wenn sie zulässig gewesen wäre, den Mangel des Patents hätte heilen können, der nach Auffassung der Kammer zum Widerruf führen muß.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründe wird wie folgt entschieden:
Die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 28. April 1983 wird aufgehoben und das europäische Patent Nr. 0 000 516 widerrufen.