4.5.1 Stellungnahme G 1/04 der Großen Beschwerdekammer
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Eine Vorlagefrage bezog sich auf die Auslegung des Begriffs "Diagnostizierverfahren". Die Große Beschwerdekammer legte den Begriff eng aus: Damit der Gegenstand eines Anspruchs, der ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes Diagnostizierverfahren betrifft, nach Art. 52 (4) EPÜ 1973 vom Patentschutz ausgeschlossen ist, muss der Anspruch sowohl das Merkmal, das sich i) auf die Diagnose zu Heilzwecken als rein geistige Tätigkeit, also auf die deduktive human- oder veterinärmedizinische Entscheidungsphase bezieht, als auch die Merkmale umfassen, die sich ii) auf die vorausgehenden Schritte beziehen, die für das Stellen der Diagnose konstitutiv sind, sowie iii) auf die spezifischen Wechselwirkungen mit dem menschlichen oder tierischen Körper, die bei der Durchführung der vorausgehenden technischen Schritte auftreten.
Die Große Beschwerdekammer betonte, dass der chirurgische oder therapeutische Charakter eines Verfahrensanspruchs durchaus in einem einzigen Verfahrensschritt begründet werden kann, ohne dass gegen Art. 84 EPÜ 1973 verstoßen würde. Diagnostizierverfahren unterscheiden sich in dieser Hinsicht jedoch von chirurgischen und therapeutischen Verfahren. Die Verfahrensschritte, die vor dem Stellen der Diagnose als einer geistigen Tätigkeit auszuführen sind, betreffen die Untersuchung, die Sammlung von Daten und den Vergleich. Fehlt nur einer der vorausgehenden Schritte, die für das Stellen einer solchen Diagnose maßgeblich sind, so liegt kein Diagnostizierverfahren vor, sondern allenfalls ein Verfahren zur Datenermittlung oder -verarbeitung, das in einem Diagnostizierverfahren verwendbar ist (s. T 385/86). Daraus folgt, dass der chirurgische oder therapeutische Charakter eines Verfahrensanspruchs zwar in einem einzigen Verfahrensschritt begründet sein kann, zur Definition eines Diagnostizierverfahrens aber wegen des spezifischen und zwangsläufig mehrstufigen Charakters eines solchen Verfahrens mehrere Verfahrensschritte erforderlich sind.