5. Besorgnis der Befangenheit von Mitgliedern der Beschwerdekammern
5.2. Ausschlussgründe nach Artikel 24 (2) EPÜ: sonstiger Grund
In G 1/05 (ABl. 2007, 362) erklärte die Große Beschwerdekammer mit Verweis auf Art. 28 (2) a) der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und auf nationale Zivilprozessordnungen, dass eine enge verwandtschaftliche Beziehung zu einem Beteiligten einer der klassischen Gründe für die Ausschließung eines Richters von Rechts wegen ist. Bei einer verwandtschaftlichen oder einer ähnlich engen Beziehung zu einem Vertreter des Beteiligten, nicht aber zum Beteiligten selbst, ist dies nicht generell der Fall. Gibt ein Beschwerdekammermitglied in einer Selbstablehnung einen Grund an, der seiner Natur nach ein möglicher Grund für eine Ablehnung wegen Befangenheit sein könnte, so sollte dieser Grund in der Regel in der Entscheidung über die Ersetzung dieses Kammermitglieds berücksichtigt werden, weil davon auszugehen ist, dass dieses Mitglied am besten weiß, ob eine mögliche Besorgnis der Befangenheit entstehen könnte (s. auch J 15/04).
In J 15/04 befand die Juristische Beschwerdekammer, dass die Selbstablehnungen darin begründet waren, dass die beiden betreffenden Mitglieder nicht die Rechtsauffassung des Vorsitzenden in Bezug auf eine mögliche Besorgnis der Befangenheit und die Annahme teilten, dass der Beschwerdeführer ihre richterliche Integrität anzweifeln könnte. Die Kammer entschied, dass eine mögliche Nichtübereinstimmung der Rechtsauffassungen der Kammermitglieder als solche kein Ausschlussgrund oder Ablehnungsgrund nach Art. 24 EPÜ ist. Für eine Entscheidung ist jedes der Kammermitglieder verantwortlich, auch wenn es von der Mehrheit der übrigen Mitglieder überstimmt worden ist.
In T 584/09 vom 1. März 2013 date: 2013-03-01 stellte die Kammer fest, dass es sich bei dem angegebenen Grund für die Selbstablehnungen, nämlich der Vermeidung des Anscheins der Befangenheit wegen der Notwendigkeit, ein weiteres Mal über dieselben Fragen entscheiden zu müssen, um einen "sonstigen Grund" i. S. v. Art. 24 (2) EPÜ handeln könne (s. auch T 1627/09 vom 14. September 2018 date: 2018-09-14).
In T 1656/17 informierte ein technisch vorgebildetes Mitglied der Ersatzkammer diese in einer Selbstablehnungserklärung, dass es der eigenen Ansicht nach nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt sein sollte, da zwischen ihm und einer im erstinstanzlichen Verfahren beteiligten Person enge familiäre Beziehungen bestünden. Die Ersatzkammer entschied, dass das technisch vorgebildete Mitglied im vorliegenden Fall zu ersetzen sei. Die Sorge, dass ein Kammermitglied mit familiären Beziehungen zu einer im erstinstanzlichen Verfahren beteiligten Person Interesse an einer Bestätigung des Ausgangs dieses Verfahrens haben und dadurch voreingenommen wirken könnte, sei zumindest plausibel.