4.3.2 Offenkundige Vorbenutzung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Das Abwägen der Wahrscheinlichkeit wird dann angewandt, wenn Patentinhaber wie Einsprechender gleichermaßen Zugang zu dem Material hatten, dessen offenkundige Vorbenutzung behauptet wird (s. z. B. T 363/96, T 12/00, T 1105/00, T 2043/07, T 1464/05, Nr. 4.3 der Gründe ; T 202/13, Nr. 15.6.2 der Gründe ; T 1170/13, Nr. 2.3 der Gründe).
In den folgenden Fällen wurde entschieden, dass die Beweismittel nicht im Einflussbereich des Einsprechenden lagen und daher als Beweisstandard das "Abwägen der Wahrscheinlichkeit" Anwendung fand: T 918/11 (Verkauf von Behältern außerhalb des Einflussbereichs des Einsprechenden – Serienproduktion); T 55/01 (in Serienfertigung hergestellte Waren zum Verkauf an Kunden angeboten); T 1170/13 (Umstände in Bezug auf Vorbenutzung zeigten, dass der Einsprechende nicht ohne Weiteres über alle nötigen Beweismittel verfügte); T 12/00 (in einem Fall, in dem Dritte beteiligt sind, konnten beide Parteien Beweise sammeln); T 1464/05 (keine Beziehung zwischen dem Einsprechenden und dem für die Vorbenutzung verantwortlichen Dritten – Verkauf zur Probe); T 64/13 (Vorbenutzung zwischen zwei Unternehmen, die dem Beschwerdegegner (Einsprechenden) zufolge keine gesellschaftliche Verbindung mit ihm haben – Vorbenutzung ursprünglich durch eine dritte Gesellschaft vor dem Deutschen Bundespatentgericht eingereicht).
Das "Abwägen der Wahrscheinlichkeit" kann nur dann als Kriterium angewandt werden, wenn die Patentinhaberin wie die Einsprechende gleichermaßen Zugang zu dem Material hatte, dessen offenkundige Vorbenutzung behauptet wird (T 1776/14).
In T 473/13 erfolgte die angebliche öffentliche Vorbenutzung durch den Beschwerdegegner und Patentinhaber, der zunächst eine Geheimhaltungsvereinbarung nachweisen musste (Beweislast). Die Kammer entschied, dass das vielzitierte Kriterium "lückenlos" im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, weil die einschlägige Rechtsprechung für den Fall entwickelt wurde, dass die Vorbenutzung durch den Einsprechenden erfolgt ist; die vorliegende Sache war aber anders gelagert.
In T 12/00, T 254/98 und T 729/91 war der Einsprechende, der die öffentliche Vorbenutzung behauptete, nicht an den zugehörigen Umständen beteiligt (T 202/13).