9.21.9 Auswahl einer von mehreren naheliegenden Lösungen
Eine rein willkürliche Auswahl aus einer Fülle möglicher Lösungen kann nicht erfinderisch sein, wenn sie nicht in einer bislang unbekannten technischen Wirkung begründet liegt, durch die sich die beanspruchte Lösung von den anderen Lösungen unterscheidet. (T 939/92, ABl. 1996, 309; T 739/08; T 1175/14; T 2554/16; T 1148/15; T 115/18; T 1984/15; T 1862/15, T 1445/21). In T 400/98 wurde ausgeführt, dass die Anwendung einer von mehreren möglichen Lösungen, die der Fachperson zur Verfügung standen, keine besonderen Fähigkeiten erfordert und deshalb auch keine erfinderische Tätigkeit aufweist (s. auch T 107/02). In T 1984/15 stellte die Kammer fest, dass sowohl eine einfache als auch eine mehrmalige willkürliche Auswahl zum routinemäßigen Vorgehen der Fachperson zur Bereitstellung einer Alternative Lösung gehöre.
In T 1862/15 erklärte die Kammer, dass im Fall einer willkürlichen Auswahl der Stand der Technik keinen Anreiz für die Fachperson enthalten muss, sich für die konkrete, beanspruchte Lösung zu entscheiden. Stattdessen müssen alle denkbaren Lösungen als gleichermaßen geeignet und naheliegend für die Lösung der objektiven technischen Aufgabe gelten; sie müssen somit alle als der Fachperson nahegelegt gelten. S. auch Verfahren T 2029/21, in dem die Kammer befand, dass in Fällen, in denen die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung einer bloßen Alternative besteht, keine Anregung im Stand der Technik erforderlich ist, um den beanspruchten Gegenstand naheliegend zu machen. Vielmehr reicht es aus zu zeigen, dass die fehlenden Merkmale eine willkürliche Auswahl aus einer Vielzahl verfügbarer Alternativen darstellen.
In T 588/99 wies die Kammer darauf hin, dass in dem speziellen Fall, in der ein Dokument ausdrücklich alle eine bestimmte Wirkung aufweisenden Verbindungen als geeignete Komponenten einer Waschmittelzusammensetzung auswies und die Fachperson dazu anhielt, in Veröffentlichungen aus anderen technischen Gebieten wie denen der Biochemie und der Medizin nach solchen Verbindungen zu suchen, bedürfe es keiner erfinderischen Tätigkeit, um die technische Aufgabe zu lösen, die darin bestand, eine Alternative zu den im Stand der Technik offenbarten Zusammensetzungen bereitzustellen, indem diese ausdrücklich genannten Komponenten mit besagter Wirkung durch andere solche Komponenten ersetzt werden, die bei der Suche in den erwähnten technischen Gebieten ermittelt werden können.
In T 1941/12 erklärte die Kammer unter anderem Folgendes: Schon aufgrund der Tatsache, dass sie willkürlich ist, beruht eine willkürliche Auswahl von Stämmen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies gilt umso mehr, als die beiden ausgewählten speziellen Stämme aus dem Stand der Technik als im Handel erhältlich bekannt waren.
In T 892/08 verwies die Kammer auf die ständige Rechtsprechung. Demnach gilt, wenn eine technische Aufgabe lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Stoffgemischs oder eines weiteren Verfahrens, d. h. einer Alternative zum Stand der Technik besteht, dass alle Merkmale oder Merkmalkombinationen, die für diese Art von Stoffgemisch oder Verfahren bereits üblich sind, gleichermaßen naheliegende Lösungen der gestellten Aufgabe darstellen. Die Kammern haben wiederholt festgestellt, dass die rein willkürliche Auswahl einer Alternative unter mehreren gleichermaßen naheliegenden Variationen keinerlei erfinderischen Charakter hat. S. auch T 311/95, T 89/16.
In T 816/16 befand die Kammer, dass die Hinzufügung weiterer Komponenten, die auf dem betreffenden Gebiet der Technik für ihre Wirkung bekannt sind, als willkürliche Auswahl aus der Fachperson zur Verfügung stehenden Komponenten anzusehen ist.
In T 1779/19 konnte die vorgeschlagene Lösung die im Patent dargestellte Aufgabe nicht erfolgreich lösen. Die Kammer befand jedoch, dass die Versuche im Patent zumindest zeigen, dass das beanspruchte Verfahren deutlich besser funktioniert als andere bekannte Alternativen. Dies bedeutet, dass die beanspruchten Zusatzstoffe als besonders wirksam für die Verhinderung von Chlorablagerungen identifiziert worden sind, sodass sie nicht als willkürlich ausgewählt angesehen werden können. Die Kammer schlussfolgerte, dass der beanspruchte Gegenstand nicht einfach eine (allgemeine oder willkürliche) Alternative darstellt, sondern vielmehr eine Alternative, die im Vergleich zu anderen üblicherweise verwendeten Zusatzstoffen hochwirksam ist. Die zu lösende Aufgabe wurde daher umformuliert als Bereitstellung eines alternativen Verfahrens, das eine hohe Wirksamkeit bei der Verhinderung von Chlorablagerungen gewährleistet.