2.6. Rechtliches Gehör und Zeitpunkt von Entscheidungen
2.6.3 Sofortige Zurückweisung nach einem Bescheid
Eine Prüfungsabteilung überschreitet ihr Ermessen nicht, wenn sie eine Anmeldung nach nur einem Bescheid unmittelbar zurückweist. Die Entscheidung muss jedoch mit Art. 113 (1) EPÜ in Einklang stehen, d. h. auf Gründe gestützt sein, zu denen der Anmelder sich äußern konnte (s. T 201/98 und T 1002/03; s. auch T 84/82, ABl. 1983, 451 und T 300/89, ABl. 1991, 480; s. Kapitel IV.B.2.3. "Zurückweisung nach einem einzigen Bescheid"). Wird die tatsächliche Grundlage in dem einzigen Bescheid nicht hinreichend angegeben, so dass der Anmelder über die Einschätzung der Prüfungsabteilung spekulieren muss und somit nicht in der Lage ist, seine Rechte angemessen zu verteidigen, so sind die Erfordernisse des Art. 113 (1) EPÜ nicht erfüllt; ergeht nach einem solchen mangelhaften einzigen Bescheid eine abschließende Entscheidung, so stellt dies daher einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (T 435/07).
In T 305/14 entschied die Kammer: Nur wenn in einer vorangegangenen Mitteilung nach Art. 94 (3) EPÜ die wesentlichen rechtlichen und faktischen Gründe genannt sind, die zu der Feststellung führen, dass ein Erfordernis des EPÜ nicht erfüllt ist, kann aufgrund dieser Feststellung eine Entscheidung erlassen werden, ohne gegen Art. 113 (1) EPÜ zu verstoßen. Im vorliegenden Fall war die entscheidende Aussage in der Mitteilung nur in abstrakter Form und ohne die nötige logische Verknüpfung zwischen der Aussage und den technischen Fakten des konkreten Falls enthalten. Weil der Beschwerdeführer von der wesentlichen Argumentation erstmals in der angefochtenen Entscheidung erfuhr, hatte er keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
In T 17/22 hatte die Prüfungsabteilung zwei Bescheide erlassen, bevor sie die Patentanmeldung zurückwies. Der erste war eine Mitteilung nach R. 161 (1) und 162 EPÜ. Der zweite, mit einer Antwortfrist von einem Monat, trug die Überschrift "Aufforderung nach R. 137 (4) EPÜ und Art. 94 (3) EPÜ". Die Kammer sah keinen von ihnen als Sachbescheid nach Art. 94 (3) EPÜ an. Sie begründete dies u. a. damit, dass die in R. 137 (4) EPÜ vorgesehene kurze Frist von einem Monat für eine Antwort auf Sachfragen unangemessen sei und dass der bloße Verweis auf Art. 94 (3) EPÜ in der Überschrift des Bescheids nichts an der Schlussfolgerung ändere, dass es sich bei der Mitteilung nach R. 137 (4) EPÜ nicht um einen Sachbescheid nach Art. 94 (3) EPÜ handelte. Die Kammer befand, dass die Unterlassung einer Mitteilung nach Art. 94 (3) EPÜ mit einer angemessenen Antwortfrist einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellte, da dem Anmelder dadurch die Möglichkeit genommen wurde, auf eine solche Mitteilung zu reagieren.