8.3.5 Rechtsprechung zu mündlichen Verhandlungen während der COVID-19-Pandemie und vor G 1/21
Nach Auffassung der Kammer in T 762/21 lässt sich die mündliche Verhandlung in bestimmten Fällen effizienter in Präsenz durchführen als per Videokonferenz, so auch im vorliegenden Fall. Doch anders als vom Beschwerdegegner mit Verweis auf G 1/21 geltend gemacht, sah sie keinen Verfahrensmangel darin, dass die Einspruchsabteilung die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchgeführt hatte. Insbesondere die vom Beschwerdeführer angeführte Tatsache, dass ihm nicht gestattet worden war, seinen Bildschirm für eine PowerPoint-Präsentation zu teilen, stellte keinen Verfahrensmangel dar, der auf die Durchführung als Videokonferenz zurückzuführen war. Dasselbe wäre in einer in Präsenz durchgeführten mündlichen Verhandlung passiert, wenn der Beschwerdeführer dort versucht hätte, seine Argumente anhand einer nicht vorab schriftlich angekündigten oder eingereichten PowerPoint-Präsentation vorzutragen.
In T 2011/21 hatte der Beschwerdeführer (Einsprechende) die Entscheidung der Einspruchsabteilung angefochten, die mündliche Verhandlung und die Begutachtung des Kindersicherheitssitzes "Sirona" per Videokonferenz durchzuführen. Die Einspruchsabteilung hatte nach Ansicht der Kammer fälschlicherweise die vom Einsprechenden beantragte Beweisaufnahme durch Augenscheinseinnahme in Präsenz abgelehnt. Der Antrag des Einsprechenden war begründet und nach Auffassung der Kammer fundiert gewesen, insbesondere da der in Augenschein zu nehmende Sitz ein komplexer dreidimensionaler Gegenstand war und nicht von vornherein davon auszugehen war, dass die Verhandlungsteilnehmer anhand von am Bildschirm präsentierten Bildern den vollen Umfang der Offenbarung einschätzen konnten. Doch stellte dieser Fehler keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar, denn tatsächlich war die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung trotz der Vorbenutzung des "Sirona" für neu zu befinden, durch die Durchführung als Videokonferenz weder zu Ungunsten des Beschwerdeführers (Einsprechenden) getroffen noch zu seinen Ungunsten beeinflusst worden.