3.4.4 Defizitäre Begründung
Gemäß T 493/88 (ABl. 1991, 380) ist eine Entscheidung einer Einspruchsabteilung auf Zurückweisung des Einspruchs nicht vorschriftsmäßig begründet im Sinne von R. 68 (2) Satz 1 EPÜ 1973, wenn nach Angabe der Gründe, aus denen die Einspruchsabteilung den Gegenstand des Patents entgegen der Auffassung des Einsprechenden für neu erachtet, nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen diesem Gegenstand auch eine erfinderische Tätigkeit zuerkannt wird.
In T 1532/21 stimmte die Kammer mit dem Beschwerdeführer darin überein, dass die Prüfungsabteilung ihre Aussage in der angefochtenen Entscheidung nicht begründet hatte, wonach die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale nicht über den gesamten Schutzbereich des Anspruchs 1 erreicht wurde. Ebenso wenig war angegeben, in welchem Teil des Schutzumfangs der Ansprüche diese nicht erreicht wurde. Folglich konnte der Beschwerdeführer nur vermuten, wie er die Ansprüche beschränken müsste, um sicherzustellen, dass die technische Wirkung über deren gesamten Schutzbereich erreicht wird. Anstatt eine logische Kette von Argumenten zu liefern, hatte die Prüfungsabteilung eine Reihe von Fragen aufgeworfen.
In T 1411/07 stellte die Kammer fest, dass das Fehlen jeglichen Hinweises auf jene Erwägungen von Seiten der Einspruchsabteilung hinsichtlich der faktischen und rechtlichen Umstände des Falls sowie das gänzliche Fehlen einer logischen Gedankenführung daher sowohl die Parteien als auch die Kammer im Unklaren darüber ließen, welche Überlegungen die Einspruchsabteilung zu der Schlussfolgerung geführt hatten, den Einspruch als ausreichend substantiiert anzusehen. Daher war die Kammer der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung keine Begründung im Sinne der R. 68 (2) EPÜ 1973 aufwies (so auch T 2245/12).
In T 1553/07 hatte die Einspruchsabteilung nicht angegeben, worauf sich ihre Überzeugung zur offenkundigen Vorbenutzung gründete und wie sie zu diesem Ergebnis gelangte. Ebenso wenig war erkennbar, welche Überlegungen die Einspruchsabteilung zu ihren Schlussfolgerungen bei der Neuheitsprüfung geführt hatten. Dadurch war es für die Kammer auch nicht möglich, zu überprüfen, ob die Schlussfolgerungen der ersten Instanz berechtigt waren. Die Entscheidung wurde für nicht begründet im Sinne der R. 68 (2), Satz 1 EPÜ 1973 erachtet.
Die Kammer in T 292/90 befand die ohne eine Begründung getroffene Feststellung der Prüfungsabteilung, dass sich das beanspruchte Verfahren aus der naheliegenden Nebeneinanderstellung bestimmter Dokumente ergebe, für nicht ausreichend.
In T 708/00 (ABl. 2004, 160) stellte die Kammer fest, dass weder die Bescheide noch die Entscheidung der Prüfungsabteilung über eine Aufzählung der Merkmale hinausgingen, die in den angeblichen Erfindungen vorlagen bzw. nicht vorlagen, was offenkundig keine geeignete Begründung für die mangelnde Einheitlichkeit der Erfindung darstellt. Da die Frage der mangelnden Einheitlichkeit für das Verfahren von entscheidender Bedeutung und zudem ein wichtiger Punkt bei der Zurückweisung der Anmeldung war, galt diese fehlende Begründung als wesentlicher Verfahrensmangel.
In T 153/89 hatte die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung ohne Angabe von Gründen festgestellt, dass der Gegenstand der abhängigen Ansprüche nicht erfinderisch sei. Die Beschwerdekammer sah sich außerstande, anhand dieser dürftigen Feststellung zu beurteilen, ob diese Frage ausreichend untersucht oder überhaupt geprüft worden war. Die diesbezügliche Entscheidung der Prüfungsabteilung stelle keine begründete Entscheidung dar.
In T 698/94 enthielt weder das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung noch die angefochtene Entscheidung auch nur den geringsten Hinweis auf die Argumente der Beteiligten. Auch auf Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer, die unter "Summary of Facts and Submissions" zitiert worden waren, wurde in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen. Die Verfahrensbeteiligten konnten daher nicht nachvollziehen, wie die Einspruchsabteilung zu ihrem Schluss gekommen war, dass mangelnde Neuheit vorlag. Die Kammer wies darauf hin, dass der unterlegenen Partei dadurch ihr legitimes Recht genommen wurde, die der Entscheidung zugrunde liegende Begründung anzufechten, was ja der eigentliche Hauptzweck des Verfahrens vor den Beschwerdekammern ist (vgl. G 9/91, ABl. 1993, 408). Siehe auch T 135/96 und T 652/97.
In T 1747/06 grenzte die Kammer den vorliegenden Sachverhalt von demjenigen in T 856/91 ab, wo entschieden worden war, dass auch eine unvollständige und mangelhafte Begründung eine Begründung im Sinne der R. 68 (2) EPÜ 1973 ist. Nach Auffassung der Kammer lag in T 1747/06 überhaupt keine Begründung vor, da unklar war, ob die Einspruchsabteilung bei ihrer Entscheidungsfindung irgendeine der Entgegenhaltungen berücksichtigt hatte, und eine schlüssige Begründung für ihre Schlussfolgerung fehlte. Außerdem war unklar, ob die Feststellungen in den Entscheidungsgründen tatsächlich die Meinung der Einspruchsabteilung widerspiegelten oder lediglich die Meinung beispielsweise des Patentinhabers (s. auch T 1366/05).
In T 1724/10 entschied die Kammer, dass das Nebeneinander von anscheinend widersprüchlichen Feststellungen (z. B. Anerkennung technischer Unterschiede, aber keine Möglichkeit, eine technische Aufgabe zu definieren), die in der angefochtenen Entscheidung ohne jede Untermauerung durch Fakten apodiktisch als evident präsentiert wurden, keine "begründete Entscheidung" im Sinne der R. 111 (2) EPÜ darstelle.
In T 1713/20 war die Argumentation der Prüfungsabteilung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit unvollständig. So wurden nur einzelne Punkte des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes isoliert behandelt, und es war nicht klar, auf welche Ansprüche oder beanspruchten Gegenstände sich die einzelnen Argumente oder Aussagen bezogen. Es gab keine logische Argumentationskette zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands. Insbesondere war aus der Entscheidung insgesamt nicht klar, von welchem Dokument bzw. welchen Dokumenten die Prüfungsabteilung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ausgegangen war. Laut Kammer ist das Erfordernis der R. 111 (2) EPÜ, wonach eine Entscheidung zu begründen ist, nicht erfüllt, wenn die Entscheidung bloß Aussagen enthält, die bestenfalls zu Spekulationen darüber Anlass geben, was der Spruchkörper wohl ausdrücken wollte.
In T 3071/19 hatte sich die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung auf ein Video gestützt, das zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr verfügbar war. Die Kammer erklärte, dass eine beschwerdefähige Entscheidung nicht im Sinne der R. 111 (2) EPÜ begründet ist, wenn sie der Beschwerdekammer nicht ermöglicht, deren Korrektheit zu überprüfen. Eine Entscheidung sollte sich deshalb nicht auf Beweismittel stützen, die nur auf einer Webseite verfügbar sind, von der nicht garantiert ist, dass sie zugänglich und unverändert bleibt. Vielmehr ist sicherzustellen, dass eine Person, die in die Akte Einsicht nimmt, verlässlich auf die angeführten Beweismittel zugreifen kann, z. B. durch geeignete Screenshots als Nachweis für das, was in dem Video zu sehen war. Im Wesentlichen die gleiche Situation lag in T 3000/19 vor, denn das Video, auf das sich die Entscheidung stützte, war am Tag der Kammerentscheidung nicht mehr verfügbar. Den in der Akte befindlichen Screenshot erachtete die Kammer als eindeutig unzureichend für eine gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung. Ferner ging aus der Akte nicht hervor, ob der Inhalt des Videos in einer Weise erfasst, bewahrt und/oder gespeichert worden war, die seine Zugänglichkeit für Justizangehörige oder interessierte Kreise gewährleistete. Wird ein im Internet gefundenes Video als Beweismittel aus dem Stand der Technik für die Zurückweisung einer Patentanmeldung herangezogen, müssen sein Inhalt in einer für eine Überprüfung der Entscheidung geeigneten Form und beweiskräftige Metadaten, die belegen, wann und wie das Video der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, bewahrt und zu geeigneter Zeit interessierten Kreisen und Rechtsprechungsorganen zur Verfügung gestellt werden, so die Kammer.
In T 505/20 stellte die Kammer fest, dass die Einspruchsabteilung den wirksamen Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ersten Hilfsantrags nicht berücksichtigt hatte, was dazu führte, dass sich ihre Begründung, warum sie den in der mündlichen Verhandlung eingereichten ersten Hilfsantrag für gewährbar hielt, nicht auf die von ihr letztlich aufrechterhaltene Fassung des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags bezog. Folglich waren zumindest einige der Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung nicht ordnungsgemäß durch die Entscheidungsbegründung gestützt. Die Kammer erachtete die Entscheidung für nicht begründet, sodass ein wesentlicher Verfahrensmangel vorlag.