3. Aussetzung des Verfahrens nach Regel 14 EPÜ
3.2. Regel 14 (3) EPÜ
Gemäß R. 14 (3) EPÜ (R. 13 (3) EPÜ 1973) kann das EPA bei der Aussetzung des Erteilungsverfahrens einen Zeitpunkt festsetzen, zu dem es beabsichtigt, das Erteilungsverfahren ohne Rücksicht auf den Stand des nach R. 14 (1) EPÜ eingeleiteten nationalen Verfahrens fortzusetzen. Ausweislich des Wortlauts der R. 14 (3) EPÜ handelt es sich dabei um eine Ermessensentscheidung (J 33/03, s. auch J 2/14, J 3/18).
In J 10/02 trug die Juristische Beschwerdekammer in Ausübung ihres Ermessens nach R. 13 (3) EPÜ 1973 zum einen der Tatsache Rechnung, dass das Vindikationsverfahren nur einen Teil der Erfindung betraf, und zum anderen der Dauer der Aussetzung des Verfahrens.
In den beiden parallel ergangenen Entscheidungen J 6/10 und J 7/10 entschied die Juristische Beschwerdekammer, dass bei der Ausübung des Ermessens nach R. 14 (3) EPÜ u. a. folgende Aspekte zu beachten sind: i) wie lange Verfahren vor nationalen Gerichten/Behörden anhängig sind (wobei die Meinung vertreten wurde, dass ein Zeitraum von mehr als vier Jahren sowohl bei deshalb ausgesetzten Erteilungsverfahren als auch bei deshalb vor der ersten Instanz anhängigen Vindikationsverfahren beträchtlich sei), ii) die Dauer der Aussetzung von Erteilungsverfahren und iii) Anträge auf Aussetzung des Erteilungsverfahrens wurden in einem späten Stadium eingereicht.
In J 15/13 befand die Juristische Beschwerdekammer Folgendes: Dass ein Antrag nach R. 14 (1) EPÜ im letztmöglichen Moment gestellt wurde, kann nur dann als Argument für die Wiederaufnahme des Erteilungsverfahrens herangezogen werden, wenn der Beschwerdegegner durch diese Vorgehensweise offenbar missbräuchlich von seinem Recht auf Aussetzung des Erteilungsverfahrens Gebrauch macht.
In J 4/17 stellte die Juristische Beschwerdekammer fest, dass der Gesetzgeber es der Praxis und der Rechtsprechung überlassen hat zu definieren, unter welchen Umständen eine Ermessensentscheidung zur Festsetzung eines Zeitpunkts für die Verfahrensfortsetzung gerechtfertigt ist. Die Fortsetzung des Verfahrens beschränkt sich nicht auf Fälle von Verfahrensmissbrauch oder Verzögerungstaktiken. Die Möglichkeit, dass das EPA bei einer Aussetzung des Erteilungsverfahrens einen Zeitpunkt für dessen Fortsetzung festsetzt, deutet auf eine breitere Auslegung hin. Ein Anmelder kann seinen Antrag auf Fortsetzung jedoch nicht auf die Dauer des Vindikationsverfahrens stützen, wenn dieses maßgeblich durch sein Verhalten in die Länge gezogen wurde.
In J 13/12 entschied die Juristische Beschwerdekammer, dass das EPA bei der Ausübung des Ermessens im Rahmen von R. 14 (3) EPÜ die Interessen des Anmelders einerseits und des Dritten, der das nationale Vindikationsverfahren gegen den Anmelder angestrengt hat, andererseits abwägen muss. Die Richtlinien als interne Verwaltungsrichtlinien können ergänzend herangezogen werden. Es lässt sich aus den Richtlinien aber nicht ableiten, dass vor der Festsetzung eines Zeitpunkts für die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens, jedenfalls aber vor der tatsächlichen Fortsetzung des Verfahrens der rechtskräftige Abschluss des Vindikationsverfahrens gegebenenfalls nach Durchlaufen aller Rechtsmittelzüge abgewartet werden müsste. S. auch J 14/19.
In J 1/16 erklärte die Juristische Beschwerdekammer: Hat die Rechtsabteilung bei einer Entscheidung über die Fortsetzung der Aussetzung den ihr eingeräumten Ermessensspielraum erkannt und ausgeschöpft, die bei der Abwägung einzubeziehenden Aspekte umfassend herangezogen, keine sachfremden Erwägungen einfließen lassen und bei der Würdigung der Umstände keine gedanklichen Fehler erkennen lassen, so ist es der Kammer verwehrt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Rechtsabteilung zu setzen. Der Eintritt veränderter Umstände, hier eine Entscheidung des Berufungsgerichts im nationalen Vindikationsverfahren, kann jedoch Anlass sein, die im Grunde zu bestätigende Entscheidung anzupassen.
In J 3/18 stimmte die Juristische Beschwerdekammer der Rechtsabteilung in deren Entscheidung zu, nicht gemäß R. 14 (3) EPÜ einen Zeitpunkt für die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens festzusetzen. Der Beschwerdeführer hatte unter anderem vorgebracht, dass weitere Verfahren des Beschwerdegegners (Dritter) mindestens noch sechs Jahre dauern könnten. Die Juristische Beschwerdekammer befand wie folgt: Die Tatsache, dass Streitverfahren im belgischen Rechtssystem bis zum Ergehen der endgültigen Entscheidung extrem lang dauerten, könne den Ausgang des Beschwerdeverfahrens nicht beeinflussen, weil unklar sei, wie lange dieses Verfahren tatsächlich dauern würde und welche Folgen es für die Beteiligten hätte.
In T 146/82 date: 1985-05-29 (ABl. 1985, 267) entschied die Kammer wie folgt: Setzt das EPA gemäß R. 13 (3) EPÜ 1973 einen Zeitpunkt fest, zu dem es das europäische Patenterteilungsverfahren fortzusetzen beabsichtigt, so kann auf späteren Antrag des Anmelders oder des Dritten, der die Aussetzung beantragt hat, der Zeitpunkt geändert oder die Aussetzung des Verfahrens aufgehoben werden.
In den beiden parallel ergangenen Entscheidungen J 10/21 und J 11/21 entschied die Juristische Beschwerdekammer, dass bei der Ausübung des Ermessens nach R. 14 (3) EPÜ die Rechtsabteilung die Interessen des Anmelders und des Dritten, der das nationale Vindikationsverfahren angestrengt hat, gegeneinander abwägen und sich dabei am Regelungszweck von Art. 61 EPÜ orientieren muss (J 14/19, J 13/12 und J 2/14). Zur Klärung der Frage der tatsächlichen Berechtigung seien jedoch ausschließlich die nationalen Gerichte zuständig. Die Interessenabwägung durch das EPA nach R. 14 (3) EPÜ habe daher grundsätzlich ohne inhaltliche Beurteilung des nationalen Gerichtsverfahrens (J 24/13 und J 2/14) und somit nach anderen Kriterien zu erfolgen. Die Juristische Beschwerdekammer stellte zunächst fest, dass bei der Interessenabwägung insbesondere folgende Kriterien miteinzubeziehen sind (J 14/19, J 6/10 und J 15/13): i) wie lange das Verfahren vor den nationalen Gerichten oder Behörden bereits andauert, ii) wie lange die Aussetzung des Erteilungsverfahrens bereits andauert, iii) ob die Aussetzung in einem späten Stadium des Erteilungsverfahrens beantragt wurde, und iv) ob seitens des Dritten rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt. Der Sachverhalt, der diesen oder anderen Kriterien zugrunde liegt, sei vom Anmelder vorzutragen.