4.4.4 Erfordernis rechtfertigender Gründe seitens der Beteiligten
(i) Erforderlichkeit von Erläuterungen zum infrage stehenden Antrag und zu allen noch offenen Einwänden
Wie die Kammer in T 667/18 feststellte, sind nach ständiger Rechtsprechung Anträge, die nicht ordnungsgemäß substantiiert sind, nicht zulässig. Im vorliegenden Fall waren in den Ansprüchen des in Reaktion auf die vorläufige Einschätzung der Kammer eingereichten neuen Hauptantrags ohne jede Erklärung Merkmale kombiniert, die bis dahin nicht beansprucht worden waren. Nach Auffassung der Kammer war dies der Verfahrensökonomie abträglich. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit beschränkten sich die Ausführungen des Beschwerdeführers (Anmelders) auf einen unklaren Verweis auf Angaben in seiner Beschwerdebegründung, die die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des damaligen Hauptantrags betrafen.
In T 2222/15 waren die Hilfsanträge 2.2 und 2.3 insofern geändert worden, als die Verfahrensansprüche gestrichen wurden, sodass nur noch die Vorrichtungsansprüche übrigblieben. Die Kammer stellte fest, dass das beanspruchte Erzeugnis im Wesentlichen durch das Verfahren definiert wird. Der Einwand der mangelnden Neuheit des Verfahrens war daher auch für das Erzeugnis relevant, auch wenn dies in der Beschwerdebegründung nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Wäre der Gegenstand der Erzeugnisansprüche aus anderen als den für die Verfahrensansprüche geltenden Gründen patentierbar, hätten diese, so die Auffassung der Kammer, als Begründung für die Änderung vorgebracht werden müssen.
In T 608/20 wies die Kammer unter anderem darauf hin, dass der Beschwerdeführer bei Einreichung des Hilfsantrags 8 als Reaktion auf die angeblich neuen Einwände zur erfinderischen Tätigkeit, die die Beschwerdegegner in ihren Beschwerdeerwiderungen vorgebracht hatten, entgegen dem weiteren Erfordernis von Art. 13 Abs. 1 Satz 4 VOBK versäumt hat, diese Änderung seines Beschwerdevorbringens im Hinblick auf die anderen noch offenen Einwände zu substantiieren.
Wie die Kammer in T 938/20 feststellte, ist die Formulierung "Anlass zu neuen Einwänden geben" so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer nachweisen muss, dass prima facie kein gültiger neuer Einwand erkennbar ist (siehe Zusatzpublikation 2, ABl. 2020, Tabelle mit den Änderungen der VOBK und Erläuterungen). Sie bedeutet nicht, dass jeder neue Einwand der Einsprechenden – ob berechtigt oder nicht – den Antrag unzulässig macht. Im vorliegenden Fall bedeutet dies insbesondere in Bezug auf Art. 123 (2) EPÜ, dass eine Grundlage für die Änderung leicht erkennbar sein sollte, was der Fall war.
(ii) Sich von selbst ergebende Substantiierung
In T 32/16 hatte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) in seiner schriftlichen Erwiderung angegeben, woher die Änderung stammte (Art. 12 (4) VOBK). Die Kammer stellte fest, dass die eingeführte Terminologie den Wortlaut der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ausdrücklich aufgriff. Die Darlegung, wie diese Änderungen die Einwände in diesem besonderen Fall ausräumten, bei dem die fehlenden Merkmale als solche zumindest bereits vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) angegeben worden waren, ergab sich daher von selbst aus den vorgenommenen Änderungen.
Hingegen befand die Kammer in T 700/15, dass der Beschwerdeführer (Patentinhaber) für die neuen Hilfsanträge (1', 1'0, 1'a, etc.) nicht im Sinne von Art. 13 (1) VOBK aufgezeigt hatte, dass die Änderung prima facie von der Kammer aufgeworfene Fragen ausräumte, und dies ergab sich auch nicht für die Kammer erkennbar aus der betreffenden Änderung. Die Hilfsanträge wurden daher nicht ins Verfahren zugelassen.
(iii) Folgen einer unzureichenden Substantiierung auf die Wirksamkeit der Einreichung
In T 319/18 (wo nicht sofort ersichtlich war, wie der Hilfsantrag 5 den Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage von Dokument D1 ausräumen sollte) wies die Kammer darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Kammern nicht aus sich heraus verständliche Anträge erst an dem Tag wirksam werden, an dem sie begründet werden (unter Bezugnahme auf T 1732/10). Siehe auch T 2457/16.
In T 1220/21 vertrat die Kammer allerdings eine gegenteilige Auffassung. In dieser Entscheidung erläuterte sie, dass eine fehlende oder unzureichende Substantiierung eines Antrags zu dessen Nichtzulassung führen könne, was jedoch nicht bedeute, dass der Antrag nicht wirksam eingereicht wurde. Zur Diskussion der beiden Ansätze zu dieser Frage, siehe auch T 321/21.