E. Änderungen
5. Beweise und Beweismaß bei der Zulässigkeit von Änderungen und Berichtigungen
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss bei einer vorgeschlagenen Änderung nach Art. 123 (2) EPÜ oder einer Berichtigung nach R. 139 EPÜ der Nachweis der sachlichen Offenbarung der europäischen Patentanmeldung in der ursprünglichen Fassung strengen Maßstäben genügen, nämlich mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erbracht werden. In T 1248/08 wird die einschlägige Rechtsprechung zusammengefasst, wie sie sich aus T 113/86, T 383/88, T 581/91, T 723/02, T 1239/03 ergibt; weitere neuere Entscheidungen wie T 831/11, T 1710/13, T 2418/13 und T 1224/14, T 19/20, J 3/21, T 1435/20 und T 1515/20 bestätigen diesen Maßstab. Insbesondere stellte die Kammer in T 768/20 fest, dass schon das Erfordernis einer eindeutigen Offenbarung nach dem "Goldstandard" darauf hindeutet, dass ein strenger Maßstab anzuwenden ist und dass das tatsächliche Vorhandensein einer Offenbarung keine Frage der Wahrscheinlichkeit ist.
Gemäß T 307/05 und T 370/10 ist der Maßstab der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" auch auf die Gewährbarkeit von Änderungen nach Art. 123 (3) EPÜ anzuwenden. Zu weiteren Entscheidungen, die diesen Maßstab bestätigen, s. beispielsweise T 2275/17.
Die Beweislast dafür, dass Änderungen Art. 123 (2) EPÜ entsprechen, liegt bei der Partei, die die Änderungen vornimmt (T 910/06 unter Verweis auf T 1239/03; s. auch T 222/05 und T 1497/08). S. T 2275/17 im Zusammenhang mit Art. 123 (3) EPÜ.
In T 383/88 stellte die Kammer fest, dass der in Verfahren vor den Beschwerdekammern übliche Maßstab bei der Beweiswürdigung, nämlich das "Abwägen der Wahrscheinlichkeit", für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Änderung nach Art. 123 (2) EPÜ 1973 untauglich sei. In einem solchem Fall hielt die Kammer einen strengen, dem Urteil "zweifelsfrei" entsprechenden Maßstab für angezeigt, da es sonst leicht zu unbemerktem Missbrauch kommen könne, wenn Änderungen aufgrund eines scheinbar bewiesenen allgemeinen Wissensstands zugelassen würden. In T 383/88 stellte die Kammer auch fest, dass die Frage, ob eine Änderung nach Art. 123 (2) EPÜ 1973 zulässig sei, danach entschieden werden müsse, was sich vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens aus der eingereichten Patentanmeldung ableiten lasse, und nicht umgekehrt. Außerdem sei der allgemeine Wissensstand bekanntlich schwer nachzuweisen. So komme es durchaus vor, dass Informationen zwar allgemein verbreitet und daher in der Fachwelt bekannt seien, ihnen aber doch die allgemeine Akzeptanz versagt bleibe.
Die Kammer in T 307/05 stellte fest, dass es laut der Entscheidung T 64/03 ständige Rechtsprechung ist, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit von Änderungen nach Art. 123 (2) und 123 (3) EPÜ ein sehr strenger Maßstab anzuwenden ist, nämlich derjenige der "mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit". Ein ähnlich strenger Maßstab sei auch in der Entscheidung T 581/91 angelegt worden, auf die sich die Kammer in ihrer Mitteilung berufen habe und in der unter Verweis auf die Entscheidung T 113/86 festgestellt worden sei, dass eine Änderung nicht gewährbar ist, wenn auch nur der geringste Zweifel daran besteht, dass das Patent vor Änderung anders ausgelegt werden kann als das Patent in der geänderten Fassung (s. auch T 370/10, T 2285/09, T 2418/13).