1. Vorbemerkungen
1.2. Auslegung nach Völkerrecht
Als internationaler Vertrag ist das EPÜ in Übereinstimmung mit den Grundsätzen auszulegen, die im Völkerrecht entwickelt worden sind (G 1/83, ABl. 1985, 60; G 2/12, G 2/13). Die Auslegungsgrundsätze des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 und dessen Anwendung auf das EPÜ sind Gegenstand des vorliegenden Kapitels III.H.2.
Bei der Auslegung internationaler Verträge, durch die Rechte und Pflichten natürlicher oder juristischer Personen begründet werden, muss auch die Frage der Harmonisierung nationaler und internationaler Vorschriften in Betracht gezogen werden. Dies ist umso wichtiger, wenn – wie im Falle des europäischen Patentrechts – Bestimmungen eines internationalen Abkommens in nationales Recht umgesetzt wurden. Die Etablierung harmonisierter Patentgesetze in den Vertragsstaaten muss zwangsläufig mit einer harmonisierten Auslegung einhergehen. Die Beschwerdekammern ziehen bei der Rechtsauslegung Entscheidungen und Stellungnahmen der nationalen Gerichte heran (s. G 1/83; s. auch G 2/12 und G 2/13). Die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens sind ebenso wie die Entscheidungen des Europäischen bzw. des Internationalen Gerichtshofs und nationale Entscheidungen Elemente, die von den Beschwerdekammern berücksichtigt werden müssen, für sie aber nicht bindend sind (s. G 2/02 und G 3/02, ABl. 2004, 483, Nr. 8.6 der Gründe). Ebenso hat die Auslegung von R. 101 (9) EPÜ 1973 durch den Verwaltungsrat der EPO (nachfolgend "Verwaltungsrat") keine formelle bindende Wirkung für die Beschwerdekammern (J 16/96, ABl. 1998, 347).