2. Billigkeit einer anderweitigen Kostenverteilung – Fallgruppen
2.3. Einlegung des Einspruchs oder der Beschwerde
Eine Kostenverteilung wird häufig mit der Begründung beantragt, die Einlegung des Einspruchs bzw. der Beschwerde sei missbräuchlich gewesen. Die Tatsache, dass eine eingelegte Beschwerde sich als klar unzulässig erweist, rechtfertigt jedoch keine Auferlegung der Kosten, wenn der Beschwerdeführer subjektiv offensichtlich vom Vorliegen einer Beschwer ausgegangen ist. Eine Partei, die den Eindruck hat, die erste Instanz sei ihrem Antrag nicht gefolgt, kann in legitimer Weise annehmen, sie sei durch deren Entscheidung beschwert. In diesem Fall ist es ihr natürliches Recht, von dem im EPÜ vorgesehenen Beschwerdeverfahren Gebrauch zu machen und eine Überprüfung der Entscheidung herbeizuführen. Der Umstand, sich von Fall zu Fall gegen letztendlich unbegründete oder auch unzulässige Beschwerden verteidigen zu müssen, liegt im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dieser Umstand rechtfertigt daher, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, keine abweichende Kostenverteilung. Das EPÜ sieht keine Unterscheidung zwischen erfolglosen und erfolgreichen Beschwerden betreffend Kostenverteilung vor, sodass nicht argumentiert werden kann, dass bei anscheinend eindeutiger Unzulässigkeit der Beschwerde eine Kostenverteilung vorzunehmen sei (T 614/89, T 772/95, T 2177/12, T 964/14).
In T 170/83 hatte der Einsprechende ein falsches Formular für die Zahlung der Einspruchsgebühr benutzt und dadurch die Entscheidung der Formalprüfungsstelle, den Einspruch als nicht eingelegt zu betrachten, verursacht, gegen die er dann Beschwerde eingelegt hatte. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte, die Beschwerdekosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, da er durch seinen Fehler das Verfahren erforderlich gemacht habe. Die Kammer wies den Antrag mit der Begründung zurück, ein die Kostenverteilung rechtfertigender Missbrauch könne nur im Verhalten der Partei während des Verfahrens verankert sein.
Die Kammern werteten in einigen Fällen die Zulässigkeit oder Begründetheit eines Einspruchs oder einer Beschwerde als Indiz dafür, dass kein Missbrauch vorliegt (so u. a. in T 7/88 und T 525/88). Ähnlich konnte die Kammer in T 506/89 keinen Verfahrensmissbrauch durch die Einlegung der Beschwerde seitens des Einsprechenden erkennen und lehnte somit eine anderweitige Kostenverteilung ab, da sie in der mündlichen Verhandlung beschlossen habe, das Patent in geänderter Form aufrechtzuerhalten. Ein Verfahrensmissbrauch lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Beschwerde ohne neue Argumentation eingelegt wird (T 605/92) bzw. die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers als gering geschätzt werden (T 318/91). Nach T 717/95 stellt es auch keinen Missbrauch dar, wenn ein Verfahrensbeteiligter beim Vergleich des im Streitpatent beanspruchten Gegenstands mit einer Entgegenhaltung deren Inhalt fehlinterpretiert.
In J 22/12 war strittig, ob eine Beschwerde gegen eine im Namen der Prüfungsabteilung ergangene Mitteilung zulässig sein kann. Die Kammer verneinte dies. Sie war der Auffassung, dass die Einlegung eines Einspruchs und später einer Beschwerde nicht als missbräuchlich angesehen werden könne, weil damit bestimmungsgemäß vom EPÜ Gebrauch gemacht worden sei. Daher sei es in diesem Fall angemessen, dass die Beteiligten jeweils für ihre eigenen Kosten aufkämen.
In T 846/22 hatte der Beschwerdegegner argumentiert, dass die ihm aus den Verfahren der ersten und der zweiten Instanz entstandenen Kosten dem Beschwerdeführer auferlegt werden sollten, weil sie durch einen Verfahrensmissbrauch des Beschwerdeführers entstanden seien. Dieser habe während des ganzen Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens gehandelt, obwohl er ein ruhendes Unternehmen ("dormant company") war. Die Kammer kam jedoch zu dem Schluss, dass kein Verfahrensmissbrauch vorlag, und lehnte den Antrag auf Kostenverteilung ab.