2.2. Mitteilungen nach Regel 71 (1) und (2) EPÜ
2.2.1 Aufforderung zur Behebung von Mängeln und zur Einreichung von Änderungsvorschlägen (Regel 71 (1) EPÜ)
Die in R. 70a EPÜ geforderte Erwiderung des Anmelders auf die Stellungnahme zur Recherche (oder eine Erwiderung, die der Anmelder von sich aus auf eine Stellungnahme zur Recherche hin eingereicht hat, auf die er nicht hätte reagieren müssen) wird von der Prüfungsabteilung bei der Erstellung des ersten Bescheids berücksichtigt (EPÜ Richtlinien C‑II, 3.1 – Stand April 2025).
Gemäß R. 71 (1) EPÜ (R. 51 (2) EPÜ 1973) fordert die Prüfungsabteilung den Anmelder in den Mitteilungen nach Art. 94 (3) EPÜ gegebenenfalls auf, die festgestellten Mängel zu beseitigen und die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu ändern.
Ergibt die Prüfung, dass die Anmeldung oder die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens nicht genügt, so fordert die Prüfungsabteilung gemäß Art. 94 (3) EPÜ den Anmelder so oft wie erforderlich auf, eine Stellungnahme einzureichen und, vorbehaltlich des Art. 123 (1) EPÜ, die Anmeldung zu ändern.
In T 301/10 stellte die Kammer fest, dass der ständigen Rechtsprechung zu Art. 96 (2) EPÜ 1973 zufolge, die auch auf Art. 94 (3) EPÜ anwendbar ist, aus den Worten "so oft wie erforderlich" hervorgeht, dass die Prüfungsabteilung über einen Ermessensspielraum verfügt, von dem sie nach Lage des Einzelfalles objektiv Gebrauch machen muss (s. T 162/82, ABl. 1987, 533; T 300/89, ABl. 1991, 480; T 726/04. S. auch T 1734/10.
Weder nach Art. 113 (1) EPÜ 1973 noch nach Art. 96 (2) EPÜ 1973 (Art. 94 (3) EPÜ) muss dem Anmelder mehrmals die Gelegenheit gegeben werden, sich zu dem Vorbringen der Prüfungsabteilung zu äußern, wenn die entscheidenden Einwände gegen die Erteilung des europäischen Patents bestehen bleiben (T 84/82, ABl. 1983, 451; T 161/82, ABl. 1984, 551; T 162/82, T 243/89, T 958/99). Eine weitere Aufforderung zur Stellungnahme nach einem begründeten Bescheid, bei dem Mängel festgestellt wurden, ist nur dann angebracht, wenn es in Anbetracht der Erwiderung des Anmelders aussichtsreich erscheint, das Prüfungsverfahren durch die Erteilung eines Patents zu beenden (s. T 84/82, T 161/82, T 162/82, T 243/89, T 300/89, T 793/92, T 516/93, T 201/98).
In T 17/22 hatte die Prüfungsabteilung eine Mitteilung mit dem Titel "Aufforderung nach R. 137 (4) EPÜ und Art. 94 (3) EPÜ" erlassen, in deren Anhang sie einen Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ erhoben und folgende Anmerkung hinzugefügt hatte: "NB: Die Änderungen scheinen zudem nicht geeignet, die Mängel zu beseitigen." Ihre Entscheidung, die Anmeldung zurückzuweisen, hatte sie mit Art. 123 (2) EPÜ und mit mangelnder Neuheit, erfinderischer Tätigkeit und Klarheit begründet. Diese Mitteilung konnte nach Auffassung der Kammer weder als Sachbescheid nach Art. 94 (3) EPÜ angesehen werden noch als Mitteilung, durch die sich ein solcher Bescheid erübrigt, denn bei der Aufforderung nach R. 137 (4) EPÜ, mit der eine einmonatige Frist für die Erwiderung gesetzt worden war, handelte es sich um eine formale Mitteilung. Der Anmelder war lediglich aufgefordert worden, die Änderungen zu kennzeichnen und ihre Grundlage in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung anzugeben, unabhängig davon, ob sie dem Art. 123 (2) EPÜ genügten. Der von der Prüfungsabteilung im Anhang zur Mitteilung nach R. 137 (4) EPÜ erhobene Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ und die zusätzliche Anmerkung, dass die Änderungen zudem nicht geeignet schienen, die Mängel zu beseitigen, machten daraus keinen Sachbescheid nach Art. 94 (3) und R. 71 (1) EPÜ, insbesondere deswegen nicht, weil die Erwiderungsfrist weiterhin nur einen Monat betrug. Daran ändert auch der Verweis auf Art. 94 (3) EPÜ im Titel der Mitteilung nichts. Dass keine Mitteilung nach Art. 94 (3) EPÜ ergangen war, erachtete die Kammer als wesentlichen Verfahrensmangel, weil dies dem Anmelder die Möglichkeit einer Reaktion auf diese Mitteilung nehme. Siehe auch Kapitel III.B.2.5.3 zur Verletzung des rechtlichen Gehörs.