3.7.2 Anforderungen an einen wirksamen Einwand
Die Erhebung eines Einwands nach R. 106 EPÜ ist eine Verfahrenshandlung und Voraussetzung für den Zugang zum außerordentlichen Rechtsbehelf des Art. 112a EPÜ (R 4/08, R 7/08, R 3/11, R 7/11, R 16/12). Der Einwand muss von dem Beteiligten so formuliert werden, dass die Beschwerdekammer unmittelbar und zweifelsfrei erkennen kann, dass es sich um einen Einwand nach R. 106 EPÜ handelt (R 6/22, R 9/22, R 2/23). Er muss auch spezifisch sein und klar und eindeutig angeben, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht werden soll (s. R 4/08, R 7/08, R 8/08, R 1/10, R 17/10, R 7/11, R 5/12, R 6/12, R 16/12: ständige Rechtsprechung, R 3/14, R 8/16, R 9/22, R 2/23).
Ein Einwand nach R. 106 EPÜ erfolgt zusätzlich zu anderem Vorbringen, das sich etwa gegen die Verfahrensführung oder gegen einzelne prozessuale Feststellungen wendet oder diese gar rügt, und ist von diesem zu unterscheiden (R 2/08, R 7/08, R 9/09, R 1/10, R 14/11, R 21/11, R 16/12, R 6/22, R 9/22). Ein Einwand nach R. 106 EPÜ muss etwas anderes sein als ein angeblicher Hinweis auf einen möglichen Verstoß gegen Art. 113 EPÜ (R 2/23). Ein Einwand muss ausdrücklich als solcher gekennzeichnet werden (R 8/08, R 21/11, R 7/18). Jedoch kann ein Einwand auch ohne ausdrücklichen Verweis auf R. 106 EPÜ einen qualifizierten Einwand nach R. 106 EPÜ darstellen (R 21/09; s. auch R 12/14, R 17/14).
In R 18/12 stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass ein Einwand nur dann als Einwand im Sinne von R. 106 EPÜ betrachtet werden kann, wenn damit ein Verfahrensmangel beanstandet wird, der Gegenstand eines Überprüfungsantrags nach Art. 112a (2) a) bis d) EPÜ sein kann. Im vorliegenden Fall hielt die Große Beschwerdekammer fest, dass ein Einwand, der sich im Wesentlichen gegen die Feststellungen der Kammer zur Klarheit richtet, nicht als derartiger Einwand anzusehen ist, selbst wenn der Antragsteller sich ausdrücklich auf Art. 113 EPÜ bezieht. Unter Bezugnahme auf R 18/12 erinnerte die Große Beschwerdekammer in R 6/22 daran, dass es bei der Feststellung, ob der Antragsteller R. 106 EPÜ entsprochen hat, nicht auf den formalen Wortlaut des Einwands ankommt, sondern auf dessen Inhalt, wie er von der Kammer objektiv verstanden werden konnte. Im vorliegenden Fall hatte der Patentinhaber (Antragsteller) während der Diskussion vor der Kammer über die Zulassung des Hilfsantrags erklärt, dass die Nichtzulassung des Antrags eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen würde. Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass, selbst wenn die Kammer subjektiv wahrgenommen haben könnte, dass das Argument des Patentinhabers als Einwand nach R. 106 EPÜ gedacht war, die Kammer den Einwand offenbar nicht als wirksam erhoben angesehen hat.
In R 8/18 stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass weder im Überprüfungsantrag noch im Antrag auf Berichtigung der Niederschrift, noch in den Erklärungen der Vertreter irgendwo die Rede davon war, dass der Antragsteller im Zusammenhang mit der Ablehnung der Unterbrechung auf Art. 113 EPÜ oder auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs verwiesen hat; andernfalls hätte die Große Beschwerdekammer den Einwand unter Umständen als Verweis auf Art. 112a (2) c) EPÜ erkannt. Die Große Beschwerdekammer kam daher zu dem Schluss, dass des Antragstellers eigenes ursprüngliches Vorbringen nicht nahelegte, geschweige denn bewies, dass ein erkennbarer Einwand im Sinne der R. 106 EPÜ erhoben worden war.