T 0939/92 (Triazole) 12-09-1995
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1. Betrifft ein Anspruch eine Gruppe chemischer Verbindungen als solche, so darf ein Einwand wegen mangelnder Stützung durch die Beschreibung gemäß Artikel 84 EPÜ nicht allein deshalb erhoben werden, weil die Beschreibung nicht genügend Angaben enthält, die glaubhaft machen, daß alle beanspruchten Verbindungen eine behauptete technische Wirkung aufweisen (die aber nicht Bestandteil der Definition der beanspruchten Verbindungen ist) (s. Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe).
2. Die Frage, ob alle unter einen solchen Anspruch fallenden chemischen Verbindungen die betreffende technische Wirkung besitzen, kann sich im Rahmen des Artikels 56 EPÜ stellen, wenn sich erweist, daß der geltend gemachte erfinderische Charakter der Verbindungen allein in dieser technischen Wirkung begründet liegt (s. Nrn. 2.4 bis 2.6 der Entscheidungsgründe).
Klarheit und Stützung durch die Beschreibung (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Behauptete Wirkung nicht bei allen beanspruchten Alternativen glaubhaft
Lösung einer allgemeineren technischen Aufgabe naheliegend
Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 18. Mai 1992, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 87 303 463.1 (Veröffentlichungsnr. EP-A-0 246 749) zurückgewiesen wurde.
II. Der angefochtenen Entscheidung lagen ein geänderter Anspruchssatz für alle benannten Vertragsstaaten außer AT und ES sowie zwei gesonderte Anspruchssätze für AT bzw. ES zugrunde, die alle am 2. Dezember 1991 eingegangen waren.
Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß Anspruch 1 dieser Anspruchssätze nicht gemäß Artikel 84 EPÜ abgefaßt sei und daß es dem Gegenstand aller Ansprüche dieser Anspruchssätze im Hinblick auf die Entgegenhaltungen
D3: US-A-3 952 001,
D7: GB-A-2 120 665 und
D8: US-A-4 492 597
an erfinderischer Tätigkeit mangele.
Die Prüfungsabteilung beanstandete unter Berufung auf Artikel 84 EPÜ, daß die beanspruchte Klasse von Verbindungen durch vage Begriffe wie "substituiert" definiert sei. Sie war der Auffassung, der Begriff "substituiert" könne im Zusammenhang mit Produkten, die ausschließlich wegen ihrer biologischen Wirkung beansprucht würden, nicht im üblichen Sinne verstanden werden. Da er in der Beschreibung jedesmal in einer anderen besonderen Bedeutung verwendet werde, seien die Ansprüche unklar. Zudem könne der Schutzumfang der Ansprüche nicht als angemessene Verallgemeinerung der in der Beschreibung enthaltenen Beispiele angesehen werden. Die Prüfungsabteilung befand ferner, der vorstehend genannte Stand der Technik hätte dem Fachmann genügend Anreiz geboten, die anmeldungsgemäßen Verbindungen herzustellen und so die technische Aufgabe der Bereitstellung weiterer als Herbizide wirksamer Triazole zu lösen. Aus den genannten Entgegenhaltungen hätte der Fachmann nämlich zum einen kombiniert, daß das (als "Biophor" bezeichnete) wesentliche Strukturelement der beanspruchten Verbindungen, das allen chemischen Verbindungen, die es enthielten, herbizide Wirkung verleihe, der Triazolring mit Substituenten in der 1- und 3- und gegebenenfalls auch der 5-Stellung sei. Zum anderen seien die beiden Strukturänderungen, die man vornehmen müsse, um ausgehend von den in D7 und D8 beschriebenen Verbindungen zu einigen der beanspruchten Verbindungen zu gelangen, nichts anderes als ein herkömmlicher bioisosterer Austausch in Verbindung mit der Einführung herkömmlicher Substituenten in den Phenylring in der 5-Stellung des Triazolrings.
III. In einem Bescheid nach Artikel 110 (2) EPÜ bezweifelte die Beschwerdekammer, daß die Anmeldungsunterlagen selbst genügend Beweismittel enthielten, um die angegebene herbizide Wirkung für alle beanspruchten Verbindungen glaubhaft zu machen. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ließ sie den Beschwerdeführer ferner wissen, daß sie dem Anmeldungsgegenstand möglicherweise erfinderische Tätigkeit zuerkennen könnte, wenn er auf chemische Verbindungen beschränkt würde, deren herbizide Wirkung aufgrund des gesamten vorliegenden Beweismaterials glaubhaft sei, und steckte auch den möglichen Rahmen hierfür ab. In einem weiteren Bescheid verwies die Kammer auf die Entgegenhaltung
D9: C. Temple, "Triazoles 1,2,4" (Band 37 der Reihe "The Chemistry of Heterocyclic Compounds"), 1981, Seiten 261, 262, 286 und 287 in Verbindung mit den Seiten 411, 412 und 413,
und unterrichtete den Beschwerdeführer davon, daß die in der Anmeldung beanspruchten Verbindungen ohne weiteres als Produkt herkömmlicher Syntheseverfahren angesehen werden könnten. Wenn sich die in der vorliegenden Patentanmeldung gestellte Aufgabe lediglich auf die Bereitstellung neuer chemischer Verbindungen beschränkte, wären demnach die als Lösung dieser Aufgabe vorgeschlagenen und beanspruchten Verbindungen als naheliegend anzusehen.
IV. Daraufhin reichte der Beschwerdeführer am 5. November 1994 fünf weitere geänderte Anspruchssätze (A bis E) für alle benannten Vertragsstaaten außer ES und AT ein. In der mündlichen Verhandlung am 12. September 1995 änderte er Anspruch 1 des Anspruchssatzes A nochmals, um Einwände der Kammer im Hinblick auf die Artikel 84 und 123 (2) EPÜ auszuräumen.
Er beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Anspruchs 1 in der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fassung sowie der Ansprüche 2 bis 7 vom 27. Oktober 1994 (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der Anspruchssätze B bis E vom 27. Oktober 1994 (Hilfsanträge 1 bis 4). Zugleich stellte er den Antrag, daß der Großen Beschwerdekammer zwei als "Anfrage 1" und "Anfrage 2" bezeichnete Rechtsfragen in der von ihm in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fassung vorgelegt werden. Der geänderte Anspruch 1 des Anspruchssatzes A in der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fassung lautet wie folgt:
"1. Triazolsulfonamide der Formel
(FORMEL)
und deren Salze, worin
R1 Wasserstoff, Alkyl mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, Phenyl oder substituiertes oder unsubstituiertes Pyrimidin-2-yl,
R2 Wasserstoff, Alkyl mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, Phenyl, Amino, Alkylamino mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen oder 2,5-Dimethylpyrrol-1- yl und
R3 gegebenenfalls substituiertes Phenyl bedeutet,
mit der Einschränkung, daß
a) R1 und R2 nicht gleichzeitig Wasserstoff sind,
b) R2 nicht Phenyl ist, wenn R1 für Wasserstoff und zugleich R3 für Phenyl oder 4-Methylphenyl steht,
c) R2 nicht Amino ist, wenn R1 für Wasserstoff steht."
In Anspruch 1 der Anspruchssätze B bis E sind die Substituenten R1 und R2 enger definiert, während R3 überall für gegebenenfalls substituiertes Phenyl steht.
Die beiden vom Beschwerdeführer vorgelegten Rechtsfragen lauten wie folgt:
"Anfrage 1: Kann der dem Stand der Technik am nächsten kommende Lösungsansatz gemäß Artikel 56 für erfinderisch, ein weiter entfernter Lösungsansatz aber nach demselben Artikel für nicht erfinderisch befunden werden?"
"Anfrage 2: Ist ein Verweis der Kammer auf unsubstantiiertes allgemeines Fachwissen nur dann gültig, wenn er auf Dokumente gestützt wird?"
V. In der Beschwerdebegründung und seinen weiteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ geltend gemacht, daß die in Anspruch 1 verwendeten Ausdrücke zwar breit, aber völlig klar seien und daher kein Grund zu der Annahme bestehe, sie hätten im vorliegenden Fall eine besondere Bedeutung. In bezug auf Artikel 56 EPÜ bestritt er, daß der Fachmann aus den Entgegenhaltungen D3, D7 und D8 auf eine herbizide Wirkung der Verbindungen der vorstehenden Formel I geschlossen hätte. Er begründete dies unter anderem damit, daß sich anhand des allgemeinen Fachwissens kaum vorhersagen lasse, welchen Einfluß selbst kleine Strukturänderungen auf die biologische Wirkung hätten. Die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Aussage, wonach der Fachmann bei allen Triazolverbindungen, die einen Substituenten in der 1- und 3-Stellung und gegebenenfalls einen weiteren Substituenten in der 5-Stellung hätten, eine herbizide Wirkung erwarten würde, sei eine bloße Behauptung und nicht substantiiert.
Der Beschwerdeführer betonte zwar nochmals, daß alle nun beanspruchten Verbindungen die angegebene herbizide Wirkung zeigten, brachte aber vorsorglich vor, daß Artikel 56 EPÜ nur auf die erfinderische Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik abstelle und keine Grundlage dafür biete, den Gegenstand von Ansprüchen der hier vorliegenden Art auf Verbindungen zu beschränken, die eine Wirkung oder überhaupt eine technisch nützliche Eigenschaft aufwiesen. Die Frage, ob technisch nützliche Eigenschaften erzielt würden, sei nämlich gänzlich unabhängig vom Stand der Technik zu beantworten, so daß ein diesbezüglicher Einwand nicht im Rahmen des Artikels 56 EPÜ erhoben werden könne. Unter Berufung auf die Entscheidung T 181/82 gab er folgendes zu bedenken: Falls die Kammer diejenigen der beanspruchten Verbindungen, die mit den entgegengehaltenen Verbindungen strukturell am engsten verwandt seien, als erfinderisch anerkenne, wozu sie offensichtlich bereit sei, dann wären nach dem Gesetz der Logik auch alle strukturell weitläufiger verwandten Verbindungen erfinderisch.
Zu seinem vorstehend dargelegten ersten Vorbringen führte er aus, die vorliegende Patentanmeldung enthalte so viele Beispiele und Daten zu der angegebenen Wirkung, daß diese mit gutem Grund bei allen unter die jetzigen Ansprüche fallenden Verbindungen vorausgesetzt werden könne. Die beim Phenylring R3 beanspruchten unbegrenzten Substitutionsmöglichkeiten seien durch die wohlbekannte Möglichkeit gerechtfertigt, daß Substituenten wie Amidgruppen nach der Ausbringung eines Herbizids auf den Boden abgespalten würden, so daß der wirksame Teil der beanspruchten Verbindungen den besagten Substituenten R3 gar nicht mehr zu enthalten brauche. Zweifel an der angegebenen herbiziden Wirkung könne die Beschwerdekammer ohnehin nur aufgrund ihres eigenen allgemeinen Fachwissens hegen, das jedoch nicht substantiiert sei. Diesbezüglich sei schon in den Entscheidungen T 21/83 und T 157/87 klargestellt worden, daß allgemeines Fachwissen, das gegen die Patentierbarkeit einer Patentanmeldung ins Feld geführt werde, konkret belegt werden müsse. Der Beschwerdeführer räumte schließlich ein, daß die beanspruchten Verbindungen durch herkömmliche Syntheseverfahren hergestellt würden, behauptete aber, dies sei ohne Belang, da es für die Zwecke des Artikels 56 EPÜ nicht darauf ankomme, ob ein Fachmann die beanspruchten Verbindungen hätte herstellen können, sondern vielmehr darauf, ob er dies angesichts des Stands der Technik getan hätte. Im vorliegenden Fall habe der Stand der Technik keinerlei Anreiz geboten, gerade die in den jetzigen Ansprüchen enthaltenen Verbindungen bereitzustellen, und nicht andere aus der Vielzahl denkbarer neuer Verbindungen, die ebenfalls, wenn auch nur potentiell, durch herkömmliche Syntheseverfahren gewonnen werden könnten.
VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung, die Beschwerde und die Anträge auf Vorlage der beiden Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1 Die Kammer ist der Auffassung, daß der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Anspruch 1 des Anspruchssatzes A den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügt und daß der beanspruchte Gegenstand neu ist. Eine Begründung dieser Feststellungen erübrigt sich, da für die nachstehend näher begründete abschlägige Entscheidung der Beschwerde die Frage der Klarheit der Ansprüche und ihrer Stützung durch die Beschreibung (Art. 84 EPÜ) und die Frage der erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) ausschlaggebend sind.
2.2 Als erstes muß geklärt werden, ob die vorliegenden Ansprüche nach Artikel 84 EPÜ zu beanstanden sind. Die Prüfungsabteilung hat hier den doppelten Einwand mangelnder Klarheit und mangelnder Stützung durch die Beschreibung erhoben.
2.2.1 Im Rahmen des ersten Einwands hatte die Prüfungsabteilung die Auffassung vertreten, daß beispielsweise der Begriff "substituiert" nicht im üblichen Sinne verstanden werden könne, da der Anspruch chemische Verbindungen mit einer biologischen Wirkung betreffe. Unter den vorliegenden unabhängigen Anspruch fallen jedoch bestimmte chemische Verbindungen als solche, und nicht nur diejenigen mit einer bestimmten biologischen Wirkung. Daher ist die biologische Wirkung dieser Verbindungen kein wesentliches technisches Merkmal des beanspruchten Gegenstands und mithin auch nicht Teil seiner Definition, so daß kein Grund besteht, dem Begriff "substituiert" seine übliche technische Bedeutung "beliebig substituiert" (s. Nr. 6 der Entscheidungsgründe) abzusprechen, zumal der Beschwerdeführer offenbar genau diese Bedeutung im Auge hatte. Die Kammer hält den Anspruch 1 daher für klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ.
2.2.2 Als zweiten Einwand hatte die Prüfungsabteilung vorgebracht, Anspruch 1 des Hauptantrags stelle eine ungebührliche Verallgemeinerung der in der Beschreibung enthaltenen Beispiele dar. Nach Auffassung der Kammer läßt Artikel 84 EPÜ aber nicht den Schluß zu, daß ein Anspruch schon allein deshalb anfechtbar ist, weil er "ungebührlich breit" ist. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem Erfordernis, daß die Ansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen (die ja gemäß R. 27 (1) e) EPÜ keine Beispiele zu enthalten braucht). "Stützung durch die Beschreibung" bedeutet vielmehr, daß die in der Beschreibung als für die Erfindung wesentlich angegebenen technischen Merkmale und die in den Ansprüchen zur Definition der Erfindung verwendeten identisch sein müssen (s. T 133/85, ABl. EPA 1988, 441, Nr. 2 der Entscheidungsgründe und T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Nr. 3.2 der Entscheidungsgründe); andernfalls nämlich enthielten die Ansprüche keine echten Definitionen, sondern nur Erläuterungen. Den weiteren Ausführungen in der Entscheidung T 409/91, Nummern 3.3 und 3.4 der Entscheidungsgründe, ist zu entnehmen, daß ein Anspruch, dessen Gegenstand in der Beschreibung nicht gemäß Artikel 83 EPÜ offenbart ist, auch nicht durch die Beschreibung im Sinne des Artikels 84 EPÜ gestützt ist. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Überlegungen unter Nummer 5 der angefochtenen Entscheidung, daß die Prüfungsabteilung keine Zweifel daran hatte, daß die Herstellung der beanspruchten Verbindungen möglich war. Sie fand in der Beschreibung auch keine technischen Merkmale, die dort als für die beanspruchte Erfindung wesentlich angegeben worden wären, in der Definition des vorliegenden Anspruchs 1 hingegen gefehlt hätten. Auch die Kammer vermochte keine solchen Merkmale zu entdecken. Stattdessen hat sich die Prüfungsabteilung darauf berufen, daß ein fachmännischer Leser der Anmeldungsunterlagen nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß alle beanspruchten Verbindungen die behauptete herbizide Wirkung aufwiesen oder zumindest erwarten ließen, wobei dieses Merkmal, wie bereits erwähnt, nicht Teil der Definition des Gegenstands ist, für den Anspruch 1 Schutz begehrt. Da somit der Sachverhalt im vorliegenden Fall anders gelagert ist als in der Sache T 409/91, kann nach Auffassung der Kammer kein wirksamer Einwand wegen mangelnder Stützung durch die Beschreibung erhoben werden.
2.2.3 Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Eigenschaften (oder die technische Wirkung) des beanspruchten Gegenstands für die Frage der Patentierbarkeit der beanspruchten Verbindungen irrelevant wären, wie der Beschwerdeführer behauptet hat. Nach Ansicht der Kammer stellt sich die betreffende Frage nicht nur im Rahmen von Artikel 84 EPÜ, sondern ist auch eng mit dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ verknüpft, in dessen Kontext sie im folgenden untersucht werden soll.
2.3 Daß die erfinderische Tätigkeit nur anhand des einschlägigen Stands der Technik beurteilt werden kann (s. Art. 56 EPÜ), bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung. Nach Artikel 54 (2) EPÜ beschränkt sich der Stand der Technik aber nicht auf schriftliche Offenbarungen, sondern umfaßt alles, was der Öffentlichkeit "in sonstiger Weise" als technischer Gegenstand zugänglich gemacht worden ist. Fehlt also ein Verweis auf ein konkretes Dokument, so heißt dies noch nicht, daß es keinen Stand der Technik gibt, da dieser durchaus auch nur im einschlägigen allgemeinen Fachwissen bestehen könnte, das wiederum nicht unbedingt schriftlich in Lehrbüchern oder dergleichen fixiert sein muß, sondern möglicherweise nur zum ungeschriebenen "geistigen Rüstzeug" des Durchschnittsfachmanns gehört. Klar ist auch, daß der Umfang des einschlägigen allgemeinen Fachwissens im Streitfall - wie jede andere strittige Tatsache auch - z. B. durch schriftliche oder mündliche Beweismittel belegt werden muß (s. auch T 766/91 vom 29. September 1993, Nr. 8.2 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall erübrigt sich dies, da der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung seine frühere Behauptung zurückgenommen hat, daß die Ausgangsmaterialien und die Syntheseverfahren für die Herstellung der beanspruchten Verbindungen dem Fachmann nicht als Stand der Technik zur Verfügung gestanden hätten. Es genügt die Feststellung, daß D9 das allgemeine Fachwissen richtig wiedergibt.
2.3.1 Die Entgegenhaltung D3 betrifft unter anderem eine Klasse von Verbindungen der allgemeinen Formel
(FORMEL)
in der R1 bis R4 Wasserstoff oder aliphatische Substituenten sein können und jeder Substituent höchstens 8 Kohlenstoffatome hat (s. Spalte 2, Formel III). R3 kann auch für Phenyl stehen, das durch 1 bis 3 Halogenatome substituiert sein kann. Diesen Verbindungen wird eine herbizide Wirkung zugesprochen (Spalte 1, Zeilen 9 - 13). Darüber hinaus nennt das Dokument als Ausgangsmaterial für die Herstellung der vorstehenden Verbindungen eine Klasse von Verbindungen der allgemeinen Formel
(FORMEL)
in der R3 und R4 die vorstehende Bedeutung haben (s. Spalte 33, Formel XIV). Wenn R4 für Wasserstoff steht, entsprechen diese Verbindungen den Verbindungen der Formel I nach dem vorliegenden Anspruch 1, bei denen R1 und R2 jeweils Wasserstoff sind. Diese Verbindungen sind aus dem vorliegenden Anspruch 1 durch die Einschränkung a ausgeschlossen.
2.3.2 Die Entgegenhaltungen D7 und D8 betreffen jeweils ähnliche Gruppen von Verbindungen der allgemeinen Formel
(FORMEL)
in der die Substituenten des Phenylrings sowie die Substituenten R4 und R5 höchstens 4 Kohlenstoffatome enthalten. Diese Verbindungen können als Herbizide eingesetzt werden (s. D7, Seite 1, Zeilen 1 - 19 und D8, Spalte 1, Zeilen 17 - 43).
2.3.3 Diese Entgegenhaltungen bilden zusammen mit dem nunmehr anerkannten allgemeinen Fachwissen den Stand der Technik, auf dessen Grundlage im vorliegenden Beschwerdeverfahren die erfinderische Tätigkeit der beanspruchten Verbindungen zu beurteilen ist.
2.4 In der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, daß sich hier im Rahmen des Artikels 56 EPÜ nur die Frage stelle, ob ein Fachmann aufgrund des vorstehend genannten Stands der Technik die beanspruchten Verbindungen der Formel I (s. Nr. IV), in denen R3 für gegebenenfalls substituiertes Phenyl steht, hergestellt oder herzustellen versucht hätte. Artikel 56 EPÜ verlange nicht ausdrücklich, daß durch den Gegenstand einer Patentanmeldung eine technische Aufgabe gelöst werden müsse. Deshalb sei über die Frage der erfinderischen Tätigkeit unabhängig von der Lösung irgendeiner technischen Aufgabe zu entscheiden.
2.4.1 Die Kammer stimmt dem Beschwerdeführer zwar darin zu, daß es nach Artikel 56 EPÜ in der Tat die von ihm genannte Frage zu beantworten gilt, hält aber seine Schlußfolgerung für verfehlt, daß es für die Beantwortung dieser Frage und damit für die Entscheidung in dieser Sache keine Rolle spielt, ob eine technische Aufgabe vorliegt und gelöst wird, die beispielsweise auch darin bestehen kann, Alternativen zu bekannten Tätigkeiten (z. B. chemischen Verfahren) oder Gegenständen (z. B. chemischen Verbindungen) vorzuschlagen.
2.4.2 Nach einem seit langem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz sollte nämlich der Umfang des durch ein Patent verliehenen Monopolrechts dem technischen Beitrag zum Stand der Technik entsprechen und durch diesen begründet sein (s. T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Nrn. 3.3 und 3.4 der Entscheidungsgründe und T 435/91, ABl. EPA 1995, 188, Nrn. 2.2.1 und 2.2.2 der Entscheidungsgründe). Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz wurde in den beiden genannten Entscheidungen zwar zur Ermittlung des in bezug auf Artikel 83 und 84 EPÜ gerechtfertigten Schutzbereichs angewandt, gilt aber ebenso für Entscheidungen im Rahmen des Artikels 56 EPÜ, da alles, was unter einen rechtsgültigen Anspruch fällt, erfinderisch sein muß. Andernfalls muß der Anspruch so geändert werden, daß er nichts Naheliegendes mehr umfaßt, damit das Monopolrecht gerechtfertigt ist.
Nach Auffassung der Kammer ergibt sich aus diesem Rechtsgrundsatz auch, daß die Antwort auf die Frage, was ein Fachmann im Lichte des Stands der Technik getan hätte, in hohem Maße davon abhängt, welches technische Ergebnis er sich zum Ziel gesetzt hatte. Mit anderen Worten, es ist nicht davon auszugehen, daß der Durchschnittsfachmann etwas ohne konkreten technischen Grund und aus reiner Neugier tut, sondern daß er einen bestimmten technischen Zweck verfolgt.
2.4.3 Aus diesem Grund stützen die Beschwerdekammern ihre Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit durchweg auf eine objektive Beurteilung der technischen Ergebnisse, die der beanspruchte Gegenstand im Vergleich zum Stand der Technik erzielt. Anschließend wird davon ausgegangen, daß der Erfinder gezielt auf diese Ergebnisse hingearbeitet hat, aufgrund deren sich also die technische Aufgabe (oder auch der Zweck) der beanspruchten Erfindung definieren läßt (wobei diese Aufgabe, wie bereits erwähnt, in der Bereitstellung eines weiteren oder alternativen Verfahrens oder Gegenstands - hier einer Gruppe chemischer Verbindungen - bestehen kann). In einem nächsten Schritt wird schließlich geprüft, ob der Stand der Technik die beanspruchte Lösung dieser technischen Aufgabe in der im Streitpatent vorgeschlagenen Weise nahelegt (s. beispielsweise T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Nr. 4 der Entscheidungsgründe). Wenn der Stand der Technik aus schriftlichen Offenbarungen besteht, ist es aus praktischen Gründen oft zweckmäßig (s. T 439/92 - 3.2.4 vom 16. Mai 1994, Nr. 6.2.1 der Entscheidungsgründe), als Ausgangspunkt für diese Prüfung eine einzige Entgegenhaltung zu wählen, die dem beanspruchten Gegenstand am nächsten kommt, und dann zu untersuchen, ob die anderen Entgegenhaltungen zu den technischen Ergebnissen hinführen, die den beanspruchten Gegenstand von diesem "nächstliegenden Stand der Technik" unterscheiden.
2.4.4 Die Kammer kennt selbstverständlich auch die Entscheidung T 465/92 vom 14. Oktober 1994 (ABl. EPA 1996, 32), in der unter Nummer 9.1 der Entscheidungsgründe festgestellt wird, daß der Aufgabe-Lösungs-Ansatz keine unabdingbare Voraussetzung für die Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit durch das EPA ist. Allerdings lassen die Ausführungen unter den folgenden Nummern 9.2 bis 9.6 der Entscheidungsgründe den Schluß zu, daß es die Kammer im damaligen Fall lediglich vermieden hat, ein einzelnes Dokument als "nächstliegenden Stand der Technik" zu bestimmen und ausgehend von diesem eine "technische Aufgabe" zu formulieren. Im vorliegenden Fall ist die Auswahl eines bestimmten Dokuments als "nächstliegender Stand der Technik" jedoch nicht entscheidungserheblich. Hingegen hat die Kammer in der Entscheidung T 465/92 unter Nummer 5 die mit der beanspruchten Erfindung objektiv erzielten Ergebnisse definiert (s. insbesondere Nr. 5.3), um dann auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob der Stand der Technik als Ganzes es dem Fachmann nahegelegt hätte, in der im Streitpatent angegebenen Weise zu diesen Ergebnissen zu gelangen. Dies entspricht präzise der soeben unter Nummer 2.4.3 beschriebenen Vorgehensweise. Diese Entscheidung kann daher nach Auffassung der Kammer nicht dazu herangezogen werden, die Behauptung des Beschwerdeführers zu stützen, daß bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit die durch die beanspruchte Erfindung zu lösende technische Aufgabe außer Betracht bleiben sollte.
2.5 Nach dem vorstehend dargelegten Prüfungsansatz der Kammern ergibt sich im vorliegenden Fall bei Würdigung des entgegengehaltenen Stands der Technik folgender Schluß: Wenn davon auszugehen wäre, daß die beanspruchten Verbindungen keinerlei technisch nützliche Eigenschaften zu haben brauchen, dann könnte man sich auf den Standpunkt stellen, daß die technische Aufgabe, die durch diese Verbindungen gelöst wird (bzw. das durch sie erzielte technische Ergebnis, anhand dessen die erfinderische Tätigkeit beurteilt werden muß), sich auf das unter diesen Umständen mögliche Minimum reduziert, also lediglich darin besteht, weitere (oder alternative) chemische Verbindungen als solche bereitzustellen, unabhängig davon, ob diese auch nützliche Eigenschaften haben.
2.5.1 Die Kammer hat gewisse Zweifel, ob die beanspruchten Verbindungen überhaupt als technische Erfindung anerkannt werden könnten, wenn ihnen technisch nützliche Eigenschaften gänzlich fehlten (s. T 22/82, ABl. EPA 1982, 341, Nr. 6 der Entscheidungsgründe, wonach eine chemische Verbindung nicht aufgrund der bloßen potentiellen Bereicherung der Chemie patentwürdig ist und strukturelle Andersartigkeit für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit solange neutral und wertfrei bleibt, wie sie sich nicht in einer wertvollen Eigenschaft im weitesten Sinne, einer Wirkung oder der Verstärkung einer Wirkung manifestiert); sie hat aber dennoch geprüft, ob der Durchschnittsfachmann die beanspruchten Verbindungen als Lösung einer solchen hypothetischen "technischen Aufgabe" in Betracht gezogen hätte.
2.5.2 Der Beschwerdeführer hat in diesem Zusammenhang vorgebracht, dem Fachmann hätten sich tausenderlei Möglichkeiten zur Lösung dieser Aufgabe geboten, da auch bei bekannten Ausgangsverbindungen und bekannten Syntheseverfahren eine praktisch unbegrenzte Zahl chemischer Verbindungen in Frage gekommen wäre; eine bestimmte - auch willkürliche - Auswahl aus dieser unbegrenzten Fülle der Möglichkeiten müsse daher als erfinderisch angesehen werden, sofern der Stand der Technik keinen direkten Hinweis auf die Herstellung eben dieser Verbindungen gebe.
2.5.3 Dieses Argument kann indes nicht greifen, weil die Beantwortung der Frage, was der Fachmann getan hätte, nach Auffassung der Kammer davon abhängt, welches Ergebnis er erreichen wollte (s. Nr. 2.4.2). Wenn dieses Ergebnis nur in der Bereitstellung weiterer chemischer Verbindungen besteht, bieten sich alle bekannten chemischen Verbindungen in gleicher Weise als Ausgangspunkt für Strukturänderungen an, und es bedarf keiner besonderen Erfindungsgabe, um beispielsweise die Verbindung der Formel XIV aus D3 für diesen Zweck auszuwählen. Demzufolge wären alle strukturell ähnlichen chemischen Verbindungen, deren Herstellung der Fachmann im Lichte des entgegengehaltenen Stands der Technik für möglich hielte, unabhängig davon, wie viele es sind, gleichermaßen zur Lösung einer solchen hypothetischen "technischen Aufgabe" geeignet und somit für ihn gleichermaßen "naheliegend". Daraus folgt, daß eine rein willkürliche Auswahl aus der Fülle möglicher Lösungen einer solchen "technischen Aufgabe" nicht erfinderisch sein kann (s. beispielsweise auch T 220/84 vom 18. März 1986, Nr. 7 der Entscheidungsgründe). Nach Auffassung der Kammer ist die Auswahl solcher Verbindungen eingedenk des unter Nummer 2.4.2 erläuterten allgemeinen Rechtsgrundsatzes nur dann patentwürdig, wenn sie nicht willkürlich getroffen wurde, sondern in einer bislang unbekannten technischen Wirkung begründet liegt, die denjenigen Strukturmerkmalen zuzuschreiben ist, durch die sich die beanspruchten von den zahllosen anderen Verbindungen unterscheiden. Diese Überlegung steht auch in Einklang mit mehreren früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA, so etwa der Entscheidung T 1/80 (ABl. EPA 1981, 206, Nrn. 6 - 8 der Entscheidungsgründe). In der Sache T 119/82 (ABl. EPA 1984, 217) gelangte die Kammer bei Prüfung des Arguments, daß ein Fachmann ein ausgefallenes oder gar ungünstiges alternatives Verfahren zur Herstellung eines bekanntes Erzeugnisses weder in Betracht ziehen noch vorschlagen würde, zu einem ähnlichen Schluß: Danach ist ein chemisches Verfahren nicht nur dann naheliegend, wenn der Fachmann all seine Vorteile erkennen konnte, sondern auch dann, wenn er die Nachteile klar absehen oder keine Verbesserung erwarten konnte, sofern er die Folgen insgesamt tatsächlich richtig eingeschätzt hat (s. Nr. 16 der Entscheidungsgründe).
2.5.4 Diese Überlegungen lassen den unmittelbaren Schluß zu, daß sich die Auswahl der beanspruchten Verbindungen nur dann mit einer technischen Wirkung rechtfertigen läßt, wenn diese bei im wesentlichen allen ausgewählten Verbindungen erwartet werden darf (s. beispielsweise auch T 131/87 vom 7. September 1989, Nr. 8 der Entscheidungsgründe, T 742/89 vom 2. November 1992, Nr. 7.4 der Entscheidungsgründe, T 626/90 vom 2. Dezember 1993, Nr. 4.3.2 der Entscheidungsgründe und T 741/91 vom 22. September 1992, Nrn. 4.2 und 4.3 der Entscheidungsgründe).
2.6 Daher ist die Kammer im Gegensatz zum Beschwerdeführer der Auffassung, daß bei der Beurteilung des technischen Beitrags zum Stand der Technik sehr wohl berücksichtigt werden muß, aus welchem technischen Grund gerade die nun beanspruchten und nicht die vielen anderen theoretisch denkbaren modifizierten chemischen Verbindungen bereitgestellt wurden. Laut Beschreibung (s. S. 3, Zeilen 1 und 2) haben alle beanspruchten Verbindungen herbizide Wirkung. Herbizide chemische Verbindungen, die mit den beanspruchten Verbindungen strukturell verwandt sind, da es sich ebenfalls um Triazolderivate handelt, sind aus den Entgegenhaltungen D3, D7 und D8 bekannt (s. Nrn. 2.3.1 und 2.3.2). Somit kann hier jede dieser Entgegenhaltungen als "nächstliegender Stand der Technik" herangezogen werden.
Angesichts dieses Stands der Technik besteht die technische Aufgabe, deren Lösung in der vorliegenden Patentanmeldung geltend gemacht wird, in der Bereitstellung weiterer (alternativer) chemischer Verbindungen mit herbizider Wirkung.
Gemäß den Ausführungen der Kammer unter Nummer 2.4.3 könnte diese technische Aufgabe aber nur dann berücksichtigt werden, wenn sie als gelöst angesehen werden könnte, d. h. wenn bei der Beurteilung der Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ glaubhaft wäre, daß im wesentlichen alle beanspruchten Verbindungen diese Wirkung aufweisen (s. auch Nr. 2.5.4). Die Kammer hat deshalb geprüft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.
2.6.1 Nach Meinung des Beschwerdeführers liegt in Streitfällen wie diesem die Beweislast dafür, daß eine behauptete herbizide Wirkung nicht glaubhaft ist, beim EPA, also hier bei der Beschwerdekammer. Dies widerspricht eindeutig dem Rechtsgrundsatz, daß derjenige, der eine Tatsache behauptet, diese auch beweisen (im vorliegenden Fall nach dem Kriterium der größeren Wahrscheinlichkeit glaubhaft machen) muß, (s. T 219/83, ABl. EPA 1986, 211, Nr. 12 Abs. 4 der Entscheidungsgründe und T 20/81, ABl. EPA 1982, 217, Nr. 3 letzter Absatz der Entscheidungsgründe). Wenn also weder die Prüfungsabteilung noch die Beschwerdekammer die diesem oder einem anderen Maßstab genügenden Beweise zu erbringen vermag und offensichtlich ist, daß es angesichts der großen Zahl der beanspruchten Verbindungen von Haus aus unwahrscheinlich ist, daß alle oder zumindest im wesentlichen alle diese Verbindungen die versprochene Wirkung aufweisen, kann die Beweislast für diese Tatsache , d. h. die Entfaltung der Wirkung, letztlich nur bei demjenigen liegen, der diese Behauptung aufgestellt hat.
2.6.2 Im vorliegenden Fall kann der Verweis des Beschwerdeführers auf die in der Beschreibung enthaltenen Versuchsergebnisse, wonach einige der beanspruchten Verbindungen tatsächlich eine herbizide Wirkung aufweisen, nicht als ausreichender Beweis dafür angesehen werden, daß im wesentlichen alle beanspruchten Verbindungen diese Wirkung haben. Aus dem belegten allgemeinen Fachwissen geht nämlich nicht hervor, daß die Art des in den beanspruchten Verbindungen gegebenenfalls vorhandenen Substituenten für die behauptete herbizide Wirkung bedeutungslos wäre. Die Kammer ist vielmehr, wie der Beschwerdeführer selbst, der Meinung, daß die Strukturunterschiede zwischen den beispielsweise in D3, D7 und D8 offenbarten und den beanspruchten Verbindungen so geartet sind, daß der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens eine herbizide Wirkung der beanspruchten Verbindungen nicht hätte vorhersagen können (s. Nr. V); demnach kann als gesichertes allgemeines Fachwissen gelten, daß selbst kleine Strukturänderungen große Unterschiede in der biologischen Wirkung verursachen können. Allgemein anerkannt ist allerdings auch, daß die Eigenschaften chemischer Verbindungen weitgehend von ihrer chemischen Struktur abhängen und ein Fachmann deshalb in der Regel erwarten würde, daß sich die Eigenschaften zweier Verbindungen um so mehr ähneln, je ähnlicher ihre chemische Struktur ist (s. T 181/82, ABl. EPA 1984, 401, Nr. 5 der Entscheidungsgründe). All diese Überlegungen veranlassen die Kammer zu dem Schluß, daß Vorhersagen über den Zusammenhang zwischen chemischer Struktur und biologischer Wirkung zwar grundsätzlich mit einiger Zuverlässigkeit möglich sind, jenseits gewisser Grenzen aber keinen Anspruch auf Gültigkeit erheben können.
2.6.3 Wo diese Grenzen verlaufen, muß nach Meinung der Kammer anhand der im Einzelfall zu diesem Zweck vorgelegten Tatsachen und Beweismittel festgestellt werden. Steht als Beweismaterial jedoch nur das allgemeine Fachwissen zur Verfügung, so muß dasselbe Fachwissen zugrunde gelegt werden, das auch bei der Beantwortung der Frage herangezogen wird, ob der Fachmann eine bestimmte biologische Wirkung erwartet hätte, weil es bereits strukturell ähnliche chemische Verbindungen mit derselben biologischen Wirkung gibt (s. auch T 964/92 vom 23. August 1994, Nr. 2.8 der Entscheidungsgründe). Wenn mithin nachgewiesen werden soll, daß eine Vorhersage über einen Zusammenhang zwischen Wirkung und Struktur nicht naheliegend, aber dennoch plausibel ist, können die dafür benötigten zusätzlichen Beweismittel nicht Bestandteil des gesicherten allgemeinen Fachwissens sein, sondern müssen sich gezielt auf den betreffenden Einzelfall beziehen.
2.6.4 Die allgemeinen Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach Strukturänderungen bisweilen kaum Einfluß auf die biologische Wirkung haben, etwa dann, wenn ein Teil der Verbindung bei einer auf die behauptete biologische Wirkung ausgerichteten Anwendung abgespalten wird (s. Nr. V), helfen der Kammer daher nicht bei der Beantwortung der Frage, ob im vorliegenden Fall die biologische Wirkung mit einiger Sicherheit vorhersagbar war. Anders hätte es sich verhalten, wenn nachgewiesen worden wäre, daß es bei der Anwendung der beanspruchten Verbindungen tatsächlich zu der behaupteten Abspaltung kommt. Dies ist jedoch nicht geschehen. Ohne Belang für den vorliegenden Fall ist auch das vom Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Argument, daß in anderen Fällen Patente mit Ansprüchen erteilt worden seien, die breite Definitionen wie "gegebenenfalls substitutiert" enthielten.
2.6.5 Die auf den Seiten 37 bis 40 der Beschreibung dokumentierten Versuche erstreckten sich auf eine Vielzahl von Verbindungen. Bei all diesen Verbindungen war R1 aber stets entweder unsubstituiertes Phenyl oder gegebenenfalls durch Methylgruppen substituiertes 2- Pyrimidinyl und R3 immer durch Halogenatome oder Methylgruppen substituiertes Phenyl. Die Versuchsergebnisse belegen daher trotz der Vielzahl der getesteten Verbindungen nicht die behauptete herbizide Wirkung von Verbindungen, bei denen z. B. der Phenylring R3 beliebig substitutiert sein kann, da es, wie der Beschwerdeführer selbst betont hat, zum allgemeinen Fachwissen gehört, daß sich der Einfluß von Strukturänderungen auf die gewünschte herbizide Wirkung nicht vorhersagen läßt.
2.6.6 Ebensowenig wird die Behauptung einer herbiziden Wirkung durch die Entgegenhaltungen D3, D7 und D8 gestützt, die allesamt Klassen herbizid wirksamer Verbindungen mit begrenzten Substitutionsmöglichkeiten offenbaren (s. Nrn. 2.3.1 und 2.3.2).
2.6.7 Der Beschwerdeführer ist auf seine unzureichende Beweisführung hingewiesen worden und hatte auch zur Genüge Gelegenheit, entweder seine Ansprüche auf eine Gruppe von Verbindungen zu beschränken, deren behauptete herbizide Wirkung die Kammer als glaubhaft anzuerkennen vermocht hätte (s. Nr. III), oder aber durch Versuchsergebnisse oder auf anderem Wege doch noch zu beweisen, daß die Art der Substitution des Phenylrings R3 im vorliegenden Fall für die herbizide Wirkung keine Rolle spielt. Trotz dieser klaren Hilfestellung, zu der die Kammer nicht verpflichtet war, wurden weder geeignete Änderungen noch weitere Beweismittel eingereicht.
2.7 Die vorhandenen Beweismittel überzeugen die Kammer nicht davon, daß im wesentlichen alle nun beanspruchten Verbindungen eine herbizide Wirkung erwarten lassen. Nachdem, wie unter den Nummern 2.4.2, 2.5.4 und 2.6 dargelegt, nur diejenigen der beanspruchten chemischen Verbindungen erfinderisch wären, die als Lösung der technischen Aufgabe anerkannt werden könnten, weitere herbizid wirksame Verbindungen bereitzustellen, umfaßt der Gegenstand des Hauptantrags auch nichterfinderische Verbindungen und erfüllt somit nicht das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ.
2.8 Wie den Nummern III und 2.6.7 zu entnehmen ist, wäre die Kammer bereit gewesen, einer begrenzten Zahl der beanspruchten Verbindungen, die die versprochene Wirkung aufweisen, eine erfinderische Tätigkeit zuzuerkennen - im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung, in der die Auffassung vertreten wurde, daß der Fachmann die herbizide Wirkung dieser Verbindungen erwartet hätte. Der Kammer erscheinen hierzu folgende Bemerkungen angebracht.
2.8.1 Die Aussage in der angefochtenen Entscheidung, daß ein Fachmann aus der gemeinsamen Offenbarung der genannten Entgegenhaltungen geschlossen hätte, daß das als "Biophor" bezeichnete, für die gewünschte Wirkung verantwortliche Strukturelement der 1.2.4-Triazolring mit (beliebigen) Substituenten in der 1-, 3- und gegebenenfalls auch der 5-Stellung ist, geht nach Auffassung der Kammer auf eine Ex-post-facto-Analyse dieser Entgegenhaltungen zurück. Dabei wird ein Teil ihres Inhalts aus dem Zusammenhang gerissen und anhand von Erkenntnissen verallgemeinert, die nur aus der vorliegenden Patentanmeldung stammen können.
2.8.2 Das in der angefochtenen Entscheidung als allgemeines Fachwissen vorausgesetzte Konzept der "Bioisosterie", wonach sich die Art der biologischen Wirkung einer chemischen Verbindung durch den Austausch einer Carbamoylgruppe gegen eine Sulfamoylgruppe nicht ändert, läßt sich nach Ansicht der Kammer nicht auf alle Austauschfälle hinreichend zuverlässig anwenden. Die Kammer hat daher erhebliche Zweifel, daß der Versuch nahelag, durch einen solchen Austausch mit angemessener Erfolgsaussicht zu weiteren Verbindungen mit herbizider Wirkung zu gelangen.
3. Hilfsanträge 1 bis 4
In den Anspruchssätzen "B" bis "E" vom 27. Oktober 1994, die den Hilfsanträgen 1 bis 4 entsprechen, enthält Anspruch 1 ausnahmslos als Definition für R3 den Ausdruck "gegebenenfalls substituiertes Phenyl". Daher sind auch diese Anträge auf einen nichterfinderischen Gegenstand gerichtet.
4. Somit eröffnet keiner der Anspruchssätze, die der Beschwerdeführer der Kammer zur Prüfung vorgelegt hat, die Möglichkeit, der Beschwerde stattzugeben; zu prüfen sind nun noch die Fragen, deren Vorlage an die Große Beschwerdekammer der Beschwerdeführer beantragt hat.
4.1 Die erste Frage, ob der dem Stand der Technik am nächsten kommende Lösungsansatz für erfinderisch, ein weiter entfernter Lösungsansatz aber für nicht erfinderisch befunden werden kann, ist, wie sich aus den Ausführungen unter den Nummern 2.5.3 bis 2.5.5 ergibt, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im vorliegenden Fall kaum oder gar nicht von Belang, da hier die Bejahung oder Verneinung einer erfinderischen Tätigkeit nicht von einer etwaigen Strukturnähe der beanspruchten Verbindungen zu bekannten chemischen Verbindungen, sondern davon abhängt, ob ein bestimmter technischer Effekt, nämlich die Herbizidwirkung, mit Fug und Recht dem gesamten Spektrum der chemischen Strukturen, die unter die vorliegenden Ansprüche fallen, oder nur einem Teil desselben zugesprochen werden kann. Es tut deshalb hier nichts zur Sache, ob sich in anderen Fällen eine erfinderische Tätigkeit womöglich allein aus einem bestimmten "strukturellen Abstand" des beanspruchten Gegenstands vom nächstliegenden Stand der Technik herleiten läßt (s. jedoch Nr. 2.5.1). In jedem Fall ergibt sich aus den vorstehenden Überlegungen, daß die erste "Rechtsfrage" des Beschwerdeführers nach Sachlage im Einzelfall zu entscheiden ist und es infolgedessen keine allgemeingültige Antwort gibt. Mithin liegt keine Rechtsfrage, geschweige denn eine von grundsätzlicher Bedeutung vor, sondern lediglich eine Tatfrage, mit der die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) EPÜ nicht befaßt werden kann (s. auch T 845/90 vom 13. Dezember 1991, Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe).
4.2 Was die zweite Frage anbelangt, so bezweifelt die Kammer nicht, daß eine Instanz des EPA, wie bereits unter Nummer 2.3 dargelegt, das von ihr angezogene allgemeine Fachwissen belegen muß, wenn es strittig ist. Im vorliegenden Fall hat sich die Kammer jedoch auf das vom Beschwerdeführer selbst geltend gemachte allgemeine Fachwissen gestützt (s. Nr. 2.6.2) , das somit definitionsgemäß nicht als strittig gelten kann.
4.3 Aus diesen Gründen gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß keine der vorstehenden Fragen der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden sollte.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Anträge auf Befassung der Großen Beschwerdekammer werden zurückgewiesen.