6. Ausführbarkeit
6.3. Varianten
Ist in einem Patent das einzige mit konkreten Angaben offenbarte Ausführungsbeispiel für den Kernbereich der beanspruchten Erfindung nicht so vollständig offenbart, dass eine Fachperson die beanspruchte Erfindung am Prioritätstag ausführen konnte, ist es für die Frage der ausreichenden Offenbarung unerheblich, ob eine Variante am relevanten Tag der Anmeldung ausführbar war, die zwar unter den Wortlaut des Patentanspruchs fällt, aber im Hinblick auf die Lehre des Patents mangels vergleichbaren technischen Erfolgs nicht unter den Kernbereich der beanspruchten Erfindung fällt (T 1173/00, ABl. 2004, 16).
Die Kammer führte ferner aus, dass es, wenn eine Erfindung lückenhaft offenbart sei, dahingestellt bleiben könne, ob es am Prioritätstag objektiv unmöglich war, die Lücke auszufüllen. Entscheidend sei, ob die Erfindung so vollständig offenbart ist, dass die Durchschnittsfachperson sie am Prioritätstag in Kenntnis des Patents anhand ihres allgemeinen Fachwissens ausführen konnte.
In T 1128/22 (Zylinderförmiger Behälter mit Korkenverschluss) argumentierte der Beschwerdeführer (Einsprechende) insbesondere, dass es für die Fachperson schwierig sei, in Abhängigkeit von dem für den Behälter gewählten Material das Verfahren und die Parameter für die Formgebung auszuwählen, da es keine einheitliche, für alle Zellulosematerialien geltende Wulsttechnik gebe. Eine Fachperson, die aus den vielen Verfahren und Parametern für die Umsetzung auswählen müsste, wäre demnach mit einem unzumutbaren Aufwand konfrontiert. Der Einsprechende argumentierte weiter, dass Art. 83 EPÜ nur dann Genüge getan sei, wenn die Offenbarung der Erfindung die Fachperson in die Lage versetzt, im Wesentlichen alle Ausführungsarten der beanspruchten Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen (unter Verweis auf T 1064/15). Der Ausdruck "Material auf Zellulosebasis" umfasse alle möglichen zellulosehaltigen Materialien wie Holz, Bambus, Bananenblätter und auch Textilien wie Zelluloseacetat, Viskose, Rayon oder Modal. Im speziellen Fall von Holz bestehe bei einem Biegeversuch senkrecht zu den Fasern die Gefahr, dass diese brechen. Folglich wäre es für die Fachperson nicht einfach, ohne Kenntnis des verwendeten Materials wenigstens eine geeignete Technik zur Herstellung eines Behälters mit einer Wulst zu identifizieren. Die Kammer ließ sich von den Argumenten des Beschwerdeführers nicht überzeugen, da diese lediglich zeigten, dass der Schutzumfang des Anspruchs 1 insofern weit gefasst ist, als darin weder das Material noch das Verfahren zur Herstellung der Wulst definiert sind. Die Tatsache, dass ein Anspruch weit gefasst ist, sei jedoch, so die Kammer weiter, für sich genommen kein dafür Grund dafür, dass die Fachperson außerstande ist, die Erfindung umzusetzen. In Reaktion auf ein weiteres Argument stellte die Kammer fest, dass die Fachperson zwar im Fall bestimmter Materialien auf Zellulosebasis, wie z. B. Holz, unter bestimmten Bedingungen, die vom Beschwerdeführer noch nachzuweisen seien, außerstande sein könnte, ein Verfahren zur Herstellung einer Wulst umzusetzen (wie vom Beschwerdeführer argumentiert), dass dadurch jedoch nicht zwangsläufig infrage stehe, dass die Fachperson die Erfindung nach Art. 83 EPÜ ausführen kann. So ist in G 1/03 (ABl. 2004, 413, Nr. 2.5.2 der Gründe) dargelegt: "Gibt es eine Vielzahl denkbarer Alternativen und enthält die Patentschrift ausreichende Angaben zu den relevanten Kriterien, anhand deren mit vertretbarem Aufwand geeignete Alternativen aus dem beanspruchten Bereich ausgewählt werden können, so ist der Einschluss nichtfunktionsfähiger Ausführungsformen unschädlich".
Zu Varianten siehe auch Kapitel II.C.5.2., II.C.5.4., II.C.7.1.2., und II.C.7.1.4.