9. Beweisfragen
9.4. Beweislast beim Einsprechenden - Sonderfälle
In T 347/15 bestätigte die Kammer die Rechtsprechung zur Beweislast (Art. 83 EPÜ) und machte sich die Begründung von T 491/08 zu eigen, da die Anmeldung keine detaillierten Informationen dazu enthielt, wie die Erfindung in die Praxis umgesetzt werden soll. In T 347/15 hätte der Einsprechende (Beschwerdeführer II) zahlreiche kostspielige Versuche durchführen müssen, um zu belegen, dass die Erfindung nicht ausführbar ist, während nach Auffassung der Kammer ein einziges Beispiel des Beschwerdeführers I (Patentinhabers) genügt hätte, um die Ausführbarkeit der Erfindung zu beweisen. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer II (Einsprechende) seiner Beweispflicht nachgekommen war, indem er gestützt auf nachvollziehbare und plausible Argumente ernsthafte Zweifel daran vorgebracht hatte, dass die Fachperson die beanspruchte Erfindung ausführen kann. Der Beschwerdeführer I (Patentinhaber) hätte das Gegenteil, also die Ausführbarkeit der Erfindung, beweisen müssen, was er jedoch unterließ. Insbesondere würde mangels Hinweis im Patent die Ausführung das übliche Können der Fachperson überschreiten.
In T 500/20 (Mechanik) stellte die Kammer in ihrem Orientierungssatz fest, dass es bei beanspruchten Erfindungen, die keinen Parameterbereich und keine Zusammensetzungen betrafen, sondern auf ein durch generische strukturelle oder funktionelle Merkmale einer Vorrichtung oder eines Verfahrens ausgedrücktes Konzept abzielten, zum Nachweis eines Mangels nicht ausreiche, sich ein Beispiel auszudenken, das zwar in den Geltungsbereich des Anspruchs falle, aber nicht funktioniere, weil es die beanspruchte Wirkung nicht oder nicht vollständig erreiche, sodass die Erfindung nicht über die gesamte Breite der Ansprüche ausreichend offenbart sei. Die Beweislast für die anschließende Geltendmachung einer unzureichenden Offenbarung sei in einem Fall wie diesem sehr hoch; der Beteiligte müsse anhand von schlüssigen Argumenten, die auf den geltenden Grundsätzen beruhen und gegebenenfalls durch Beweise untermauert werden, zeigen, dass das beanspruchte Konzept nicht funktioniert, weil es die gewünschte Wirkung in keiner Weise erzielt oder sogar den Gesetzen der Natur widerspricht. Oder aber er müsse nachweisen, dass es der Offenbarung an Informationen zu einem wichtigen Aspekt der beanspruchten Erfindung mangelt, ohne die die Fachperson nicht in der Lage ist, die beanspruchte Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) hatte keine entsprechenden Argumente vorgebracht.
In T 970/16 (Verwendung einer Cellulase in einem Waschvorgang) stellte die Kammer fest, dass die Einsprechenden, die selbst tatsächlich keine Beweismittel vorlegten, ihrer Beweispflicht nachkamen, indem sie sich auf das verfügbare Beweismittel X29 (den vom Patentinhaber eingereichten Versuchsbericht) stützten und plausibel argumentierten, dass das allgemeine Fachwissen die Fachperson nicht befähigen würde, den strittigen Nutzen zu realisieren. Für die erforderliche technische Wirkung bedürfte es im vorliegenden Fall eines hypothetischen Mechanismus, der – wie im Patent angegeben – noch nicht zum allgemeinen Fachwissen gehörte. Die Fachperson müsste angesichts der erfolglosen Ergebnisse von X29 ein Forschungsprogramm durchführen.
In T 557/22 fehlte es an einer angemessenen Argumentation zur mangelnden Befähigung der Fachperson, eine kieferorthopädische Vorrichtung nach Anspruch 6, d. h. gemäß dem angeblich mehrdeutig definierten Gegenstand, herzustellen, weshalb die Einspruchsabteilung keine Veranlassung sah, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Dementsprechend mangelte es der angefochtenen Entscheidung entgegen der Auffassung des Rechtsmittelführers (Einsprechenden) nicht an Substantiierung in Bezug auf die Frage der ausreichenden Offenbarung von Anspruch 6.