9. Beweisfragen
9.3. Einwand der unzureichenden Offenbarung zurückgewiesen – Beispiele
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern setzt die Feststellung einer unzureichenden Offenbarung ernsthafte und durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel voraus. Der von der Prüfungsabteilung im Ex-parte-Verfahren T 1020/11 dargelegte Sachverhalt zur Rechtfertigung einer Feststellung einer unzureichenden Offenbarung beruhte auf einem möglichen Problem, das bei einer Kombination verschiedener Antigene auftreten könnte. Es lagen jedoch keine nachprüfbaren aktenkundigen Nachweise dafür vor, dass im speziellen vorliegenden Fall eine Interferenz das Problem war. Ohne solche nachprüfbaren, einschlägigen Nachweise für den konkreten Fall fehlte dem Einwand unzureichender Offenbarung nach Auffassung der Kammer die Überzeugungskraft (s. auch das Inter-partes-Verfahren T 872/13 (Pharmazeutische Zusammensetzung) – der Einsprechende beschrieb eine Reihe möglicher Schwierigkeiten, auf die die Fachperson stoßen könnte, die jedoch, gestützt auf nachprüfbare Fakten, keine ernsthaften Zweifel aufkommen ließen; – in diesem Fall war die Fachperson in der Lage die Methode des Beispiels 8 zu ändern, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen – routinemäßige Änderungen).
In T 1437/07 (Botulinumtoxin zur Behandlung von Glattmuskelkrämpfen) ging es um den Einwand, dass es nicht plausibel sei, dass die therapeutische Wirkung erzielt werden könne, weil die in Beispiel 9 offenbarte Behandlung nicht tatsächlich durchgeführt wurde. Die Kammer verwies unter anderem auf R. 42 (1) e) EPÜ, nach der ein Beispiel nicht zwingend angegeben werden muss. Daher gibt es für die Kammer keinen Grund, nur weil ein Patent eine Wirkung offenbart, die nicht in der Realität erreicht wurde – ohne überzeugende Beweise dafür, dass die Wirkung nicht erzielt werden kann –, daran zu zweifeln, dass die Wirkung erzielt werden kann. Die Kammer wies den Einwand zurück.
Für den Nachweis mangelnder Ausführbarkeit der Erfindung verlangen die Kammern, dass die Nacharbeitung bei Einhaltung der in den Beispielen genannten Bedingungen nicht gelingt. Dieses Erfordernis ist nicht erfüllt, wenn der Einsprechende das patentierte Verfahren unter Bedingungen wiederholt, die zwar unter Anspruch 1 fallen, sich aber in mehrfacher Hinsicht von denen der im Streitpatent genannten Beispiele unterscheiden (T 665/90).
In T 740/90 (Trockene aktive Hefe für die Brotzubereitung) wurde festgestellt, dass die Nacharbeitung nur anhand der genannten Beispiele gegeben sein müsse. Die im Patent beschriebenen Ausführungsbedingungen der Erfindung waren industrielle Bedingungen und keine Laborbedingungen wie bei Herrn L. (eidesstattliche Erklärung des Beschwerdegegners (Einsprechenden)). Der Beschwerdeführer legte der Kammer überzeugend dar, dass der Versuchsmaßstab einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Kontrolle der Prozessparameter und damit auf die Eigenschaften der gewonnenen trockenen Hefe habe. Dass dieser Maßstab nicht als für die Erreichung des gesetzten Ziels maßgeblich gekennzeichnet war, ändere nichts daran, dass das einzige Ausführungsbeispiel des Patents im industriellen Maßstab umgesetzt worden war und dass der Beschwerdegegner bei dem Versuch zu beweisen, dass die Erfindung nicht nacharbeitbar war, die Bedingungen so übernehmen musste, wie sie im verfügbaren Beispiel angegeben waren. Da bereits der Maßstab nicht eingehalten worden war, könne der Versuch von Herrn L. nicht als gültig angesehen werden, und es sei unerheblich, ob hinsichtlich der Versuchsbedingungen noch weitere Unstimmigkeiten bestanden. Der Beschwerdegegner, der die Beweislast trug, habe nicht nachgewiesen, dass die Erfindung nicht ausreichend offenbart war.
Die Offenbarung wurde auch als ausreichend angesehen, wenn der Einsprechende nur Äquivalente der im Patent genannten Tenside verwendet hatte, da er seine Beweispflicht nicht erfüllt hatte (T 406/91).
In T 1712/09 befand die Kammer, dass der Einsprechende nicht hinreichend nachgewiesen hatte, dass das Verfahren zur Messung der Parameter nicht ausführbar war. Die in seinen Versuchsberichten beschriebenen Tests waren nämlich nicht entsprechend den Anweisungen im Streitpatent durchgeführt worden, da andere Messapparaturen verwendet worden waren als die im Patent genannten. Nach Ansicht der Kammer hatte er gar nicht versucht, die Erfindung nachzuarbeiten (kein Kalibrierungsversuch), was jedoch Grundvoraussetzung der Art. 100 b) und 83 EPÜ ist. Sie verwies auf T 815/07 (Erfordernis gleichbleibender Werte) sowie T 1062/98 und T 485/00 (Möglichkeit der Kalibrierung des Verfahrens zur Bestimmung der strittigen Parameter). In der Entscheidung T 548/13 wurde festgestellt, dass die Rechtsprechung zu Parametern, darunter T 815/07, insofern nicht greift, als es sich in T 548/13 nicht um einen quantitativen Parameter handelte.
Auch die Entscheidung T 45/09 betraf einen Fall, in dem die Bedingungen hinterfragt wurden, unter denen der Einsprechende seine Tests – und zwar unter Verwendung eines handelsüblichen Produkts – durchgeführt hatte, denn die Eigenschaften eines zu einem Zeitpunkt T1 im Handel erhältlichen Produkts sind nicht zwangsläufig identisch mit denen eines zum Zeitpunkt T2 unter derselben Handelsbezeichnung vermarkteten Produkts und im vorliegenden Fall war deren Identität nicht belegt worden. Auch bemängelte die Kammer die Kalibrierung des Messverfahrens. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Einsprechende nicht nachgewiesen hatte, dass das Messverfahren für den Parameter nicht ausführbar und somit die Offenbarung der Erfindung mangelhaft war, obwohl ihm die Beweislast oblag und er diesen Beweis hätte erbringen können, wenn er versucht hätte, das fragliche Verfahren anhand mindestens einer der erfindungsgemäßen Kieselsäuren nachzuarbeiten.
In T 378/11 (Partikelgröße) bezogen sich die in Anspruch 1 offenbarten Werte auf die durchschnittliche Partikelgröße. Die Beschwerdeführer (Einsprechenden) hatten keinen Nachweis dafür erbracht, dass die fehlenden Angaben zur genauen Art der durchschnittlichen Partikelgröße die Fachperson an der Ausführung der Erfindung hinderten. Die Kammer stellte fest, dass die Fachperson zur Herstellung der erfindungsgemäßen Zusammensetzung diejenigen Arten von Mittelwerten auswählen könne, die in den Bereich von 10 - 500 mym fielen. Ob die Verwendung zweier Arten von Mittelwerten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde, sei eine Frage der Klarheit, nicht der ausreichenden Offenbarung.
In T 1089/15 erinnerte die Kammer an die ständige Rechtsprechung bezüglich eines erfolgreichen Einwands (z. B. T 19/90, ABl. 1990, 476, Nr. 3.3 der Gründe) und stellte fest, dass der Beschwerdeführer (Einsprechende) keine Beweismittel zur Stützung seines Vorbringens eingereicht hatte und seine Argumente auf bloße Behauptungen stützte. In der mündlichen Verhandlung verwies der Beschwerdeführer dann lediglich auf seine schriftlichen Ausführungen und entschied sich somit, keine Gegenargumente gegen die von der Kammer in ihrer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (Art. 15 (1) VOBK) vertretene Auffassung vorzutragen.
In T 1863/21 waren die im Patent genannten Beispiele für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung besonders relevant. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass die Offenbarung der Erfindung als ausreichend angesehen werden kann. Zur Bekräftigung des Arguments, dass die Erfindung in ihrem gesamten Umfang ausreichend offenbart sei, reichte der Patentinhaber zusätzliche Versuchsdaten ein (D15); der Beschwerdeführer (Einsprechende) reichte zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung das Dokument D15a ein, das eine statistische Auswertung der Daten aus D15 enthielt. Der Beschwerdeführer beanstandete nicht die im Patent verwendete Versuchsanordnung und räumte sogar ein, dass die Ergebnisse in den Beispielen des Patents eine Wirkung zeigen könnten. Er behauptete jedoch, dass das Ergebnis nicht über den gesamten Bereich der Ansprüche 1 und 2 erzielt werde, und lieferte keine eigenen Versuchsdaten, um diesen Punkt zu untermauern. Stattdessen basierte seine einzige Argumentationslinie zu diesem Aspekt auf einer statistischen Analyse der in der Abbildung von D15 dargestellten Ergebnisse. Die Kammer stellte fest: Selbst wenn man der Schlussfolgerung des Beschwerdeführers folgen würde, dass die Ergebnisse in D15 statistisch irrelevant seien, so wäre diese Schlussfolgerung nicht ausschlaggebend dafür, die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung durch die Kammer zu ändern. Der Beschwerdeführer hätte ernsthafte Zweifel daran äußern müssen, dass die Erfindung nicht in ihrem gesamten Umfang ausreichend offenbart ist. Unter den Umständen des vorliegenden Falles und in Anbetracht der Beispiele des Patents waren die Feststellungen des Beschwerdeführers zur statistischen Relevanz der Daten in D15 nicht ausreichend, um einen als ernsthaft zu bezeichnenden Zweifel zu wecken. Die Kammer traf einige Feststellungen zu überzeugenden Beweisen und statistischen Analysen (s. Nrn. 3.8 und 3.9 der Gründe und Kapitel III.G.4.2.3 a) zum Beweisrecht).