1.7.3 Entscheidungen zur Anwendung der in G 1/03 und G 1/16 von der Großen Beschwerdekammer aufgestellten Kriterien
In T 1525/15 betraf der Einwand des Beschwerdeführers ein negatives Merkmal (d. h. einen Disclaimer) in den beiden unabhängigen Ansprüchen ("von mikrogeprägtem Aussehen frei"). Die Kammer merkte an, dass dieses Merkmal in der ursprünglichen Anmeldung nicht wortwörtlich offenbart war. Das Merkmal war im Erteilungsverfahren hinzugefügt worden, um Neuheit gegenüber D1 zu begründen, das Stand der Technik nach Art. 54 (3) EPÜ bildete. Die Kammer betonte, dass eine solche Änderung zulässig ist, (i) wenn das negative Merkmal als solches implizit in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war oder (ii) wenn der Disclaimer in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart war, aber den in der Entscheidung G 1/03 (ABl. 2004, 413) der Großen Beschwerdekammer formulierten Erfordernissen entspricht. Im vorliegenden Fall kam die Kammer zu dem Schluss, dass das negative Merkmal implizit, aber dennoch unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war. Da das negative Merkmal als solches in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war, musste nicht geprüft werden, ob die in der Entscheidung G 1/03 festgelegten (und in G 1/16, ABl. 2018, A70 bestätigten) Bedingungen erfüllt waren.
In T 273/22 sah die Kammer in Bezug auf Disclaimer einen grundlegenden Unterschied zwischen (i) der in der ursprünglich eingereichten Fassung einer (früheren) Anmeldung implizit offenbarten Abwesenheit bestimmter, aus dem Vergleich der Erfindung mit dem Stand der Technik ableitbarer Merkmale und (ii) einem Anspruchswortlaut, der die zwingende Abwesenheit bestimmter Merkmale in dem im betreffenden Anspruch definierten spezifischen Gegenstand als explizites negatives technisches Merkmal angibt (d. h. einem Disclaimer in einem Anspruch). Im vorliegenden Fall handelte es sich nach Auffassung der Kammer de facto um einen nicht offenbarten Disclaimer, denn aus dem Fehlen irgendeiner expliziten Offenbarung der (angeblich) bevorzugten Abwesenheit rein menschlicher Antikörper ergaben sich Unsicherheiten. Somit galten die Feststellungen aus G 1/03, G 2/03 und G 1/16. Allein schon, weil der Disclaimer in keine der dort aufgestellten Kategorien fiel, war er unzulässig.