4. Unterbrechung des Verfahrens (Regel 142 EPÜ)
4.1. Anwendung der Regel 142 EPÜ von Amts wegen
Die Vorschriften der R. 142 EPÜ (R. 90 EPÜ 1973) müssen von Amts wegen angewandt werden (J 902/87, ABl. 1988, 323; J 23/88; T 315/87 vom 14. Februar 1989 date: 1989-02-14; J 49/92; T 854/12; J 7/16; T 54/17; J 2/22). Die Eintragung einer Unterbrechung in das Register ist für die Unterbrechungswirkung nicht konstitutiv, sondern wirkt nur deklaratorisch (T 854/12; J 9/21). Bei einer Verfahrensunterbrechung beginnen die am Tag der Unterbrechung für den Anmelder oder Patentinhaber laufenden Fristen an dem Tag von Neuem zu laufen, an dem das Verfahren wiederaufgenommen wird (s. R. 142 (4) EPÜ). Die Frist zur Stellung des Prüfungsantrags und die Frist für die Entrichtung der Jahresgebühren werden jedoch lediglich gehemmt (s. dieses Kapitel III.D.4.8. "Folgen einer Unterbrechung des Verfahrens (R. 142 (4) EPÜ)").
Gemäß Nr. 1.2 b) des Beschlusses des Präsidenten des EPA vom 21. November 2013 über die Zuständigkeit der Rechtsabteilung (ABl. 2013, 600) ist für die Unterbrechung und Wiederaufnahme von Verfahren ausschließlich die Rechtsabteilung zuständig.
In T 54/17 war die Kammer jedoch der Auffassung, dass in einem Fall, in dem eine Beschwerde anhängig ist, der Rechtsabteilung keine ausschließliche Zuständigkeit für die Frage der Unterbrechung zusteht. Sie schloss sich damit der in T 854/12 geäußerten Auffassung an, wonach eine Beschwerdekammer in eigener Verantwortung für ihr Verfahren hierüber entscheiden kann. Andernfalls könnte, insbesondere bei einer rückwirkenden Unterbrechung, ein Organ außerhalb der Beschwerdekammern ihr das Verfahren entziehen, ohne dass sie hierauf Einfluss hätte. Derselben Auffassung war die Juristische Beschwerdekammer in J 2/22, wo sie erkärte, dass die Zuständigkeit der Beschwerdekammern für das Beschwerdeverfahren nach Art. 21 (1) EPÜ, so auch für Entscheidungen in der Sache und untergeordnete Verfahrensfragen, nicht eingeschränkt wird durch die Zuständigkeit der Rechtsabteilung für Entscheidungen betreffend Eintragungen in das Register nach Art. 20 EPÜ. Durch den Beschluss des Präsidenten des EPA vom 21. November 2013 über die Zuständigkeit der Rechtsabteilung (ABl. 2013, 600) werden keine Befugnisse und Zuständigkeiten der Beschwerdekammern im Sinne von R. 11 EPÜ auf die Rechtsabteilung übertragen, sondern er betrifft lediglich die Verteilung von Aufgaben der erstinstanzlichen Organe. Aus der bloßen Tatsache, dass die Rechtsabteilung für die Eintragung des Tags einer Verfahrensunterbrechung oder -wiederaufnahme nach R. 142 EPÜ in das Europäische Patentregister zuständig ist, kann nicht geschlossen werden, dass die Rechtsabteilung auch befugt ist die Entscheidung, das Verfahren zu unterbrechen, zu treffen.
In J 9/21 verwies die Juristische Beschwerdekammer darauf, dass in das Europäische Patentregister, für das nach Art. 20 (1) EPÜ die Rechtsabteilung verantwortlich ist, gemäß Art. 127 (1) EPÜ in Verbindung mit R. 143 (1) t) EPÜ unter anderem die Tage von Verfahrensunterbrechungen und -wiederaufnahmen nach R. 142 EPÜ einzutragen sind. Sie betonte auch, dass das EPA sich bemühen sollte, widersprüchliche Entscheidungen über eine Unterbrechung nach R. 142 (1) b) EPÜ zu vermeiden, wenn mehrere Verfahren denselben Anmelder oder Patentinhaber und denselben Sachverhalt betreffen; sie bekräftigte den in T 1389/18 vertretenen Ansatz, der verhindern könnte, dass in ein und derselben Rechtsfrage zwei widersprüchliche endgültige Entscheidungen der Beschwerdekammern ergehen. Auch schloss sie sich den Feststellungen in T 1389/18 und J 10/19 an, wonach es in die Verantwortlichkeit der Rechtsabteilung fällt, eine Verfahrensunterbrechung anzuordnen, und betonte, dass diese Befugnis auch in T 854/12 nicht infrage gestellt worden ist, wo lediglich festgestellt worden ist, dass die Zuständigkeit der Rechtsabteilung keine ausschließliche ist.
In T 1389/18 stellte die Kammer fest, dass die Rechtsabteilung grundsätzlich befugt ist, eine Unterbrechung des Verfahrens nach R. 142 (1) b) EPÜ auch rückwirkend festzustellen.