2.2. Fortsetzung des Einspruchsverfahrens nach Erlöschen oder Verzicht (Regel 84 (1) EPÜ)
2.2.1 Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens vom Einsprechenden gestellt
In T 1213/97 war das Patent während des Einspruchsbeschwerdeverfahrens in allen benannten Vertragsstaaten erloschen. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage, was einen Antrag auf Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens im Hinblick auf eine Entscheidung implizierte. Die Kammer übte ihre Befugnis nach R. 60 (1) EPÜ 1973 (R. 84 (1) EPÜ) aus, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen.
Auch in T 598/98 war das Patent seit einem nach Einlegung der Beschwerde durch den Einsprechenden liegenden Zeitpunkt in allen benannten Vertragsstaaten erloschen und der Beschwerdeführer (Einsprechende) hatte die Fortsetzung des Verfahrens beantragt. Dem Antrag wurde stattgegeben. Die Kammer führte aus, dass das Bestehen eines Rechtschutzinteresses des Einsprechenden an einem rückwirkenden Widerruf des Patents eines der Elemente sei, die für die Entscheidung der Kammer über die Einstellung oder Fortsetzung des Verfahrens gemäß R. 60 EPÜ 1973 eine Rolle spielen können. Außerdem führte die Kammer aus, dass das allgemeine Interesse an einer zentralen Feststellung über die Patentwürdigkeit einer in einem Patent beanspruchten Erfindung es jedenfalls dann rechtfertige, das Verfahren bis zum Erlass einer Endentscheidung fortzusetzen, wenn die Sache im Zeitpunkt des Erlöschens im Wesentlichen entscheidungsreif sei, und es auch im Hinblick auf den Bestand des Patents einen Unterschied im Ergebnis ausmache, ob eine Sachentscheidung getroffen oder das Verfahren bloß eingestellt werde.
In T 500/12 gab die Kammer dem Antrag des Beschwerdeführers (Einsprechenden) auf Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens statt. Der Beschwerdeführer hatte Auszüge aus verschiedenen nationalen Patentregistern vorgelegt, die belegten, dass das angefochtene Patent nicht in allen Vertragsstaaten erloschen, sondern noch in Kraft war. Außerdem machte er geltend, dass die Jahresgebühren nicht nur von Patentinhabern, sondern auch von Dritten entrichtet werden könnten. Ferner könnten die Jahresgebühren in vielen Vertragsstaaten unter Zahlung einer Zuschlagsgebühr noch wirksam nachgezahlt werden, und selbst wenn sie nicht fristgerecht mit Zuschlagsgebühr entrichtet worden seien, müssten auch noch die Wiedereinsetzungsfristen beachtet werden.
In T 740/15 legte die Kammer R. 84 (1) EPÜ dahin gehend aus, dass, wenn der Einsprechende die Fortsetzung des Verfahrens innerhalb der vorgegebenen Frist beantragt, der Entscheidungsspielraum der Einspruchsabteilung nach R. 84 (1) EPÜ auf eine einzige mögliche rechtmäßige Entscheidung – nämlich die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens – begrenzt ist. Die Kammer wies darauf hin, dass diese Auffassung durch die vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ 1973 gestützt wird.
In T 2492/18 hob die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung auf, das Einspruchsverfahren nicht nach R. 84 (1) EPÜ fortzusetzen. Die Einspruchsabteilung hatte ihre Entscheidung damit begründet, dass kein rechtzeitiger Antrag auf Fortsetzung gestellt worden sei. Die Kammer wies darauf hin, dass der Antrag auf Fortsetzung eingereicht wurde, als eine Beschwerde anhängig war, und es in der Zuständigkeit der betreffenden Kammer lag, darüber zu entscheiden. Allerdings wurde die Beschwerde nach zwei Monaten zurückgenommen, d. h. bevor die Kammer sich damit befassen konnte. Ab diesem Zeitpunkt lag die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags wieder bei der Einspruchsabteilung. Der Verlauf der Ereignisse mag zu einiger Verwirrung geführt haben, änderte aber nichts an der Tatsache, dass ein Fortsetzungsantrag rechtzeitig gestellt worden war, den die Einspruchsabteilung hätte berücksichtigen müssen.
In T 1959/15 gab die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach R. 84 (1) EPÜ dem Antrag des Beschwerdeführers statt, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen. Sie berücksichtigte dabei das berechtigte Interesse des Beschwerdeführers, die Zurückweisung des Einspruchs durch die Einspruchsabteilung rückgängig zu machen, sowie den Umstand, dass die Entscheidung der Kammer über das Patent eine Ex-tunc-Wirkung nach Art. 68 EPÜ entfaltete.