10.2. Vorurteil in der Fachwelt
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10.2. Vorurteil in der Fachwelt
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (s. T 119/82, ABl. 1984, 217; T 48/86) kann die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit manchmal durch den Nachweis erreicht werden, dass ein bekanntes Vorurteil, d. h. eine weit verbreitete, aber falsche Vorstellung von einem technischen Sachverhalt, überwunden werden musste. In solchen Fällen liegt die Beweislast beim Patentinhaber (oder Anmelder), der, beispielsweise durch geeignete Fachliteratur, belegen muss, dass das geltend gemachte Vorurteil tatsächlich bestand (T 60/82, T 631/89, T 695/90, T 1212/01 T 1989/08, T 3016/18).
Unter einem auf einem bestimmten Gebiet bestehenden Vorurteil versteht man eine in den betreffenden Fachkreisen allgemein oder weit verbreitete Ansicht oder vorgefasste Meinung. Das Vorliegen eines Vorurteils wird in der Regel durch Bezugnahme auf Literatur oder Nachschlagewerke glaubhaft gemacht, die vor dem Prioritätstag veröffentlicht worden sind. Das Vorurteil muss am Prioritätstag bereits bestanden haben; ein Vorurteil, das sich erst später entwickelt hat, ist für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ohne Belang (T 341/94; s. auch T 531/95, T 452/96, T 1212/01, T 25/09, T 99/19, T 1328/20).
In T 3016/18 bestätigte die Kammer, dass das Bestehen eines technischen Vorurteils zwar in Zweifelsfällen als Hilfserwägung für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit herangezogen werden kann, dass dies jedoch keinen Ersatz für die technisch-fachmännische Bewertung der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik darstellt.